meisten von diesen, 34 an der Zahl, (in Württemberg Hildenbrand) gehören zur sozialdemokratischen Fraktion. Dann folgen daZ Zentrum mit 22, die wirtschaftliche Ver­einigung mit 10 Mitgliedern, 5 Freisinnige, 4 Antisemiten und 2 Nationalliberale. In Württemberg hat das Zen­trum keinen Reichstagsabgeordneten mit Bolksschulbild- ung, das gleiche ist der Fall bei den Nationalliberalerv und der Bolkspartei, während Friedrich Vogt vom Bund der Landwirte gleichfalls nur eine Volksschule besucht hat. Einige Abgeordnete des Zentrums haben eine besondere Erziehung in Jesuitenpädagogien genossen, zum Teil stu­dierten sie auch auf ausländischen kath. Hochschulen, so der in Belgien heimische Herzog zu Urenberg, die schle­sischen Grafen Oppersdorfs und Praschma, die im Pensio­nat der Gesellschaft JesuStella Matutina" erzogen wur­den, ferner Herr von Sajigny, die Abg. Sittert, Gleits- inann, von der Scheer und Pichler und der Pole von Saß-Jaworski. Stark ist der landwirtschaftliche Einschlag, wenn man von den württembergischen Verhält­nissen absieht. Von den Konservativen bekennen sich 43 (Württemberg 2), vom Zentrum 23, von den National­liberalen 13, von der Reichspartei 11 Abgeordnete zum landwirtschaftlichen Beruf. Sehr vermehrt hat sich ge­gen früher die Zahl der Vertreter der freien Berufe und Privatbeamten. Das juristische Element vertreten et­wa 40 richterliche Personen und Rechtsanwälte (in Würt­temberg 5: Payer, Haußmann, Storz, Grober und Roth), die Theologie 23 katholische (in Württemberg 1: Le­ser) und 6 evangelische Theologen (Württemberg 2: Hie­bet und Naumann). Die Medizin hat nur ein knap­pes che Dutzend Anhänger im Reichstag, von Württem­berg aus keinen.

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Aus der Deutschen Bolkspartei.

Aus Baden. Auf' der Generalversammlung deS Demokratischen Vereins Freiburg" wurden gewählt: als erster Vorsitzender Rechtsanwalt Tr. Schin- zinger, als zweiter Vorsitzender Privatier H. Pflüger, als Kassier Fabrikant Karl Jakobi und als Schrift­führer Hauptlehrer Raus. Ter bisherige erste Vor­sitzende, Herr Niclas hielt einen Vortrag über die links- liberale Einigung. Tie Vertreter beim außeror­dentlichen Parteitag wurden angewiesen, unter allen Um­stünden für eine Einigung einzutreten.

Aus Hessen. Der Ausschuß der demokrati­schen Partei in Mainz hat sich in seiner jüngste» Sitzung mit der Frage der Einigung der Linken be­faßt. Es wurde eine Kommission gewählt, die mit einer Kommission der freisinnigen Partei in Unterhandlungen treten wird, um die Unterlagen für eine herbeizuführendx Verständigung zwischen den beiden linksstehenden bürger­lichen Parteien festzulegen.

* * *

Sachsen und die Schiffahrtsadgaben.

Dresden, 13. Jan. In der heutigen Sitzung der 1. Kammer erwiderte Ministerpräsident Graf Vitzthum von Eckstädt auf verschiedene Anfragen aus dem Hause, die Regierung lehne nach wie vor die Einführung von Schiffahrtsabgaben ab. Dieser Standpunkt ver­trage sich aber durchaus mit dem Wunsche, wie bisher die bundessreundlichen Beziehungen mit der preußischen Re­gierung in altbewährter Weise zu pflegen. Er glaube im übrigen, auch die preußische Regierung teile die Ansicht, daß Verfassungsänderungen, soweit ihnen grundsätzliche Rechte einzelner Bundesstaaten entgegenstehen, nicht ohne Zustimmung dieser Staaten beschlossen und jedenfalls nicht gegen ihren Willen zur Durchführung gelangen sollten.

Dresden, l3. Jan. In der heutigen Etatsberat- ung der Ersten Kammer wies Oberbürgermeister Beutler aus 'die schweren Bedenken gegen die Einführung der Schiffahrtsabgaben hin. Prof. Tr. Wach erklärte, es scheitle geboten, jetzt, wo ein schwerer Jnteressenkampf be- Dsinne, Verständigung zu suchen, der Z 10 des preußischen

Völker-Evangelium.

Von Otto Umfrid.

(Schluß.)

Die Meinung ist sehr weit verbreitet, daß es nur Bagatcll- geschichten seien, die sich zu schiedsgerichtlicher Behandlung eig­nen, während bei sogenannten Ehren- und Lebensfragen der Appell an das Schwert nach wie vor nötig werden dürfte. Das ist ein Aberglaube. Ein Volk, das sich bereit erklärt, irgend welche in Frage gestellten materiellen Güter in Schutz des Rechts zu stellen, dürfte noch vielmehr Veranlassung haben, seine höchsten Güter, seine Ehre und sein Leben, diesem Schutze zu vertrauen. Man muß sich aber klar machen, daß es nicht wider die Ehre verstoßt, in einem diplomatischen Handel, in dem man sich zu weit vorgewagt hat, nachzugeben. Daß aber Beleidigungen, wie sie durch Beschmutzung ..der Flagge, durch Kränkung der Gesandten rc. begangen werden mögen, sich vor­züglich zu ehrengerichtlicher Behandlung eignen, sollte nicht geleugnet werden. Nichts einfacher als das, daß ein Volk, daS sich an der Ehre eines anderen Volks vergriffen hat und sich weigert, die geforderte Genugtuung zu leisten, dafür als ehrlos erklärt und somit selbst an der Ehre gestraft wird, die es an andern nicht genug geachtet hat. Die Lebensfragen aber sind viel seltener, als man heute anznnehmen geneigt ist. Eine wirkliche Lebensgefahr für die Staaten ist nur in drei Fäl­len gegeben: 1) wenn ein Volk einer fremden Herrschast unter­worfen wird; denn mit der Unterwerfung ist die nationale Selbst­ständigkeit vernichtet. Sein oder Nichtsein, das ist Pier die Frage. 2. Wenn ein Volk verdammt sein sollte, den Erstickungstod zu sterben, indem es ihm Trotz seiner zahlenmäßig gewaltigen Aus­dehnung unmöglich gemacht würde, einen Teil seiner Bevölker­ung in fremden Ländern anznsiedeln. 3. Wenn dem Volke der Hungertod drohen würde infolge der Unmöglichkeit, seine Waren «nszutauschen oder die genügende Zufuhr von ausländischen Nahrungsmitteln zu erhalten. Was nun die .Frage anbclangt, ob innerhalb Europas und die Stellung unseres Weltteils dürfte in dieser Frage entscheidend sein noch die Unterwerfung eines bis jetzt unabhängigen Volks unter einem fremden Willen zu befürchten, ob mit Eroberungskriegen zu rechnen sei, so dürste diese Frage entschieden zu verneinen sein. Das sittliche Be­wußtsein ist dasür schon zu wach geworden. ' Die Eroberungs­politik kommt aus der Mode. Ebenso steht es mit der zweiten Lebensfrage: wenn wir scheinbar nur die Wahl hätten, ent­weder im Gedränge unserer anwachsenden Bevölkerung zu er­sticken oder loszuschlagen, so würden wir ein Drittes wählen, das heißt Auswanderung, die als Gegenstück allerdings die Gast­freundschaft von seiten der fremden Völker, die schon Kant ver­langt hat, voransfttzt. Wird die Auswanderung planmäßig und rücksichtslos geleitet, so kann sie ohne gewaltsamen Zu­sammenstoß zur Besiedlung überseeischen Gebietes führen. Am Platz f.hlt es wahrscheinlich nicht. Raum für alle hat die Erde.

Wasserstraßengesetzes sei verfassungswidrig und damit nichtig. Auch durch die geplante Einführung der Zweck- Verbände sei eine Aenderung der Reichsverfassung be­dingt. Schon jetzt stehe es fest, daß für Sachsen die E i n-- führung der Schiffahrtsabgaben ein großer Schaden sei. Hier müsse im Bundesrat das Prinzip gelten: Einer für alle und alle für einen, nicht aber: Aus­beutung des einen durch den anderen.

Berlin, 13. Jan. Das Schwurgericht verurteilte heute den riseur Hans Jünemann wegen Ermordung der Verkäuferin lice Rakowski und wegen Diebstahls in zwei Füllen z u m T o d e, Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und nenn Monaten Ge­fängnis.

London, 14. Jan. In dem großen Bazar der Firma Ivans ist ein Feuer ausgebrochen, das einen Schaden von 100 000 Pfund Sterling verursachte. Ta gerade der freie halbe Tag war, so waren nur die Angestellten im Bazar, die eine Panik ergriff ; sie konnten alle gerettet werden.

Deutscher Reichstag.

Berlin, 13. Januar.

Vizepräsident Spahn eröffnet die Sitzung um l.1/4 Uhr. Um Bandesratstisch ist Staatssekretär Krätke anwesend. Auf der Tagesordnung steht die Fortsetzung der Besprechung.

»er Interpellationen betreffend die Bcamten- Matzregelunge«.

Abg. Schräder (frs.): Die vielen Maßnahmen gegen die Polen führten bas Gegenteil herbei von dem, was erreicht werden sollte. Die Polen sind wirtschaftlich und po­litisch stärker geworden, weil sie sich bewußt gewor­den sind, daß sie ihre Kräfte sammeln müssen. Der Staats­sekretär hat gestern gesagt, die Beamten seien verpflichtet, im Staatsinteresse nach dem Willen ihrer Vorgesetzten zu handeln. Der Beamte braucht aber nur das zu tun, wozu das Gesetz verpflichtet. Selbst Bismarck verlangte nur von den ver­hältnismäßig wenigen politischen Beamten, die Gedanken der Regierung soweit zu vertreten, daß sie unrichtige Behauptungen gegen die Regierung richtig stellten. Auch die Wahl Prüf­ungskommission» hat stets in diesem Sinne entschieden. Wir müssen verlangen, daß die Beamten ge­schützt werden. Der Reichskanzler wird uns demnächst seine eigene Ansicht über die Angelegenheit sagen müssen.

Abg. Südekum (Soz.): Es ist wünschenswert, das; Herr v. Bethmann-Hollweg seine eigene Ansicht hier vertritt. Die geknechteten und brutalisierten Polen sind bei der Finanz­reform durch ihre Junker verraten worden. Die Po­len befinden sich in politischer Notwehr, und für diese sind keine Grenzen gezogen. Die Hakatisten wollen nur teueres Land und billige Arbeitslöhne. Daher das Geschrei. Der Staat hat von seinen Beamten nichts zu verlangen, als die Erfüll­ung ihrer Pflicht. Die hündische Preisgabe ihrer Ueber- zeugung, Heuchelei nsw. werden durch ein solches Verfahren groß- gezogen. Die Reichsregierung solle dafür sorgen, daß das Recht des Staatsbürgers für die Beamten nicht eingeschränkt werde.

Staatssekretär Delbrück: Ich habe gestern nur festge­stellt, daß 15 Beamte versetzt worden sind, nachdem sie bei der Hanptwahl und dann in der Stichwahl für den großpolnr- fchen Kandidaten gestimmt haben, obwohl sie inzwischen darüber belehrt wurden, daß diese Kandidaten zu wählen, mit den Pflichten eines Beamten nicht vereinbar sei. Es ist mit den Interessen des Staates unvereinbar, daß. ein Beamter in einem Orte wirkt, wo er im Gegensatz mit der natio­nalen Auffassung steht. (Hört! Hört!) Die staatsrecht­liche Theorie ist klar und deutlich, daß die Beamten in einem öffentlichen rechtlichen Dienstverhältnis oder in einem Gewalt­verhältnis znm Staate stehen und daß sie demzufolge, da der Staat selbst nicht sprechen und handeln kann, in dasselbe Ver­hältnis zu den Vertretern des Staates, den staatlichen Orga­nen, treten. (Gelächter und Unruhe im Zentrum, Zustimmung rechts). In dem Erlaß Kaiser Wilhelms I. hat man sich da­rauf beschränkt, die Forderung auszusprechen, daß politische Beamte sich in die Unterstützung der Politik der Regierung zu fügen haben. Wenn wir jetzt weiter gegangen sind, so ist das nicht leichten Herzens geschehen. Ich habe ausdrücklich darauf hingewiesen, daß diese ausnahmsweise Behandlung des Katto- witzer Falles anznsehen ist als ein Akt der nationalen Notwehr für diesen speziellen Fall. Irgendwelche Grundsätze allgemeiner Art haben wir nicht vertreten. (Beifall rechts und Zischen im Zentrum.)

Wg. Kolbe (Reichspt.): Den Beamten hat es vollkommen fteigestanden, irgendwelche katholische Kandidaten zu wäh­len. Bon diesen polnischen mußte aber jeder wissen, daß sie Anhänger der Sokol und Straz waren. Die beson­deren Verhältnisse der Ostmarken machen es bedauerlich, daß

deutsche Männer in abhängiger Stellung sich erst durch ihre Vorgesetzten über ihre nationale Pflicht belehren lassen mußten und das Vertrauen der Behörden täuschten. (Gelächter tm Zentrum). Solche Leute sind nicht geeignet, an ihrem bis­herigen Platze weiterznwirken. Wer die Ostmarkenverhältnisse kennt, billigt das Vorgehen der Regierung.

Abg. v. Dziembowski-Pomian (Pole): Fcstzustellen ist, daß die Antwort der Regierung wegen der Maßregelung nicht befriedigt. Die Mehrheit des Reichstages verdammt diese Maßregelung. Die Regierung sock gewiß eine feste Hand haben, aber auch gegen die Hakatisten. Der Zustand Po- lens war bei der Teilung nicht so schlecht, daß die Polen der preußischen Verwaltung besonders dankbar sein müßten, speziell nach ihren letzten Erfahrungen. Die Polen verteidigen sich lediglich gegen die Bestrebungen des Ostmarkenvereins und seinen Einfluß auf die Regierungspolitik. Wir führen ge- zwangen den Kampf und nur in der Hoffnung auf einen ernst­lichen, ehrlichen Md ehrenvollen Frieden.

Abg. Lattmann (wirtsch. Vgg): Die politische Betätig­ung der Beamten ist zweifellos durch ihre Stellung im Staat beschränkt. Auch Fürst Bismarck würde heute angesichts der polnischen Bestrebungen so denken.

Abg. D 0 0 r ma n n-Königshütte (frs. Vp-): In Kattowitz waren die Polen die Angreifer. Die vberschjesischen Liberalen sind keineswegs Hakatisten, aber auch nicht Schleppenträger der Polen. Vom liberalen Standpunkt aus bedauern wir die Art des Eingreifens der Regierung, welches nichts an den bestehenden Verhältnissen .ändert und deshalb unnötig war. Die Agitation des Abg. Korfanty und seiner Freunde kaikn zu nichts Gutem führen.

Damit schließt die Besprechung. Das Hans geht sodann zur ersten Beratung der Entwürfe eines Gesetzes betr.

Aenderung des Gerichtsderfaffungsgcsetzes «nd der Ltrafprozetzordnung

über. Staatssekretär des Reichsjustizamkes Dr. Lisrv be­gründet die Vorlage. Er geht auf die einzelnen Teile der Vor­lage ein und weist auf bie Hinzuziehung des Laienelements zur Rechtsprechung, ans das Zeugnisverweigerungsrecht der Presse und auf das besondere Verfahren gegen Jugendliche hin. Die öffentliche Kritik habe neben Anerkennung des Entwurfs auch Wünsche und Bedenken geäußert, die im einzelnen in den ein­gehenden Verhandlungen im Plenum und in der Kommission, zu prüfen sein werden.

Hierauf wird die Weiterberatung auf Freitag l Uhr ver­tagt. Schluß Uhr.

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In der Budgetkommission des Reichstags

führte Staatssekretär Dernburg in Betreff der Diaman­tenangelegenheit ans: Unter der Herrschaft der Regie sei der Preis der Diamanten von 22 auf 33 Mark pro Karat gestiegen. Die Berechtigung der Sperre sei allgemein an­erkannt. Die Deputation der Lüderitzbucht-Diamanteninteressen- ten habe sich seinerzeit für völlig zufriedengestellt erklärt. Da­gegen werde heute von den Lüderitzbnchter Bürgern gefordert, daß der Kolonialgesellschaft für Südwestafrika größere Leistun­ungen auferlegt werden sollen, von der Auffassung ausgehend, daß bis zur Beendigung der Sperre am 31. März 1911 die Ansprüche der Kolonialgesellschaft aufhören und die Rechte der letzteren zweifelhaft und ungewiß seien. Diese Auffassung sei aber falsch. Die Behauptung, daß die Schätze au? Dem Lande geholt werden, die Schulden aber im Schutzgebiet blei­ben, sei unzutreffend. ' Er sei sich bewußt, daß die' Interessen des Reichs und der Schutzgebiete durch seine Diamantenpoliti? durchaus gewahrt bleiben. Die Ausführungen des Staats­sekretärs wurden mik lebhaftem Beifall und Dank ausgenommen.

Ausland.

Spanische Knopslochschrnerzen.

Madrid, 13. Jan. Infolge von Kundgebungen, die eine Gruppe von Offizieren gestern Abend vor dem Hanse einer militärischen Zeitung wegen der Kritik an den Auszeichnungen für die TeilneGner an den Kämpfen in Marokko veranstaltet hatte, hat der Regierung folgende Maßregelungen erlassen: der Stadtkomman­dant v 0 nMadrid ist seines Amtes enthoben worden; alle Korpskommandeure sind, soweit ihnen unter­stellte Offiziere an den Kundgebungen teilgenommen ha­ben, zur Disposition gestellt lvorden. Mehrere Offiziere, die die Demonstranten anführten, find mit Festungshaft bestraft worden. Die übrigen Demonstranten wird die­selbe Strafe treffen, sobald ihre Persönlichkeit festgestellt worden ist.

Cuxhaven, 14. Jan. Der deutsche Motor- -schoonerArkturos" ging auf der Fahrt nach Eng-

Das deutsche Reich für sich hat in seinen Kolonien eine zur Ansiedlnng geeignete Bodenfläche, so groß wie Alt-Deutschland selbst, um darin seine überschüssige Bevölkerung unterzubringen. Brasilien allein könnte bequem die ganze heutige Menschheit mit 1600 Millionen Menschen in sich anfnehmen: allein in der Provinz Matto Crosso ließen sich 40 Millionen ansiedcln: Neu­seeland könnte dreißigmal so viel Menschen bergen, als sich heule dort befinden. In Australien lebt erst ein Mensch ans 2 Quadratkilometern. Es ist also nichts mit dem sogenannten Futtermangel. Bleibt noch die dritte Lebensfrage übrig: die Möglichkeit, ein Volk allmählich auszuhungern. Aber wozu sind wir in unserer Zeit ans die sinnreiche Einrichtung von Handels­verträgen gekommen, und sollte es nicht möglich sein, dieselben so zu fassen, daß sie jedes Volk gegen eine vernichtende Han­delspolitik des Auslands sicher stellen würden? Sollten aber ans den Handelsbeziehungen oder aus dem Ai^dehniingsdrang irgend eines Volkes Gegensätze entstehen, die au; diplomatischem Weg nicht ausgeglichen werden können, so ist nicht einzusehen, warum ein unparteiisch zusammengesetztes Gericht nicht fähig sein soll, die Meinungsverschiedenheiten auf rechtlichem Weg zu schlichten.

Soll aber die Durchführung des Gerichtsbeschlusses unter allen Umständen gewährleistet werden, soll es möglich sein, in der Welt die Ordnung aufrecht zu erhalten und z. B. die Türken am Armeniermord zu hindern, so müssen die Mächte, die sich heute noch als brvtneidische Konkurrenten gegenüber­stehen, sich dazu verbünden, den Bruch der Ordnung bei wilden Völkern gemeinsam zu strafen, und unter sich im Frieden za leben, indem sie einander die Unverletzlichkeit ihres Gebiets zusichern oder wenigstens sich vertragsmäßig dazu verpflichten, den gegenwärtigen Zustand nicht gewaltsam ändern zu wollen. Der ganze Gang der Weltgeschichte strebt mit voller Klarheit diesem Ziel entgegen. Der Mensch ist von Natur ein geselliges Wesen, wie schon Aristoteles gesagt hat. Also schließt er sich zusammen zur Familie, zur Horde, zum Stamm. Die Stämme mußten nicht notwendig in kriegerische Konflikt mit einander geraten, und es ist falsch, zu behaupten, daß sich die Stämme überhaupt nur aus dem Kriegspfad gebildet haben. Sie haben sich mindestens ebenso oft in friedlichster Weise um den Patriarchen znsammengeschlossen, gerade so wie die Herde sich um den Widder znsammenzuschließen Pflegt. Andererseits hat es freilich kriegerische Zeiten in der Weltgeschichte gegeben, in der die Stämme sich eingebildet haben, sie müßten sich jedes Jahr, wenn der Frühling ins Land gienge, auf einander stürzen, um alte Scharten ausznwetzen, um alte Händel auszutragen. Und also warfen sich die Normannen auf die Bretonen, die Sachsen ans die FrankenGenna zog gegen Venedig, Florenz ge­gen Ferrara zu Feld. Mb er gekommen ist die Zeit, wo die Stämme dieses unfruchtbaren und selbstmörderischen Trübens müde wurden, wo es unter ihnen hieß:Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen noch Ge­fahr". Und um so weit zu kommen, dazu mußten sie keine

Engel sein; sie mußten nur vernünftig genug sein, um einzu­sehen, daß es vorteilhafter ist, einig zu sein, als sich zu streiten. Die Bildung der Nationen war auf ihrem Gebiet ein Höchstes, aber nicht ein Letztes. Der Menschheitsgeist hat sich in einzelnen Bolksgeistern verkörpert; es geht nicht an, die geschichtlich ge­wordenen Unterschiede auf dem Weg der Gleichmacherei wieder verwischen zu wollen; das hieße die bunte Manigfaltigkeit des Lebens, die der Menschheit innewohnte, zu Gunsten eines lang­weiligen Einerleis vernichten. Wer wenn auch die Eigenart der Völker durchaus berechtigt ist, so darf sich die einzelne Nation doch nicht zum Selbstzweck machen; es wird vielmehr die Zeit kommen, da sie sich als dienendes Glied in das Ganze der Mensch­heit einfügen wird. Die Zeit ist nicht fern, da die Völker ein- sehen werden, daß man auch Lei der Bildung der Nationen nicht stehen bleiben kann, sondern daß diese sich zum Völkerbund zusammenschlichten müssen. Tatsächlich sind wir ans dem besten Weg dazu. Der Zweibund wird dem Dreibund nicht mehr un- verjohnlich gegenüberstehen: die Brücke zwischen Rußland und Oesterreich ist geschlagen, obenso die zwischen Frankreich und Italien Auch die alten Todfeinde Rußland und England haben ftch versöhnt. Daß Frankreich keinen Krieg mit Deutschland lucht, das hat es bei dem Streit um Marokko zur Genüge und daß England nicht daran denkt, Deutschland xin- zu rerseii, das hat es deutlich genug gezeigt. Sein Streben geht nrcht dahin, das deutsche Reich zu vereinsamen, Wohl aber dahni, es als den letzten Ring in die von König Eduard VII. geschmiedete Kette der Versöhnung einzubezieheu. Es bedarf noch ernes genialen ^otaaienbanmeisters, der den Schlußstein in das Gebäude einfügt, um der Welt die frohe Botschaft ver­kündigen zu können:

die Gejchichte nicht zum Stillstand verurteilt. E polizeiliches Eingreifen in zerrüttete Staaten, in oenen die Und tan?n zu Tode gequält werden, muß vorgesehen werden. Eber ^ ^ lftwyse koloniale Unternehmungen noch lange ni>

entvehren können. Daß dieselben aber nicht zu kriegerischen Vi Wicklungen unter den Kolonialmächten selber Anlaß geben, das Ware durch die Verweisung etwaiger Streitigkeiten an d Haager Tribunal, durch friedliche Uebereinkunft über die TR terlung der kolonialen Einflußsphären und durch die Anerkennw oes Grundsatzes der offenen Türe zu sorgen. Wenn es übriae zmn Grundsatz wird, die Eingeborenen in den Kolonien meiis Irch und gerecht zu behandeln, ihre Rechte und Gebräuche licyst zu schonen, so werden auch bewaffnete Zilsammsnstö iin Gebiet der Kolonien mehr und mehr verschwinden.

Ist einmal der Weltfriede gesichert, so wird doch darn noch lange nicht von einer Friedhofsruhe die Rede sein. M wird zwar dann nicht mehr davon hören, daß die Russen od .Japaner ihre Flagge auf der Zitadelle von Port Arthur cn gepflanzt oder daß ihre Heere die Mandschurei besetzt habe wohl aber werden Tatsachen wie die Lösung der sozialen Fra: