Rundschau.

Die Eröffnung des Reichstags.

Nach einer Bekanntmachung -es Staatssekretärs -es Innern als Stellvertreter -es Reichskanzlers wird die Eröffnung des Reichstags am 3V. November mittags 12 Uhr im Weißen Saal des kgl. Schlosses stattfinden. Ter Eröffnung wird ein .Gottesdienst sm Tom um 11 Uhr und in der Hedwigkirche um II 1/2 Uhr vorangehen.

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Ter Präsident des Reichstages, Graf zu Stolberg-Wernigerode,

gab seinem Wahlkreis folgende Erklärung ab: Auf mehr­fach aus meinem Wahlkreise an mich ergangene Anfragen erkläre ich, daß ich durch Krankheit verhindert war, an der Abstimmung über die.Erbanfallsteuer teilzunehmen. Im übrigen würde, wenn die Steuer in dieser Abstimmung angenommen worden wäre, die Finanzreform gescheitert sein und wir hätten gegenüber einer unbestimmten Zukunft gestanden. Ter Voraussicht nach ist bei sparsamer Wirt­schaft der Bedarf für das Reich zunächst gedeckt. Wir wer­den uns bis auf weiteres mit neuen Steuern nicht zu be­schäftigen haben. (?) Es würde also ebenso gegenstands­los wie verderblich sein, wenn man Meinungsverschieden­heiten, die während der Beratung der Finanzreform zwi­schen Gesinnungsgenossen bestanden haben, jetzt fortspinnen oder neu beleben wollte. Gerade jetzt bedürfen wir der Partei. Je selbständiger dieselbe ist, um so mehr wird es ihr möglich sein, friedliche Beziehungen zu anderen bür­gerlichen Parteien zu Pflegen. Das weitere behalte ich der mündlichen Aussprache vor. Tr. Udo Graf zu Stolberg- Wernigerode. Diese Erklärung wird die Wähler des Herrn Grafen wenig beruhigen können.

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Reichszuwachssteuer.

Tier freisinnige Reichstagsabg. Oberbürgermeister Enno (Hagen) macht ,in derVoss. Ztg." auf die Ge­fahren der für 1912 geplanten Reichszuwachssteuer aufmerksam. Ter Art. 5 a des neuen Finanzgesetzes be­stimmt hierüber:

Bis zum 1. Avril 1912 soll eine Reichsabqabe von der unverdienten Wertsteigerung bei Grundstücken (Zuwachssteuer) eingeführt werden, welche so bemessen ist, daß sie einen Jahres­ertrag von mindestens 20 Millionen Mark erwarten läßt.

lieber diese ist durch ein besonderes Gesetz mit der Maß­gabe Bestimmung zu treffen, daß denjenigen Gemeinden und Gemeindeverbänden, in denen eine Zuwachssteuer am 1. April 1909 in Geltung war, der bis zu diesem Zeitpunkte erreichte jährliche Durchschnittsertrag für einen Zeitraum von min­destens 5 Jahren nach dem Inkrafttreten der Reichsabgabe be­lassen wird.

Dieses Gesetz ist dem Reichstage bis zum 1. April 1911 vorznlegen.

Vergeblich wies Cun 0 in jener Sitzung darauf hin, welche Wirkungen das überstürzte Vorgehen der Mehrheit haben müsse. Dadurch, daß sie eine Wertzuwachssteuer als am 1. April 1912 in Kraft tretend androhe, veranlasse sie geradezu alle, die eine solche Steuer zu fürchten ha­ben, dahin zu streben, rusch vor dem 1. April 1912 den Wertzuwachs zu realisieren. Wer vor 20 Jahren Acker­land für 100 000 Mark gekauft hat, das jetzt als Bauland 1 Million wert ist, wäre ja ein Tor, wenn er mit dem Ver­kauf bis 1. April 1912 wartete; verkauft er vorher, so spart er vielleicht eine Viertel Million Wertzuwachssteuer. Und wenn sein Nachbar in gleicher Lage ist, das Gelände einigermaßen gleichwertig, können sie ja nichts besseres tun als auszutauschen. Solcher Hinterziehung der Steuer erklärten Graf Westarp und Staatssekretär Sydow entgegentreten zu wollen, indem der künftigen Steuer eine rückwirkende Kraft beigelegt werde. Wie er's Wa­chen wolle, wollte freilich der Schatzsekretär nicht verraten, um nicht der Spekulation die Wege zu weisen, die sie gehen solle. Nach dieser Erklärung des Staatssekretärs muß jeder, der jetzt ein Grundstück verkauft oder erwirbt, mit der Möglichkeit rechnen, daß das Kaufgeschäft nachträg-

Luch ihr Götter, gehört der Kaufmann. Güter zu suchen geht er, doch an sein Schiff knüpfet das Gute sich an.

Schiller.

Willst du Richter sein?

12- Roman von M ax imili an B ö tt ch er.

(Fortsetzung.)

Immerhin aber hatte Gottfried wenn er auch in den Stunden seines Trotzes von diesem jähzornigen Mann nicht eben milde angefaßt worden war in dem Direktor doch einen Herrn gehabt, der nur selten einmal vergaß, daß puch die seiner Züchtlinge, deren Antlitz und Seele deutlich erkennbar das Stigma der Entart­ung zeigten, doch alle noch ein irgend etwas in sich trugen, das ihre Verwandschaft mit dem Himmel kün­dete: heiße Reue, brennendes Verlangm, wieder gut zu machen, wieder gut zu werden Kindesliebe, Gat­tenliebe, Vaterliebe, die in der durch die Jsolierhaft her­vorgerufenen reizbaren Steigerung aller Empfindungen oft wahrhaft erschütternden Ausdruck fanden.

Aber dieser Tirektor hatte sich zum Sterben hin- gelegt, und ein anderer war an seine Stelle getreten: ein kaltherziger,strammer" Beamter, ein Vertreter der Abschreckungstheorie, der in den Znchthansinsassen nur den rettungslos verlorenen, durch Härte zu züch­tigenden, mit Furcht zu erfüllenden Auswurf der Menschheit sah. Getreu seinem Grundsatz, daß in die düstere Strafzeit dieser der Rache und Vergeltung an­heimgegebenen Verworfenen kein Sonnenstrahl fallen, daß diese Entmenschten an keiner menschlichen Freude mehr Anteil haben dürften, hatte er den Dienst in der Schreib­stube wie jede andere gemeinsame Arbeit abgeschafft, ja die Gartenanlagen, an deren Grünen und Blühen die Gefangenen bei ihrem halbstündigenSpaziergang" Auge und Herz gelobt, den Zusammenhang mit der Mutter Grde sehnsüchtig gespürt hatten, kurzerhand beseitigen und an ihrer Stelle totes, hartes, starres Pflaster legen las-

lich der Zuwachssteuer unterworfen wird. Enno rät des­halb allen Käufern von Grundstücken, in den Kaufvertrag die Klausel hineinznschreiben, daß, wenn das in Artikel 5a des Stempelsteuergesetzes in Aussicht genommene Ge­setz sich rückwirkende Kraft beilegt, der Verkäufer den dadurch entstehenden Mehrbetrag an Wertzuwachssteuer erstatten muß.

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Staatsgefährliche Windmühlen.

Daß es auch staatsgefährliche Windmühlen gibt, lernt man jetzt erkennen. Im Regierungsbezirk Posen stehen sie. Tort gilt seit dem Jahve 1891 eine P 0 lizeiVer­ordnung, die es verbietet,Zeichen und sogen. Frei- heitsbäume, welche geignet sind, die öffentliche Ruhe und Sicherheit zu gefährden, öffentlich auszustellen." Ter be­schränkte Untertanenverstand kann sich kaum Vvrstellen, welcher Art Zeichen so sicherheitsgefährlich wirken kön­nen. Ein von der Deutschen Juristenzeitung veröffent­lichtes Urteil des preußischen Kammergerichts klärt üns darüber auf, daß auch, eine simple Windmühle so ein ruhestörendes Zeichen sein kann, wenn nämlich die Wind­mühlenflügel weiß und rot angestrichen sind. Das Kammergericht billigte die Feststellungen des Erstrichters, daß per Angeklagte bei dem Anstreichen der Mühle le­diglich von dem Bestreben geleitet war, die Färbendes alten polnischen Reiches öffentlich auszustellen, daß er also einen demonstrativen Zweck verfolgt hat." Ties Verfahren ist diesinnbildliche Darstellung der Hoff­nungen und Erwartungen der polnischen Bevölkerung in bezug auf die nur durch Waffengewalt zu er­reichende Wiedererrichtung ihres früheren Reiches, eine Aufforderung, die Hoffnung nicht sinken zu lassen, und endlich eine Provokation gegenüber dem Deutschtum."

Es ist doch großartig, was man alles aus der Far- bcnzusammenstellung rot und weiß ^ die übrigens als Landesfarbe von Hessen und den Hansestädten und als Farbe der Stadt Nürnberg sehr korrekt, ja sogarpa­triotisch" sein kann! heransziulesen vermag!

Das alte gute Wort: minima non curat praetor um Kleinigkeiten soll Man kein großes Geschrei machen ist Pen Preußisch-deutschen Behörden ganz abhanden gekommen.

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Die englische Krisis.

Nach einer Mitteilung desDaily Telegraph" soll das englische Parlament am 10. Januar 1910 aufgelöst werden. Es würde also fast auf den Tag vier Jahre gedauert haben, denn die letzte Auflösung wurde am 8. Januar 1906 vom liberalen Kabinett Campbell- Bannermann vorgenommen, das einen Monat vorher, am 10. Dezember 1905, das ünionistifche Kabinett Balfur abgelöst hatte.

Im damals aufgelösten Parlament war beim Zu­sammentritt das Kräfteverhältnis fügendes gewesen: unio- nistische Regierungspartei 402, Opposition 268 Stimmen; znm Sessionsschluß hatte sich das Verhältnis auf 369 zu 301 gestellt, die Unionistenpartei hatte somit stark an Boden verloren. Gleichwohl war sie nicht auf die große Niederlage gefaßt, die sie bei den Wahlen erleiden sollte. Tiefe fanden am 30. Januar 1906 ihren Abschluß, mit dem Endergebnis: 400 Liberale, 156 Unionisten, 29 Ar­beitsparteiler, 83 Iren.

Wie nun das nächste Unterhaus ausfehen wird, wenn es im Januar-Februar zu Neuwahlen kommt, weiß Nie­mand auch nur annähernd mit einiger Bestimmtheit vor- anszusagen . Tie Chancen der beiden großen Parteien wer­den so verschieden beurteilt, wie die Situation selbst in der sich das politische England heute befindet und die etwas ganz neues, ohne Präzedenzfall in der Geschichte des Lan­des ist.

Zunächst geht der Kampf um das Budget 1910, in wei­terer Linie aber um das ganze Finanzsystem, um das Zolltarifwesen und die Frage, ob S chutzz 0 ll oder Fr e i- handel, nicht zuletzt endlich um die Verfassung und

sen. Selbst die alte freundliche Kirche, die solange aus- gesehen wie andere Kirchen auch, hafte er zu einer Art Aellengefängnis jUMgebant, in dem Rin jeder, für sich in seinem höhlenartigen Holzverschlage faß und außer dem amtierenden Geistlichen nur die Aufseher erblickte, die mit shren Gewehren bereit standen, den, der etwa Miene zu einem Fluchtversuch machen würde, ohne Be­sinnen niederzuschießen. Für den kargen täglichen Rund- gang aus dem Hof 'hatte er Masken eingeführt, damit die Gefangenen nicht mehr die Gesichter ihrer Mitbüßen­den, Mitleidenden, sondern nur noch schwarze Tuchfetzen bei den im Trott müder Tiere Einherschleichenden sehen konnten/ Und wehe dem, der das Sprechverbot über­treten, der bei einer Begegnung auf dem Korridor einem Hausgenossen etwas KUgeflüstert, oder, von unüberwind­lichem Mitteilungsdrange gefoltert, den Zellennachbar durch das Heizungsrohrantelephoniert" hatte! Und hätte ihm nicht Pastor Christ, der zugleich Vorsteher der Anstaltsbibliothek war, entschiedenen Widerstand geleistet, dieser Mann mit den Instinkten eines Tyrannen würde auch die Bücher/ den letzten und besten Trost der Un­glückseligen, in Msten vernagelt und einzig Bibel und Gesangbuch noch zur Lektüre in den sparsamen Muße­stunden freigegeben haben.

Am besten hatten noch die raffinierten Sklaven­naturen unter seinem Regime abgeschnitten, die feigen, augendienerischen Kriecher, die in hündischer Demut vor der Allmacht des Gewaltigen Ersterbenden. Denn diese Hatte der nur die Oberfläche -er Dinge schauende Beamte für geduckt, fürartig", und darum für er­zogen und gebessert gehalten, weil das Grinsen des Has­ses und Hohnes erst dann in ihre Gesichter getreten war, wenn ihr Zwingherr ihnen den breiten, hühnenhaften Rücken zugewendet hatte. Kaum aber einer hatte es schlechter bei ihm gehabt als der zähe, unbeugsame Gott­fried Reinhardt, den er für gänzlich verstockt undunver­besserlich" gehalten, und den er nach einem törichten und aussichtslosen nächtlichen Fluchtversuch viele Wochen lang hatte in Fesseln legen und in Dunkelarrest sperren lassen.

Und wie dem neuen Direktor die, Gartenanlagen

die Grundprinzipien des K 0 nstituti 0 nalismus. Die Liberalen wollen den Lords nicht gestatten, sich in das Bud­get einzumischen und sprechen ihnen das Recht ab, eine Auf­lösung .des Unterhauses zu erzwingen. Indem nun das liberale Kabinett selbst die Auflösung in Aussicht nimmt, spielt es Prävenire und meidet den Schein, unter dem Zwange des Oberhauses zu handeln, falls dieses, was als ziemlich gewiß gilt, die Budgetbikl entweder ablehnt oder durch Hinzufügung von Amendements einen Aufschub verursacht.

Noch näher als die Befragung der Wählerschaft liegt übrigens für die Regierung die Sorge um die Verwaltung des Landes, sofern den nationalen Finanzen unter -em budgetlosen Zustande eine Störung' droht. Man nimmt jedoch an, daß. Premierminister Asquith den König bereits über den Weg verständigt hat, den er unter ge­wissen .Umständen einzuschlagen gedenkt.

Nun hat in den letzten Tagen die Krise eine Zuspitzung erfahren, indem, wie schon mitgeteilt, der Führer der Kon­servativen im Oberhaus, Lord Lansdown in diesem kund und zu wissen tat, daß er bei der zweiten Lesung der Fi­nanzbill folgende Resolution einbringen werde:

Das Oberhaus ist nicht berechtigt, seine Zu­stimmung zu diesem Gesetze zu geben, bis es dem Ur­teil des Landes unterbreitet ,ist."

Während die konservativen Blätter diese Resolution als etwas ganz selbstverständliches bezeichnen, fassen sie die liberalen Blätter und Politik als eine Kriegserklärung auf. Und dies nicht mit Unrecht. Der Antrag ist eine Fehde-Ansagung, geboren aus dem Uebermut der Lords.

Tages-Chronik.

München, 19. Nov. Infolge einer gründlichen Aussprache zwischen dem freisinnigen Landtagsabgeordneten Professor Dr. Günther und dem Generalsekretär des Nationalverelns Dr. Ohr hat letzterer sich bereit erklärt, die Geschäfte des Na­tionalvereins weiter zu führen.

Bonn, 19. Nov. Wie derBonner Gen.-Anz.'" meldet, tfls das KorpsBorussia" vom Senat der Universität wegen ver­schiedener Aufreizungen, die sich Mitglieder des Korps hiev und im Dorfe Mahlern zu schulden kommen ließen, für ein Se­mester suspendiert worden. Durch die Maßregelung ist: dem Korps untersagt, Couleur zu tragen.

Köln, 19. Nov. Bei der Kölnischen Unfall-Ver- sicherungs-Aktien-Gesellschaft in Köln a. Rh. wur­den im Monat Oktober 1909 2 Todesfälle, 10 Invalid iläts- fälle, 416 Fälle mit vorübergehender Erwerbsunfähigkeit, 71 Einbrnchs-Diebstahl-Schäden, 2 Kautionsschäden, 167 Glasschä­den, 11 Wasserleitnngsschäden, sowie 584 Haftpflichtfälle zu» Anmeldung gebracht.

Aus Württemberg.

Airngnachrichtr«.

Dem Oberreallehrer Dr. Pfeffer in Wtldbad wurde eine Professorsstelle am Realgymnasium in Gmünd, dem Hilfslehrer Emil Köder an dem Realgymnasium und der Oberrealschülq in Ulm die Hauptlehrstelle an der Elementarschule in Urach, dem Amtsverweser Heinrich Schmid an der Friedrich-EngenS- Realschule in Stuttgart die Turnlehrstelle an der Neuen Real­schule in Stuttgart übertragen und dem Zeichenlehrer Merx an der Oberrsalschule in Tübingen der Titel und Rang eines Oberreallehrers verliehen. Die Stelle eines Bereinigungs­feldmessers bei der Zentralstelle für die Landwirtschaft, Ab­teilung für Feldbereinigung, wurde dem Geometer, Diplomin­genieur Traugott Fischer in Stuttgart übertragen.

Das Beamtengesetz in der Finanzkommission.

Am Freitag stimmte die Kommission bei Fortsetzung dev Beratung über die Beamtengesetzuovelle den Art. 3, 4, 5, 6 und 7 söhne eine Uenderung des Entwurfs zu. Bei Art, 7 wurde die verschiedene und mehrfach beanstandete Behandlung der Em- rechnnng von gewisser Vorbereitungszeit und unständiger Ver­wendung im öffentlichen Dienst tn die pensionsberechtigte Dienst­zeit zur Sprache gebracht und die gestellte Anfrage, ob denn nicht nach gemeinsamen Grundsätzen in den einzelnen Mi­nisterien die Materie behandelt worden sei, vom Finanz­minister bejahend dahin beantwortet, daß für die Entscheid­ung von zweifelhaften Fällen eine skübl»"on">'m-- den

aus dem Hofe ein Tarn im Auge gewesen waren, so hatte er es auch nicht geduldet, daß dieser oder jener draußeU in der Freiheit .einem Brief an seinen eingekerkerten An­gehörigen oder Freund das Liebeszeichen einer in Freiheit erblühten Blume beilegen durfte. Auch das Recht, alle Jahre ein paarmal einen Besuch zu empfangen, das blühende Menschenrecht, dem erdrückenden Kummer Troff in der Aussprache Mit einem Gutmeinenden zu schaffen, das Unerträglichste Leid ansznströmen an eines Mitfüh­lenden Brust, hatte er den Gefangenen dadurch bis auf den dürren Wurzelstock verkümmert, daß er jeder der­artigen Begegnung von Anfang bis zu .Ende selbst bei­wohnte, die Erschütterten, nach Ausdrücken für ihre Quak Ringenden keinen Moment aus dem Bannkreis feiner eis­kalten Augen ließ.

Sofort nach Einführung dieser neuen seelischen Mar­ter hatte Gottfried Reinhardt sich jeden Besuch von Hause verbeten, ja, bei dem nächsten Borsprechen des Onkels Jörg hart und trotzig auf seine Borführung Verzicht ge­leistet und so fast drei Jahre lang weder diesen noch die Mutter noch die Schwester von Angesicht zu Angesicht gesehen. Aber mehr, viel Mehr, als nach diesen dreien hatte er sich nach Erna Plathe gesehnt, die ihm nur in der ersten Zeit seiner Strafverbüßung und nur auf seine flehentlichen Bitten hin ein paarmal kurze, nichtssagende, zu nichts verpflichtende Zeilen geschrieben, ihm in den letzten Jahren aber kein Lebens-, geschweige denn ent Liebeszeichen gegeben hatte. Und wenn er auch in den Briefen der Mutter gelesen, daß Erna Plathe ihmimmer noch treu", das hieß, daß sie keines anderen Mannes Frau oder Braut geworden war, so hatte ihn doch oft eine so rasende Eifersucht gequält, daß er sich die Lippen blutig gebissen und mit den Nägeln sein Gesicht zerrissen hatte. Womit er sich selbst, womit ihn auch Pfarrer Christ zu beschwichtigen versucht, alles umsonst alles umsonst. Konnte, jwas die Mutter schrieb, nicht Lüge sein? Mußte es nicht Lüge sein? Und oft hatte er ge­fürchtet, daß er über seiner Sehnsucht und Eifersucht wahnsinnig werden würde. . . .

(Absetzung folgt.)