Die verlorene Wette oder der hereingefallene Bündler.

Badische Blätter wissen wirkliche Wunderdinge zu er­zählen über das unverfrorene Auftreten mancher Agi­tatoren vom Bauernbunde. So stellte einer dieser Her­ren in dem kleinen Orte Wies die verlogene Behaupt­ung guf, daß die Freisinnigen die Nachlässe bis zu 500 Mark herab versteuern wollten! In der gleichen Per­sammlung erlebte nun ein Bündler einen unangenehmen Reinfall. Es sprach dort unser Freund Rechtsanwalt Benedey von Konstanz; er schilderte u. a. die unge­rechte und unheilvolle Bevorzugung des Adels im Heer und meinte hierbei, daß es mehr als 30 Regi­menter gebe, deren Offizierskorps ausschließlich aus Ade­ligen bestehe.

Sofort griff ein bündlerischer Agitator, Gutsbescher Kröner, ein und bestritt die Richtigkeit der Behauptung, unter.Berufung darauf, daß er Reserveoffizier sei. Der flotte Reserveoffizier bot Benedey eine Wette von zehn Mark zugunsten der Ortsarmen an, und Bene­dey nahm die Wette an.

Nun stellt dieNeue Konst. Abendztg. aus der Armee- Rangliste von 1909 fest, daß es nicht nur 30, sondern 39 Regimenter oder selbständige Truppenteile gibt im deutschen bezw. preußischen Heer, die keinen ein­zigen bürgerlichen, sondern ausschließlich adelige Offiziere haben. Es sind dies:

1., 2., 3. Wrrderegiment zu Fuß, 1., 2., 4., 5. Garde­regiment, das Gardejägerbataillon, das Gardeschützenbataillon, 7. und 11. Grenadierregiment, die Regimenter Garde du Corps, Gardekürassiere, Gardedragoner, Gardehusaren, 1., 2. und 3. Gardeulanen, 1., 2., 4. und 6. Kürassierregiment, 2., 4., 8., 12., 17., 18., IS. Dragonerregiment, 4., 7., 12. Husarenregi­ment, 3., 5., 9., 10., 13. Ulanenregiment, 1. und 4. Garde- seldartillerie-Regiment.

Die Bevorzugung des Adels ist aber tatsächlich noch größer. Tenn zu den aufgezählten Regimentern kom­men noch eine große Anzahl solcher, die nur einen oder wenige bürgerlicheKo nzessi o n s s ch nlz en" haben.

Der streitlustige Bündler und Reserveoffizier, der die traurige Sitte der Bevorzugung des Adels im Heere nicht kennt, aber sie augenscheinlich verurteilt, hat also seine Wette verloren und wird wohl oder übel die 10 Mark an die Ortsarmenkasse von Wies abführen müssen.

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Pater Aurachers Flucht aus dem Kapu­zinerkloster.

lieber die Gründe, die den bekannten Pater Benno veranlaßt haben, seinem Kloster und Rom überhaupt den Rücken zu drehen, kommen jetzt allmählich Nachrichten über die Alpen, die die Tänze so harmlos denn doch nicht erscheinen lassen, wie es die bestürzte Zentrumspresse ha­ben .möchte. Nach Briefen, die die Köln. Ztg. und die Vossische Ztg. erhalten haben, ist doch etwasModernis­mus" mit im Spiel. Pater Auracher ist gleich bei den ersten Schritten, die er in Rom als Generaldefinitor tat, in den Verdacht einesReformers" gekommen. Tie maß­gebenden italienischen Kreise des Orden, denen nach der Köln. Ztg."llnsauberkeit als unentbehrliches Attribut der Frömmigkeit und Unbeschwertheit mit Wissenschaft als sicherste Gewähr für die Aufrechterhaltung des Ordens­geistes gilt", traten ihm mit bitterer Feindschaft entge­gen. Zum General des Ordens wurde nicht er, sondern ein Italiener gewählt. Tie Gegnerschaft wuchs seitdem gegen ihn von Stunde zu Stunde. Besonders der beim Papst allmächtige Kardinal Bives y Tuto suchte in feiner Eigenschaft als Präfekt der Kongregation der Religiösen und Leiter des ganzen Ordenswesens den Pater Benno niederzuhalten. Zur Katastrophe soll es dann ein Fall gebracht haben, in dem Auracher als Gewissensbeirat ei­nes Franziskanermönchs diesem den Austritt aus seinem Orden angetraten haben soll. Damit war dieser Liebling des bayrischen Ultramontanismus in den Verdacht ge­raten, ein gefährlicher Modernist und Häretiker zu sein. Bives y»Tuto wollte ihn zur schnellen Unterwerfung ver­anlassen; das gab den unmittelbaren Anlaß daß Au­racher seine Würde als Generaldefinitor niederlegte, seine Kutte auszog und Rom verließ. Auch ultramontane Blät­ter geben jetzt zu, daß er an den Vatikan das Ersuchen gestellt habe, den Orden verlassen zu dürfen und einfacher Weltpriester zu werden.

Tages-Chromk.

Sigmaringe«, 1. Nov. Wie der Schwäbische Merkur hört, wird der Kaiser am 22. November hier eintreffen und dem Fürsten einen Besuch abstatten. Der Kaiser wird am Nach­mittag wieder weiter reisen.

Berlin, 1. Nov. Durch amtliche Telegramme, die dem Reichskolonialamt zugegangen sind, wird die Nachricht aus Syd­ney vom 29. Oktober über die Ermordung des Deutschen Dammköhler in Deutsch-Guinea bestätigt.

Berlin, 1. Nov. Der Kaiser hat heute Nachmittag im kgl. Schloß eine Besprechung mit dem Reichskanzler gehabt und kehrte später im Automobil nach dem Neuen Palais zurück.

Petersburg, 1. Nov. Von zuständiger Seite wird mitge­teilt, daß der Plan der Einverleibung des Gouvernements Wiborg vorläufig fallen gelassen ist.

Kontzantinopel, 1. Nov. Heute fand zum ersten Male die Rekrutierung der bisher vom Militärdienst befreiten Christen sowie der Einwohner von Konstantinopel statt.

Lorenzo-Marques, 2. Nov. Der deutsche DampferG o u- verneur", von Beira nach Bombay unterwegs, ist bei Za« vora gestrandet. Die Passagiere, größtenteils Indier, sind gelandet.

Cardiff, 2. Nov. Die Taremikohlengrube bei Vstalyfera wurde durch einen plötzlichen Wassereinbruch überschwemmt. Bon der Belegschaft konnten sich 150 Mann retten. Drei Leichen sind bisher geborgen. 74 Arbeiter werden vermißt.

Luftschiffahrt.

Der Lanz-Preis der Lüfte.

Berlin, 30. Okt. Der Lanz-Preis der Lüste im Werte von 40 000 Mk. wurde heute Nachmittag von dem Mag­deburger Aviatiker Hans Grade ans dem Flugplatz Johannis­thal vor einer großen Zuschauermenge und Dr. Karl Lanz- Mannheim als Preisrichter gewonnen. Nachdem sich der Start um eine volle Stunde verzögert halte, absolvierte Grade den Flug nach den gegebenen Vorschriften in 2 Minuten 43 Sekunden. Nach dem erfolgreichen Preisflug unternahm er noch

zwei Versuche, wobei er das erste Mal 6, das zweite Mal etwa 7 Minuten in der Lust blieb.

Mannheim, 30. Okt. Obwohl der MotorballonP. 3" statt der ausbedungenen zwei Landungen in Mannheim nur eine vornahm, hat der Stadtrat doch beschlossen, dem Führer desP. 3" als des einzigen Luftschiffes, das von der Jla aus Mannheim besucht hat, den ausgesetzten ersten Preis im Betrag von 1200 Mark zu geben.

Die Kölner Vergleichsfahrten.

Köln, 1. Nov. Bei den heutigen Luftschiffvergleichsfahr­ten handelte es sich um eine Art Geschwindigkeitsprobe. Hiezu stieg P. 1 um 1.43 Uhr von der Halle auf. Das bereits um 1.30 Uhr aufgestiegene Militärluftschiff 2 nahm mit sieben Minuten Abstand Pie Verfolgung des P. 1 auf. Beide Luft­schiffe erreichten ihr Ziel, ohne daß sich die anfängliche Ent­fernung zwischen beiden wesentlich geändert hätte. Die Wind­stärke betrug 6,5 aus Südosten. Die Hinfahrt war außer­ordentlich flott, da sie mit dem Winde ging. P. 1 überholte einen Zug. Beide Luftschiffe landeten um 3 Uhr kurz hinter­einander vor der Halle. Morgen findet kein Aufstieg statt.

Die Hamburger Flugwoche.

Hamburg, 1. Nov. Im Verlause des heutigen Flug­tages in Groß-Borstel machte der Gewinner des Lanzpreises Ingenieur Grade mit seinem Monoplan zwei sehr gut ge­lungene Flüge, bei denen er beachtenswerte Manöver aussührte. Nachmittags stieg der Mechaniker Pequet mit dem Zweidecker des Chilener Sanchez Besu ans. Pequet hatte die Flugbahn in ziemlich bedeutender Höhe mehrmals umflogen, als Plötz­lich aus der Flugmafchine Flammen aufsprühten und der Benzinbehälter explodierte. Es gelang dem Mechaniker, den Zweidecker im Gleitflug zur Erde n iedergehen zu lassen. 5 Meter vom Erdboden entfernt, sprang Pequet ab und blieb zu­nächst besinnungslos liegen, erholte sich aber bald. Er wurde mit anscheinend leichten Verletzungen an der Brust in ein Kran­kenhaus gebrachr. An der Flugmaschine sind die Leinwand­decken verbrannt.

Aus Württemberg.

Dienstnachrichteu.

Der König hat auf die katholische, im Patronat der Krone befindliche Pfarrei Heudorf, Del. Saulgau, den Pfarrer Mar- quart in Unterdigisheim, Dek. Schömberg, und auf die Pfarrei Ebenweiler, Dek. Sanlgan, den Kaplan Schmid in Gmünd ernannt. Dem evangelischen Pfarrer Reischle in Hedelfingen, Dek. Cannstatt, wurde die nachgesuchte Entlass­ung aus dem Württembergs chen Kirchendienst unter Belassung seines bisherigen Titels erteilt. Dem wegen leidender Ge­sundheit am 1. November d. I. aus dem Dienste des K- Hoftheaters ausscheidenden Maschingeriedirektors Karl Groß wurde d er Titel eines Hofrats verliehen.

Die ersten 23-Pfennigstücke kommen Mitte No­vember in den Verkehr. Einem Beschluß des Bundesra­tes gemäß sollen für fünf Millionen Mark 25-Psennig- stücke geprägt werden, von denen vorerst 100000 Stück in den Verkehr gelangen. Tie Ausgabe der Münzen er­folgt durch die Münzstätten Berlin, Dresden, Hamburg, Karlsruhe, München und Stuttgart. Die neuen 25-Pfen- nigstücke haben dasselbe Gewicht wie die 10-Pfennigstücke, find aber im Durchmesser 4 Millimeter größer als diese. Tie eine Seite weist zwei übereinander gestellte Getreidc- ähren in Kranzsorm auf. In der Mitte steht die Zahl 25, unten das Münzzeichen, das erkennen läßt, in welcher Münzstätte das einzelne Stück geprägt ist. Auf der Re­versseite befindet sich der Reichsadler in wenig verän­derter Form, darüber die WorteDeutsches Reich" und unter dem Reichsadler die Jahreszahl der Prägung.

Zur Aufnahme der Einkommensteuer. Eine be­deutende Erleichterung bei der Aufnahme des steuerpflich­tigen Einkommens der Arbeiter durch die Arbeitgeber ist nunmehr zugelassen worden. Während bisher der Arbeit­geber alphabetisch geordnete Lohnlisten ausfertigen mußte, was in Betrieben mit zahlreicher Arbeiterschaft sehr zeit­raubend wirkt, kann künftig für jeden Arbeiter ein Lohn­zettel geschrieben werden. Diese Lohnzettel brauchen nicht alphabetisch gelegt zu werden. Auch kann der Lohnbetrag nach dem Ergebnis des Kalenderjahres eingesetzt und den Nachweisungen an die Berufsgenossenschaften entnommen werden. Diese Bestimmung bildet ein nicht zu unter­schätzendes Entgegenkommen der Steuerverwaltung.

Der Bericht des Landesvorstands der Sozial­demokraten Württembergs an die Landesversamm­lung 1909, die nächsten Sonntag in Stuttgart staltfindet, ist jetzt erschienen. Er geht zunächst auf die Landtags­nachwahl in Ulm-Stadt ein und konstatiert hier eine Zu­nahme der sozialdemokratischen Stimmen von 1456 im Jahre 1906 auf 1901 Stimmen. Gegen den von der Volkspartei und der Deutschen Partei im Oberamt Her­renberg aufgestellten. Kandidaten Gärtner wird heftig polemisiert. Zu dem Punkt Aufstellung der Kandidaten bemerkt der Bericht, daß der im vorjährigen Bericht ausgesprochene Wunsch, die Parteigenossen möchten da­rauf bedacht sein, möglichst Kandidaten aus den eigenen Bezirken zu gewinnen, lasse sich nicht überall durchführen, da es zumeist an geeigneten Persönlichkeiten fehle. Neu­besetzt wurden die Kandidaturen im 7. Reichstagswahl­kreis, sowie in den Landtagswahlbezirken Calw, Obern­dorf, Tübingen-Amt, Ulm-Stadt und Urach. Tie bald­möglichste Besetzung der noch freien Bezirke liege im Interesse der Partei, für die es von Wert sei, wenn die Kandidaten möglichst lange vor den Wahlen die Agi­tation in ihren Wahlkreisen betreiben könnten. Ein­gehend behandelte der Landesvorstand die Frage der Aus­gestaltung der sozialdemokratischen Presse. Auch im ab­gelaufenen Jahr habe die Zahl der Tagwacht-Abonnen­ten noch nicht die Höhe erhalten, die im richtigen Ver­hältnis zur Zahl der sozialdemokratischen Wähler stehe. In Eßlingen und Göppingen wurden Genossenschaften zur Gründung von Bezirksparteiblättern gegründet. In Ulm trat eine Kommission ins Leben, der die Aufgabe zu­gewiesen ist, alle für die Schaffung eines Parteiblattes für den 14. Wahlkreis und Oberschwaben notwendigen Vorarbeiten zu erledigen. Auch im 6. und im 9. württ. Wahlkreis gehen die Genossen nach dem Bericht daran, für die Existenz eines Provinzparteiblattes zu schaffen. Allerdings mahnt der Landesvorstand bei der Gründung von Bezirksparteiblättern zu größter Vorsicht. Neu ins Leben tretende Parteiblätter seien ganz auf ihre Kraft angewiesen. Eine Hilfe könnten sie weder von der Ge­samtpartei noch von der württembergischen Landesorga­nisation erhoffen. Ein ungenügend fundiertes Zeitungs­unternehmen könne unter Umständen die Parteibewegung eines Kreises aufs schwerste erschüttern, könne der gan­

zen württembergischen Parteibewegung mehr Schaden als Nutzen bringen. Um zu erreichen, daß die für die Agi­tation im Lande zur Verfügung stehenden Geldmittel allen der Unterstützung bedürftigen Wahlkreisen in mög­lichst gleichmäßiger Weise zu gute kommen, wurde die Frage der Aufstellung eines Agitationsetats für die ein­zelnen Wahlkreise vom Landesvorstand eingehend bespro­chen. Von der Durchführung dieses Planes mußte aber in Rücksicht auf das Eintreten unvorhergesehener Ereig­nisse (Nachwahlen usw.) Abstand genommen werden. Ein Flugblatt über das persönliche Regiment kam in 100 000 Exemplaren zur Verbreitung; 2500 Brochüren, die das gleiche Thema behandelten, wurden in Versammlungen abgesetzt. Das Flugblatt über die Reichsfinanzreform gelangte in mehr als 400 000 Exemplaren zur Verbreit­ung. Der Tagwachtkalender wurde in diesem Jahr in 30000 Exemplaren gedruckt. Auch sonst fand reichliches Agitationsmaterial Verwendung. Nicht sehr befriedigt drückt sich der Bericht über den Ausbau der Partei­organisation aus. Tie Werbung neuer Mitglieder halte angesichts der schweren wirtschaftlichen Depression sehr schwer. An manchen Orten sei es nicht gelungen, die Mitgliederverluste durch Gewinnung neuer Mitglieder vollständig auszugleichen. In einzelnen Ortsvereinen sei der Mitgliederrückgang auf örtliche Verhältnisse zurück­zuführen. Heute beträgt die Zahl der Ortsvereine 243; männliche Mitglieder sind 19 007, .weibliche Mitglieder 337 vorhanden. Festen Fuß zu fassen gelang in Neu­hausen a. F., Rottweil und Spaichingen. An verschie­denen Orten 'steht die Gründung von neuen Ortsvereinen in Aussicht. Der von der vorjährigen Landesversamm­lung beschlossene erhöhte Beitrag von monatlich min­destens 30 Pfg. ergab nur in ganz vereinzelten Fällen Anstände.

Die Erklärung desHofgängers" Dr. Linde- mann' Der sozialdemokratische Abg. Tr. Lindemann hatte, wie kürzlich gemeldet wurde, den Göppinger Ge­nossen in einem Schreiben die Gründe auseinandergesetzt, aus denen er der Erklärung, die die übrigen württembergi­schenH o fg Lng er" an den Leipziger Parteitag erließen, eine Gegenerklärung habe folgen lassen. TieSchwäbische Tagwacht" hatte War mitgeteilt, daß das Schreiben Lin­demanns den Göppinger Genossen nicht genügt habe, hatte es aber unterlassen, das Schreiben selbst zu veröffent­lichen. Nun holt sie es nach. Dr. Lindemann sagt in seinem Schreiben u. a.:Die Erklärung und die Art ihrer Erledigung haben den Anschein erweckt, als ob die Beteiligung an der Fahrt nach Friedrichshafen von den Beteiligten als ein Fehler zugestanden und für die An­kunft der .allgemeine Grundsatz der Nichtbeteiligung an ähnlichen Unternehmungen «ausgestellt würde. Ich halte auch jetzt die Beteiligung weder für einen taktischen noch sonstigen Fehler, geschweige denn für einen Verstoß gegen die Grundsätze unseres Parteiprogramms. Einem Grund­satz aber, der die Mitglieder unserer Partei in öffentlichen Bertretungskörperschaften in rein taktischen Fragen, noch dazu in solchen, bei denen es sich nur um Fragen des ge­sellschaftlichen Verkehrs handelt, auf irgend ein starres System festlegen wollte, könnte ich nicht zustimmen, weil ich ihn für einen schweren taktischen Fehler halten würde. Unsere Partei hat von solchen schematischen Festlegungen unserer Taktik, die immer und immer wieder versucht werden, so oft sie auch von der rücksichtslosen Wirklichkeit absurdum geführt worden sind, in der Vergangen­heit so schweren Schaden gehabt, daß man gegen sie nicht entschieden genug Front machen kann." Zu diesem Schrei­ben bemerkt dieSchwäbische Tagwacht": Es zeigt sich hier eine erhebliche Meinungsverschiedenheit zwischen dem Parteigenossen Dr. Lindemann und dem gesamten Leipziger Parteitag. Durch neue Erörterungen wird diese Differenz nicht ausgeglichen sein. Es wird genügen, wenn die württembergischen Parteigenossen ihr Einverständnis mit der in Leipzig gefundenen Lösung aussprechen. Daß sie dieselbe als eine befriedigende ansehen, daran zweifeln wir nicht."

Zu der Beförderung des Wilhelmstifts-Direk- tors Reck zum Domkapitular, die den Eindruck einer Demonstration gegenüber der Regierung machte, wird nun in einer Einsendung des Beobachters ein entgegengesetzter Standpunkt vertreten:

Der Direktor des Wilhelmsstifts in Tübingen, Reck, ist zum Domkapitular in Rottenburg gemacht worden. Wie es offenes Geheimni» ist, sehr gegen seinen Willen. Reck war dem Intransigenten Keppler und seinen Gesinnungsgenossen eine unbequeme Persönlichkeit, einmal, weil er ehrlich und offen seine Meinungen aussprach und weil er meistens für die «Lache der Freiheit eintrat, wenn es sich z. B. für seine Zöglinge um Vorlesungen handelte, die dem ultramontanen Herzen KePP- lers ein Greuel waren. Reck stimmte seinerzeit für den Besuch z. B. der Legendenvorlesnng Prof. Günters, wie er' selbst ge­stand, wenn er dann auch nachträglich die Willenskundgeb­ungen des Bischofs ansführte und dafür diszipliniert wurde. Einen solchen Mann entfernte man auf ehrenvolle Weise am besten durchBeförderung".

Es ist klar, daß ein Mann wie Reck nicht mehr dem Wilhelmsstift vorstehen darf. Und so taucht schon jetzt der Plan aus, einen Keppler blind ergebenen, stockultramontanen Pfarrer aus dem Oberland auf den Direktorsposten der An­stalt zu bringen. Man hört schon seinen Namen. Die Oeffent- lichkett und insbesondere die Staatsregierung hat ein Recht, solche Pläne im Auge zu behalten. Es ist nicht nötig, daß die absolutistische Regiernngsweise, wie sie in der katholischen Kirche üblich ist, in diesem Fall neue Nahrung erhalte."

Eine außerordentliche Eisenbahnerlandes- konferenz, LN der über 200 Eisenbahnunterbeamte- Handwerker und -Arbeiter aus allen Teilen des Landes teilnahmen, beschäftigte sich in Stuttgart mit den be­kannten Vorkommnissen im Eisenbahnerverband. Ben­kel t-Backnang und Groß-Stuttgart sprachen über die gegenwärtige Lage im Verband und darüber, welche Auf­gaben der Opposition aus dieser Lage erwachsen. Die Redner stellten sich auf den Standpunkt, man müsse jetzt jeden Kompromiß mit den schuldigen Persönlichkeiten ab­lehnen und zur Selbsthilfe durch die Begründung einesVerbandes schreiten. Die Ansicht fand in einer längeren Aussprache im allgemeinen Zustimmung. Die Mehrheit der Versammlung nahm eine entsprechende Re­solut i o n an, in der die Eisenbahner ersucht werden, dem neuen Verbände beizutreten. Andererseits wurden in Effenbahnerversammlungen in Tübingen und Freu­denstadt Vertrauenskundgebungen für die bisherige Verbandsleitung angenommen.