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Amtsblatt für die Stadt Wildbad. ^

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Verkündigungsblatt

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Nr. 257.

Mittwoch, den 8. November 1S0S.

2«. Jahrg.

Um Tammany--Hall.

(Offizieller Mädchenhandel.)

In einigen Tagen werden inNewyork die Bürger­meisterwahlen stattfinden. Eine Reihe der. heftigsten Wahl­kampagnen in der Geschichte der amerikanischen Metropolen neigt sich ihrem Ende zu. Abermals haben sich die Re­formelemente Newyorks zusammengetan, um endlich Tam- many Hall, die korrupteste aller Partei-Organisationen, von der Stadtregierung zu vertreiben.

Tammany Hall hat seinen Namen von einem sagenhaften Indianerhäuptling. Tie Tammany Gesell­schaft war ehemals eine Wohltätigkeitsloge mit indiani­schem Ritus, die aber schon längst einen politischen Cha­rakter angenommen hat. Seit Jahren aber ist Tammany ein fressender Krebsschaden im Körper Newyorks. Tie vielen Millionen Dollars, die alljährlich in die Stadt­kasse fließen, werden nicht für die öffentliche Zwecke ver­wendet, sondern finden ihren Weg in die Taschen vieler Tausende gemeiner und gemeinster Individuen, die als Tammany-Politiker" für den Fortbestand der Existenz dieser Organisationen sorgen. Tie Zuhälter, die Hazard- spieler, die Hyänen per Rennbahn, die Besitzer öffentlicher Häuser sie alle stehen entweder unmittelbar in den Diensten Tammany Halls.oder werden doch von ihr sorg­lich beschützt. Oft genug hat die empörte Bürgerschaft Newyorks einen Anlauf gemacht, um dieser beispiellosen Mißwirtschaft ein Ende zu bereiten. In einigen Fällen ist es ihnen auf kurze Zeit gelungen, Tammany aus den Stadtämtern zu verjagen, aber nie auf lange Zeit. Tie Hurch Beutegier zusammengekittete Disziplin Tam­manys hat sich auf die Tauer stets als stärker erwiesen als der Reformeifer der andern.

In der jetzt zu Ende gehenden Kampagne haben die Reformer ihre Anstrengungen verdoppelt und verdrei­facht. Nach altbewährter amerikanischer Wahltaktik haben sie sich ihre stärksten Effekte für die Zeit unmittelbar vor dem Wahltage aufgespart. Einen solchen Knalleffekt stellt ein im Novemberheft von Me CluresMaga­zine" erschienener Artikel des Newyorker Publizisten G. Kibbe Turner dar, in welchem an der Hand eines ausführlichen Sachmaterials nachgewiesen wird, daß der weitverzweigte Newyorker Mädchenhandel nicht nur eine Schöpfung von Tammany-Politikern, sondern sozusagen parteiamtlich organisiert ist. Viel von dem Schrecklichen, was Mr. Turner da schildert, ist be­reits durch öffentliche Untersuchungen bloßgelegt worden. Der seither abgesagte Tammanyführer des achten Assem- bly-Distrikts, Martin Engel, hat sich notorisch durch! den Handel mit Menschenfleisch" bereichert. Er war es, der in Gemeinschaft mit den Genossen vom dritten Assembly- Tistrikt, einer der berüchtigsten Zuhälter- und Dirnenge-

Die Posaune des Gerichts.

Vom alten Berthold Auerbach.

Gar wunderbar und seltsam werden oft die Verhält­nisse des Menschenlebens verknüpft. Da sind Knoten und Maschm, die keine Menschenhand und sei sie noch so kunst- geübt, lösen kann, und die sich nichtsdestoweniger von selbst aus wunderbare Weise lösen, wie das diese Geschichte zeigt.

Gerade dort, wo die Gemarkungen zweier Dörfer sich scheiden, mitten im Walde, wurde in der Frühlingsnacht, zur Zeit des Vollmonds eine schreckliche Tat vollbracht. Ein Mann kniete neben einem anderen, der leblos da lag. Eine Wolke verhüllte das Antlitz des Mondes, als der Knieende den Tahingestreckten aussuchte und alles, was er fand, zu sich steckte.

Jetzt nahm er ihn auf die Schulter und wollte ihn hinabtragen an den Strom, der fernerhin rauschte, um ihn dort zu versenken. Plötzlich blieb er stehen, keuchend un­ter der toten Last.

Der Mond war herausgetreten und warf sein sanf­tes Licht durch die Stämme. Ganz nahe blies ein Post­horn die Weise des Liedes:Denkst du daran?"

Der Wiederhall in Tal und Feld gab es zurück, und es war, als ob die Berge und die Bäume sängen:Denkst du daran?"

Dem Tragenden war's, wie wenn die Leiche auf sei- uem Rücken lebendig würde und ihn erwürgte. Schnell warf er die Last ab und sprang in den Wald.

Endlich, am Strom blieb er stehen und lauschte hin; alles war still und nur die Wellen flössen schnell dahin, hls eilten sie fort von dem Mörder. Dieser ärgerte sich jetzt, daß er die Spuren feiner Tat nicht vertilgt hatte und sich von sonderbarer Furcht forttreiben ließ.

Kr eilte nun zurück, wandelte hin und her, bergauf

genden Newyorks, den Mädchenhandel in großem Stile organisierte und Tausende von Anhängern Tam- manys in diesem lukrativen Geschäft unterbrachte.

Wie dieser Mädchenhandel systematisch, fast streng geschäftsmäßig, organisiert ist, auf -welchen bestimmten We­gen dieWare", dasRohmaterial", den jungen Vaga­bunden und Verbrechern, die das Rückgrat Tammanys bilden, in die Arme gejagt wird, das Raffinement, mit welchem man die Opfer ihrem schändlichen Berufe zusührt, werden in dem Artikel Mr. Turners in großer Ausführ­lichkeit geschildert: Der organisierte von Tamma­ny Hall organiesierte Newyorker Mädchenhändler, der Kadett", das Seitenstück zum PariserMacquereau", macht einen Geschäftskursus durch, wie ein Kaufmann, vom Lehrling und Gehilfen bis zumImporteur" und Exporteur"; seine Kontore und Bureaus sind gewisse notorische Tanzböden. Fabrikräume,Sweating-Shops", und Versammlungslokale von Einwanderern. Tenn die des Landes und seiner Sprache unkundigen weibli­chen Einwanderer sind es, die demKadetten" am schnellsten und sichersten in die Klauen fal­len. Alle Nationallitäten sind unter diesen Opfern ver­treten; das weitaus größte Kontingent liefern indessen nie iüdiichen Quartiere der Ostseire, wo die ärmsten undgrünsten" Elemente in engen und dumpfigen Räu­men Hausen und wo jedes Familienmitglied gezwungen ist, durch Arbeit irgendwelcher Art zum Unterhalt bei­zutragen. Bei vielen Familien dieser Distrikte werden die Mädchen in die Fabriken geschickt, um möglichst viel Geld zu verdienen; denn die Eltern dieser Familien ken­nen keinen größeren Ehrgeiz, als daß ihre Söhne Dok­toren oder Ingenieure werden. Diesem Ehrgeiz fällt jähr­lich so manche Mädchenexistenz zum Opfer. Und das alles kommt auf das Konto Tammany Halls, der Haupt­agentur dieses schmählichen Treibens.

In der jetzigen Wahlkampagne bietet sich nun zum erstenmale die Aussicht, die Tammanyiten tatsächlich! von der übervollen Stadtkrippe wegzujagen. Freilich, die Furcht, die unbeschränkte Kontrolle über 3200 Millionen Mark zu verlieren so hoch beläuft - sich der Newyorker Etat der nächsten vier Jahre, hat den hungrigen Hor­den Tammanys Riesenkräfte verliehen und ihre ange­borene Schlauheit und Skrupellosigkeit hundertfach ver­schärft. T-er Kandidat von Tammany Hall ist Gaynor, ihr bis vor kurzem größter Gegner, der in tausend Reden früher die Verwerflichkeit jenes Systems bewiesen hat, dem er jetzt dient. Gaynors Hauptrivale ist William Ran- dolph H e a r st, der Zeitungsmagnat, dessenUnabhängig- keitskiga" eine überaus energische und bisher anscheinend sehr erfolgreiche Tätigkeit entfaltet hat. Zwischen diesen Rivalen entspann sich eine Kampagne der persönlichen Beschimpfungen, wie sie selbst in Amerika nicht sehr häufig ist. Sie hat ihren Höhepunkt noch nicht über­und bergab, der Schweiß rann ihm von der Stirn; es war ihm, als ob er Blei in allen Gliedern hätte.

Mancher Nachtvogel fuhr flatternd auf, wenn er so durch's Dickicht drang, aber nirgends fand er das Ge­suchte. Er hielt an, um sich zurecht zu finden, um sich die ,Gegend genau zu vergegenwärtigen, aber kaum war er drei Schritte gegangen, war er in der Irre. Ter Morgen brach endlich an: die Vögel schwangen sich auf und sangen ihre Hellen Lieder. Vom Tale und aus den Bergen hörte man Peitschen knallen. Ter Mörder machte sich eiligst davon.

Tie Leiche wurde gefunden und nach dem Torfe ge­bracht, in dessen Gemarkung sie lag. An der rechten Schläfe trug der entseelte Körper Spuren eines Schlages, wie von einem scharfen Stein. Kein Wanderbuch, kein Kennzei­chen war zu finden, aus dem man die Herkunft des Ent­seelten entnehmen konnte.

Auf dem Kirchhofe, der neben der Kirche hoch oben aus dem Hügel liegt, an dessen Fuß die Landstraße in den Felsen gehauen, vorüberzieht, sollte nun anderen Ta­ges der tote Fremde begraben werden. Eine unzählige Menge Menschen aus allen'benachbarten Dörfern folgte dem Zuge, um den auf barbarische Weise Ermordeten zur letzten Ruhestätte zu begleiten. Der Geistliche redete den Entseelten an und sprach:

Auf dem Wege bist du gefallen. Wer weiß, wohin dein Herz sich sehnte, welches Herz Dir entgegenschlug. Möge der, der alles kennt und alles heilt, Ruhe Und Frieden in die Seelen der Deinigen senden. Unbekannt bist du gefallen, von unbekannter Hand.

Niemand weiß, woher du kamst, wohin du gingst, aber Er, der deinen Eingang und deinen Ausgang kennt, hat dich Bahnen Hinansteigen lassen, die unser Auge nie mißt.

schritten. In 20, 50, 100 täglichen Versammlungen be­werfen die beiden Parteien sich gegenseitig mit den saf­tigsten Verbalinjurien, deren mildeste ihrem Urheber in Deutschland sechjs bis acht Monate Zwangsisolierung ein­tragen würde. Wer ein hinreichend scharfes Gehör hat, um aus diesem wüsten Toben die stärkere, siegreiche Note herauszuhören, kommt zu der Ueberzeugung, daß bis­her Hearst die größeren Chancen hat.

Rundschau.

Zum Tode Sonnemanns

sind dem Verlag derFrankfurter Zeitung" zahlreiche Beileidskundgebungen aus allen Teilen der zivilisierten Welt zugegangen. Tie demokratischen Organisationen und die Redaktionen der führenden Parteiblätter stehen in den vordersten Reihen derjenigen, die ihr Beileid beim Tode des verdienstvollen Mannes zum Ausdruck gebracht haben. Die gesanfte Presse widmet Nekrologe, in der Leopold Sonne­mann als demokratischer Kämpfer gegen die Bismarck'sche Gewaltpolitik, als sozialpolitischer Bahnbrecher, als her­vorragender Publizist, als weitschauender Organisator und liebenswürdiger Mensch geschildert wird. Tie Bestattung Sonnemanns findet Mittwoch vormittag 9 Uhr in Frank­furt statt.

* * *

Die Landtagstvahten in Sachsen.

Die Stichwahl im 42. ländlichen Wahlkreise Schwarzenberg hat einen der unzugänglichsten Reak­tionäre Sachsens, den langjährigen Abgeordneten Edlen v. Querfurth aus der Zweiten Kammer beseitigt. Und zwar ist das mit Hilfe der Freisinnigen geschehen, die in diesem Kreise bei der Hauptwahl 1557 Stimmen er­hielten. Sie haben durch ihr Verhalten bewiesen, daß sie nicht gewillt sind, die von dem Führer der Freisinnigen Volkspartei Sachsens ausgegebene Stichwahlparole zu be­folgen, nach der sie selbst den rücksichtslosesten Reaktionär zu unterstützen hätten. Herr v. Querfurth hat im letzten Landtage bei der Beratung des Wassergesetzes eine durchaus unsoziale Stellung eingenommen ber der Wahlrechtsre­form stand er auf der äußersten Rechten und «gleichfalls sprach er sich gegen jede zeitgemäße Umgestaltung des Unterrichtswesens aus. Jetzt ist er dem Sozialdemokraten Zimmer unterlegen. Im 13. städtischen Wahlkreis Rochlitz' wurde Both (Frs.) mit 6253 gegen Barth (Soz.) gewählt', der 4375 St. erhielt. Im städtischen Wahlkreis Freiburg i. S. wurde Braun (natl.) ge­gen Kleeis (Soz.) gewählt. Braun erhielt 8792, Kleeis 3745 Stimmen. Bei der Stichwahl im hauptstädtischen Wahlkreis Zwickau wurde Bär (Frs.) mit 12 789 St. ge­gen Schmidt (Soz.) gewählt, der 7172 St. erhielt.

Zu welcher Kirche du gehörtest, welche Sprache du redetest, wer mag den stummen Mund fragen? Du stehst vor Ihm, der über allen Kirchen thront, den alle Spra­chen Gott nennen und doch nicht zu fassen vermögen."

Erhebet mit mir eure Hände", fuhr der Geistliche zu den Versammelten fort; dann sprach er wieder:Wir erheben unsere Hände empor zu Dir, o Allwissender! Sie sind rein von Blutschuld. Hier im Lichte der Sonne be­kennen wir, wir sind rein von dieser Tat, die Gerechtigkeit aber wird nicht ausbleiben.

Wo du auch weilest, der du deinen Bruder in Waldes nacht erschlugst, das Schwert schwebt unsichtbar über dei­nem Haupte, und es wird fallen und dich zerschmettern. Kehr' um, so lange es noch Zeit ist, Häufe nicht Frevel aus Frevel, denn einst, wenn sie ertönt, die Posaune des Gerichts . . ."

Ta plötzlich hörte man von der Straße herauf das Posthorn erschallen. Tas Lied erllang:Denkst du daran?"

Alles schwieg und hielt den Atem an. Aus der Mitte der Versammelten stürzte ein junger Mann nie­der und rief:Ich bin's!"

Nachdem man ihn aufgehoben, gestand er reumütig seine Tat, wie er in der Stadt das Geld des Herrn, bei dem er diente, verspielt, habe, wie er den Fremden, den er nur niederwerfen wollte, ermordet habe, wie die Töne des Posthorns ihn verwirrt, wie er seine Hand brennend gefühlt habe, da er sie zum Himmel erhob, und wie jetzt dieselben Töne des Posthorns ihm das Geständnis abpreßten.

Nachdem der Tote der Erde übergeben war, bewegte sich der Zug still den Berg hinab und zerstreute sich.

Zwei Menschen waren auf ewig aus der Genossenschaft der Menschen geschieden.