nicht. Bet dieser Sachlage hatte Fürst Bülow natürlich einen besonders schweren Standpunkt. Immerhin werden sich aber in den Archiven Fälle finden, wo er einen bestimmenden Ein­fluß in gutem Sinne auf den Kaiser ansübte. Im Auswärtigen Amt sind viele Beamte, die schuldiger sind als der Kanzler. Es ist nur ein M der Courtosie, wenn er sie deckt. Herr von Hertling sprach von einem Markstein in der parlamentarischen Geschichte. Ich wünschte, es wäre ein Wendepunkt im Leben des Kaisers. Worauf stützt denn der Kanzler seine Ueberzeugung, daß der Kaiser zurückhaltender sein wird? Ter Kaiser ist falsch informiert. Tie Zeitungsausschnitte klären ihn nicht auf. Er sollte sich mit den besten Männern der Nation in Fühlung setzen. (Sehr richtig! Abg. Ledebour ruft: Mit Ihnen viel- leicht!) Sie von der äußersten Linken rechne ich natürlich nicht dazu. (Gelächter der Soz.) Bei Gesprächen mit Ausländern muß man besonders vorsichtig sein. Tie Engländer sind gar nicht in der Lage, die deutschen Interessen richtig zu beurteilen; beim besten Willen nicht; ich möchte aber bezweifeln, ob sie immer den besten Willen haben. Freundlicher Akte von Eng­land haben wir uns selten zu erfreuen gehabt. Im Feldzug von 1870/71 protestierte England sogar gegen die Beschießung von Paris durch unsere Truppen. Während des polnischen Aufstandes von 1863 verargten es uns die Engländer sehr, daß wir zu Rußland hielten, und erst kürzlich fand eine Glori­fizierung der russischen Revolutionäre im englischen Parlament statt. Solche Vorkommnisse im Leben der Völker müssen ver­gessen werden. Tie Engländer sind eben ungehalten vorüber, daß die Träumer und Lenker einen so großen wirtschaftlichen Aufschwung genommen haben. (Abg. Ledebour: Zur Sache!) Herr Ledebour, Sie sind noch lange nicht unser Präsident! (Große Heiterkeit.) Wir brauchen eine starke Flotte, um unsere Küsten zu verteidigen; aber sie wird immer nur einen sekundären Cha­rakter haben, da sie der englischen nie, auch nur annähernd, gleichen will. Sollte es einen geben, der auf einen Krieg mit England hinarbeitet, den sollte man gleich auf seinen Geistes­zustand untersuchen. (Lebh. Zustimmung der Soz.) Vielleicht sitzen solche Leute in Ihren Reihen, die im Trüben fischen wollen. (Reichskanzler Fürst Bülow erscheint im Saale.) Ein Krieg zwischen England und Deutschland würde einen Weltkrieg ent­fesseln. Bei unseren vier Millionen Soldaten werden wir sicher­lich siegen und nicht die Zeche bezahlen. (Abg. Ledebour: Zur Sache.) Sie scheinen keine Ahnung zu haben, worum es sich handelt. Sie scheinen gestern nickt anwesend gewesen zu kein, wenigstens nicht geistig. (Heiterkeit.) Es' wäre ruchlos, wenn tzvir um Lappalien von Grenzstreitigkeiten und um Deutsche im Nuslande einen Krieg beginnen würden. (Sehr richtig!) Tie Verminderung der Gesandschaftswache in China ist erfreulich. Das wird von China als erfreulicher Akt aufgefaßt werden, Ln dieser Weise sollte fortgefahren werden. Auf diplomati­schem Gebiete ist Deutschland in großen Schwierigkeiten. Mit England sollten wir uns wegen der Flotte verständigen. Deutsch­land ist ein Land des Friedens. Wir haben die Lösung sozialer Probleme unternommen, von denen sich reiche Länder fernge­halten haben. Wir Deutsche fürchten Gott, sonst nichts in der Welt! (Hurrarufe bei den Soz., Heiterkeit.)

Abg. Schräder (Frs. Ver.): Wer diesen Verhandlungen beiwohnt, wird sich des Ernstes der Situation vollbewußt sein. Und auch dessen wird er sich bewußt sein, daß wir hier mög­lichste Einmütigkeit zeigen müssen. Es hat keinen Zweck, daß Wir uns hier im Reichstage mit dem psychologischen Werde­gang des Kaisers beschäftigen. Ich wende mich deshalb zu Einzelheiten, zunächst zu dem Versehen in dem Auswärtigen Amte. Ich kenne den Geheimrat nicht, ich weiß nicht, ob er tüchtig ist, aber hart ist es, daß er der Einzige ist, der für den Fehler büßen soll. Mit dem Aktenstück, dem Manuskript, wußte doch auch irgend ein Schreiben dem Auswärtigen Amte zugegangen sein, in dem auf die Bedeutung der Sache hinge« wiesen wurde. Wenn die Erregung so groß geworden ist, so rührt das daher, daß den umherlaufenden Gerüchten nicht widersprochen wurde. Auch wir waren erschrocken über das Interview, aber nicht so sehr wie dis, die der Politik ferne stehen. Für uns war es nur ein neues Glied in der alten Kette. ES ist aber trotzdem das Tollste, waS in letzter Zeit vorgekommen ist. (Sehr richtig!) Niemand sollte sich mehr hüten, allzu frei zu sprechen, als hochgestellte Personen. (Sehr richtig!) Unsere Politik wird nicht einheitlich geführt. Zwei verschiedene Elemente machen sich geltend. Tie Politik eines großen Reiches darf aber nicht zwiespältig sein. (Sehr richtig!) Es kann nicht so weitergehen. (Sehr wahr!) Eine einheitliche Politik in der Hand des Reichskanzlers ist uns bitter not. (Beifall.) Wir hatten gewünscht, daß der Kaiser in diesen Tagen in Berlin geweilt hätte. (Beifall links.) Tie Besichti­gung des Aeppelinschen Luftballons war wohl nicht so wichtig! (Beifall links.) Es wäre gut gewesen, wenn der Kaiser vom Kanzler unmittelbar über diese Verhandlungen unterrichtet wor­den wäre. (Sehr gut! links.) Fürst Bismarck hat für eine Einheitlichkeit der Politik gesorgt, obwohl er bei seinem Herrn viel Widerstand fand. Ter Nachfolger Bismarcks sollte in der­selben Weise handeln. (Sehr richtig!) Wir bitten also den Fürsten Bülow auf das eindringlichste, Sr. Majestät dem Kaiser vorzustellen, daß es so nicht weitergehen kann. Es wird Staunen in aller Welt erwecken, daß bei solchen Verhandlungen der ganze Reichstag sich einmütig zeigt. Man hat nun zwar gesagt, diese Verhandlungen könnten unser Ansehen im Aus­lande schädigen. Nun, m. H'., das wird nur dann ver Fall sein, wenn das Resultat, das wir erstreben, mit diesen Verhandlungen nicht erreicht wird. Andernfalls tun wir dagegen einen großen Fortschritt vorwärts. Wir benötigen einer festen, klaren, ein­heitlichen Politik. Wenn das, was wir erstreben, nicht auf diesem Wege hier erreicht wird, so müssen wir ja allerdings' andere Wege suchen. Ein einmütiger Reichstag, getragen von der Ueberzeugung des ganzen Volkes, ist eine Macht, der Rech­nung getragen werden muß» (Sehr wahr!) Das parlamen­tarische Regime, das wir wollen, besteht darin, daß kein Mi­nister auf die Tauer regieren kann, der sich nicht im Einklang mit dem Volle und seiner Vertretung befindet. Es gibt ja mannigfache Mittel, uns unsere Position zu sichern, so die Minister-Verantwortlichkeit. Aber die Hauptsache wird für unS immer sein und bleiben: Einmütigkeit in , großen Fragen. Andere Völler wollen wir in keiner Weise zunahe treten, wir wollen lediglich unsere eigenen Interessen auch in Marokko wahren. Damit wir das können, möge der Reichskanzler da­für sorgen, daß unsere Finanzpolitik so ist, daß sie uns Kraft gibt, unsere Interessen im Innern wie nach außen hin wahr­zunehmen. Unsere Politik muß eine einheitlich« ftin, nach innen und außen, dann werden wir stark sein. (Beifall.)

Abg. v. Normann (k.): Ich habe im Namen meiner Fraktion zu erklären: Tie Antwort, die der Reichskanzler gestern gegeben hat, entsprach der Situation. Wir enthalten uns da­her jedes weiteren Eingehens auf die Sache. Wir erwarten, txÄ der Reichskanzler seinen Worten auch diejenigen Taten kämen lassen wird, die das Wohl unseres Vaterlandes er­fordert. (Beifall.)

Abg. Zimmer mann (Tisch. Reforinp.): Bei uns in Sachsen hat ein alter Mann erklärt, das Erdbeben im Bogtlande fei kein natürliches; es sei entstanden, weil Bismarck sich ob der letzten Ereignisse im Grabe umgedreht habe. Man möchte fast daran glauben. Tie Antwort des Reichskanzlers war unbefriedigend. Er hat sich wieder als ein glänzender Redner gezeigt, aber ein Kern fehlte seiner Rede. Ein Journalist klagte mir, daß es nicht möglich sei, einen Auszug aus der Rede des Kanzlers zu machen. Ich mußte ihm recht geben, denn die Rede ist wirklich nur eine Aneinanderreihung von schönen Worten. Es war eine Abschwächung des Geschehenen/ nicht an den Reichstag gerichtet, sondern nach Tonaueschrngen. Wie in Zukunft solche Tinge verhindert werden sollen, davon hörte man kein Wort. An den edlen Absichten des Kaisers zweifelt niemand. Aber es ist Tatsache, daß jede Aeußerung des Kaisers peinliche Wirkungen hervorruft. Man kann geradezu die Preis­frage aufwerfen, wo die Wirkung peinlicher sein .wird, im In- oder Ausland«. (Heiterkeit.) Warum sind immer gerade Engländer Vertraute des Kaisers? Man mutz an eine Ver- engländerung der gesamten Lebensauffassung denken. Ter Kaiser hat die Fühlung mit dem Volke verloren. Bei Fest­lichkeiten sieht er nur die hurrarufende Menge und sonst nur die höfische Clique. Tie Hof-Eunuchen haben den Kaiser zu dem Interview sogar beglückwünscht. (Heiterkeit.) Tiefer By- »antinismus ist schuld an allem Unheil. Ueberall zeigt sich

die Zurücksetzung ves eigenen gegenüber den Fremden.

Wo ist dafür der Tank vom Hause England? Tie jüngste Gegen­wart beleuchtet die entstandene Kluft bengalisch. Das ganze Volk ist in starker Erregung, der Reichstag harrt der Erklärun­gen des Kanzlers, und der Kaiser feiert Feste. Das ist wirklich eine Regierung im llmherziehen. War der Besuch in Oester­reich jetzt nötig? Waren wieder neue Aeußerungeu in Wien über Casablanca nvr.wendig? Wie leicht konnten da wieder neue Verwicklungen entstehen. Tie Frage, die uns am meisten bewegt ist die, welche Garantien haben wir, welche Garantien gibt uns der Kanzler, daß es anders, daß der Kaiser zurück­haltender wird? Gestern hörten wir nichts von solchen Garan­tien. Unerläßlich ist daher eine Erweiterung der parlamen­tarischen Macht, durch Mimsierverantwortlichkeit und durch Schaffung eines parlamentarischen Ausschusses für auswärtige Politik. Wenn wir vor uns sichen eine irregeleitete impulsive Kraft, so müssen wir ihr un eee eigene Kraft, die Kraft der gesamten Nation entgegens ' er. Eine große Summe von Ver­trauen und Kredit, die uns Kaiser Wilhelm I. und Bismarck hinterlassen haben, ist verpraßt worden. Ueber dem Willen des Herrschers, des Kaisers, steht des Reiches Wohl!

Abg. Haußmann (Südd. Bpi.): Wir haben im letzten Jahre nicht viel Erfreuliches erlebt. Diese Veröffentlichungen aber machen das Maß voll. Als uns das Unglück traf, daß das Zeppelinsche Luftschiff zerstört wurde, da fand sich das ganze Volk zusammen. Einmütig stehen wir auch jetzt da. Die Szene wird zum Tribunal. Niemand verteidigt das Verhalten des Kaisers, weder die Konservativen noch die Nationalliberalen. Der konstitutionelle Gedanke ist von allen Parteien in den Vordergrund gerückt worden. Das Hauptunglück besteht darin, daß nach den urkundlichen Darlegungen die Einkreisungspolitik gegen uns berechtigt erscheint. (Sehr richtig!) In allen Kreisen beurteilt man die Dinge gleichmäßig, selbst in den Offizier­kasinos. Der Kaiser hat erklärt: Schwarzseher dulde ich nicht! Und der Mund, der das Wort gesprochen hat, hat Schwarz­seher zu Millionen geschaffen! Darin liegt das tragische Moment. Der Reichskanzler hat gestern wehmütig gesprochen. Es ging bei gedämpfter Trommel Klang. Wir haben alle das Gefühl, daß die Situation dieses beredten Staatsmannes sehr ernst ist. Man hörte vieles, was nicht gesagt wurde. Er hat eine Reihe von Fragen gar nicht beantwortet. Es scheint, er hat die Interpel­lationen auch nicht gelesen. (Heiterkeit.) Die Quelle muß ver- stovkt werden, die solche Unannehmlichkeiten schafft. Fürst Bülow versichert, die Stellen seien imDaily Telegraph" nicht alle richtig wiedergegeben. Wir aber lechzen darnach, zu erfahren, daß die Stellen nicht richtig wiedergegeben sind. Wir lechzen darnach, darüber Genaues zu erfahren. Weshalb macht uns der Reichs­kanzler darüber nicht bestimmte Mitteilungen? Oder hat etwa der Kaiser denDaily Telegraph" auch nicht gelesen? (Heiter­keit.) In bezug auf die Frage der Interviews sagt uns der Reichskanzler: die Farben seien zu stark aufgetraaen. Aber er sagt uns nicht, wer sie zu stark aufgetragen hat. Bon dem An­gebot Frankreichs und Rußlands hat allerdings schon etwas in derDeutschen Revue" gestanden. Aber es hat dort nichts gestanden über die Art, wie das Angebot von Deutschland zurück­gewiesen worden ist. Und es hat nichts dort gestanden darüber, daß was diplomatisch ein völliges Novum ist jenes Angebot sofort von dem deutschen Kaiser nach London übermittelt worden ist! Der Kanzler ist gestern auch befragt worden wegen des in derCentury Review" geplant gewesenen Aufsatzes über das zweite Interview, das des Amerikaners Hale. Auch darauf hat er keine Antwort gegeben. Es ist gesagt, wir be­neideten England. Und das sagt man uns in einem Augenblick, wo wir alle allerdings das englische Volk beneiden, aber be­neiden um seine vortrefflichen Einrichtungen! (Sehr wahr!) Es ist einmal die Wendung gefallen von demAdmiral des Atlantischen Ozeans". Soll jetzt vielleicht gesprochen werden von dem Admiraldes Atlantischen und des Stillen Ozeans"? (Heiterkeit.) Fürst Bülow sagte: dem Kaiser geschehe mit einem Zweifel an seiner Vaterlandsliebe schweres Unrecht. Nun, an diese seine Vaterlandsliebe glauben auch wir. Aber weil wir diesen Glauben haben, haben wir auch das Recht, zu sagen, daß die Mittel, die der Kaiser, um seiner Vaterlandsliebe Ausdruck zu geben, anwendet, so bedenklich sind, daß wir wünschen sie fänden keine Anwendung mehr. Die ganzen Argumente, die der Kaiser im Verkehr mit England anwendet, sind völlig un­tauglich. sie sind nicht geeignet, uns Sympathien zu erringen. Der deutsche Kaiser istkein Mehrer der Sympathien für Deutsch­land. Fürst Bülow hat das gestern selber zugegeben. Und wir sagen dasselbe, wir unterschreiben das. Wir fügen aber noch hinzu: Fürst Bülow hat frühtr uns gegenüber stets Wendungen gebraucht über den Kaper, die nur wie Lob klangen. Er sagte: der Kaiser sei kein Schattenkaiser! Wir sagen dagegen: er soll auch nicht ein bloßer Sonnenkönig sein. (Beifall.) Die wichtigste Stelle der Rede des Kanzlers ist die, wo er erklärt, er habe die Einsicht gewonnen, daß der Kaiser nun zurückhaltender sein werde. Das sind Vermutungen des Kanzlers. Wir ver­langen aber Tatsachen. Wir wollen hören, daß der Kanzler mit dem Kaiser darüber gesprochen hat (Lebhafte Zustimmung.) Wir hätten gewünscht, daß er uns erklärte: Der Kaiser nnd ich, wir sind einig! (Zustimmung.) Schwere Tage hat der Kanzler durchlebt, schwere Tage auch wir und das deutsche Volk. Waren das aber auch schwere Tage für den Kaiser? (Lebh. Zurufe.) Es wäre richtig gewesen, m diesen Tagen sin Mittelpunkt der Regierungsgeschäfte zu sein. (Lebh. Zustimmung.) Es wäre richtig gewesen, wenn der Kaiser hier gewesen und den Kanzler ermächtigt hätte, Erklärungen zu geben, die das deutsche Volk beruhigt hätten. (Lebh. Zustimmung.) In Oesterreich hat der Kaiser erklärt, er hoffe, daß es gelingen werde, die parlamenta­rischen Schwierigkeiten zu überwinden. Der Nächstbeteiligte sieht also in der ganzen Angelegenheit nur eine parlamentarische Schwierigkeit. (Hört! hört!) Dabei hat das Parlament bisher in der auswärtigen Politik niemals Schwierigkeiten gemacht. Hier ist das ganze Volk beteiligt. Ich weiß nicht, ob der Reichs­kanzler nochmals seine Entladung eingereicht hat. Jedenfalls kann eine Politik, deren Träger in das goldene Buch in München das Wort einschrieb: Rexis volmitss saprsma Isx! nicht selbstän­dige Räte heranziehen. Die Schule der Staatsmänner ist bei uns sehr schlecht besetzt. (Zustimmung.) Der Engländer, der das Interview geschrieben und mit der schmeichlerischen Be­gründung zum Druck empfohlen hat, daß cs zur Besserung der Beziehungen dienen würde, hat wie ein ; :"er Fuchs ge­handelt, der, um einen Leckerbissen vom Raben zu bekommen, diesem einredete, er singe so schön und ihn dazu verführte, sein Singorgan hören zu lassen. (Heiterkeit.) Mit Interviews und Telegrammen darf keine Politik gemacht werden. Der Bundesratsausschuß muß regelmäßig zusammenberufen werden und nicht nur alle paar Jahre einmal. Der Bundesrat muß mehr in die Lage versetzt werden, wirklich tätig zu sein/ Auch die -Organisation der obersten Behörden muß reformiert werden. , Und da stelle ich fest, daß ich es dem Vertreter der Konservativen, der gestern sprach, hoch angerechnet habe, daß er unlängst im preußischen Abgeordnetenhause sür den Chef des Zivilkabinetts die Gehaltserhöhung ablehnte. Für die Einfüh­rung Verantwortlicher Reichsministerien ist ja leider eine Aussicht nicht abzusehen. Notwendig ist ein Minister-Verantwortlichkeits­gesetz. Auch in unserer Geschäftsordnung brauchen wir freier« Bewegung. Im englischen Parlament ist es viel leichter, jeden Augenblick an die Regierung Anfragen über auswärtige Dinge zu stellen. Die Hauptsache aber ist, wir müssen zu einer wahrhaft konstitutionellen Regierung übergehen, und wir können das ohne Verfassungsänderung. Je eher, je lieber müssen wir wie auch die Ansicht meines Kollegen Schräder ist eine par­lamentarische Regierung haben. Es wird zwar auch jetzt immer von einer Verantwortlichkeit des Reichskanzlers gesprochen, aber diese ist doch bloße Fiktion. Der ganze große Schaden, den wir jetzt beklagen, wäre nicht vorhanden, wenn wir einen wirklichen Konstitutionalismus hätten. Dieses konstitutionelle Prinzip ist um so nützlicher ich spreche da ganz allgemein, wenn ein Monarch Hegabt und voller Initiative ist und voller Vertrauens­seligkeit zu seiner Umgebung. Redner berührt kurz auch die Frage des allgemeinen Stimmrechts. Die Konservativen brauch­ten dieserhalb nichts zu fürchten. Gefahren seien damit nicht verknüpft. Der konservative Geist im deutschen Volke sei dazu viel zu mächtig. Me (zu den Konservativen) fühlen ja selbst, daß jetzt etwas geschehen muß! Sie selber können nach allem, was vorgekommen. Las persönliche Regiment nicht fortgesetzt sehen wollen.Wenn dieser Reichstag uns nicht zu echt konstitutiv­

neuen Grundsätzen fuhrt, vauu wird der Wahlkampf unter diesem Zeichen stehen! Wir haben daran alle ein gemeinsam»» Interesse, ohne Unterschied der Partei. Nichts ist so wichtig als daß nicht der Reichstag in die grassierende Selbstdiskreditie- rung der staatlichen Instanzen hineingezogen wird. Das rich­tigste wäre eilt gemeinsamer Schritt, eine Adresse. Wir sind stark durch.Einmütigkeit, stark zumal in einem Moment, wo von uns so außerordentliche Opfer verlangt werden. Wir könnten in der Adresse ferner die Formulierung in der Erklärung des konservativen Parteivorstandes akzeptieren. Das wäre ein ebr- sicher Versuch, die Wandlung in dem Kaiser herbeizuführen (Beifall.)

Der Reichskanzler verläßt, anscheinend nach Empfang von Telegrammen und nach Rücksprache mit v. Kiderlen-Wächter und v. Bethmann-Hollweg, den Saal.

Abg. v. Saß-Jaworski (Pole) erklärt im Namen der polnischen Fraktion, daß diese von der Antwort des Reichskanzlers nicht befriedigt sei. Sie reihe sich würdig dem ganzen verfehlte» Regicrungssystem in der äußeren und inneren Politik ein

Abg. Heine (Soz.): Der Reichskanzler hat wieder einen äußerst geschickten Eiertanz aufgeführt. Persönlich war die Rede ein ästhetischer Genuß, aber weiter auch nichts. Mit Frank­reich wären wir ja wieder bald aneinandergekommen. Ich wollte dem Kanzler schon einen alten Berliner Amtsrichter als Schieds­richter empfehlen, der die Streitigkeiten zwischen der Müllern und der Schulzen immer beilegt. (Heiterkeit.) Der hätte auch zur Regelung der Casablanca-Sache ausgereicht. (Erneute Heiter­keit.) Dabei werde in unerhörter Weise mit der Ehre und dem Wähle des deutschen Bolkes gespielt. Wenn der Kaiser auch noch soviel verspricht, er kann gar nicht anders handeln, wie er nun einmal ist. Der friedliebende Teil der Engländer wollte ja eine Begrenzung der Flottenrüstungen. Wer war aber da- gegen? Der Kaiser! (Lebhaftes Hört! hört!) Dann kann er sich nicht wundern, wenn die Engländer uns nicht freundlich gesinnt find. Er wundert sich noch, daß er. vom Volle nicht verstanden wird, das kann er nicht verlangen, wenn er einen großen Teil der Bevölkerungvaterlandslose Gesellen" nennt und sie mit Drohungen und Beschimpfungen überschüttet. Das Gefühl, verkannt zu werden, ist das not­wendige Ergebnis einer solchen Psyche, wie wir sie beim Kaiser kennen. Ten Grafen Zeppelin hat der Kaiser gestern als den größten Deutschen des 20. Jahrhunderts gefeiert. Bei aller Verehrung für den genialen, mutigen unv daneben höchst de, scheidenen Grafen ist das doch etwas stark anfgetrieben. (Zu­stimmung.) Ist das der Anfang einer mehr temperierten Rede­weise? (Große Heiterkeit.) Fromme Wünsche nützen uns nichts. Wir brauchen Garantien! (Beifall.) Wenn ich auch weiß- daß wir wahrscheinlich einen viel schlechteren und unfähigeren neuen Kanzler bekommen würden, so muß Fürst Bülow doch gehen, damit dem Kaiser gezeigt wird, daß sich kein Kanzler halten kann, der Eingriffe des Monarchen in die Politik duldet. (Beifall.) Wenn drei, vier Kanzler so verschwinden, dann wird der Kaiser schon aufhören. (Beifall.) Das Volk muß über Krieg und ^Frieden entscheiden, die Mehrheit hat ja jetzt in den Finanzvor­lagen ein Pressionsmittel in der Hand. Gutwillig gibt die Re­gierung nichts. Parlamentarische Rechte erzwingt man nur, wenn die Regierung in Geldnot ist. Man riskiert keine Reichs­tagsauflösung mit der Parole: Für oder gegen den Kaiser! Für oder gegen 500 Millionen Steuern! (Beifall.) In Preußen ist das persönliche Regiment ausdrücklich statuiert worden. Ter Handlanger Bismarck war daran schuld. Ihn hat aber die Nemesis erreicht. Er ist in dieselbe Grube gestürzt, die er anderen gegraben hatte. Tie Liberalen sollten sich hier nicht aufs hohe Pferd setzen. Sie sind ja mit Aeußerungeu Kaiser Friedrichs gegen die nationalistische Rechte auch hausieren ge- ganaen. (höü! hört!) Und der Zentrumspräsident erstarb ^ar in Ehrfurcht vor dem Herrscher. (Hört! hört!) M. H., Ihr seid allzumal Sünder! (Große Heiterkeit.) Tie Heuchelei um den Thron muß ja wie Gift wirken. Ter Kaiser hat sich angewöhnt, über alles zu sprechen, über Wissenschaft, Kunst und Politik. Na, von der letzteren haben wir ja eine schöne Probe bekommen. (Heiterkeit.) Und die Männer der Kunst und der Wissenschaft schütteln nur den Kopf über die kaiserlichen Aeußerungen. Seine Umgebung hat ihm die Vorstellung beigebracht, als ob er über alle diese Tinge zu bestimmen habe. Ueber die Köpft der Minister hinweg, besetzt er die verantwortlichen Stellen, Cr zeigt eine große Vielgeschäftigkeit lind einen großen Rede- trieb. Ter Kanzler sagte einmal, der Kaiser sei kein Philister. Ein Korpsstudent nennt jeden einen Philister, der arbeitet und der nur über Tinge redet, von denen er etwas versteht. Ein solcher Philister ist der Kaiser nicht. (Große Heiterkeit.) Wir möchten lieber etwas mehr philiströses Verantwortlichkeits­gefühl haben, als eine solche Genialität, die schließlich immer mit Verlegenheiten endet. (Beifall.)

(Fürst Bülow erscheint wieder im Saale.)

Dieses Dilettantentum schadet uns nur. Alles bezieht der Kaiser auf sich und seine Familie. .Ihm soll alles dienen, die Kunst, die Wissenschaft, die Religion. Tie Formel des Gottesgnadentums ist ein Ausdruck des Hochmuts, eine phan­tastische Vorstellung eines besonderen persönlichen Verhältnisses zu Gott. (Beifall b. d. Soz., Unruhe rechts.) Tiefe Auf­fassung steht im Widerspruch mit den Empfindungen der Besten der Nation. Warum erheben die Edlen von der Kirche nicht Protest gegen diese Auffassung. Es ist schon soweit gekommen, daß Unter den Linden sich der gebildete und ungebildete Pöbel um die Zigarrenstummel des Kaisers prügelt. (Lebh. Hört! hört!) Ter Kaiser weiß natürlich nichts davon. Was wir in diesen Tagen erlebt haben, war endlich mal eine wahrhaft nationale" Bewegung, eine Seltenheit leider nur in der ch Cntrüstung! Uns hat man Schadenfreude unterstellt. Mir ist von Schadenfreude in unseren sozialdemokratischen Reihen nichts bekannt. Allerdings haben wir die Genugtuung, daß man uns endlich einmal beistimmt! Wir haben lange genug allein gestanden in unserem Kampf gegen das persönliche Re­giment. (Lebh. Widerspruch bei den bürgerlichen Linken.) Was die Adresse an den Kaiser betrifft, die Herr Haußmann vorschlug/ so kann »ch mir Fälle denken, wo auch wir einer Adresse beistimmen können. Aber wenn Herr Haußmann dieehr­furchtsvolle Bitte" des konservativen Parteivorstandes an den Kaiser akzeptieren will, so sage ich: keine Adresse ist bester, als eine solche Adresse. Wenn es noch zweifelhaft ist, wie diese Verhandlungen auf den Kaiser wirken werden, so ist das nicht die Hauptsache. Tenn feststeht, daß die Wirkung alter dieser Vorgänge und Verhandlungen auf das Volk eine nach­haltige sein wird. (Beifall b. d. Soz.)

Stellvertretender Staatssekretär v. Kid erlen-Wae ch« ter: Wenn der Faden bei dem Auswärtigen Amte versagt Hatz so ist das noch kein Grund, zu schweren Vorwürfen gegen eine Behörde. Uebersehen Sie nicht, wie bei uns die Arbeitslast ge­stiegen ist. Tie Nummern der politischen .Abteilung sind ieu 20 Jahren um das vierfache gestiegen. (Große Hesierkeuy Ueber eine Neuorganisation des Amts schweben Erwägungen, Vorschläge sind schon ausgearbeitet. Kein anderer Großpaac hat so wenig Beamte als unser Ministerium. Nirgends nnro dabei so gründlich gearbeitet wie bei uns. (Stürm. Herre keit.) Ich warne davor, unsere Vertreter im Auswärtigen »nu so herabzusetzen. (Gelächter.) Unsere Organisation stammt m»

einer großen Zeit, aus der Zeit Bismarcks, da sagten vorsichtiger sein, in Ihrem Urteil. In absehbarer Zeit Len Ihnen Vorschläge wegen Vermehrung des Personals z, gehen. (Große Heiterkeit.) Wenn man sieht, wie vortresü (g unsere Bureaus organisiert sind. (Stürm. Heiterkeit.) Lassen Gerechtigkeit walten bei Beurteilung der Pflichttreue der, . amten. Ich bitte, nehmen .Sie ihnen nicht die Schaliem"

^Präsident Stolb'erg: Ich bitte, die vielen Zwischenruf« zu unterlassen. (Große Heiterkeit.) ,

Abg. v. Dirksen (Rp.): Wir weisen die Behauptung m Entrüstung zurück, als ob der Reichskanzler mit der CH deutschen Volkes ein frivoles Spiel getrieben habe, lo st rechts.) Ein Mann, der zehn Jahre lang die Politik deSN^ in Allen Ehren gehalten hat, verdient diesen Vorwurf (Lebh. Beifall.) Herr Heine hat uns von der Geschrcyw " Hauses Hohenzollern gesprochen. Wahrscheinlich hat e ^ Werk seines Genossen Maurenbrecher zur Grundlage lern » führungen gemacht. Wir lassen uns die Freude an den zollern nicht verderben. (Beifall.) Wir dulden es mch ,^^ wie es ickou einmal aekckek«» i». t>»s oc^tzeuken der Komst