brechung erfahren, aber was dann?

Sie würde sich wohlweislich hüten, um einer augenblick­lichen tollen Laune willen, die mit dem Augenblick verging, sich selber den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Und Liane warf mit höchsteigenen zarten Fingern ein paar frische Holzscheite in die knisternde Glut, neigte dann den Kopf über das Buch, und der leichte Hauch von Melancholie lag als undurchdringliche Maske wieder über den schönen Zügen.

In den nächsten Tagen, vielleicht morgen schon, würde sie »ine Zusammenkunft mit Harald haben, am gewohnten Orte, denn daß er ihrem brieflichen Wnke folgen würde, be­zweifelte sie keinen Augenblick; eine Frau, so schön und klug wie Liane, hat die Männer alle am Schnürchen, und dann würde sie mit ihm besprechen, ganz ernsthaft besprechen, wie rS fernerhin werden sollte. Die lächerliche Komödie, die sie derzeit aufführten, noch weiterzuspinnen, vielleicht bis zur end­gültigen, unauflöslichen Vereinigung mit Ruth, bis zur Heirat, war unmöglich, das gab sie niemals zu.

Ein böser Blick huschte zu Ruth hinüber. Was dieses kleine unbedeutende Geschöpf sich wohl einbildets?

Es mußte sich doch irgend ein befriedigender Ausweg finden, denn die Verlobung mit Ruth lösen, bedeutete für sie gleichfalls Harald verlieren, mindestens mußte er dann um seine Versetzung in ein anderes Regiment einkommen. Das ging nicht an, Liane empfand es als Unmöglichkeit, er mußte ihr in stets erreichbarer Nähe bleiben.

Ja, wenn es so leicht wäre, Ruth zur Seite zu schieben? Ruth und den alten Mann?

Unter den halb gesenkten Lidern flog ein gehässiger Blick zu dem Gatten hinüber. Wie leicht es doch sein mußte, ein Verbrechen zu begehen, ein Schritt, ein winzig kleiner nur

Liane öffnete plötzlich die Augen groß und weit, als sei sie vor ihren eigenen gräßlichen Gedanken erschrocken, und dann hob sie lauschend den Kopf. Draußen sprach eine Frauenstimme, kurz, hart und gebieterisch, das leise Murmeln des Dieners erstarb unter diesen herrischen Lauten gänzlich, der lang nachschleppende Saum, eines Frauengewandes rauschte. Darm wurde die Tür mit einem ungeduldigen Ruck geöffnet, der schwere Türvorhang zur Seite geschlagen und Erda zeigte sich den erstaunten Blicken der Anwesenden.

Erda mit unter den kohlschwarzen Schleierfalten gespenstisch blaß hervorleuchtendem Gesicht, einen kostbaren Sammetpelz nachlässig umgeworfen; in den Augen, die die Anwesende» flüchtig streiften und dann an Liane hasten blieben, ein triumphierendes, haßerfülltes Leuchten. Ein häß­licher Blick, Liane empfand ihn mit einem unbequemen Gefühl, aber sie gab ihn ruhig und kalt zurück.

Sie fühlte sich sicher, was konnte nun noch geschehen, wo sich schon seit so vielen Wochen das Grab über Felix geschloffen l Gräber öffnen sich nicht wieder, und eines Toten Mund kann nimmer zum Ankläger werden.

Ihr Verschulden gegen den Toten war ja auch so sub­tiler, unfaßbarer Art, daß kein irdischer Richter befähigt war, darüber abzuurteilen. Sie stand nicht aus, um Erda ent- grgenzugehen, sie nickte ihr einen leichten, etwas hochmütigen Gruß zu und zog die Augenbrauen hoch.

Du hast eine etwas seltsame Art für Deinen Eintritt gewählt, liebe Erda. War der Diener vielleicht nicht auf seinem Posten? Ich würde mich dann veranlaßt fühlen, solche Nachlässigkeit hart zu rügen."

In diesen Worten, die mit sehr sanftem Tonfall vorge­bracht wurden, lag die schärfste Kritik von Erdas formlosem Eintritt. Erda antwortete nicht, sondern warf mit einer ungeduldigen Bewegung de». Pelz von den Schultern herab, als beenge er sie; sie beachtete es nicht, daß er auf dem Fußboden liegen blieb, ja. sie stieß ihn, um Raum zu ge­winnen, ein wenig mit der Fußspitze zur Seite.

Ihre schlanke, hagere Figur hoch aufgereckt, erschien sie größer als sonst und trat langsam an den Mitteltisch heran, so recht in den Lichtschein der von der Zimmerdecke herab­hängenden vislarmigen Kugellampe. Sie sah es nicht, oder schien es nicht zu sehen, daß ihr Schwiegervater seine Lektüre zur Seite schob und sich langsam, nicht gerade übermäßig erfreut und höflich, erh-ob.

Ruths ihr entgegengestreckte Hand übersah sie geflissent­lich. Sie war gekommen, um den Funken an das Pulver­faß zu legen, einen dem Anschein nach traulichen und zu­friedenen Familienkreis bis in seine Grundvesten zu zerstören, sie wollte Gericht halten endlich, endlich! über jene, die mit einem leichten Achselzucken sich wieder abgewandt hatte, und deren Gesicht, rot vom Kaminfeuer angestrahlt, fast blendend schön erschien. Diese Schönheit diente nur da­zu, ihren Haß, ihre Rachsucht zu verdoppeln, es würde ihr einen Genuß gewähren, sie von der Höhe herabzustürzen, auf der sie stand, ihre eingebildete Sicherheit wie Kinderspielzeug in ihrer Hand zu zerbrechen.

Daß dieser Schlag, den sie in den nächsten Minuten zu führen gedachte, auch Ruth, die einzige in diesem Kreise, für die sie etwas laues Wohlwollen empfand, auf erbarmungs­lose Weise mit traf, war ihr freilich nicht angenehm, aber leider nicht zu umgehen. Sie vermied es aber, die Hand zu berühren, die sich ihr so freundlich bot, und machte eine un­geduldige Bewegung, als Ruth langsam mit düsterem Ge- sichtsausdruck zurücktrat, aber, ihrer sorglichen Natur folgend, den Pelzmantel vom Boden aufhob und zusammengefaltet aufj einen Sessel legte.

Erda stützte die Hand auf die Tischplatte und ihre Augen gingen rundum, sie machte noch eine Pause, denn sie vergegenwärtigte sich das andere Bild, das dieses hübsche, prunkvolle Gemach aufweisen würde, wenn sie alles gesagt haben würde, was zu sagen sie hierher gekommen war, und was zu erfahren sie keine Mühe, keine Kosten gescheut hatte. WaS sie in letzter Zeit spioniert, geforscht und gefragt, aber

und sie reckte sich noch höher im gesättigten Rachegefühl

was hatte sie auch erreicht. Sollte sie laut hinaus­schreien:

Dort sitzt die Ehebrecherin, dort ihr Mitschuldiger, der Verlobte ihrer Tochter, haha. Eine Ehebrecherin mehr noch, eine Mörderin! Denn ich weiß es mit unumstößlicher Gewißheit, daß ihre buhlerischen Künste es gewesen, die meinen Gatten in den Tod getrieben. Meinen Gatten!"

Erdas Finger krampften sich dem Gedanken zusammen, ein kurzes, hartes Schluchzen drängte zum Ausbruch.

Willst Du nicht Platz nehmen, liebes Kind?" fragte Kommerzienrat Rechtenberg, seine Schwiegertochter mit kühlen, kritischen Blicken betrachtend. Er stellte die äußere Form sehr hoch, und Erdas ganzes Betragen erschien ihm unver­antwortlich.

Sie antwortete nicht. Was galt ihr in diesem Augen­blick der landläufige Trödelkram hergebrachter Höflichkeiten, sie fand ihn nicht einmal mit einer Handbewegung ab, sie wartete nur, bis sich ihre innere Aufregung soweit gelegt hatte, daß sie wieder Herrin ihrer Stimme war, und dann sagte sie kurz und hart:

Ich bin nicht gekommen, um als Gast in Eurer Mitte zu weilen, Rede und Gegenrede gefällig mit Euch zu tauschen, nein, danach wäre mir wahrlich nicht zu Sinn; die Zeit zum Scherz, zu froher Unbefangenheit ist für mich vorbei, für immer vorbei, seitdem sich daS Grab über demjenigen ge­schlossen hat, dem mein Herz und meine Hand gehört haben. Nein, heute noch gehören, mit dem ich mich eins fühle, gleich­viel, ob er freiwillig von mir gegangen ist, und den zu rächen ich heut gekommen bin, hieher gekommen bin, Frau Liane Rechtenberg!"

Ihre Oberlippe zog sich ein wenig von den Zähnen zurück, wodurch das Gesicht einen augenblicklich rachsüchtigen, hämischen Ausdruck bekam. Liane klappte das Buch zu, und wenn auch etwas wie leichtes Frösteln unter Erdas Blick ihr den Rücken hinabkrach, so wiesen ihre GesichtSzüge doch nicht das mindeste von solchem Empfinden auf; sie zuckte gering­schätzig mit den Achseln, als sei Erda eine wahnwitzige Närrin, mit deren Reden man es nicht so genau nimmt, als sei mindestens sie für ihre Person viel zu hoch darüber erhaben, um irgend welche Notiz davon zu nehmen. Diese eine Be­wegung brachte Erda außer sich, sie raubte ihr den letzten Rest von Rücksichtsnahme und Ueberlegung.

Gut, sehr gut", Erda stieß ein grimmiges Hohngelächter aus,mit einem mitleidigen Achselzucken tut man mißliebige