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Berlin, 26. Febr. Im Reichstag war de heute die Ttaisberätuug fortgesetzt. Der Präsident Graf Stolberg eröffnete die Sitzung um ! Uhr 20 Minuten. Um Bundesratstisch Graf v. Posadowski, Finanz-- minister v. Rheinbaben und Kolonialdirektor Dern- bürg.
Zunächst spricht Bebel (Soz.): Nach den Äeußer- *Wen des Reichskanzlers und des Abg. Bassermann erscheint es als das größte Verbrechen eines Bürgerlichen, svr einen Sozialdenwkraten zu stimmen. Aber gerade während des Sozialistengesetzes, als es sich in Frankfurt a. M. barum handelte, einen Sozialdemokraten oder Demokraten M Wählen, kam dorthin die Nachrichte Fürst wünscht Sa- tzor! (Hört! Hört! bei den Sozialdemokraten.) Weiß denn Herr Bassermaun nicht, daß im Jahre 1.905 die National- MeMen und die Sozialdemokraten in Baden ein Wahl- «b-ksmmen getroffen haben? (Hört! Hört! im Zentrum.) Miß Herr Bassermann nicht, daß durch dieses Abkommen pve'j meiner Parteigenossen von den Nationalliberalen »u-rchgebracht worden sind? (Stürmisches Hört! Hört! im Hsetrum.) Weiß Herr Bassermann denn nicht, daß da- Mls Pfarrer, Reserveoffiziere, Staatsanwälte, Krieger- »ereinc, sozialdemokratisch gewählt haben! (Lebhaftes Hört! Hört! im Zentrum und bei den Sozialdemokraten.) Unsere Parteigenossen haben darnals nationalliberal gewählt, nv zu verhindern, duß das Zentrum die Mehrheit im badischen Landtag behielt. (Hört! Hört! im Zentrum.) AM in diesem Wahlkainps ist der Führer Pfarrer der Nationalliberalen Partei in Freiburg zu meinen: Parteigenossen gekommen und hat gesagt, daß, wenn die Sozialdemokraten in Freibnrg den Nationalliberalen wühlen Mrden, er es dnrchbringen würde, daß in Mainz und Mln der Sozialdemokrat gegen das Zentrum gewählt werde. (Stürmisches Hört! Hört! im Zentrum.) Auch in Frankfurt a. M. sind Liberale an mich herangetreten und haben mir gesagt, daß sie in Mainz und Offenbach dachin wirken würden, daß der Sozialdemokrat gewählt loÄ-rde, wenn ich dafür sorgen wolle, daß in anderen Orten der -lationalliberale gegen das Zentrum gewählt würde. (Hört! Hört! im Zentrum.) Ein Nationalliberaler mag eben keinen Sozialdemokraten leiden, aber seine Stimme nimmt er gern an. Auch Konservative Kandidaten sind »sn meinen Parteigenossen unterstützt worden (Zurufe rechts: Wo denn?) .In seinem Silvesterbrief hat der Reichskanzler die Parole ausgegeben: Gegen das Zentrum und die Sozialdemokratie! Es war also durchaus selbstverständlich, daß die beiden Parteien, gegen die sich die Wahlparole richtete, in der Stichwahl sich zusammensan- den, um zu retten, was zu retten war. Wenn wir zeitweise mit den: Zentrum zusammengegangen sind, so haben wir
Are Schönheit von Wemörow.
Roman vou Bogninil vv» Czartorski. 45
„Der Arzt hofft noch, da die Natur de» Mädchens eiue über- kiuö gute, kräftige sei» soll; aber ich keime die Vorzeichen des Todes zu genau, um nicht die.schlimmsten Befürchtungen zu he- ge». Komi» also, mein Sohn, und laß uns gut machen, was »och gut zu machen ist. Sende ein Wort, wann Du zu erwarten bist. Deiner betrübten, getreuen Tante Agnes."
Fabian Ludwig las den Brief zweimal hintereinander; er sah sehr ruhig und sehr blaß aus, als er ihn dann in des Malers Hand znrücklcgte und mit tonloser Stimme fragte : „Ich darf »nt Ihnen gehen, nicht wahr? Ich darf Liska sehen?"
„Sie müsse» eS sogar!" erwidertc Hnrbing. „Wie steht eS, können Sie morgen znr Reise bereit sein?"
„Ich bin bereit Ich könnte schon heute, schon i» dieser Stunde fort, wenn es Ihnen beliebte, lind nur wäre am liebsten, so- ssrt in de» Nessewc.gen zu steigen."
„Um so besser. Wir wollen dann den nächsten Zug benutzen. Me Dunkelheit ist uns günstig; suchen wir eS einzurichteii, daß niemand vom Edelhvse den Zusammenhang zwischen Ihrer Reise und der meinen bemerkt."
„Das geht ganz leicht. Ich mache mich jetzt allein auf den Weg zur Stativ»."
„Ganz gut, Ludwig. Dort treffen wir einander dann."
-E -st
Es war im Zwielicht des nächsten Tages, als die beiden Reisenden, der Maler und Fabian Ludwig, das hübsche im Westen Berlins gelegene Hans der „Tante Agnes" erreichte».
Vor und in demselben hatte mau Stroh gestreut, ein Zeichen, welches die Herzen der Männer mit schmerzliche» Befürchtungen erfüllte. Da Hnrbing seiner Taute nnr den Tag, nicht «ber die Stunde seiner Ankunft mitgeteilt hatte, so war niemand da. der ihn und seinen Begleiter erwartet und in empfang genommen hätte. „Es ist besser so, Ludwig," sagte er. „Wir erhalte» ein klares Bild vom Stande der Dinge, wenn niemand sich aus uns vorbereitet. Kommen Sie!"
ES herrschte jene tiefe Still« im Hause, die allemal die Begleiterin schwerer Krankheiten zu sein pflegt und sich wie Todesahnung auf die Seele des Eiiitretenden legt. Leise traten die Männer in den Korridor, dessen Tür ngr gilskMnt wsr.
Hm darum jedoch nichts geschenkt. Deshalb steht Ihnen (rechts) das Zentrum noch tausend mal näher als uns. Der Reichskanzler hat gestern den Bischöfen in Bayern ein besonderes Dankesvotum abgestattet, weil sie sich gegen das Zusammengehen mit den Sozialdemokraten gewandt haben. Warum haben denn die Bischöfe vor zwei Jahren geschwiegen, als bei der Landtagswahl Zentrum und Sozialdemokratie znsammengingen. Wir haben uns in den Abstimmungen vor der Auflösung vom Zentrum unterschieden und werden es auch in Zukunft weiter tun. Mir machen dieKolonialpolitik nicht mit Und kaffen uns auch nicht durch die Rechnung des Herrn Wernburg dazu überreden. Warum kommt denn dem Botonialdirektor erst heute seine Liebe für die Kolonien und warum hatte er diese Liebe nicht schon als Direktor der Darmstädter Bank? Damals legk er sein Geld in Schottland an. Aber dem Kolonialdirektor hat der liebe Gott bei seiner Berufung nicht nur den kolonialen Verstund, sondern vor allem die koloniale Phantasie verliehe«. (Große Heiterkeit.) Der Abgeordnete Bassermann hat gestern Stellen aus den Schriften von Calwer und Bernstein vorgelesen. Wenn Sie diese Herren für maßgebend halten, warum haben Sie diese Herren denn nicht in den Reichstag gewählt? Aber während der Wahl waren sie für Sie nicht maßgebend, da ließen Sie diese Männer gegen Bauernbündler und einen Fürsten Hatzfeldt durchsallen. (Hört! Hört! bei den Sozialdemokraten.) Dem Zentrum ist Hintertreppenpolitik vorgeworfen worden. Nun, meine Herren Nationalliberalen, haben Sie noch keine Hintertreppenpolitik getrieben? Erinnern Sie sich doch einmal an die Memoiren des Fürsten Hohenlohe. Haben die Herren Bennigsen und Miquel sich nicht ihre Posten durch Hiutertreppenpolitik verdient? (Lebhafter Widerspruch bei den Nationalliberalen.) Auch die Konservativen verstehen sich auf die Hintertreppenpolitik. Und wie hat es die Kueuzzeitungspartei vor 50 Jahren getrieben? Damals wurde dazu aufgefordert, dem Prinzen von Preußen, dem späteren deutschen Kaiser, die Briefe zu stehlen. Wie oft sind ja nicht Briefe gestohlen worden. Warum schicken denn die Fürsten ihre Briefe durch geheime Kuriere? Und da wagt es gestern der Reichskanzler, seine Entrüstung über das Stehlen der Flottenvereinsbriefe kundzugeben? (Zustimmung.) Nun, es ist der Regierungsmaschine gelungen, der Sozialdemokratie eine Reihe von Mandaten zu entreißen und Der vielgerühmte „Sieg" hat dann bei der ganzen Bourgeoisie lebhafte Befriedigung erweckt. Die 'Nationalliberalen machen sich lustig über die Niederlage der Sozialdemokraten. Aber wie ist es Ihnen denn ergangen? 1.874 hatten sie 152 Mandate, dann sind sie gesunken bis auf einige 40. Jetzt, nachdem sie sich den Konservativen verschrieben haben und ihr ganzer Liberalismus zum Teufel ist, da haben sic glück-
Da begann plötzlich jemand in dein zu linker Hand an das Vorzimmer grenzenden Raume zu singen! Die Töne klangen schaurig durch die liefe Ruhe dieser Zwielichtstnnde, doppelt schaurig für die beiden atemlos Lanscheuden, denen Stimme wie Lied nnr zu wohl bekannt waren: „Schmal ist der Pfad der Frommen, Durch Freuden führt er nicht"
Fabian Ludwig ergriff mit krampfhaftem Druck dieHand des Malers; sekundenlang verharrte er regnngsloS mit vorgeneig- tem Haupte, stürzte dann plötzlich, wie von einer inneren Ge- Walt getrieben, am die geschloffene Tür zu, hinter der die Töne erklangen, öffnete sie mit einem energische» Stoße, dessen es ei- gentlich nicht bednrst Hütte, und stand im nächsten Moment vor dem Lager, ans dem LiSka Steinert, die „Schönheit von Rem- brow". ruhte. Die „Schönheit"? Glich dieses abgezehrte, junge Geschöpf mit der dunklen Nöte deS Fiebers auf den Wangen, mit den eingesililkeneii Augen und dem irren, schmerzlichen La- cheln um den bleichen Mund, dem blühenden Mädchenbilde noch, dem jener Name zugehörte?
Fabian Ludwig umfaßte mit einem einzigen laugen Blick die Veränderung, die mit seinem Liebling, seiner „wilden Drossel" vorgegangen war; seine Auge» gewahrten nichts und niemand in dem Raume als sie! Er kniete vor ihrem Bett nieder, ergriff eine ihrer fieberhaft glühenden Hände und neigte seine Stirn darauf, wie um Kraft zu gewinnen.
Liska schien ihren Jugendfreund nicht zu erkennen; sie überließ ihm willig ihre Hand, aber kein Schimmer froher Ueberra- schung flammte in ihren Augen auf. Sie glitten unruhig zur Tür hinüber, in deren Rahmen Oskar Hnrbing noch stand und dann von diesem auf die übrigen, daS Lager in einiger Entfernung umgebenden Personen. Da war Baron Ruck, augenscheinlich durch Ludwigs ungestümes Hereinstürmen in einem Gespräch mit dem Arzte unterbrochen, der noch neben ihm stand, da mar ferner Fräulein von Wangenrot mit ihre»! sorgenvolle», kleinen Ge- sich. unter dunklem Spitzenhänbchen, da war endlich Heloise, zu Füßen des Krankenlagers stehend. Aller Augen waren aus Fa- bian Ludwig gerichtet; offenbar aber wagte eS niemand, ihm seinen Platz bei der Kranken streitig zu machen.
Baron Ruck sah traurig, fast finster ans das melancholische Genrebild hi», nur in dem. schöne» Gesicht der Grafeiuochter mchtete ein blasser Freudenschein auf, als sie jetzt gewahrte, wie der junge Landmann ,rD seiner kräftigen, braunen Hand lieb
lich 57. Ihre Lage ist so blamabel, daß ihr Führer in. ganz Deutschland herumreisen mußte, um eine Stelle zu suchen, wo er sein Haupt niederlegeu konnte. (Stürmische Heiterkeit i.m Zentrum.) Jedenfalls habe» wir immer! noch ZtI Millionen Stinunen hinter uns und sind fast' um eine Million Stimmen der stärksten Partei, den: Zentrum voraus. (Sehr richtig!) Wir sind durch den Wahlausfall nicht verzagt. Wir werden alles daran setzen, uns die Scharte wieder auszuwetzen und wenn Sie den Kampß nicht fürchten, dann nehmen Sie unser» Antrag an, die Legislaturperiode von 5 auf Z Jahre herabzusetzen. (Hei-? lerkeit.) Der Wahlkarnpf war ein offizieller Wahlkamps, wie er seit der Zeit Napoleons III. nicht wieder geführt' worden ist. Wenn die Briese des „Bayerischen Kurier" echt sind, so muß die große Hälfte der Regierungsmehrheit wegen ungesetzlicher Wahlbeeinflussung nach Hause geschickt werden. (Große Heiterkeit rechts und links.) Wenn in der Thronrede gesagt wird, daß der Sozialdenwkratie durch die Wahlen Halt geboten sei, so ist das eine objektive Unwahrheit. Es ist auch in der Thronrede gesagt worden, daß die Sozialdemokratie nicht positiv mitgearbeitet habe. Viele Anträge, die wir ft.ch r eingebracht haben, wurden zwar abgelehnt, sind aber mittlerweile, nachdem sie von anderen Parteien ausgenommen worden sind, Gesetz geworden« (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)
Redner geht dann aus die preußische Politik ein, auß das Gesinderecht, den Bremserlaß, das neue preußische Schulgesetz, das ein Faustschlag ins Gesicht der Kultur sei. Der Reichskanzler Fürst Bülow hat vor Jahren das Wort geprägt: Preußen iu Deutschland, Deutschland in der Welt voran. Das ist wieder eine objektive Un- wahrheit, denn Fürst Bülow ist die Jncarnation jedes politischen Stillstandes und Fortschrittes. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Redner verliest sodann eine Reihe von Stellen aus ausländischen und deutschen Zeitschriften, die beweisen sollen, daß Deutschland auf kolonialem Gebiet rückständig sei. Von der Rückständigkeit Deutschlands spricht auch, daß in Preußen noch das Dreiklassenwahlrecht bestehe. Warum hat man dieses Wahlrecht noch nicht abgeschafft? Man fürchtet die kulturell reformierende Wirkung der Sozialdemokratie. Die Sozialdemokratie ist der Sauerteig, der die ganze Bour- goisie vorwärts getrieben hat. Wir haben immer positiv mitgearbeitet, und wenn mau uns das nicht gestattet, etwas nach unseren: Willen zu gestalten, so haben wir wenigstens vieles verhindert. Redner sucht das besonders durch Hinweis auf die Anfänge der sozialpolitischen Gesetzgebung zu belegen. Sie werden auf dem Gebiete der Sozialpolitik nicht einen einzigen Antrag einbringen, den nicht die Sozialdemokratie vor langen Jahren gestellt hat. Weiß der Reichskanzler nicht, daß die Sozialdemokratie für die Caprivi'schen Handelsverträge gestimmt hat, und
kosend über Liskas Haar strich und zärrliche, beschwichtigende Worte dazu murmelte, wir man es wohl bei einen: kranke» Kinde tut.
LiSka, die bis dahin sehr unruhig gewesen war, schien die Berührung wohltuend zu empfinden; ihr Antlitz nahm einen natürlicheren, freundlich-müden Ausdruck an, und nach einigen Minuten sank ihr Haupt auf de» Arm Fabians und ihre Auge* schlossen sich.
„Das ist gut! DaS wollte ich!" sagte der Arzt mit gedämpftem Tone zu Ruck. „Ilud wem: jener junge Mann es ertragen könnte, seinen Arm eine Viertelstunde lang iu gleicher Lage zu halten, so würde er nnS damit von wesentlichem Nutzen sein."
„Er wird cS sicher ertragen !"antworkcte der Maler an Stell« des BaronS, welcher in Gedanken vor sich hin starrte. Dan» trat er zu dem Lager und berührte Fabians Schulter. „Was meinen Sie, Ludwig, wird eS Ihne» möglich sein, in der Stellung, welche Sie jetzt eiunchmen, noch geraume Zeit zu verharren? Der Arzt meint, dieser Schlaf, der bis jetzt durch kein Mittel zu erzielen war, sei überaus segensreich."
Der Gefragte antwortete nur durch einen ausdrucksvolle» Blick, dann kehrten seine Augen zu ihrem Ruheplatz aui dem Antlitz LiSkas zurück
Hnrbing wandte sich dem Arzte wieder zu. „Sie können ruhig sein, Herr Doktor. Bevor die Kranke erwacht, weicht jener junge Mann nicht von seinem Platze. Ich denke, wir andern verlasse» nun das Krankenzimmer."
„Das liegt auch in meinen Wünschen," sagte der Arzt. „Air hatten heiße Lage mit dem Mädchen, Herr Hnrbing. Und einer der heißesten war der heutige. Das Phantasiere» und Singe» der Kranken war mir sogar fast unerträglich Hörten Sie nicht auch etwas davon. Ihr Eintritt brachte das Mädchen zum Verstummen."
„Wir vernahmen einige Liederstrovhen allerdings, und diese waren es, die meinen Freund, Herrn Ludwig, dazu veranlagten, jo rücksichtslos einzndringen. Später mehr über da» alles. Haben Sie Hoffnung, die Kranke herzustelle», Dokivr?"
„Vor kurzem noch war meine Hoffnung sehr schwach, Herr Hurbing. Jetzt aber . . warten wir ab! Ein Fieber wie dieses, es muß lediglich heftigen GemütSaffckteu entsprungen sein und sich langsam durch Wochen oder Monate vorbereitet haden, ist unberechenbar. Gehen wir jetzt 138,LO