kommissarische Behandlung an. Schon gegen halb 6 Uhr wurde ein Vertagungsantrag angenommen.
Dem Reichstag ging ein Gesetzentwurf betreffend die Verlängerung des Friedensvräsenz- gesetzes um ein Jahr, bis 31. März 1905, zu.
Tattes-Nachrichteu.
Radolfzell, 20. Jan. Hier wären ein Mädchen und ein Knabe beinahe durch Ersticken ums Leben gekommen. Die Kinder schliefen in einem Mansardenzimmer. Das auf dem Boden liegende Bett geriet in Brand, da das Licht nicht gelöscht worden war. Glücklicherweise bemerkte ein im Hause wohnender Schaffner den Brandgeruch und weckte die Kinder.
Albersweiler, 20. Jan. Gestern Abend ereignete sich hier ein sehr bedauernswerter Unglücksfall. Die ledige Elisabeta Bayersdörfer, Tochter des Winzers Bayersdörfer am Kanal, wollte aus dem Queichbache mit einem Eimer Wasser holen. Hierbei rutschte sie aus, fiel kopfüber in das kalte Wasser und fand durch Ertrinken den Tod.
Offenbach, 20. Jan. Der Bahnwärter Friedrich aus Oberrad wurde am Montag Abend hier von rauflustigen Burschen überfallen und vor einen Schnellzug auf die Schienen geworfen. Der Zug wurde durch die Signallaterne noch rechtzeitig zum Stehen gebracht. Zwei Verhaftungen wurden vorgenommen.
Rußland und Japan.
Suez, 20. Jan. Das russische Transportschiff „Orel" ist von hier abgegangen. Neun russische Torpedozerstörer sind eingetroffen. Der Kreuzer „Aurora" befindet sich im Kanal.
Schanghai, 20. Jan. Die Vizekönige von Nanking und Wutschang entsenden ihre besten Truppen zu Juanshikai.
Tientsin, 20. Jan. Aus guter Quelle verlautet, daß der Vizekönig Juanshikai die bestimmte Entscheidung getroffen habe, Maßnahmen zum Schutze der Grenze zwischen der Provinz Tschili und der Mandschurei im Falle eines russisch-japanischen Krieges zu ergreifen. Es sind Vorkehrungen getroffen für den Transport von 20000 Mann chinesischer Truppen nach der Grenze.
London, 21. Jan. Wie dem „Standard" vom 20. Januar aus Tokio gemeldet wird, ge- nehmigte der Geheimrat die dringliche Ver
fügung, wonach die Kommandeure der Flotten station ermächtigt werden, fremde Kriegsschiffe während der Zeit der Verwickelungen an der Einfahrt in gewisse Häfen eventl. durch Gewalt zu verhindern.
London, 21. Jan. Der „Daily Telegraph" meldet aus Tokio vom 20. Januar: Die Antwort Rußlands wird am 21. Januar erwartet.
Der Herero-Aufstand.
Die „Nat.-Ztg." schreibt: Gerüchtweise verlautet, daß Otjimbingwe und Okahandja von den Deutschen geräumt sind. Bei der Grausamkeit der Hereros wird man leider die Ermordung zahlreicher Ansiedler und kleinerer Militärposten erwarten müssen, die sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten. Anfang Februar wird sich jedoch die Lage für die Deutschen mit einem Schlage bessern, da alsdann vermutlich der durch Heliogramme von dem Aufstande der Hereros benachrichtigte Gouverneur Oberst Leutwein mit dem größten Teile der im Stammlande entbehrlichen Truppen, etwa 2—300 Mann, in Windhoek angelangt sein wird. Zur Zeit ist der „Habicht" aus Kapstadt in Swakopmund angelangt und bewacht die 600 Hereros, welche sicherheitshalber auf Schiffen untergebracht sind.
Berlin, 20. Jan. Der „Lokalanz." meldet: Die Ansprache des Prinzen Heinrich an die nach Südwestasrika abgehenden Kieler Mannschaften lautete: Im Verlaufe von wenigen Jahren ist es das vierte Mal, daß das Seebataillon berufen ist, auf Befehl des Kaisers Schäden zu decken, wo solche in den Kolonien entstanden sind. Ich freue mich dessen mit Euch. Ich kann sagen, ich beneide Euch, daß Ihr berufen seid, den deutschen Ruf und die deutsche Ehre aufs neue herzustellen. Ich weiß, daß Ihr freiwillig hinauszieht. Das erfordert der Soldatenstand. Das ist alte Tradition, worauf wir Deutschen stolz sein dürfen. Wenig wird Euch erspart bleiben: Hunger, Durst und schwerste Entbehrungen. Denkt an Eure Pflicht, an Euren Eid, denkt, daß Ihr Söhne Eures Vaterlandes seid. Seid gehorsam und treu, untereinander haltet Kameradschaft und vergeht nicht, daß der Weg zum Erfolge bei Euch liegt. Jede Kugel, die den Lauf verläßt, erfülle ihre Pflicht. Glückliche Reise und Heim
kehr! Gott mit Euch!
Kiel, 21. Jan. Das nach Südwestasrika abgehende Expeditionskorps ist um 12,45 Min. nachts von hier abgereist. Auf dem Bahnsteig hatten sich Prinz und Prinzessin Heinrich, zahlreiche Offiziere des Seebataillons, Marineoffiziere und die Garnisonsgeistlichkeit eingesunden.
Wilhelmshaven, 21. Jan. Die „Darmstadl" hat nun mit den ersten Hilfs- Mannschaften für Südwestafrika den hiesigen Hafen verlassen. Es sind 500 Mann Marine- infanterie, 50 Mann Bedienung für die Maschinenkanonen und 250 Mann Eisenbahn- und Telegraphentruppen, die Proviantkolonne und die Sanitätsabordnung. Ferner befinden sich auch 25 Pferde, sowie Material zur Panzerung von zwei Lokomotiven und vier Eisenbahnwagen an Bord der „Darmstadt". Sie soll am 10. Februar in Swakopmund vor Anker gehen.
Verschiedenes.
Für heiratslustige Mädchen jeglichen Alters sind die Weststaaten der nordamerikanischen Union noch immer ein Dorado, auf das hinzuweisen man nicht müde werden sollte. Mit offen Armen nimmt man sie dort auf und reicht ihnen, wenn sie's verlangen, schon am Zuge den Trauring. Der in Chicago erscheinende Record-Herald veröffentlicht aus den Staaten Kansas, Washington und Arizona ein ganzes Bündel von Zuschriften vereinsamter Männlichkeit, die sich nach weichem Frauenmund sehnt. Die Briefe sind zwar zum Teil in einem Stil abgefaßt, der an dringliche Warenbestellung erinnert, aber das ändert nichts an der Tatsache — bekräftigt sie vielmehr — daß hier heißes Begehren und lechzender Wunsch die Feder geführt haben. Und was sehr wesentlich ist, die Briefschreiber sind nicht anspruchsvoll wie so viele Männer in frauenreicheren Gegenden, die Schönheit, Jugend und den Besitz eines rundlichen Vermögens in der zukünftigen Gattin vereinigt sehen wollen. Wir geben aus einem der bezeichnendsten Briefe, der einen Mann aus Buckeye in Arizona zum Verfasser hat, die folgende Stelle wieder: „Wir brauchen hier mehrere Wagenladungen mit Frauen; je früher wir sie bekommen, desto besser. Gestalt, Aussehen und Alter sind Nebensache, wenns nur Frauen sind. Natürlich
Das Enkelkind
Von G. Strudel.
(19 N chdruck verboten.
„Bei Ihnen?" fragte Irma erstaunt. „Aber wie könnte ich mich denn in Ihrer Haushaltung nützlich machen, und welche Dienste verlangen Sie von mir?"
„Sie sollen meine Gesellschafterin sein, liebes Fräulein, das heißt, mir zuweilen etwas vorlesen oder mit Ihrem Geplauder mich unterhalten und mich auf andere Gedanken bringen, wenn ich mich in mißmutiger Stimmung befinde. Im übrigen könnten Sie tun, was Ihnen beliebte, Sie könnten lesen, schreiben, spazieren gehen und dergleichen, soviel Sie wollten, und für diese Tätigkeit würde ich Ihnen jeden Monat vierzig Mark für den Anfang auszahlen."
Neubert fuhr fort: „Eine mütterliche Freundin und einen weiblichen Schutz hätten Sie in meine». Haushältern-, der etwas schwatzhaften, aber sonst ganz braven Frau Reiz, und für den Fall, daß dieser die durch Ihre Anwesenheit vermehrte Arbeit zu viel werden sollte, nehmen wir noch eine tüchtige Bauernmagd ins Haus, die Sie bedienen kann."
Irma war durch diesen Vorschlag so bewegt, daß ihr die Tränen in die Augen traten.
„Ich weiß nicht, wie ich so viel Güte von Ihrer Seite verdient habe," stammelte sie. „Sie bieten mir ja eine Stellung an, wie sie ein Mädchen in meiner Lage kaum zu erhoffen wagen durfte, und ich habe beinahe das Gefühl, als wäre es geradezu unbescheiden von mir, wenn ich das mir so großmütig angebotene, für das ich niemals werde eine entsprechende Gegenleistung bieten können» annehme."
„Unsinn, liebes Kind," sagte Neubert, indem tzr sich erhob. „Ein Mensch braucht nie mehr zu tun, als dasjenige, was von ihm verlangt svird, daß Sie aber dasjenige, was ich von
Ihnen verlange, werden leisten können, weiß ich bestimmt. Und was Ihr Gepäck anbelangt, so überlassen Sie die Sorge hierfür nur mir. Ich werde der gnädigen Frau Baronin die Hölle so heiß machen, daß sie froh sein wird, wenn die Angelegenheit endlich genau nach Ihren Wünschen geregelt ist."
8. Kapitel.
Etwa eine Viertelstunde später, nachdem Neubert Irma verlassen hatte, fand sie sich bei der letzteren Frau Reiz ein, die mit einem stummen Winke das junge Mädchen aufforderte, ihr zu folgen.
Im ersten Stocke angelangt, führte sie Irma in ein ganz hübsch eingerichtetes, großes Zimmer mit einem Himmelbette und sagte:
„Das ist das Zimmer, welches Herr Neubert Ihnen angewiesen hat. Es ist das beste und schönste im Hause, denn auf schöne Möbel legt der Herr im allgemeinen wenig Wert. Sie sind wohl eine Verwandte des Herrn Neubert, Fräulein?"
„Ganz und gar nicht, liebe Frau," versetzte Irma. „Herr Neubert ist für mich vielleicht noch mehr ein Fremder als für Sie."
„Na, dann müssen Sie ihm jedenfalls sehr empfohlen worden sein, oder sind Sie vielleicht die Tochter eines alten Freundes von ihm, was mich ja allerdings weiter nichts angeht. Denn, daß er Ihnen nicht nur das beste Zimmer anweist, sondern auch noch eine junge Magd zu Ihrer Bedienung ins Haus nehmen will, das ist doch etwas, was ich bei dem alten, bärbeißigen Herrn nie für Möglich gehalten hätte. Was mich aber noch mehr wundert, ist der Umstand, daß Sie stets mit ihm zusammen speisen sollen, während er doch bis dahin einen schrecklichen Abscheu gegen den Umgang mit fremden Menschen zu empfinden schien. Na. mir kann das alles recht sein, und ich wünsche nur, daß Sie den alten Herrn möglichst aus^
zuheitern suchen, damit wir nicht immer dasselbe mürrische Gesicht an ihm sehen müssen."
„Daß das geschehen soll, verspreche ich Ihnen, liebe Frau," entgegnete Irma in beinahe feierlichem Tone. „Herr Neubert hat so viel Anspruch auf Dankbarkeit von meiner Seite, daß ich alles, was in meinen Kräften steht, aufbieten werde, um ihm seinen Lebensabend so viel wie möglich zu erheitern und zu verschönern."
„Das ist recht von Ihnen, liebes Fräulein, und nun machen Sie es sich in Ihrem Zimmer bequem. Ich muß schnell einmal nach meinem Braten sehen, damit derselbe mir nicht anbrennt."
Bald darauf wurde Irma von Frau Reiz zum Abendessen gerufen, welches Neubert im Garten hatte servieren lassen.
Seine Laune schien auch an diesem Abend wieder einmal nicht die rosigste zu sein, denn in kurzem Tone forderte er Irma auf, ihm gegenüber Platz zu nehmen, und dann sprach er während der ganzen Zeit des Essens kein Wort mehr.
Endlich, als Frau Reiz eben abgetragen hatte, schien er es doch für zeitgemäß zu halten, mit seiner Tischgenossin sich ein wenig zu unterhalten, und er fragte sie daher, ob sie mit ihrem Zimmer zufrieden sei.
„O, ich wäre selbst dann ganz außerordentlich zufrieden, wenn ich auch nicht in meinen Ansprüchen an Luxus und Bequemlichkeiten so sehr wenig verwöhnt wäre," versetzte Irma rasch. „Das kleinste und einfachste Zimmerchett hätte für mich vollkommen genügt, ich suchte ja, als ich die Villa verließ, nur Ruhe und Frieden, Und beides glaube ich hier gefunden zu haben! '
„Wir wollen es wenigstens hoffen, liebes Kind, denn Sie bis hierhin zu verfolgen, wird aer Ihnen widerwärtige Freier sich wohl hüten. Wie taw es überhaupt, daß dieser Freier auf der Villa Zutritt hatte, denn zu der hochadeligen