Konstantinopel, I. Okt. Trotz des Ministerwechsels wird von der Regierungsseite mitgeteilt, daß in der prinzipiellen Haltung der Türkei in der Tripolis-Affäre sich nichts geändert hat. Die türkische Regierung wird in Tripolis um ihr Recht und ihr Ansehen bis zur Erschöpfung kämpfen. Man erwartet jedoch, daß die Mächte einschreiten und weitere Angriffe auf die Souveränität der Türkei auch in Tripolis verhindern werden.
Die Türkei hat die Absicht, an Griechenland in der energischen Form heranzutreten und zu verlangen, daß das Kabinett von Athen in der kürzesten Frist sein Desinteressement an Kreta erkläre. Wenn das Kabinett von Athen keine zufriedenstellende Erklärung gibt, würde, so glaubt man in Londoner diplomatischen Kreisen, sich die Türkei dazu entschließen, militärische Demonstrationen an der Grenze von Thessalien auszuführen. Türkische Truppen haben bereits die thessalische Grenze passiert.
(Das Heereswesen Italiens und der Türkei.) Die italienische Armee gliedert sich in 12 Armeekorps und 25 Divisionen. Sie stellt in erster Linie auf: an Infanterie (Ber- saglieri, Alpentruppen) 356 Bataillone, an Kavallerie 29 Regimenter mit 147 Eskadrons, an Feldartillerie (reitende und Gebirgs-) 227 Batterien, an Festungs- (Küsten-) Artillerie 92 Kompanien, an technischen Truppen 66 Kompagnien und 12 Radfahrer- Bataillone. Vier Armee-Kommandos mit dem Sitze in Rom, Florenz, Mailand, Neapel sind für die Führung von Armeen im Kriege bestimmt und haben im Frieden die Mobilmachung der ihnen unterstellten Korps vorzubereiten. Die italienische Armee hat eine nominelle Iststärke von 250 000 Mann. Da die im Kriegsfälle aufzustellenden Formationen gesetzlich nicht mehr festgelegt sind, so können hierüber sichere Angaben nicht gemacht werden. Vermutlich werden 96 Mobilmilizbataillone zu 3 Kompagnien aufgestellt werden. Zu erwähnen ist noch, daß alle Infanterie-Regimenter Maschinengewehr-Abteilungen haben und daß die Feld- Artillerie in der Umbewaffnung begriffen ist.
Das türkische Heer gliedert sich in 14 Armeekorps nnd 43 Divisionen, die 4 Heeresinspektionen — 2 in Europa, 2 in Asien — unterstellt sind. Die Armee zählt im Frieden: 457 Bataillone Infanterie und Jäger, 6'/? Bataillone berittene Infanterie (Dromedar-Reiter), 39 ^/» Reiter- Regimenter, 341 Batterien Feld-Artillerie, 28 Kompagnien schwere Feldartillerie, 14 Bataillone Pioniere, 13 Kompagnien Brückentrain, 15)/r Kompagnien Telegraphen-Truppen, 4 Eisenbahn- Bataillone, 16 Train-Bataillone und 138 Maschinengewehr-Kompagnien. Dazu kommen bei einer Mobilmachung 39 Divisionen Redifs (Landwehr) I. Klasse und 19 Divisionen II. Klasse.
Rom, 1. Okt. 4 Brigaden Infanterie, 2 Regi- menterBersaglieri, 12 Batterien Artillerie, 4 Schwadronen Kavallerie sowie die notwendigen Genietruppen, Jntendanturbeamte und eine Luftschiffer- Abteilung werden das italienische Landungskorps bilden. Diese Truppen werden in Neapel und Palermo zusammengezogen werden. In politischen Kreisen beobachtet man die größte Reserve über die Stärke des Expeditionskorps. Man schätzt es jedoch auf 35 000 Mann. 2 Offiziere haben ihren Abschied eingereicht, um den Krieg als einfache Soldaten mitmachen zu können.
«unazcbau.
Stuttgart, 1. Okt. Der König besuchte heute mittag gegen 12 Uhr die Ausstellung für kirchliche Kunst Schwabens im Landesgewerbemuseum unter Führung des Museumsbeamten Kubina. Nach °/«ständigem Aufenthalt verließ
„Ich bin mir in meiner Beurteilung der Dame und ihres Verhältnisses zu Strakeau selbst noch nicht ganz im Klaren. Doch eines steht für mich völlig fest — Frau Strakeau ist zum mindesten Mitwisserin der Tat ihres Mannes."
„Woraus schließst du das?" fragte Edelhagen gepreßt.
Und Tarleton erzählte mit kurzen, harten Worten von seiner und seines Freundes Unterhaltung mit dem Ehepaar Strakeau. Seine Worte waren streng objektiv, ohne persönlichen Standpunkt und Urteil. Doch Edelhagen, der mit gesenktem Haupte lauschte, hörte aus der Stimme des Marquis, daß jener in der Gattin des Künstlers nicht nur die Mitwisserin, sondern auch die Genossin seines Verbrechens erblickte.
Als Tarleton nach einer Pause wieder sprechen wollte, da erhob Edelhagen abwehrend seine Hand.
„Bitte, laß uns jetzt nicht weiter davon reden — ich muß das erst überwunden haben."
Tarleton nickte, drückte schweigend die Hand des Freundes und verließ das Zimmer.
-l-
* * *
Edelhagen stand in dieser Nacht am Fenster und starrte mit weiten Augen in das Dunkel.
S. Majestät wieder die Ausstellung, für deren - reiche Kunstschätze er großes Interesse zeigte.
— Der italienisch-türkische Konflikt fängt schon an, seinen Einfluß aus verschiedene wirtschaftliche Gebiete geltend zu machen. So auf der Börse. Auch das Baugewerbe wird beeinflußt. Wie man hört, haben u. a. auch viele italienische, Arbeiter, die beim Stuttgarter Bahnhofumbau beschäftigt waren, ihre Einberufungsordre erhalten und müssen abreisen.
Freuden st adt, 1. Okt. In der letzten Gemeinderatssitzung gab Stadtpfleger Zeeb die Erklärung ab, daß ihm das Geld ausgegangen sei. Der Vorsitzende erklärte dies damit, daß die Stadtpflege alle außerordentlichen Ausgaben der letzten Zeit von der laufenden Verwaltung bestritten habe. Nur für das Gaswerk seien aus dem Restvermögen 90 000 Mk. entnommen worden. Dem Ansuchen des Stadtpflegers, ihm die Aufnahme von 30000 Mk. bei einer Bank zu bewilligen, wurde entsprochen. Unter den Gemeinderatsmitgliedern gab es eine hitzige Debatte.
Vaihingen, 30. Sept. Bei einem gestern abend in Roßwag im Gasthaus zur „Krone" ausgebrochenen Schadenfeuer soll ein ca. zweijähriges Kind erstickt sein und ein weiteres Kind Brandwunden erlitten haben. Allseitige Teilnahme wendet sich den betroffenen Eltern zu.
Maulbronn, 30. Sept. In Groß-Villars ist die Diphtherie in heftiger, bösartiger Form unter den Kindern ausgebrochen. Es liegt eine Mischinfektion vor, bei der das Heilserum unwirksam ist. Mehrere Todesfälle sind bereits zu verzeichnen, die sämtlich durch Blutvergiftung mit Herzschwäche verursacht wurden.
Herren berg, 1. Okt. Auf der Straße von Hildrizhausen nach Herrenberg sprang plötzlich aus jdem Wald ein Hirsch auf einen des Wegs kommenden Radfahrer, einen Monteur. Der Anprall war so heftig, daß Radfahrer, Hirsch und Rad in den Staßengraben flogen. Während der Radfahrer bedeutende Verletzungen erlitt, verschwand der Hirsch unbeschädigt im Waldesdickicht.
Heilbronn, 30. Sept. Heute früh wurde der Bezirksadjutant Leutnant Martin in seiner Wohnung im Bett tot aufgefuuden. Nach Ansicht der Äerzte ist der Tod zweifellos durch Ersticken eingetreten. Der Verstorbene habe, so wird vom Bezirkskommando mitgeteilt, schon längere Zeit wegen Ueberarbeit an überreizten Nerven gelitten.
Gmünd, 29. Sept. Beim Dreschen wurde in Bargau ein 20jähriges Mädchen von der Maschine erfaßt und mitsamt dem Getreide den Trommeln zugeführt. Mit einem gebrochenen Arm und sonstigen schweren Verletzungen wurde es aus seiner gefährlichen Lage befreit.
Pforzheim, 30. Sept. Kaum schien gestern früh das Feuer im Vororte Brötzingen gelöscht zu sein, das in der Nacht 10 Wohnhäuser und 12 Scheunen vernichtet hatte, so brach gestern nachmittag 1/22 Uhr infolge des starken Westwindes abermals ein Brand aus, dem 2 Wohnhäuser und 4 Scheunen zum Opfer fielen. Der neue Schaden beträgt etwa 70000 Mk. Zusammen sind also in der Nacht und gestern nachmittag abgebrannt 12 Wohnhäuser und 17 Scheunen. Der Gesamtschaden beziffert sich auf etwa 320 000 Mark.
Berlin, 1. Okt. Wieder „Inf." mitgeteilt wird, wird in Kürze die Ausgabe der neuen Versicherungsmarken erfolgen, da Artikel 72 des Einführungsgesetzes zur Reichsversicherungsordnung bestimmt, daß für die Zeit nach dem 1. Jannar 1912 Marken in alten Werten nicht mehr verwendet werden dürfen. Ueber die Ausgestaltung der neuen Klebemarken ist mitzuteilen, daß Marken für 1, 2 und 13 Wochen ausgegeben werden. Außerdem kommt noch eine neue, bisher fehlende
Seine Hände umklammerten das Fensterkreuz, sie waren durchnäßt von dem Regen, der in feinem, stiebenden Staube darauf niedersank.
„Ist es wahr? Kann es wahr sein?" flüsterte er vor sich hin. Er riß jeden einzelnen Moment der damaligen Zeit aus seiner Erinnerung empor. Jedes Wort, jeden Blick, jedes Lächeln zwang er vor sein geistiges Auge und prüfte sie mit der Schärfe seiner errungenen Welterfahrung
Und er fand keine Falschheit.
„Trügt mich denn meine Erinnerung? Kann es denn sein, daß ihr seliges Lächeln Lüge, ihre Zärtlichkeit Verstellung war, daß sie mich küßte und dabei in ihren Gedanken Mordpläne wider mich entwarf? Nein, es kann nicht sein!"
Und nach einer Weile:
„Und wenn doch-ja, dann — dann .
Und je länger er stand und grübelte, umso größer wuchs aus der Finsternis um ihn das plumpe, gähnende Gespenst. Und aus der Nacht in seiner Seele wuchs größer und größer der Zweifel. Und der Zweifel machte sich in seiner Seele breit und schlug mit scharfen, harten Waffen nach der freundlichen Göttin Vertrauen, die immer j wieder ihr liebes mahnendes Antlitz erhob, bis sie
Zusatzmarke im Werte von 1 Mark hinzu, die für freiwillige Versicherungen bestimmt ist. Die neuen Marken werden in neuer Ausstattung und in neuen Aufschriften hergestellt.
— Der auf 17. Oktober einberufene Reichstag wird viel Arbeit zu bewältigen haben. Da ist die Strafprozeßordnung, das Hausarbeitsgesetz, die Errichtung eines Kolonial- und Konsulargerichshofes in zweiter und dritter Lesung zu erledigen, die Aenderung des Strafgesetzbuches und Arbeitskammer- gesetz in dritter Lesung, und dazu kommen noch alle diejenigen Gesetzesentwürfe, die sich erst in: Kommissionsstadium befinden, wie die Aenderung der Fernsprechgebühren, das Gesetz über die Tagegelder der Kolonialbeamten, der Entwurf über die Aenderung des Gerichtskostengesetzes, die Aufhebung des Hilfskassengesetzes, das Schiffahrtsabgabengesetz, das Kurpfuscherge>etz und der Entwurf über die Ausgabe kleiner Aktien, Verabschiedung des neuen Handelsvertrages mrt Japan, Erneuerung des Handelsprovisoriums mit Großbritannien, das Privatbeamtenversicherungsgesetz.
Berlin, 1. Okt. Der 51jährige Arbeiter Wilhelm Bunde, der am 17. Januar ds. I. in Döberitz beim Wildern den Gefreiten Brandt vom Gardeschützen-Bataillon erschoß und am 1. Mai vom Schwurgericht des Landgerichts III wegen Mordes zum Tode verurteilt wurde, ist am letzten Freitag im Hofe der Strafanstalt Plötzenfee hingerichtet wurden.
Düsseldorf, 1. Okt. Bei der vorgestrigen Reichstags-Ersatz-Stichwahl wurde der Sozialdemokrat Haberland mit einer Mehrheit von 3389 Stimmen gewählt. Er erhielt 39 283, der Zentrumskandidat Dr. Friedrich 35 827 Stimmen.
Germers heim, 1. Okt. Zwei Personen sind wegen Spionageverdachts verhaftet worden. Sie hatten einem Soldaten 200 Mark versprochen, wenn er ihnen einen Zünder von dem 10-Zentimeter- Geschoß verschaffe. Der Soldat tat, als ob er auf die Sache eingehe, verabredete eine Zusammenkunft mit den beiden und benachrichtigte die Behörde, die sie festnahm.
Hamburg, 2. Okt. Die deutsche Levantelinie teilt mit, daß wegen der in Tripolis eingetretenen politischen Verwicklungen die Güterannahme nach den tripolitanischen Hafenstädten eingestellt ist.
Kiel, 1. Okt. Das Linienschiff „Elsaß" erhielt gestern nachmittag Befehl, sofort auszurüsten, um möglichst schnell seeklar zu sein. Das Schiff sollte abends 10 Uhr den Kieler Hafen verlassen. Der Weg geht durch den Kaiser Wilhelm-Kanal nach der Nordsee. Da das Schiff geheime Ordre hat, die erst auf See geöffnet werden darf, ist der Bestimmungsort nicht bekannt. Es verlautet aber, das Schiff gehe zum Schutz der deutschen Interessen auf dem schnellsten Wege nach Tripolis.
Budapest, 29. Sept. Aus Preßburg wird gemeldet: Die blühend schöne 18jährige Tochter Bianca des dem 5. Korps-Kommando zugeteilten Majors Alfred Scherz warf sich vor den Orient- Expreßzug und wurde sofort getötet. Das Mädchen war seit gestern früh aus der Wohnung ihrer Eltern verschwunden und hat die Tat wahrscheinlich in einem Anfalle von Geistesstörung begangen.
Paris, 1. Okt. Der italienische Botschafter notifizierte gestern dem Ministerium des Aeußeren den Abbruch der Beziehungen der Türkei mit Italien. Das „Journal Officiel" veröffentlicht heute die Erklärung der Neutralität Frankreichs in dem italienisch-türkischen Kriege.
Turin, 1. Okt. Der türkische Pavillon auf der hiesigen Ausstellung ist in Brand gesteckt worden und völlig niedergebrannt. Das türkische Personal reiste in die Heimat ab.
London, 1. Okt. Die englische Regierung hat sämtlichen in türkischen Diensten stehenden
vor dem zornigen Feinde mit stillem Weinen aus der Seele fliehen mußte.
In dieser düsteren, verlassenen Stunde verlor der Mann mit dem gläubigen, weichen, vertrauenden Herzen seinen Glauben an die Menschheit.
->- *
*
XVI.
Am Nachmittag desselben Tages erlebte der Schriftsteller Gaston Caree eine große Ueber- raschung. Das war, als ihm die Visitenkarte Strakeaus überreicht wurde.
Erstaunt sprang Caree von seinem Sessel auf und trat dem Künstler entgegen.
„Alle Wetter, Ihr Besuch überrascht mich", rief er lachend. „Welcher gute Geist führt Sie in die Werkstatt des Zeitungsmenschen? Vor allen Dingen: wie geht es Ihrer Frau Gemahlin?"
„Ich danke Ihnen sehr für Ihr freundliches Interesse. Mit Hilfe des Arztes ging der Anfall verhältnismäßig schnell vorüber."
„Was sagte Doktor Strong?"
DieAugen Strakeaus wichen dem ernst forschenden Blick des Journalisten aus.
(Fortsetzung folgt.)