Stadt Ay einzudringen, wo sie ihre Zerstörungswut an zwei großen Kellereien ausließen, die Eigentum von Champagnerfabrikanten sind. Nachdem sie eine schauerliche Verwüstung an den Gebäuden angerichtet und den ganzen Wein hatten auslausen lassen, schleuderten sie mit Petroleum gefüllte Bomben gegen die Häuser, wodurch diese in Brand gesetzt wurden. Bald standen die Häuser in Hellen Flammen und stürzten schließlich krachend zusammen. Die Löscharbeiten konnten nicht durchgeführt werden, weil die Feuerwehrmänner angesichts der Erregung sich nicht an das Feuer heranwagten. Dann erhielten die Winzer, die sämtlich mit Sensen, alten Gewehren und allerlei primitiven Waffen ausgerüstet waren, neuen Zwachs. Sie vereinigten sich zu einem Zug und durchzogen, revolutionäre Lieder singend, unter Vorantragung roter Fahnen die Straßen, um nach Epernay zu marschieren. Bei der Stadt angekommen, gebrauchten sie die Taktik, sich in kleinen Gruppen unauffällig einzuschleichen, um sich im innern auf ein gegebenes Signal an bestimmten Plätzen wieder zu sammeln. Sie fielen dann über zwei große Champagnerhäuser her. Kavallerie erschien und zog sofort blank. Eine Anzahl von Winzern wurde bei dem Straßenkampf verwundet, fünf wurden festgenommen. Die Bewohner von Ay verlassen in panikartiger Flucht die Stadt. Militär hält den Bahnhof besetzt. In Ay herrscht völlige Anarchie.
Paris, 13. April. Eine bemerkenswerte aviatische Leistung hat ein englischer Flieger vollbracht, indem er ohne Zwischenlandung von London nach Paris flog. Der englische Aviatiker Prier, der gestern nachmittag um 1 Uhr 37 Min. aus einem Blerioteindecker das Aerodrom von Hendom bei London verließ, um den Flug nach Paris zu unternehmen, ist um 5 Uhr 45 Min. nach einer sehr glatten Fahrt in der Hauptstadt angekommen und auf dem Manöverfeld gelandet, wo man ihm stürmische Ovationen darbrachte. Prier vollführte die prachtvolle Reise in ungefähr 4 Stunden.
— Zur Tatsache, daß 103000 Deutsche in Paris leben, um sich hier ihren Lebensunterhalt zu erwerben, schreibt die „Libre Parole": „103 000 Deutsche sind nach Paris gekommen, um hier auf Kosten der Franzosen Geld zu verdienen. Sie sind als Kaufleute, als Bankbeamte, als Arbeiter oder sonst etwas tätig. Für die unglücklichen Franzosen, die in Marokko oder Tonking im Kampf für Frankreich schwere Wunden erlitten haben oder Krüppel geworden sind, gibt es keine Stellungen in Frankreich, dagegen für Deutsche immer, zumal wenn diese nach Paris kommen, nicht um hier Geld zuzusetzen, sondern um Geld zu erwerben und dies vielleicht späterhin wieder nach Deutschland zurückzutragen. Wir sehen arme Teufel, die den Tag über Steine klopfen müssen. Es gibt zu Tausenden Franzosen, die stellungslos herumlaufen. Sie finden keine Beschäftigung. Aber die über die Grenze gekommenen Deutschen finden immer welche." — Die „Libre Parole" dürfte hierbei wohl doch übersehen, daß die in Paris tätigen Deutschen wegen ihrer wirtschaftlichen Tüchtigkeit dort besonders gesucht und geschätzt sind'
London, 8. April. Das Programm für den Besuch des deutschen Kaiserpaares in Londonist endgültig festgesetzt. Es umfaßt die Tage vom 15.-19. Mai. Am 15 Mai findet ein Mahl im Buckinghampalast statt, am 16. Mai die Enthüllung des Denkmals der Königin Vittoria. Am 17. Mai ist eine Galavorstellung im Drury-Lane-Theater, am 18. Hofball. Wahrscheinlich wird der Kaiserbesuch ein Privater sein. Das Programm für die Denkmal- Enihüllung wird dem Kaiserpaar zur Feststellung überlassen werden und wird keinen familiären Charakter tragen.
Kalisch, 10. April. In der Nähe von Turek ist auf offener Landstraße ein Postwagen überfallen und um 47 000 Rubel beraubt worden. Von den begleitenden Soldaten wurden drei getötet, der Fuhrmann verwundet.
Nur StaSt uns Umgebung
Wildbad, 18. April. Das die letzten Tage herrschende prachtvolle Wetter zog Alt und Jung hinaus in Gottes freie Natur. Am meisten aber zog es wohl die Sportsmenschen, Radler, Autler, Fußtouristen und Fußballer hinaus. So auch in Wildbad. Am Ostersonntag hatte der Fußballverein Wildbad I. Mannschaft den früheren Gaumeister vom Gau Mittelbaden, Fußballverein Pforzheim II, zu Gaste. Das Wettspiel, das viele Zuschauer herbeizog, endete nach Hartem aber fairem Kampfe 13:0 für Pforzheim. Das Retourwettspiel gegen Arnbach, das am Ostermontag stattfand, endete mit 9:0 für Wildbad, Halbzeit 4:0. Das Vorspiel in Arnbach endete seinerzeit mit 8:0 für Wildbad.
Neuen'bürg (Aus der Bezirksratssitzung vom 10. April 1911) In öffentlicher mündlicher Verhandlung wird das Gesuch des Fr. Kiefer in Calmbach um Erlaubnis zum Betrieb der Gastwirtschaft
zum Adler daselbst abgewiesen, da ein Bedürfnis für das Fortbestehen dieser Wirksckaft nicht nachgewiesen werden kann. Die Ortskrankenkasse Zuffenhausen erhält die Erlaubnis zum Betrieb der Gastwirtschaft zur Uhlandshöhe in Wildbad mit Beschränkung auf die Insassen des Gebäudes und deren Besuche.
Enztal, 15. April. Auf unaufgeklärte Weise sind dieser Tage einem hiesigen Einwohner 2900 Mk. abhanden gekommen, die er direkt zuvor eingenommen hatte.
Unterhaltendes
Der Jall Welshofen.
Kriminalroman von M. Kossak.
(Forts.) (Nachdruck verboten)
Sie seufzte tief auf. Im übrigen blieb ihr keine Zeit, um lange ihren eifersüchtigen Gedanken nachzuhängen, da Louisons Nummer inzwischen zu Ende gegangen war und der Inspizient sie auf die Bühne rief.
Der Zufall wollte es, daß Louison an diesem Abend eine Einladung mehrerer Herren angenommen hatte, um mit ihnen und einigen ihrer Kolleginnen in einem bekannten Weinlokal zu soupieren. An solchen Abenden pflegte Felix Olfers seine kleine Braut, die sich fürchtete, in der Dunkelheit allein auf der Straße zu gehen, bis vor die Tür ihrer Wohnung zu begleiten. Heute jedoch zeigte er keine Lust dazu.
„Du darfst mir's nicht übel nehmen. Kleine", sagte er, „aber ich habe eine Verabredung mit einem Agenten, der mir für die Frühjahrsmonate ein überaus vorteilhaftes Engagement vermitteln will. Den darf ich nicht im Stich lassen." Da er Fridas betrübtes Gesichtchen sah, streichelte er sie liebkosend ihre Hand. Es lag aber etwas Zerstreutes in der Liebkosung, auch erschrack Frida darüber, wie fieberheiß seine Finger waren. „Es geht wirklich nicht anders Kind," schloß er. „Aber warte, ich will dir eine Droschke besorgen, in der du nach Hause fahren, kannst."
Er begleitete sie vor das Gebäude, wo zahlreiche Fiaker und Autos standen, aber leider waren sie bestellt, und Felix Olfers fand sich genötigt den, Portier fortzuschicken, um einen Wagen holen zu lassen. Während die beiden jungen Lente seiner Ankunft harrten, sahen sie, wie ein aller Herr, dessen verlebtes Gesicht einen wiederwärtigen Gegensatz zu der gesucht jugendlichen Kleidung bildete, aus dem Portal trat und sich suchend umschaute. Er war auffällig dürr und die hellgrauen Beinkleider schlotterden um seine etwas eingeknickten Knie, es machte den Eindruck, als wären ihm die sämtlichen Kleider heruntergerutscht oder wäre er mit seiner Toilette noch nicht recht fertig geworden, bevor er sich zum Ausgehen angeschickt hat. Doch mochte dieser Effekt wahrscheinlich beabsichtig sein zugunsten des Stils, der zur Zeit unter den alten Wiener Lebemännern Mode war. Auf dem schmalen Kopf trug er keinen Hut, und man konnte daher erkennen, wie sorgfältig die wenigen Haare über seine Glatze gekämmt waren.
„Ekelhafter KerlI" murmelte Felix, während er ihn finsteren Auges beobachtete.
Frida war im Grunde ganz seiner Meinung, aber ihr gures Herz trieb sie denoch, den alten Aristokraten zu verteidigen. „Er ist gewiß schon recht hinfällig und darum sieht er so schlottrig aus," meinte sie.
„Hinfällig?" Felix lachte kurz auf. „Um so schlimmer, wenn so'n — „er stockte, denn aus dem Portal trat eine jugendschöne Gestalt — Anita Brufio — in einem langen weiten Sportspalelot, mit einem kleinen Matrosenhut auf dem schwarzen Lockenhaar. Ihre stahlenden Augen glänzten in der ungewissen Beleuchtung wie Diamanten, und das feine Oval ihres Gesichtes hob sich filhouet- tenartig von dem Hintergründe der Hausmauer ab. Der Alte war auf sie zugekommen, und beide sprachen im Flüsterton zusammen. Dann war er ihr beim Einsteigen behilflich, schloß den Wagenschlag und winkte ihr, was sie ebenso erwiderte, mit der Hand einen Gruß zu, indes das Gefährt sich in Bewegung setzte. Alsdann verschwand der Alle im Portal des Hauses. Als er an Felix und Frieda vorüberstrich, verspürten beide einen intensiven, eigentümlichen Geruch, der von einem Parfüm herrührte. Es war eine Mischung von Patschuli, Juchtenleder und Stallgeruch — Korolopsts nannte man dies von der vornehmen männlichen Lebewelt viel gebrauchte, für die Nase eines nicht daran Gewöhnten nichts weniger als angenehme Atkin- sonsche Parfüm.
Friedas Blick suchte angstvoll den ihres Verlobten, der mit haßerfülltem Ausdruck noch immer auf der Stelle ruhte, wo der Alte verschwunden war, aber es gelang ihr nicht, ihn zu fangen. Augenscheinlich hatte er ihre Gegenwart völlig vergessen. Als Friedas Fiaker endlich vorfuhr, schreckte er wie ein
aus schweren Träumen Erwachender empor.
„Adieu, Kind", sagte er, sie hastig küssend. Dann trieb der Kutscher die Pferde an, und der Wagen fuhr durch die abendlichen Straßen, Friedas an der Hauptstraße im dritten Bezirk liegender Wohnung zu.
„Wie kalt sein Kuß warl" dachte das Mädchen, indes ihr die Tränen in die Augen traten.
Ach, wie sie ihn liebte, den hübschen Deutsch- Italiener, dessen Braut sie sich nannte! Wie sie ihn liebte! Und er —
„Er wird, er muß mich ebenso lieben!" sagte sie sich. „Wenn ich nur erst seine Frau bin, wird er ;ene andere vergessen. Wären der Graf und sie nur erst verheiratet und wir weit fort von ihnen".
2. Kapitel.
Ebenfalls am „Graben", nicht weit von den „Kaiserhallen" entfernt, lag ein großes Haus, über dessen Fassade in großen, weithin sichtbaren Buchstaben die Worte „Wilson-Scool" zu lesen waren. Dort im zweiten Stock befand sich eine Sprachschule, in der Erwachsenen nach einer besonderen Methode Unterricht in so ziemlich allen lebenden Sprachen erteilt wurde. Ausschließlich eingeborene Lehrer desjenigen Landes, dessen Mundart man erlernen wollte, gaben ihn.
Es war um die elfte Vormittagsstunde und in den Räumen des Lokals herrschte ein lebhaftes Getriebe. In dem Büro, in das man durch den großen Vorsaal trat, saßen an einem riesigen Tisch drei Damen, die Gattin des Inspektors, eine noch jugendliche Frau und geborene Französin, welche zwei jungen Mädchen, die als Schreiberinnen engagiert waren, Anweisungen erteilte, indes der Inspektor selbst die Honneurs des Instituts machte und neue Schüleranmeldungen entgegennahm. Rechts vom Büro befand sich ein großer, elegant möblierter Saal, in dem die Schüler und Schülerinnen des Glockenschlages harrten, in dem ihre Lektion beginnen sollte.
Unter ihnen saß eine elegante Dame von etwa zwei- oder dreiunddreißig Jahren, deren Aeußeres die Künstlerin verriet. Sie war mittelgroß, ziemlich voll, aber nicht üppig, vielmehr hatten die Formen etwas Knabenhaftes, was noch durch jene Art der Kleidung erhöht wurde, die man sezessionistisch zu nennen pflegt. Die losen, leicht schleppenden Gewänder, der riesige Federhut auf dem kurz geschnittenen, lockig gebräunten Haar, die fein äb- gestimmten Farben der Toilette und nicht zum mindesten die unbefangene Sicherheit ihres Wesens waren samt und sonders jo überaus karakteristisch für jene Art bildender Künstlerinnen, die man in den Malerkreisen großer Städte in Massen anzutreffen pflegt und die sich bereits Namen und Geld genug erworben haben, um auch nach außen hin mit Geschmack ihren künstlerischen Liebhabereien Ausdruck geben zu können.
Als die Glocke elf schlug, trat der Inspektor in den Saal und bat die Dame, ihm zu folgen. Beide schritten durch das Büro in ein wahres Labyrinth von Gängen und Zimmern oder richtiger Zellen, die mittels bretternen Wänden aus größeren Räumen abgeschlagen waren. In jedem Abteil standen ein Tisch und ein paar Stühle, sonst nichts. An der Wand hing eine große Tafel, vor der ein Stück Kreide lag. In eine dieser Zellen führte der Inspektor die Dame und verließ sie dann ohne ein weiteres Wort.
Die Dame aber fand sich einem jungen Herrn vom südlichen Typus gegenüber, ihrem italienischen Lehrer, bei dem sie heute die erste Unterrichtsstunde nehmen sollte. Daß Lehrer und Schülerinnen einander vorgestellt wurden, war in der Wilson- Scool nicht üblich. Dann setzten beide sich an den Tisch einander gegenüber und der Unterricht begann.
Der Lehrer fragte die Dame in italienischer Sprache, ob sie bereits etwas italienisch verstehe, worauf sie ihm ziemlich geläufig erwiderte, daß sie vordem schon in Stuttgart einige Lektionen in seinem heimischen Jdimn erhalten habe, und zwar ebenfalls in einer Wilson-Scool. Darauf unterhielten sich beide über allerhand gleichtgiltige Dinge, da es dem Italiener vor allem darauf ankam, zu erfahren, wie weit seine neue Schülerin seine Sprache beherrschte. Er selbst sprach sehr wenig Deutsch, ja, es war ihm kaum möglich, auch nur die einfachste Sache darin zu sagen. Bald wurde das Gespräch lebhafter, Lehrer und Schülerin fanden offenbar Gefallen aneinander und namentlich die Dame fühlte sich von dem hübschen, eleganten jungen Mann mit dem südlichen blaßbräunlichen, schmalen Gesicht stark angezogen. Seine anmutigen Bewegungen und sein ganzes Aeußere gefielen ihrem Malerauge. Im Verlauf nannten sich sich gegenseitig ihre Namen und erzählten einander, woher sie waren und was sie trieben. Sie war eine Frau Hardegg, welche sich in der Voraussicht eines längeren Aufenthaltes in Italien in der Sprache dieses Landes zu vervollkommnen