Beliebtheit verschaffen, wie sie der aus dem Verkehr gezogene Taler gehabt hat.
— Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Dresden, das auch vom Reichsgericht bestätigt wurde, befreit der Tod des Patienten den Arzt von seiner Schweigepflicht nicht. Auch die Angehörigen und Erben können ihn nicht davon entbinden.
— Eine deutsch-englische Sensation macht wieder einmal von sich reden. Im Londoner „Daily Telegraph" wird eine Unterredung, welche der anonyme Einsender, vermutlich ein englischer Diplomat, jüngst mit dem deutschen Kaiser gehabt haben will, veröffentlicht. Nach dieser Darstellung betonte der Kaiser in der Unterredung ganz besonders energisch seine aufrichtige Freundschaft für England und bezeichnet^ es als eine förmliche persönliche Beleidigung für ihn, daß in weiten Kreisen des englischen Volkes trotzdem noch immer an seinen freund- schaftlichrn Gesinnungen gezweifelt werde. Jur weiteren Verlaufe der Unterredung berührte der Kaiser den Burenkrieg und erklärte, Rußland und Frankreich hätten damals Deutschland aufgefordert, mit ihnen gegen England zur Rettung der Burenrepubliken einzuschreiten, was aber Deutschland abgelehnt habe. In künftigen Tagen werden die Engländer einmal lesen, was er damals der Königin von England mitteilte, welche Antworten er denjenigen Mächten zukommen ließ, die den Untergang Englands herbeizuführen suchten. Er habe dem Engländer mitgeteilt, dies habe sich im Dezember 1899 zugetragen, zur Zeit der englischen Niederlagen in Südafrika. Aus Freundschaft für England habe er (der Kaiser) einen Feldzngsplan für die englische Armee in Südafrika ausgearbeitet und nach London eingeschickt. Sein Plan sei jetzt in den Archiven des Schlosses Windsor zu finden. Es sei kein Zufall gewesen, daß der Feldzugsplan, den Lord Roberts später entwickelte, fast identisch mit den Vorschlägen des deutschen Kaisers gewesen sei. Der Kaiser erging sich alsdann über verschiedene Fragen, welche in Deutschland und England Mißstimmungen hervorgerufen hätten, u. a. die Mission des deutschen Konsuls Dr. Vassels in Marokko usw. und erklärte schließlich, Deutschland müsse sich auf die Ereignisse vorbereiten, deren Schauplatz der äußerste Orient werden könnte; aus diesem Grunde bedürfe Deutschland einer starken Flotte.
— Die Tägl. Rundschau schreibt zu dem Artikel des Daily Telegraph u. a. „Selten wohl ist eine Kundgebung des deutschen Kaisers mit gemischteren Empfindungen, mit mehr Besorgnis und Betrübnis im deutschen Volk ausgenommen worden", und schreibt dann weiter: „Der erste Eindruck dieser tatsächlich sehr offenherzigen, aber auch sehr folgenschweren kaiserlichen Auslassung ist ein „Laßt fahren dahin alle Hoffnungen auf endliche Stetigkeit und Ruhe unserer Politik, auf eine Einheitlichkeit des Kurses, für den der verantwortl. Staatsmann vor der Welt und vor dem deutschen Volk allein einzuftehen hat." Die kaiserlichen Worte zeigen, daß Kaiser Wilhelm II noch heute sich Erfolg verspricht von der Politik der persönlichen Werbung, des Ringens um Vertrauen für seine Person und seine Friedensabsichten, von jener Politik, die nur Ziele sieht, die Wege zu diesen Zielen aber überspringt, die für alle Welt sorgen will nnd, wenn sie Unruhe stiftet und Mißtrauen erntet, über Verkennung klagt, die sie durch erneute laute Betonung ihrer guten Absichten zu überwinden hofft. Bisher hat uns diese „Lohengrinpolitik" nicht vorwärts gebracht, unsere Feinde zusammengeschmiedet und unsere Freunde verringert, unser Prestige gedrückt nnd den Glauben an die Ernsthaftigkeit, Sachlichkeit und Zuverlässigkeit unserer Politik gemindert. Deshalb erscholl der Ruf: Zurück zur Bismarkschen Politik der Sachlichkeit, des geräuschlosen, aber willensstarken Rechnens und Handelns auf dem Boden der Tatsachen, bei der die geheiligte Person des Kaisers zurücktrat und sich ohne „ministerielle Bekleidungsstücke" der Oeffentlichkeit nicht zeigte. Vor allem aber wurde ganz allgemein, von allen Parteien und allen Politikern dringend verlangt, daß die deutsche Politik sich der rednerischen Vielgeschäftigkeit entschlagen, daß sie sich klare Ziele stecken und in Gelassenheit, im
Bewußtsein der Kraft ihres Volkes die Dinge an sich herankommen lassen soll. Dieser Weg ist trotz aller Bülowschen Reden auch heute noch nicht der der deutschen Politik. Wir reden und werben weiter, werben um die Liebe Englands durch Worte, wie wir um die Rußlands, Frankreichs, Italiens, Amerikas, der ganzen Welt geworben haben, um am Probetag, in Alge- ciras, erfahren zu müssen, daß da wo wir Liebe gesäet, Feindschaft und Mißtrauen emporwachsen und daß wir allein dastehen in der Welt, gedeckt nur durch unsere militärische Stärke." — Weiter heißt es: „Was schadet uns die kaiserliche Auslassung? Wir glauben, daß sie das Vertrauen auf unsere Zuverlässigkeit abermals herabmindert und die Führung unserer auswärtigen Politik so sehr erschwert, daß wir den verantwortlichen Staatsmann nicht beneiden, der sie decken muß! In den Burenkämpfen waren das deutsche Volk und die deutsche Regierung verschiedener Meinung, trieben sie doppelte Buchführung in der Politik. Aber war es nötig, daß der Zwiespalt zwischen Volk und dem Kaiser so scharf herausge- stellt wurde?" Zum Schluß heißt es: „Wir betrachten diese neueste Londoner Indiskretion als einen schweren Schlag für unsere deutsche Politik, der um so härter trifft, als er zu einer Zeit erfolgt, da unserer Balkanpolitik ein Erfolg zu blühen schien und wir verlorenes Terrain wieder zu gewinnen schienen. Wir sind der Ansicht, daß derartige Indiskretionen in Zukunft unmöglich gemacht werden müssen und daß der Reichstag sofort nach seinem Zusammentritt darauf dringen muß, daß die Einheitlichkeit deutscher Politik in Zukunst besser gewahrt werde, wie bisher. Die Zeiten sind für unser Vaterland zu ernst, als daß wir uns weitere Fehler gestatten könnten. Jeder Deutsche, vom verantwortlichen Reichskanzler angefangen, hat die Pflicht, Einspruch zu erheben gegen eine doppelläufige Politik, die uns in unabsehbare Wirrnisse stürzeu kann."
Berlin, 31. Okt. Die Nordd. Allgem. Ztg. schreibt: Ein großer Teil der ausländischen und inländischen Presse richtete wegen des im Daily Telegraph veröffentlichten Artikels kritische Betrachtungen gegen die Person des Kaisers, wobei von der Annahme ausgegangen wurde, der Kaiser hätte diese Publikation ohne Vorschriften der für die Politik des Reiches verantwortlichen Stelle veranlaßt. Diese Annahme ist unbegründet. Der Kaiser hatte von einem englischen Privatmanne mit der Bitte, die Veröffentlichung zu genehmigen, das Manuskript eines Artikels erhalten, in dem eine Reihe von Gesprächen Sr. Majestät mit verschiedenen englischen Persönlichkeiten und zu verschiedenen Zeiten zusammengefaßt war. Jener Bitte lag der Wunsch zu Grunde, die Aeußerungen Sr. Majestät einem möglichst großen Kreise englischer Leser bekannt zu geben und damit den guten Beziehungen zwischen England und Deutschland zu dienen. Der Kaiser ließ den Entwurf des Artikels an den Reichskanzler gelangen, der das Manuskript dem Auswärtigen Amt mit der Weisung überwies, es einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen. Nachdem in dem Bericht des Auswärtigen Amtes Bedenken nicht erhoben waren, ist die Veröffentlichung erfolgt. Als der Reichskanzler durch die Publikation im „Daily Telegraph" von dem Inhalt des Artikels Kenntnis erhielt, erklärte er dem Kaiser, er habe den Entwurf des Artikels nicht selbst gelesen, andernfalls würde er Bedenken erhoben und der Veröffentlichung widerraten haben. Er betrachte sich aber als für den Vorgang allein verantwortlich und decke die ihm unterstellten Ressorts u. Beamten. Gleichzeitig unterbreitete der Reichskanzler dem Kaiser sein Abschiedsgesuch. Der Kaiser hat diesem Gesuch keine Folge gegeben, jedoch auf Antrag des Reichskanzlers genehmigt, daß dieser durch Veröffentlichung des oben dargestellten Sachverhalts in die Lage versetzt werde, jden ungerechten Angriffen auf Seine Majestät den Kaiser den Boden zu entziehen.
— Die „Augsb. Abendztg." schreibt: „Ist die Kundgebung der „Nordd. Allg. Ztg.", deren verspätetes Erscheinen die Schwierigkeit ihres Zustandekommens bezeugt, für wörtlich wahr zu halten, dann liegt die Sache noch schlimmer als vorher. Daß der Kaiser in seiner tem
peramentvollen Art Dinge sagt, die besser ungesagt blieben, das ist ja nichts Neues mehr, das haben wir schon oft zu beklagen gehabt, und wenn der neueste Fall allgemeinen und stürmischen Widerspruch hervorrief, so war es nicht die Neuheit, sondern die Schwere des Falles, welche dies bewirkte. Was soll man aber dazu sagen, wenn der Reichskanzler, der doch . seinen Kaiser kennen muß und kennt, ein Aktenstück, das Aeußerungen des Kaisers über auswärtige Politik enthält und zur Veröffentlichung bestimmt ist, nicht selbst prüft, sondern es dem Auswärtigen Amt überweist? I Und was soll inan sagen, wenn die — sagen wir geradezu — Staatsgefährlichkeit eines Aktenstückes, die jedem Laien m die Augen springt, über die seit vier Tagen ganz Deutschland die Hände über dem Kopf zusammenschlägt und alle Feinde des Reiches in tollem Jubel sich ergehe», von der höchsten, mit der Bearbeitung der auswärtigen Politik des Reiches betrauten Stelle nicht erkannt, nicht gewürdigt und das Unerhörte nicht abgewendet wird?! Wäre das wahr, dann wäre ja das Uebel noch schlimmer, als zuvor; wir hätten nicht nur ein Reichsoberhaupt, das, — in aller schuldigen Ehrerbietung sei es gesagt — sich über die Tragweite seiner Worte allzu häufig nicht genügend Rechenschaft ablegt, sondern wir sähen auch die Leitung unserer auswärtigen Politik in den Händen von Männern, die ihre Unfähigkeit, dieses hohen Amtes zu walten, in der klarsten Weise erwiesen hätten. So leitet man keinen Spezereikram, geschweige denn die Geschäfte eines großen Reiches, das Weltpolitik treiben will, und wenn die Sache sich so verhielte, würden wir sagen: es ist höchste Gefahr und es muß das Mögliche und Zulässige geschehen, um gründlichen Wandel zu schaffen."
— Die Unterredung des Kaisers mit einem en'glisckien Diplomaten steht gegenwärtig im Vordergrund aller Preßerörterungen. Besonders die englischen Zeitungen besprechen die Angelegenheit ausführlich und verhehlen nicht, daß der Eindruck des Gesprächs anhaltend sei. Wenn man jedoch erwartet aus dieser augenblicklichen Stimmung eine erhebliche Umwandlung folgern zu sollen, so dürfte das keinesfalls zutreffen. Die wirtschaftlichen Gegensätze zwischen Deutschland und England sind so groß und werden durch den scharfen Wettbewerb Deutschlands so stark genährt, daß man in ein dauerndes Freundschaftsverhältnis begründeten Zweifel setzen darf. Das geht schon aus einer Erörterung des „Standart" hervor. Der „Standart" lobt, wie alle englischen Blätter die Aeußerungen des Kaisers. Er bemerkt jedoch recht vielsagend: „Die wahre Schwierigkeit des Problems bleibt unberührt, nämlich dasrascheAnwachsenderdeutschen Flotte." Das ist's, was den Engländern Grimm u. Grämen bereitet, was. sie immer und immer wieder zu heftigen Ausfällen gegen Deutschland veranlassen wird. Das Gespräch des Kaisers und die daran anknüpfenden Erörterungen haben also nur augenblicklichen Wert.
Berlin, 28. Okt. Die Finanzvorlage sieht die Aufhebung der Fahrkarten-Steuer und die Ermäßigung des Ortsportos, letzteres indes nur auf 3, nicht wie früher auf 2 Pfennig vor.
Berlin, 2. Nov. Die Nordd. Allg. Ztg. schreibt: Der Staatssekretär v. Schön ist am Samstag während einer Vereinigung der internationalen Konferenz über das Urheberrecht von einem Unwohlsein befallen worden, das ihn einige Wochen den Amtsgefchästen fernhalten wird. Bis zu seiner Genesung ist der kaiserliche Gesandte in Bukarest, Wirkt. Geh.-Rat v. Kiderlen-Wächter, mit der Leitung des Auswärtigen Amts betraut worden.
Hamburg, 30. Okt. Einem Diamanthändler aus Kopenhagen wurden im Hotel Hamburger Hof Juwelen im Werte von ft- Millionen Mark gestohlen.
Trier, 27. Okt. Die Unterschlagungen des Notars Windscheid in Saarlouis, der in Boppard nach seiner Verhaftung Selbstmord begangen hat, beziffern sich auf 300 000 Mk.
Paris, 29. Okt. Durch Montenegro ermutigt, faßt Serbien eine gewaltsame Lösung der schwebenden Fragen ins Auge, falls die Konferenz den Erwartungen nicht entsprechen sollte. In offiziellen Kreisen scheint man die