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Nr. 88- >
SamStag, dm 27. Juli 1907.
43. Jahrgang.
Rundschau.
— Die Wahl des prakt. Arzts Or. Th. Hiller in Wildbad zum Distriktsarzt für die Parzellen der Stadtgemeinde Wildbad mit Ausnahme von Hochwiese, Windhof und Ziegelhütte, sowie für die Gemeinde Enzklösterle, ist bestätigt worden.
Stuttgart, 24. Juli. Die Erste Kammer hat einstimmig beschlossen, die Regierung zu ersuchen, im Bundesrate für die Prägung von Fünfmarkstücken in handlicherer Form einzulreten. Finanzminister Dr. v. Zeyer erklärte, die Angelegenheit sei in Fluß. Württemberg selbst habe ein Modell angefertigt, das kleiner und etwas dicker als das bisherige Fünfmarkstück sei. — Wie das Stuttgarter „Neue Tagblatt" erfährt, wird in diesen Tagen die Entscheidung über den Platz des Hoftheaterneubaues fallen. Es gilt als sicher, daß das neue Hoflheater als Doppelbau im seitherigen Botanischen Garten errichtet wird, und zwar das Opernhaus parallel mit der Schloßgartenstraße, wobei dann die seitherige königliche Adjutantur beseitigt würde. Den Verhandlungen, die jetzt der Entscheidung nahe sind, liegt ein Projekt von Oberbaurat v. Reinhardt zu Grunde.
Stuttgart, 24. Juli. Dem Vater der unter dem Namen S tein del-Quartett bekannten musikalischen Wunderkinder wurde wegen Mißhandlung die Erziehung der Kinder behördlich entzogen und das Strasverfahren gegen ihn eingeleitet.
Enzberg, 26. Juli. Ein schreckliches Unglück widerfuhr dem verheirateten etwa 40 Jahre alten Bierführer Wilhelm Dobier aus Dürrmenz. Der Mann war schon gegen 20 Jahre bei der Bierbrauerei Gebrüder Leo in Dürrmenz-Mühlacker als Bierführer bedienstet, und war heute nacht gegen 2 Uhr mit seinem Fuhrwerk auf der Heimfahrt von Wildbad begriffen. Zwischen hier und Niefern stürzte er vom Wagen und wurde überfahren. Der Tod muß auf der Stelle eingetreten sein, da ein Rad dem Unglücklichen über den Kopf gegangen war. Die Le'che wurde von einem Enzberger Radfahrer auf der Straße liegend aufgesunden. Ein Kollege des Verunglückten war, ohne eine Ahnung von dem Unglück zu haben, ruhig mit seinem Fuhrwerk vorausgefahren und wurde erst durch den ihn einholenden Radfahrer auf das Schicksal des Verunglückten aufmerksam gemacht. Eilboten überbrachten sofort die Nachricht nach Dürrmenz; die Leiche wurde sodann nach Hause geschafft. Dobier hinterläßt e>ne Witwe mit 4 zum Teil noch kleinen Kmdern.
Hochdorf OA. Freudenstadt, 26. Juli. Bei dem gestern niedergegangenen schweren Gewitter schlug der Blitz nachmittags '/s4 Uhr w das Haus des Landwirts Jphs. Pfeifle und iundele. Das Haus brannte vollständig nieder, nur Weniges wurde gerettet. Durch das rasche und energische Eingreifen der hiesigen Feuerwehr konnten die gefährdeten Nachbarhäuser vor dem llebergreifen des Feuers geschützt werden.
Ulm, 25. Juli. Der in der heutigen Sitzung der bürgerl. Kollegien vom städt. ^chulzahnarzt Dr. Klein erstattete Bericht
über seine im ersten Vierteljahr des Bestehens der Schulzahnklinik entfaltete Tätigkeit gibt Aufschluß über die Zahnverhältniffe von 4711 Kindern der Volks- und Mittelschule. Von den 118474 Zähnen dieser Kinder waren 41 870, oder 35,9 "/» krank oder wegen Krank- heit ausgezogen worden. Bei den Milchzähnen betrug der Prozentsatz der schadhaften 51,1°/o, bei den bleibenden Zähnen 23 °/o. Am stärksten ßmitgenommen erwies sich der erste bleibende ^ahlzahr. im Unterkiefer. Schon im ersten Jahr seines Vorhandenseins war er in 27,6°/» der Fälle erkrankt; im 7. Lebensjahr der Kinder betrug der Prozentsatz bereits 55 "/», um bis zum 13. Lebensjahr bis auf 91,8 °/c> zu steigen. Nur bei 1,4 "/» der Kinder war das Gebiß ganz gesund und nur 1,8 "/»hatten Füllungen in erkrankten Zähnen.
Lindau, 24. Juli. Im Schnellzug München- Lindau-Schweiz trieben in den letzten Tagen, wie das „Lind. Tgbl." meldet, internationale Taschendiebe ihr Wese». Zwei Reisenden wurden Brieftaschen mit 400 bezw. 800 Mark Inhalt gestohlen und dem Amerikaner Rockfellow wurde eine Brieftasche mit 20 000 Pfund Sterling in Kreditbriefen, lautend auf den Namen Muron u. Cie.-Paris, entwendet. Die Kreditbriefe sind gesperrt.
Baden 23. Jnli. Durch die Gunst der Witterung steigert sich der tägliche Fremdenzuwachs ganz bedeutend; die Gesamtzahl der Fremdenliste ist heute auf 37 000 gestiegen. — In den letzten Tagen hat eine Wiesbadener Kommission m«t den hiesigen in Betracht kom- menden Behörden wegen Einführung der obligatorischen Kurtaxe in Wiesbaden und Baden-Baden unterhandelt.
Berlin, 25. Juli. Die Nordd. Allg. Ztg. schreibt: In dem vor dem Münchener Schöffengericht verhandelten Petersprozeß hatte der Reichstagabg. Generalleutnant z. D. v. Lie- bert geäußert, die Art der Urteilsverkündigung bei den Disziplinargerichten, von denen Dr. Peters abgeurteilt worden ist, erscheine ihm nicht nur als ein Justizmord, sondern als ein Schandfleck des deutschen Volkes und der Justiz. Wegen dieser Aussage ist aus Veranlassung des Reichskanzlers der Generalleutnant v. Lieben um eine Aeußerung ersucht worden. Sein Antwortschreiben liegt nunmehr vor. Herr v. Liebert erklärt darin, daß er den Vorwurf, der in seiner Aeußerung vor dem Münchener Schöffengerichte gegen die Disziplinargerichte und die beteiligten Richter gefunden werden könne, zurücknehme. Das Schreiben schließt: Ich bedaure lebhaft die von mir im Eifer der Rede gebrauchten sch rfen Worte und versichere, daß mir eine Herabsetzung der erkennenden Gerichte und eine Verletzung der Vmlsehre der beteiligten Richter serngelegen hat. Die Antwort des Generalleutnaus v. Liebert ist sämtlichen noch lebenden Mitgliedern der beiden damaligen erkennenden Gerichte mitgeteilt worden.
Berlin, 23. Juli. Dem Abendblatt zufolge unternahm das deutsche lenkbare Militär- Lustschiff mittags eine Freifahrt, die drei Stunden dauerte. Der Aufstieg erfolgte von der Jungsernheide. Das Schiff fuhr gegen mäßi
gen Westwind nach Spandau, machte dort eine Reihe interessanter Uebungen, Bogen und Schleifen. Den Schluß bildete die vollständige Umkreisung der Nikolaikirche. Zuweilen näherte sich der Ballon, in dessen Gondel sich zwei Personen befanden, so tief der Erde, daß man das Geräusch der Schraubenflügel vernahm, stieg dann wieder in die Lüfte empor, so daß er dem unbewaffneten Auge nicht größer als eine Zigarre erschien.
Berlin, 25. Juli. Das deutsche lenkbare Militärluftschiff ist heute mittag zum drittenmal bei Tegel aufgestiegen und zwar im Beisein einer ungeheuren Menschenmenge. Das Motor- luflschiff beschrieb auch diesmal, tadellos dem Steuer gehorchend, die gewagtesten Drehungen und Wendungen, stieg aus- und abwärts, um nach Erreichung einer Höhe von etwa 1200 Meter nach mehreren glücklichen Einzelmanöoern in etwa "/« Stunden wieder glatt zu landen. Die Versuche werden täglich fortgesetzt werden.
Berlin, 25. Jnli. In Nauen bei Berlin hat sich gestern eine blutige Familientragödie abgespielt. Der Inhaber des Restaurants Schneider schlug seine Frau mit dem Beil nieder, versuchte seine Schwiegermutter zu erwürgen, verübte ein Sittlichkcitsverbrechen an dem Dienstmädchen, raubte 5000 Mark und entfloh. Schneider hat das Etablissement im April gekauft, es ging schlecht, und es kam zu ehelichen Zwistigkeiten. Ta Schneider seine Frau verfolgte, wurde er in eine Privatirrenanstalt verbracht. Am Dienstag wurde er dort als geheilt entlassen. In derselben Nacht begab er sich nach seinem Hause, zertrümmerte die Haustür mit einer Axt, drang in die Schlafstube seiner Schwiegermutter, würgte die alte Frau, raubte 5000 Mk., drang alsdann in das Schlafzimmer seiner Frau, versuchte sie mit der Axt zu erschlagen, sie wehrte sich jedoch mit dem Revolver in der Hand, drang alsdann in das Zimmer des Dienstmädchens, verübte das Verbrechen und entfloh.
Berlin, 25. Juli. Die Nordd. Allg. Ztg. schreibt: Gutem Vernehmen nach hat deo König von England für den 14. August seinen Besuch beim Kaiser auf Schloß Wilhelmshöhe angesagt.
— Der Besuch Kaiser Wilhelms II. und der Kaiserin Angusta Viktoria am britischen Hofe, der in der zweiten Hälfte des November stattfinden soll, wird, wie man aus London meldet, einen durchaus offiziellen und feierlichen Charakter tragen, also nicht nur sozusagen den einer „Familien-Visite." Das deutsche Kaiser- paar wird mehrere Lage lang Gast des Königs Eduard VII. und der Königin Alexandra im Schlosse Windsor sein und sich von dort aus an einem noch unbestimmten Tage nach London begeben, um in der City nach altem ehrwürdigen Brauche vom Lord-Mayor und den übrigen städtischen Würdenträgern begrüßt und empfangen zu werden.
New-Aork, 20. Juli. Die Hitze in den Vereinigten Staaten ist unbeschreiblich. Viele Hitzschläge sind vorgckommm, von denen drei tödlich verliefen. Alle Parks stehen nachts offen. Hunderte von Menschen schlafen im Grase.