Wir Hallen die Kulturgemeinschaft dreier Völker, wie das französische, das englische, das deutsche Volk sie darstellen, für ein hohes kostbares Gut, daß wir eine kriegerische Verwicklung nur auf das tiefste bedauern könnten. Niemand in Deutschland gefährdet den Frieden, höchstens die Sozialdemo­kratie, die nicht müde wird, im Bund mit den offenen und geheimeil Gegnern, die wir da und dort haben, bei jeder Gelegenheit unsere Friedens­liebe, Ehrlichkeit und Neutralität in aller Welt zu verdächtigen. (Zustim­mung.) Wir haben es immer für die Pflicht der Volksvertretung gehalten, die Reichsregierung in allen Maßnahmen zu unterstützen, die darauf ge­richtet sind, die deutschen Interessen, das deutsche Ansehen in der Völker- welt zu wahren, aber auch ernste Zeiten, wenn sie kommen sollten, mit Ehren zu bestehen, in allen Maßregeln, die jedem andern den Konflikt mit uns zu einem immer bedenklicheren Wagnis werden zu lassen. (Beifall.) Darum haben wir die Marokkopolitik Bülows gebilligt und darum stimmen wir auch der Vermehrung unserer Kriegsflotte zu; denn jedes neue Schiff, das wir bauen, ist ein Unterpfand des Friedens und eine Sicherung unserer Kulturarbeit. Wir haben das Vorgehen Bülows in der Marokkofrage für zweckentsprechend gefunden; denn es war auf nichts anderes gerichtet als auf Sicherung unserer Beziehungen und wertvollen Interessen dort, als auf die Hinderung der allmählichen Etablierung einer neuen französischen Provinz in Nordafrika. Hoffen wir, daß die Klärungen der letzten Monate, daß der feste Griff, den Bülow in das heimlich be­reitete Jntriguennetz getan, dem Frieden nützen und die Konferenz, die in diesen Tagen in Algeciras Zusammentritt, zur Sicherung des Friedens und Wahrung deutscher Interessen führen möge! (Beifall.)

Von Südwestafrika kann man nicht reden, ohne des schlichten Heldenmuts, das dort unsere Offiziere und Soldaten in Entbehrungen, in Hunger und Durst fast bis zum Wahnsinn, wie in kriegerischer Tapfer­keit bewiesen haben unv beweisen, dankbar zu gedenken. (Lebh. Zustimmung.) Unsere Offiziere haben bewiesen, daß sie nicht die sybaritischen Schwäch­linge sind, als die eine frivole gewissenlose Presse sie zu verhöhnen nicht müde wird. Nicht bloß Romantik und Strebertum, nein der Wunsch nach Kriegserfahrung, nach Vervollkommnung im Beruf, nach Vorbereitung für ernste Zeiten, der ideale Gedanke, daß das Leben der Güter Höchstes nicht ist, hat unsere Offiziere und Soldaten Hinausgetrieben. Die Beruhigungs-, Friedens- und Aufbauungsarbeit hat unter guten Auspizien begonnen. Der Reichstag hat den Bahnbau Lüderitzbucht-Kubub aufs rascheste be­willigt. Möge das neue Jahr uns ein neues friedliches, neue Hoffnungen erweckendes Südwestafrika schenken! (Beifall.)

Der Reichstag wird demnächst die neue Flottenvorlage zu be­raten haben, welche, wie bekannt, 6 große Panzerkreuzer, jährlich eine neue Torpedodioision, Vermehrung der Unterseeboote, Vergrößerung des Deplazements der Linienschiffe und großen Kreuzer, Vermehrung der Schiffsartillerie verlangt. Die Kosten werden im Lauf der nächsten 12 Jahre von 233 auf 328 Millionen anwachsen. Wenn man bedenkt, daß zur Zeit von deutschem Kapital im Ausland 8 bis 9 Milliarden arbeiten, daß die gesamten Ueberseeinteressen des deutschen Volkes ihrem Wert nach auf 30 Millarden Mark zu beziffern sind, daß wir die zweite Handelsmacht der Welt darstellen, daß die deutsche Handelsflotte in den letzten Jahr­zehnten von 327 auf 810 Millionen Mark gestiegen, daß etwa 6070000 Schiffs- und Hafenarbeiter direkt beschäftigt sind, daß dagegen wohl die Hälfte der deutschen Bevölkerung in ihrer Arbeitsgelegenheit von der un­gehinderten Ein- und Ausfuhr auf dem Seeweg abhängig ist, daß weiter in dem Kriegsschiffsbau auf Werften, Eisenwerken, Geschützgießereien, Berg­werken mindestens 120009 Arbeiter beschäftigt sind, und daß der mit dem Seeverkehr zusammenhängende Arbeitslohn geschätzt wird auf 80100 Millionen Mark im Jahr, so kann niemand sich der Notwendigkeit der Vermehrung der deutschen Kriegsflotte verschließen. Es wird sich fragen, ob wir bezüglich der 13 alten Schiffe der Regierung nicht eine Be­schleunigung der Ersatzbauten nahelegen wollen, eine Frage, die auch von uns im Geist patriotischen Opfermuts behandelt werden wird. Der Ge­danke eines schnelleren Ausbaus der Flotte ist in sehr weiten urteils­fähigen Kreisen lebendig. Ich halte jedenfalls das für gut, daß Tausende und Abertausende sich sagen: in Fragen nationaler Macht und Sicherheit erwarten wir nicht bloß den Segen und die Sorge von oben, sondern wir find bereit, für Wehr und Schutz des Vaterlandes als für unsere ur­eigenste Sache selbst einzustehen. Und auch vom Standpunkt einer libe­ralen Partei wird man es begrüßen, daß ein gesteigertes Verantwortungs­gefühl in diesen Dingen in weiten Kreisen des Volkes zum Ausdruck kommt. (Beifall.)

Daß das Ausland unsere Verhandlungen im Reichstag mit außer­ordentlichem Interesse verfolgen wird, ist selbstverständlich, und es würde einen großen Eindruck machen, wenn der Reichstag mindestens der Vor­lage der Regierung ohne viel Feilschen seine Zustimmung geben würde. Es wäre das geradezu mit einer direkten Stärkung unserer auswärtigen Politik gleichbedeutend. Was die Stellung der einzelnen Parteien anbe­langt, so ist für die Flottenoorlage eine Mehrheit jetzt schon so gut wie gesichert. (Bravo.)

Es wäre aber sehr wünschenswert, wenn sie noch größer würde, wenn namentlich auch die radikale Linke des Reichstags von der Sozial­demokratie sehe ich selbstverständlich ab sich zur Zustimmung entschließen könnte. Es gehört zu den vielen Unbegreiflichkeiten des politischen Lebens, daß gerade diejenigen Parteien, welche den Freihandel auf ihre Fahne ge­schrieben haben, so wenig Verständnis übrig haben für das Hilfsmittel, das gerade dem Freihandel unentbehrlich ist. (Sehr richtig!) Es soll auch immer noch namentlich im Süden Leute geben, die meinen, man be­willige das Heer oder die Flotte für die Regierung und nicht für das Volk, eine Naivität und Krähwinkelei, wie sie bei politisch gereifteren Völkern in keiner Partei möglich ist. Als ob nicht jeder deutsche Mann an der Sicherheit des Landes und seiner Arbeit nicht gerade so interessiert wäre, wie der höchste Vertreter im Bundesrat! Man darf wohl erinnern an das Wort des Mannes, der auch bei uns in Württemberg immer weitere Kreise von Bewunderer gefunden hat, an Friedrich List, der schon vor fünfzig Jahren gesagt hat:Es ist eine kleine Ansicht, eine Ansicht, die bei einer großen Nation ins Lächerliche gehl, wenn man die Kosten einer Marine als Grund anführ!, ihren Seeverkehr schutzlos zu lassen." Und

es war ein gutes Wort des alten Achtundvierzigers Karl Blind, der neulich schreibt: eine starke Flotte sei ein einfachstes Gebot unerbittlicher politischer Notwendigkeit, und wenn auch etwa die Staatsform des heutigen deutschen Reiches eine Republik wäre, so könnte seine Flottenpolitik doch keine andere sein, als die von der Negierung vorgeschlagene. Die letzten Ereignisse haben auch dem Verstocktesten die Erkenntnis eingehämmert, daß wir uns im Ernstfall nur auf unsere eigene Kraft verlassen können. Der Vorwärts" hat kürzlich das Wort tiefsinniger Weisheit geschrieben, zum Schutz unseres Handels brauchen wir keine Flotte. Man darf dem gegen­über erinnern an das Wort eines anderen Sozialdemokraten, Cal wer: Von diesem kleinbürgerlichen Standpunkt aus mochte man Politik treiben in Zeiten, wo Deutschland noch wenig in die Weltwirtschaft verstrickt war, aber heule, wo Deutschland England und den Vereinigten Staaten eben­bürtig zur Seite steht und nicht umhin kann, zu allen Fragen der Welt- politik im Interesse seiner Industrie Stellung zu nehmen, da kann man wohl die Flottenpoliiik sämtlicher moderner Industriestaaten aufs schärfste verurteilen, aber man kann dem eigenen Land nicht zumuten, eine Aus­nahmestellung einzunehmen, die recht verhängnisvoll werden könnte. So wie die realen Verhältnisse heute liegen, hängt das Ansehen eines Staats im Ausland von feiner Schlagfertigkeit zu Wasser und zu Land ab." Es mag für Calwer gut sein, daß er nicht in der Redaktion desVorwärts" sitzt, sonst möchte er wohl das Schickjal seiner sechs Brüder geteilt haben. (Große Heiterkeit.)

Ich will auf die Kolonialpolitik nicht weiter eingehen. Demnächst soll die Kommission zur Prüfung der Frage der Landkonzessionen zusammen­treten, in der sich Sachverständige der Regierung, des Reichstags und der Kolonialinteressenten befinden. Wir begrüßen es mit Genugtuung, daß unter den vom Reichskanzler berufenen Mitgliedern auch unser Landsmann und Parteifreund Oberlandesgerichtsrat I)r. v. Rupp sich befindet, und hegen die Zuversicht, daß er in der Beratung dieser wichtigen und schwierigen Fragen kolonialpolitisches und sozialpolitisches Verständnis zu vereinigen weiß. (Zustimmung.) Die Erkenntnis, daß mir die Kolonien, die wir haben, wirtschaftlich erschließen müssen durch Eisenbahnen und andere Ver­kehrswege und daß das zunächst Opfer kostet, hat auch in den Kreisen der Linken Schule zu machen begonnen.

Die schwierigste Frage, die den Reichstag in den nächsten Wochen und Monaten beschäftigen wird, ist die Reichsfinanzreform. Die erste Lesung im Plenum ist ja gestern endlich beschlossen worden und die Kom­mission wird sofort in Tätigkeit treten. Die Bereitstellung der für den finanziellen Bedarf des Reichs erforderlichen Mittel hat sich in den letzten Jahren immer schwieriger gestaltet. Einzelnen Bundesstaaten konnte die sofortige Leistung der Fehlbeträge im Reichshaushalt in Gestalt von Matrikularbeitrügen nicht zugemutet werden, weil dies zu einer Zerrüttung der eigenen Finanzen und damit der finanziellen Selbständigkeit geführt haben würde. So ist man zu den sogenannten Zuschußanlehen und zur Stundung der Matrikularbeiträge gekommen zwei beinahe verzweifelten Auskunftsmitteln, die nur als zeitweiliger Notbehelf entschuldigt werden konnten. Schon seit Jahren ist der Ruf nach Reichsfinanzreform er­schollen, der in der Hauptsache immer auf das Suchen neuer Steuerquellen hinausläuft; denn alles andere ist schließlich eine mehr oder minder zweck­mäßige Art der Hin- und Herschiebung von Geldern zwischen den Taschen des Reichs und denen der Einzelstaaten, womit aber bekanntlich wirklich neue Einnahmen für den einen Teil so wenig wie für den andern heraus­kommen. Die ständige Unterbilanz im Reichshaushalt muß beseitigt, eine organische Tilgung der Reichsanleiheschuld muß eingeführt, das Verhältnis von Reich und Einzelstaaten muß neu geordnet, der Reichsinvalidenfonds muß erheblich gestärkt, das Militärpenstonswesen geregelt, die Sätze der Naturalverpflegung und des Quartierservises müssen erhöht, die stets wachsenden sozialpolitischen Aufgaben des Reichs erfüllt, die Wehrkraft des Vaterlands zu Land und zu Wasser auf der Höhe gehalten werden lauter Sachen und Pflichten auf finanzwirtschaftlichem, volkswirtschaft­lichem, sozialpolitischem, militärischem Gebiet, die zum ersten Geld, zum andern Geld, zum dritten Geld kosten. Um nur einige der Hauplziffern herauszuheben, so sind zur Beseitigung der Unterbilanz im Reichshaushalt 80 bis 90 Millionen, zur Tilgung der Reichsschuld 21, für den Jnvaliden- fonds 11, für die Flotte 76^ Millionen erforderlich. Kurz, es ergiebt sich ein Bedarf an neuen Reichseinnahmen im Zeitpunkt der Höchstbelastung von rund 250 Millionen Mark. Die Regierung rechnet auf eine Mehr­einnahme aus dem Zolltarif von 25 Millionen; denn von den zu erwarten­den 70 bis 80 Millionen jährlichen Mehrertrags an Zöllen sind ^ für die Witwen- und Waisenversorgung bereits festgelegt. Auch wenn man indessen jene 25 Millionen sich erheblich vermehrt denkt, bleiben immer noch 200 Millionen auf dem Weg neuer Steuern zu decken. Die Regierung hat ein ganzes Bukett neuer Steuern vorgelegt, bei dem der Duft der Zigarette so wenig vergessen ist als der des Automobils. iGroße Heiter­keit.) Im einzelnen ist in Aussicht genommen: 1) Brausteuer mit 67 Mil­lionen, 2) Tabaksteuer mit 28 Millionen, 3) Zigarettensteuer mit 15 Mil­lionen, 4) Stempelabgaben mit 72 Millionen, nämlich a) Frachturkunden­stempel mit 41 Millionen, b) Personenfahrkarten mit 12 Millionen, o) Automobilabgaben mit 3 Millionen, ci) Quittungsstempel mit 16 Mil­lionen. 5) Erbschaftssteuer mit 72 bezw., da 24 Millionen davon den Einzelstaaten verbleiben sollen, für das Reich 48 Millionen. Es würde heute zu weit führen, auf die Einzelheiten einzugehen. 'Nur über die Stellung unserer Freunde bemerke ich: Die Erhöhung der Brausteuer berührt uns im Süden nicht unmittelbar, betrifft vielmehr nur die nord­deutsche Brausteuergemeinschaft. Unser einheimisches Bier würde durch den Vorschlag der Regierung nicht belastet. Es ist aber nicht leicht zu nehmen, daß in demselben Maß wie die norddeutsche Brausteuer sich die von den süddeutschen Staaten an das Reich zu zahlenden Ausgleichungs­beiträge erhöhen. Die Staffelung der Steuer nach dem Umfang der Be­triebe sowie das Verbot der Malzersatzstoffe beides nach süddeutschem Muster haben allgemeinen Anklang gefunden; aber ob sonst aus der Brausteuer die erhofften Beträge herauskommen, ob sie überhaupt eine Mehrheit zu finden vermag, glaube ich bezweifeln zu sollen. Wir konnten uns überhaupt damit nicht einverstanden erklären, daß 70°/ auf den Massenverbrauch und nur 30°/, auf direkte Einnahmen durch Belastung