weitern Ausbau unseres Steuersystems die Wege geebnet sind. Daß zu der Einkommensteuer eine Vermögenssteuer als Ergänzung hinzutreten muß, und die mangelhaften Ertragssteuern einen Ersatz hiefür nicht bieten, darüber ist wohl kein Zweifel. Ich erlaube mir in dieser Beziehung nur auf einen Punkt hinzuweisen. Unsere jetzige Grund- und Gebäudesteuer als Rein­ertragssteuer vermag den unverdienten Wertszuwachs nicht zu erfassen, das kann bloß durch eine Besteuerung nach dem gemeinen Wert geschehen und die jetzige Gewerbesteuer setzt sich zusammen aus einer Betriebskapital­ertragssteuer und einer Steuer auf den persönlichen Arbeitsverdienst. Dieser letztere wird aber von der Einkommensteuer voll getroffen. Uni das Mißliche seiner Doppelbesteuerung zu vermeiden, ist man zu dem System der Abzüge geschritten. Dieses schablonenhafte System kann aber auf längere Dauer nicht aufrecht erhalten werden.

Der Hauptgegenstand, mit dem sich der am 11. Januar zusammen­getretene Landtag zu beschäftigen hat, ist die Verfassungsrevision.

Der Regierungsentwurf ist schon längere Zeit veröffentlicht und über die Kommissionsverhandlungen hat die Presse das wesentliche berichtet, ich darf daher beides als bekannt voraussetzen. In der Hauptsache handelt es sich darum

1. die Zweite Kammer in eine reine Wahlkammer umzuwandeln und die Privilegierten der Geburt und des Amts aus ihr zu entfernen und teilweise in die Erste Kammer zu versetzen;

2. der Ersten Kammer eine andere Zusammensetzung zu geben durch Beimischung bürgerlicher Elemente und Aufnahme von aus der Zweiten Kammer ausscheidenden Privilegierten;

3. Aufhebung des Stimmübertragungsrechts der Standesherren.

Der Regierungsentwurf sah für die Erste Kammer einen Mitglieder­

bestand von 47 vor, nämlich

Prinzen des Kgl. Hauses.4

Standesherrliche Mitglieder .19

Lebenslängliche Mitglieder.6

Vertreter des ritterschaftlichen Adels.6

der Kirchen (4 evang., 2 kath.) ... 6

der Hochschulen.2

von Handel, Gewerbe und Landwirtschaft 4

Die Kommission tat zu den sechs ritterschaftlichen Vertretern noch einen hinzu und bewilligte außerdem dem Handwerk noch einen Vertreter.

Der Entwurf will, daß die Vertreter des Handels- und Gewerbe­standes und der Landwirtschaft vom König auf die Dauer einer Wahl­periode ernannt werden. Die Kommission beschloß, sie von den organi­sierten Berufskörperschaften wählen zu lassen.

Dieser bedeutenden Verstärkung der Ersten Kammer gegenüber sah der Entwurf eine an Zahl gegen bisher schwächere Zweite Kammer vor, indem er von einem Ersatz der ausscheidenden Privilegierten Umgang nahm, und sie nur aus je 1 Abgeordneten der 63 Oberamtsbezirke, 6 Abge­ordneten der Stadt Stuttgart und je 1 Abgeordneten der sechs weiteren sogen, guten Städte, zusammen 75 (gegen jetzt 93) bestehen lassen wollte. Die Kommission ist mit gutem Grunde auf eine solche Schwächung der Zweiten Kammer nicht eingegangen und schlägt vor, in dieselbe noch 17 Abgeordnete durch Listen- und Verhältniswahl im ganzen Lande wählen zu lassen.

Die Regierung wollte sodann aus einem nicht recht ersichtlichen Grunde die Stichwahlen abschaffen und wenn bei der ersten Wahl sich eine absolute Mehrheit nicht ergibt, bei einer vorzunehmenden zweiten Wahl die verhältnismäßige Stimmenmehrheit entscheidend sein lassen. Wir glaubten dem nicht zustimmen zu können und die Mitglieder unserer Fraktion in der Kommission sind für Beibehaltung der Stichwahlen eingetreten, die denn auch von der Kommission beschlossen ist.

Wegen der für die Stadt Stuttgart und der 17 vom ganzen Land zu wählenden Abgeordneten beabsichtigten Einführung der Verhältniswahl sowie der Wahlen zur Ersten Kammer ist sodann eine Abänderung des Landtagswahlgesetzes nötig. Im großen und ganzen erhält man den Ein­druck, daß die vorgeschlagene Revision sich in recht bescheidenen Grenzen hält. Sie behält nicht nur die Erste Kammer bei, sondern verstärkt die­selbe noch und nur die Volkswünsche bezüglich der Zusammensetzung der Zweiten Kammer werden erfüllt.

Fragt man nun nach den Aussichten über das Zustandekommen dieser Reform, so wird in der Zweiten Kammer auf die Zustimmung sämtlicher bürgerlicher Abgeordneten mit Ausnahme des Zentrums zu rechnen sein. Das Zentrum, welches nach Gröber kein Frogekasten ist, wird ja mit seinen bekannten Forderungen noch Herausrücken, Forderungen, welche namentlich die Schule für die Kirche reklamieren, denen ein moderner Staat niemals zustimmen kann. Es muß also auf die Mitwirkung des Zentrums ver­zichtet werde». Zur Erlangung der notwendigen ^ Mehrheit ist daher die Zustimmung wenigstens eines Teils der Ritter erforderlich. Werden diese zu gewinnen sein und wie werden sich die Standesherren verhalten? Das ist die Frage. Man spricht davon, daß der Versuch gemacht werden soll, das Budgetrecht für die Erste Kammer zu erlangen. Was aber die Erste Kammer in dieser Richtung beanspruchen kann, ist ihr im Art. 19 des Einkommensteuergesetzes gewährt worden. Ich halte eine weitergehende Forderung jetzt, wo die Erste Kammer durch ihre Verstärkung ohnehin eine einflußreichere Stellung erlangen wird, für durchaus unberechtigt. Daß ein gewählter Volksabgeordneter einer Privilegiertenkammer das Budgetrecht preisgibt, halte ich für absolut unmöglich. Soll nun der Zustand in Württemberg, daß neben einer reinen Privilegiertenkammer auch die Zweite Kammer zu einem Viertel mit Privilegierten besetzt ist, für alle Seiten bestehen bleiben? Darin läge doch ein großes, ungerechtfertigtes Miß­trauen gegen das steuerzahlende Volk. (Sehr richtig.)

Meine Herren! Ich will nicht daran glauben, daß die vom württ. Volke dringend begehrte Verfaffungsrevision nochmals am Widerüand des Adels scheitert. Wer mit dem Volke draußen in Berührung steht, der weiß, daß in einzelnen noch ein Stück von jenem 48er Geist lebt, der sich gegen die Vorrechte der Geburt wendet. Es wäre für unser Land kein Glück, wenn die Ablehnung der Versaffungsrevinon gewissen Agitatoren Gelegenheit geben würde, jenen Funken zur helllodernven Flamme anzu­

fachen. Wir müßten es aufrichtig bedauern, wenn durch allzustarres Fest­halten an überlieferten Privilegien die Volksleidenschaften erregt, ja ge­radezu herausgesordert würden. Was die Stellung der Kammerfraktion zu dieser Frage betrifft, so werden wir Schulter an Schulter mit der Volkspartei kämpfen für die Erreichung desjenigen, was zwischen der Kommissionsmehrheit unter Mitarbeit und Zustimmung unserer Kom­missionsmitglieder mit der Regierung vereinbart ist. Bleibt auch für uns mancher Wunsch unerfüllt, man muß sich eben bescheiden mit dem Erreichbaren.

Der Erledigung vor Ablauf unseres Mandats harrt noch die Gerichtskostenordnung, ein Gesetzentwurf über die Bahneinheiten, ein (noch nicht eingebrachter aber noch zu erwartender) Entwurf über die Neuordnung des gewerblichen Fortbildungsschulwesens.

Auf letzterem Gebiet sind wir etwas zurückgeblieben und es erleidet keinen Aufschub, das Versäumte nachzuholen. Unsere Stellung zur Frage wird sein: Ganzjähriger Unterricht während der Dauer von drei Jahren, Tagesunterricht, erteilt von eigens hiezu vorgebildeten Gewerbelehrern.

Unerledigt müssen wohl in dieser Legislaturperiode bleiben die längst angekündigte

Bau-, Weg- und Flußbauordnung, das Brandversicherungsgesetz.

Unerfüllt bleiben auch viele Wünsche in Beziehung auf den weitern Ausbau unsererer Nebenbahnen. Dieselben sind unter dem Druck der ungünstigen Finanzlage etwas kurz weggekommen. Wenn auch die noch zu bauenden Nebenbahnen keine allzugroße Aussicht auf gute Rentabilität bieten, so ist doch darüber kein Zweifel, daß die Gegenden, welche vom Bahnnetz weit abtiegen, wirtschaftlich ins Hintertreffen kommen. Die Billig­keit erfordert es, daß auch sie soweit möglich berücksichtigt werden, wie denn überhaupt der Bau von Nebenbahnen nicht bloß vom Gesichtspunkt der Rentabilität, sondern vielmehr nach allgemein volkswirtschaftlichen Gründen zu beurteilen ist. Was bedeuten zudem die paar Millionen für den Bau von Nebenbahnen im Vergleich zu den vielen Millionen, die der Stuttgarter Bahnhofumbau verschlingt und die auch nicht zur Erhöhung unserer Eisenbahnrente beitragen. Aufgabe von Regierung und Volks­vertretung wird es fein müssen, dem Nebenbahnbau eine erhöhte Auf­merksamkeit zu schenken. (Zustimmung.)

Meine Herren! Ich will ihre Geduld nicht länger in Anspruch nehmen. Werfen wir einen kurzen Blick auf das, was der Landtag in den letzten fünf Jahren geleistet hat, so ist von den großen Fragen nur die Steuerreform unter Dach gebracht; gelingt es, die in Angriff genommene Verwaltungs- und Verfassungsreform in befriedigender Weise noch zum Abschluß zu bringen, so mären die drei großen Reformwerke, die vor fünf Jahren auf dm Wahlprogrammen die Hauptrolle spielten, erledigt und ich dächte, die Kammer könnte sich mit ihren Arbeiten sehen lassen. Unsere Fraktion ist zwar klein an Zahl, aber in sich einig und geschlossen; wir haben uns bemüht, stets redlich mitzuarbeiten, getreu dem Parteiprogramm, immer den Blick auf das Ganze gerichtet, dabei die Interessen der einzelnen Erwerbsstände nicht außer Auge lastend. Wir lasten uns in dieser letzter» Richtung von keiner andern Partei übertreffen, speziell was die Fürsorge für die Landwirtschaft betrifft, auch vom Bauernbund nicht. (Bravo.) Wir haben das durch unsere Tätigkeit im Landtag und unsere Parteifreunde im Reichs­tag haben das insbesondere auch bei Beratung des Zolltarifs bewiesen.

Meine Herren! Es ist schon soviel vom Zusammengehen der liberalen Parteien die Rede gewesen. Es ist wahr, wir haben viele Berührungs­punkte mit der Volkspartei, wir sind vielfach zusammengegangen und unsere Wege werden uns noch öfter zusammenführen. Aber das kann uns selbst­verständlich nicht in den Sinn kommen, die Selbständigkeit unserer Partei aufzugeben. Wir sind eine liberale Partei, aber wir sind auch national durch und durch. Wir können bei manchen Fragen mit den linksliberalen Parteien zusammengehen, aber den Weg, den die Stuttgarter Volkspartei bei der letzten Gemeinderatswahl eingeschlagen hat, gehen wir nicht mit. Eine Partei, die sich im Fall eines Kriegs erst überlegen will, ob sie das Vaterland verteidigen will, mag sich zum Bundesgenossen wählen wer will, für uns, die wir eine nationale Partei sind, ist die Sozialdemokratie keine Bundesgenossenschaft. (Lebhafter Beifall.)

Unsere Losung wird auch künftig sein: selbständig, immer geradeaus, hie gut Württemberg allweg, Deutschland über alles. (Langanhaltender Beifall.)

Lieber: Ueber Fragen der ReichspolrLik.

Unser Volk hat seit langem kein so bewegtes politisches Jahr mehr erlebt wie das letzte. Und wenn vor zehn, fünfzehn Jahren die Jugend zumal über politische Langeweile klagte, so wird heute solche Klage nirgends mehr laut werden. Die Geschichte der auswärtigen Politik dieses Sommers wird ja noch nicht so bald geschrieben werden wie es denn immer Jahrzehnte braucht, bis alle ihre Gänge, Motive und Entwicke­lungen klar vor den Augen liegen und es empfiehlt sich nirgends so sehr wie hier maßvolle, zurückhaltende Vorsicht im Urteil. Aber soviel ist sicher, daß nur nahe die Kriegsgefahr an uns, an Europa vorüber­gezogen, daß, wenn auch das Gewitter vorüber ist, doch etwas wie Ge­witterstimmung immer noch zurückgeblieben. (Sehr richtig!) Im Osten Asiens pocht die gelbe Raffe in ihrem stegesstolzen Gefühl an die Pforte, die zur Gleichberechtigung mit den alten Kulturvölkern der weißen Raffe führen soll. Rußlands Weltstellung ist erschüttert; was aus dem Chaos seiner inneren Wirren sich ans Licht ringen wird, ist schwer zu sagen. Frankreich ist durch die Schwerkraft der Ereignisse, die über Rußland hereinbrachen, von selbst an Englands Seite gedrängt worden. In Eng­land haben Stimmungen des Neides, die das Wachstum unseres Handels, die Ausdehnung unserer wirtschaftlichen Beziehung über altererbte eng­lische Handelsgebiete erzeugt, da und dort bis zu nationalem Haß und zur Gefahr kriegerischer Entladung geführt. Und wenn uns der Friede erhalten geblieben, so danken wir das in allererster Linie der Furcht vor unser eigenen Kraft (Beifall.) Von Deutschland, seinem Kaiser und seinem Volk, seiner Leitung der auswärtigen Politik und seiner Volks­vertretung, weiß die Welt, daß wir niemanden bedrohen. Wir brauchen den Frieden der Arbeit und wollen ihn von niemand uns rauben lassen.