der stärkeren Schultern gelegt werden sollen, und man wird in weiten Kreisen den Eindruck bekommen haben, daß die Haltung der nationalliberalen Fraktion eine sozialpolitisch verständige und entgegenkommende gewesen ist. (Sehr richtig.)
Bei der Tabaksteuer werden wir für die Steuer auf Zigaretten stimmen, ebenso für Erhöhung des Zolls auf Importen, im übrigen haben wir schwere Bedenken mit Rücksicht auf die Interessen der heimischen Tabakindnstrie.
Die Verkehrssteuern halten wir für nicht zeitgemäß. Speziell die Stempelsteuern auf Frachtbriefe, Postpakelte, Quittungen würden zu einer Erschwerung des Verkehrs führen, zu vieler Quälerei im einzelnen und zur Steigerung der Unzufriedenheit in den mittleren Schichten unseres Volkes. (Sehr richtig.) Wir werden diese Steuern ablehnen. (Beifall.)
Ich persönlich bin für den Gedanken eingenommen, die Reineinnahmen der Eisenbahnen heranzuziehen, aber die Schwierigkeiten sind sehr groß. Wenn sie überwunden werden können, so soll es mich freuen. Daß der preußische Finanzminister und wohl auch der preußische Landtag anderer Ansicht ist, ist natürlich. Aber man sollte dort bedenken, daß Preußen seine großen Eisenbahnüberschüsse nicht bloß der Gunst seiner geographischen Lage und seiner Terrainverhältnisse sowie der Ueberlegen- heit des Großbetriebs, sondern auch der Angliederung an das Reich verdankt. Es ist ja auch wieder eine Weinsteuer empfohlen worden, von konservativer Seite durch den Grafen Kanitz, von linksliberaler durch den Abgeordneten v. Gerlach. Für uns im Süden wird es sich ganz von selbst verstehen, daß wir einer Reichsweinsteuer unter keinen Umständen unsere Zustimmung geben können, insofern davon immer unser einheimischer Weinbau betroffen werden könnte, ja wenn man die Weintrinker allein besteuern könnte und zwar progressiv (Heiterkeit), nach Qualität und Quantität progressiv, dann wäre es was anderes, aber es ist zu befürchten, daß hier die steuertechnischen Schwierigkeiten unüberwindlich sind. Die Weinsteuer wird nicht ernsthaft vertreten werden können.
Luxussteuern sind ja populär, aber sie tragen den schweren Stand an sich, außerordentlich kleine Beträge abzuwerfen.
Mit der Schaffung einer Reichserbschaftssteuer betritt das Reich grundsätzlich einen neuen Weg, indem zum erstenmal eine direkte Steuer in den Reichshaushalt eingeführt wird. Wir werden trotzdem unsere Zustimmung geben und versuchen, diese Steuer weiterhin so auszubauen, daß die Beträge, welche durch teilweise Ablehnung anderer Steuern ausfallen, auf diesem Weg wieder ersetzt werden können. Es ist Pflicht, der Reichsfinanznot diesesmal gründlich abzuhelfen (Zustimmung), und auf einem anderen Weg geht das gar nicht, als einmal auch auf dem Weg direkter Reichssteuern. Es wird nicht zu umgehen sein, daß auch die wohlhabenden Kreise dieser Steuer gegenüber das Maß der Opferwilligkeit an den Tag legen, das sie schon zu beweisen Gelegenheit gehabt haben. Ein sehr großer Teil unserer Fraktion hält ferner die Wehrsteuer für eine Steuer, welche sie aus Gründen der Gerechtigkeit empfiehlt (Zustimmung). Ich habe diese Steuer immer verfochten, und würde es begrüßen, wenn sie durch Initiative der Reichstagskommission noch in die Steuervorlagen hineingearbeitet würde.
Was die Sozialpolitik anbelangt, so werden wir Gesetzesentwürfe zu erwarten haben betreffend die Rechtsfähigkeit der Berussvereine und betreffend die gesetzliche Vertretung der Arbeiterschaft in Arbeits- oder Arbeiterkammern, zwei Gedanken, die ich wiederholt vertreten habe und die im Grundsatz unsere lebhafte Zustimmung finden werden. In dem, was man Mittelstandspolitik nennt, werden wir uns nach wie vor bemühen, auch die Interessen des mittleren und kleineren Gewerbs- und Kaufmannsstandes wie des bäuerlichen Mittelstandes aufs nachdrücklichste zu vertreten. Wir werden zustimmen, daß der Meistertitel im Handwerk eine größere gesetzliche Bedeutung und volleren Inhalt bekommt. Wir haben einen Antrag eingereicht, der das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb in einer Reihe von Beziehungen verbessern und ausbauen soll. (Beifall.) Wir stehen in Wahrung der wirklichen Interessen der mittleren Erwerbsstände, die vielfach hart um ihre Existenz und ihr Fortkommen ringen müssen, hinter keiner anderen Partei zurück. Nur Unkenntnis oder böswillige Tendenz kann das bestreiten. Eine Reihe von Initiativanträgen aus unserer Mitte ist aus der Ueberzeugung hervorgegangen, daß die Erhaltung und Gesundheit des Mittelstandes eine unentbehrliche Voraussetzung der Gesundheit unserer wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse überhaupt ist.
Die wichtigsten Fragen der Handelspolitik sind ja glücklicherweise auf eine Reihe von Jahren erledigt. Mit dem 1. März treten die neuen Handelsverträge in Kraft. Es bleibt noch übrig das Handelsverhältnis zu Nordamerika, das Regierung und Reichstag manch harte Nuß zu knacken geben wird. Wenn man rückblickend die heftigen Kämpfe der letzten Jahre überschaut, dann muß es sonderbar berühren, wie schnell die Anschauungen gewechselt haben. Es sind noch nicht 60 Jahre her, da hat es in Deutschland für ausgemacht gegolten, daß jeder Liberale ein Schutzzöllner und jeder Freihändler ein Reaktionär sein müsse. Noch in den 70er Jahren sind die konservativen Großgrundbesitzer des preußischen Ostens bekanntlich Freihändler gewesen. Es wird wenige Völker geben, welche diese trockenen Geschäftsfragen, wieviel Zoll eine Ware zu vertragen vermöge oder verlange, mit einer Wut behandeln, als ob nur Landesverräter oder ganz verworfene Menschen anderer Meinung fein könnten. Wir dürfen froh sein, daß diese Kämpfe in einem Sinn entschieden worden sind, der einem gerechten Ausgleich der vorhandenen Interessengegensätze entsprach. Wir haben durch unsere Haltung in diesen Fragen nicht allzuviel Dank geerntet, weil wir uns niemals auf einen reinen Jnleressenstandpunkt zu stellen vermochten, sondern immer als höchstes Ziel im Auge behielten einen Ausgleich der Interessen. Der Gedanke muß immer wieder ausgesprochen werden, weil es immer noch Hunderte und Tausende gibt, denen er noch
nicht eingeht. (Beifall.) Es ist einfacher und in der Agitation selbstverständlich erfolgreicher und dankbarer, in wirtschafts- und handelspolitischen Fragen ein Interesse ausschließlich zu vertreten; ob es darum richtiger, ob es auf die Dauer zugkräftiger ist, das ist eine andere Frage.
Auf Parteiverhültnisse und -Gegensätze will ich heute nicht näher eingehen. Daß wir zum Zentrum in einem unüberbrückbaren Gegensatz stehen, brauche ich nicht weiter auszuführen. Da der Toleranzantrag in seiner jetzigen Fassung 14 M enthält, so ist für den Bedarf der Kuhhandelspolitik auf viele Jahre hinein reichlicher Vorrat vorhanden. (Heiterkeit.)
Es ist tief beklagenswert, daß der größte Teil der Jndustriearbeiter- schaft in Deutschland der Fahne der Sozialdemokratie folgt. Trotzdem es eine in der gesamten Kulturwelt, eine in der gesamten volkswirtschaftlichen und politischen Wissenschaft anerkannte Tatsache ist, daß das Deutsche Reich in seiner sozialen Gesetzgebung führend und vorbildlich vorangegangen ist für die übrige Welt, daß nirgends durch Zwang des Staatsgesetzes der Kreis der Unternehmer und Arbeitgeber zu Lasten zugunsten der Lohnarbeiter in dem Maß und Umfang wie in Deutschland herangezogen wird, trotzdem auch unsere unteren Klassen an dem wirtschaftlichen Aufschwung unseres Volkes ihren Anteil haben — trotzdem treiben die sozialdemokratischen Agitatoren und ihre Presse eine jede Freude am Vaterland geflissentlich ertötende, jede ideale Staatsgesinnung vernichtende Verhetzung und zwar mit Erfolg. In allen Fragen der auswärtigen Politik ist die deutsche Sozialdemokratie die rückständigste Arbeitervertretung der Welt (sehr richtig!) und raubt den Arbeitern jede Empfindung dafür, daß an der Erhaltung der deutschen Macht, des deutschen Ansehens der Jndustriearbeiterstand mindestens dasselbe Interesse hat wie jeder andere Stand. Sie durchkreuzt in den schwierigsten Situationen die Absichten unserer nur auf die Erhaltung des Friedens und des deutschen Ansehens gerichteten auswärtigen Politik und stärkt durch ihre bramarbasierenden Drohungen geradezu die Hoffnungen des Auslands auf Schwächung unserer Kraft. Man fühlt mit allen Völkern und Stämmen, die irgendwo in Asien und Afrika als Boxer und Herero zu den „Proletariern aller Länder" zu gehören scheinen — nur nicht mit dem eigenen Volk. Man hat auch für die wüsten Greuel der russischen Revolution immer noch eine liebevoll verständnisinnige Entschuldigung — aber für die deutschen Offiziere und Soldaten in China und Afrika dünkt einem kein Hohn und Schimpf zu roh. Vielleicht erinnern sich die deutschen Arbeiter auch einmal wieder an die unscheinbare Tatsache, daß es Deutsche sind, die dort drunten in Afrika ermordet wurden, Deutsche, die heute dort kämpfen, Deutsche, die das Opfer des lettischen Bundschuhs geworden sind. (Lebhafte Zustimmung.) Indem die Sozialdemokratie immer frivoler mit dem Feuer spielt, nimmt sie eine Verantwortung auf sich, die sie nicht tragen kann. (Zustimmung.)
Ich zitiere aus einigen der angesehensten Gewerkschaftsblätter, wenn ich von der verfahrenen, haltlosen, in sich zusammenstürzenden Politik der „sozialrevolutionären Ultras", von der „Legende der Revolutionsromantik", „von der wahnsinnig fanatischen Scharfmacherei der tonangebenden Hetzerrede, und erst jüngstens schreibt der Korrespondent der Buchdruckergewerkschaft: „Was früher als anarchistischer Blödsinn bezeichnet wurde, das wird heute als wirksamste Waffe der deutschen Arbeiterschaft betrachtet." „Bei vielen großen Streiks standen die Niederlagen in den letzten Jahren für jeden denkenden Gewerkschafter von vornherein fest, aber niemand durfte wagen, die Arbeiterschaft von den einzelnen Kämpfen zurückzuhalten; er wäre gesteinigt worden." Es wird der Regierung, es wird den bürgerlichen Parteien immer schwerer gemacht, dem allem gegenüber ein ruhiges, den sozialen Frieden förderndes Verhältnis zu gewinnen. Wir wissen sehr wohl, daß nicht jede vorlaute Rede eines sozialdemokratischen Agitators Thron und Staat bedroht, und daß, wenn es von revolutionären Hetzreden zu revolutionären Handlungen kommen sollte, derer, die darin sich verstrickten, eine vernichtende Niederlage wartete, daß die tobenden und auch schmutzigen Wellen, die eine bewegte Zeit wirft, sich an den starken Dämmen unserer festgefügten Staatsordnung brechen. Aber das kann nicht alleinige Grundlage und Ziel unserer Arbeit und Hoffnung sein. Graf Posadowsky hat in dem einen nicht unrecht gehabt, daß ein neuer Idealismus, eine neue Opferwilligkeit unserem Volke und gerade auch dem Bürgertum nottue. Es gilt den Kräften der Zersetzung ein wachsames nationales Gemeinsamkeitsbewußtsein entgegenzustellen, dem törichten Gerede von der einen reaktionären Masse das einheitliche staatserhaltende, aber auch Staatssinn hegende Bürgertum. Es gilt allen Revolutionsphrasen gegenüber den Gedanken auf den Leuchter zu stellen, daß die Erhaltung der staatlichen Ordnung für jedes politisch gereifte Volk der erste aller Staatszwecke und das oberste aller politischen Güter ist. Das ist nicht bürgerliche oder liberale Ideologie, wie uns Klassendemagogen vorwerfen möchten, das ist ein Eckstein deutscher politischer Arbeit, wie ihn unsere ersten philosophischen und politischen Männer in Gedanken, Wort und Tat in den letzten Generationen unverrückbar gesetzt haben, lBravo!)
Unsere Partei hat im Reichstag mitgearbeitet getreu ihrem Programm. Wir wollen nicht unfehlbar sein, wir sind für Belehrungen und Tadel durchaus empfänglich, können aber für uns in Anspruch nehmen, daß wir nach bestem Gewissen auf nationalem Boden einer liberalen und idealen Staatsauffassung unsere Pflicht getan haben und noch tun. Bismarck hat einmal gesagt: „Es vergeht oft eine lange Zeit, oft viele Jahre, bevor man in der Politik sich überzeugt, ob das Gewollte oder Geschehene das Richtige war oder nicht", ein Wort, das uns zur Bescheidenheit, aber auch manchmal zur Selbstberuhigung dienen mag. Wir hoffen und wünschen, daß unsere Partei auf dieser Grundlage alle ihre politische Arbeit auch ferner tun, und daß solche Arbeit ihr stets neue Kräfte zu freudiger und begeisterter Mitarbeit zusühren möge!
(Langanhaltender rauschender Beifall.)
2-rack und Verlag der Hoffmannschen Buchdruckerei in Stuttgart.