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Reden des Landtagsabgeordneten Ztadtschultheitz Nöder-Mnzetrau und der Reichs- und Landtags-

abgeordneten Pros. Dr. hieb er,

gehalten auf der Landesversammlung der Deutschen Acrrtei am Januar f906.

Rööer: Aeber die Arbeiten und Aufgaben des Landtags.

Meine Herren! Der Landtag trat am 4. November 1904 zusammen.

Die Thronrede, mit welcher er eröffnet wurde, bezeichnte als Auf­gaben des neuen Landtags

die Beratung der Entwürfe einer Gemeinde- und Vezirksordnung, des Hauptfinanzetats für die Jahre 1905 und 1906, einer Volksschulnovelle, die hauptsächlich die Verbesserung des Ein­kommens der Volksschulleher enthielt, die Verwilligung von Mitteln zur Erbauung eines neuen Hoftheaters und zu Zwecken der Eisenbahnverwaltung, hauptsächlich zum Bahn­hofumbau in Stuttgart,

einiger kleinerer Vorlagen und unter den zu lösenden Aufgaben in vorderster Reihe stehend der Verfassungsfrage.

Wenn ich diese Reihenfolge einhaltend mich zunächst der Gemeinde- und Bezirksordnung zuwenüe, so darf ich als bekannt voraussetzen, daß den Anstoß zu der ganzen Verwaltungsreform gegeben hat und auch den Kern derselben bildet

die Frage der Abschaffung der Lebenslänglichkeit des Ortsvorsteheramts.

Ueber die Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit dieser Maßnahme habe ich mich nicht weiter zu verbreiten. Die Frage ist längst entschieden, in­dem alle Parteien die Abschaffung der Lebenslänglichkeit in ihr Programm ausgenommen haben. Sie wurde in der Zweiten Kammer auch mit 78 gegen 4 Stimmen angenommen. Umstritten war nur noch die Frage der Rückwirkung auf die im Amt befindlichen Ortsvorsteher. Hier gingen die Meinungen auseinander; auch zwei Mitglieder unserer Fraktion hatten sich ihren Wählern gegenüber für Rückwirkung jedoch gegen volle Entschädigung festgelegt. Die Mehrheit unserer Fraktion hielt jedoch in Uebereinstimmung mit der Haltung der Fraktion im früheren Landtag und dem Partei­programm daran fest, daß die Rückwirkung eine Unbilligkeit märe auch bei Gewährung einer vollen Entschädigung, diese letztere aber die Gemeinden zudem sehr schwer belastet hätte. Sie wurde auch abgelehnt.

Die Wahlperiode für den Ortsvorsteher ist nun auf zehn Jahre fest­gesetzt. Um zu ermöglichen, daß den größeren Gemeinden, welche berufs­mäßig vorgebildete Ortsvorsteher anzustellen pflegen, sich auch bei der periodischen Wahl tüchtige Kräfte zur Verfügung stellen, wurde, damit der Ortsvorsteher im Fall der Nichtwiederwahl nicht in eine Not gerät, diesem ein Ruhegehalt ausgesetzt. Die betreffende Bestimmung geht dahin, daß einem nach zehnjähriger Dienstzeit nicht wiedergewählten Ortsvorsteher, sofern er der Pensionskasse für Körperschaftsbeamte oder einer städtischen Pensionskasse angehört, ein zweijähriger Ruhegehalt, wozu die Gemeinde 30°/o beizutragen hat, und einem nach LOjähriger Dienstzeit als Orts- vorsteher oder nach 30jähriger Gesamtdienstzeit als pensionsberechtigter Gemeinde- oder Korporationsbeamter, nicht wiedergewählten Ortsvorsteher ein lebenslänglicher Ruhegehalt zu gewähren ist.

In ähnlicher Weise wurden auch die Anstellungs- und Pen­sionsverhältnisse der städtischen Berufs- und der Kor­porationsbeamten geregelt: Wenn mit Ablauf von je zehn Dienst­jahren ihnen der Dienst nicht sechs Monate vorher gekündigt wird, so ver­längert sich die Dienstzeit von selbst auf weitere zehn Jahre. Die Ruhe­gehaltsansprüche im Fall der Nichtwiederanstellung wurden jedoch mit Rück­sicht darauf, daß diese Beamten meist in jüngeren Jahren angestellt werden und nicht dem allgemeinen Wahlrecht unterliegen, bei befriedigenden Lei­stungen wohl immer wieder angestellt werden, um zehn Jahre weiter hinaus­geschoben. Der auf lebenslängliche Anstellung gehende Wunsch der Ge­meindebeamten konnte nicht berücksichtigt werden in einem Gesetz, das die Abschaffung der Lebenslänglichkeit des ersten Gemeindebeamten zum aus­gesprochenen Zweck hat.

Was die Staatsaufsicht über die Gemeindeverwaltung betrifft, so wurde eine weitere Einschränkung der Genehmigungsfälle beschlossen, sie mußte jedoch an dem Punkt Halt machen, wo das Interesse der gegen­wärtigen und der künftigen Generation und eine geordnete Finanzwirtschaft der Gemeinden in Frage kommen (Schuldenaufnahmen, Vermögensver­äußerungen und Verteilungen). Auch die Rechnungsrevision und Abhör soll im Sinn einer weiteren Allsdehnung der Selbstverwaltung der Ge­meinden neu geregelt werden.

Ein Hauptmotiv für die Erlassung einer neuen Gemeindeordnung war sodann die Schaffung einer den Bedürfnissen der großen Städte mehr entsprechenden Organisation der Gemeindebehörden und der Gemeinde­vertretung und eine Vereinfachung des Apparats der auf dem Zwei- kollegialspstem beruhenden Verwaltung der kleineren Gemeinden. Die Regierung war hiezu durch wiederholte Kammerbeschlüsse durch eine Eingabe der Kollegien von Stuttgart aus dem Jahr 1891 und durch die Programme fast aller Parteien aufgefordert. Der Entwurf sah denn auch für die kleineren Gemeinden nur 1 Kollegium den ver­stärkten Gemeinderat mit Verwaltungsausschüssen und für die Städte mit über 10000 Einwohner ein kleineres Verwaltungs­organ den Stadtrat und eine größere Gemeindever­tretung das Stadtverordnetenkollegium, welches der Ver­waltung Ziel und Richtung geben sollte, vor.

Bei näherem Eingehen auf die Regierungsvorschläge zeigte sich jedoch bald, daß der Bürgerausschuß, der landauf landab in Städten und Dörfern aus zum Teil recht unansehnlichen Minoritätswahlen hervorgeht, mehr Freunde als Gegner hat und er soll also bleiben.

Was aber die sogen. Magistratsverfassung betrifft, so stellte sich heraus, daß sie für die mittleren Städte weder Bedürfnis ist, noch von diesen gewünscht wird. Haben diese ja bis jetzt noch nicht einmal von dem Recht der Anstellung besoldeter Gemeinderäte Gebrauch gemacht. Ueberraschen mußte aber der Widerstand der Großstadt Stuttgart, welchen diese der Magistratsverfassung entgegenbrachte, nachdem sie diese früher selbst gewünscht hatte. (Sehr richtig.)

Ob der Regierungsvorschlag gerade das richtige getroffen hatte, mag dahingestellt bleiben, er wäre ja wohl verbesserungssähig gewesen; ob aber eine Stadt mit (Z Million Einwohner und mit zahlreichen Außengemeinden, die alle eine Vertretung im Gemeinderat beanspruchen, auf die Dauer mit einem so vielköpfigen Verwaltungskollegium wird auskommen können, das muß die Zukunft lehren. Einstweilen ist der Wunsch der Stadt Stuttgart erfüllt und sie wird auch in Zukunft zwei Kollegien mit der gleichen Zahl Gemeinderat und Bürgerausschuß haben. Wir glaubten uns an das Parteiprogramm gebunden und traten für die Magistratsverfassung ein, blieben aber in der Minderheit. Nur eines ist aus der Magistrats­verfassung in den Entwurf, der nun der Ersten Kammer vorliegt, herüber­gerettet worden, das ist die Verhältniswahl für die mittleren und großen Städte. Wenn man die Vorgänge bei der letzten Gemeinderatswahl in Stuttgart in Betracht zieht, wo es einer Minoritätspartei gelungen ist, die Herrschaft auf dem Rathaus an sich zu reißen und die viel stärkeren verbündeteu rechtsstehenden Parteien vollständig auszuschließen, so wird man dringend wünschen müssen, daß die Gemeindeordnung und damit die Proporzwahl bald Gesetz wird.

Die mit der Gemeindeordnung im engsten Zusammenhang stehende Bezirksordnung soll einen neuen Selbstverwaltungskörper den Bezirks- rat' zur Milentscheidung bei Gegenständen der staatlichen Bezirks­verwaltung, namentlich auf dem Gebiet der Bau- und Gewerbepolizei, aber auch der Staatsaufsicht über die Gemeindeverwaltung, in den Or­ganismus der Verwaltung einführen. Da die Entscheidungen des Bezirks­rats in vielen Fällen keine endgültigen sind, sondern eine weitere Instanz zulassen, so lag der Gedanke nahe, auch in der Kreisinstanz das Laien­element beizuziehen. Die Regierung erklärte aber, im jetzigen Augenblick nicht zugleich eine Kreisordnung vorlegen zu können; die Erlassung einer solchen wird aber nicht lange auf sich warten lassen dürfen, soll anders- die Selbstverwaltung nicht in einer rein staatlichen Behörde der Kreis­regierung ihr Ende haben.

Das Wort zur Gemeinde- und Bezirksordnung hat nun die Erste Kammer. Wie man hört, hat deren Kommission abweichende Beschlüsse beantragt. Wir wollen hoffen, daß dieselben nicht von so tiefgehender Be­deutung sind, daß sie eine Verständigung ausschließen, damit endlich auf diesem lang umstrittenen Gebiet ein Fortschritt erzielt wird. (Beifall.)

Ich wende mich nun mit einigen Worten den Verhandlungen über den Staatshaushalt für die Jahre 1905.und 1906 zu. Aeußerlich bieten dieselben das wenig erfreuliche Bild, daß Per Etat von der Regierung etwas spät eingebracht, von der Zweiten Kammer wegen den auf der Tages­ordnung stehenden Verhandlungen über die Gemeinde- und Bezirksordnung verspätet in Angriff genommen, durch das immerwährende Einbringen von Nachtragsetats am Abschluß verzögert, erst in der Schlußsitzung am 24. Juli 1905 verabschiedet werden konnte.

Inhaltlich hob sich derselbe von seinem Vorgänger vorteilhaft ab, indem das Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben hergestellt war. Nicht übersehen darf dabei werden, daß früher die Bauten und staatlichen Zuschüsse zu Nebenbahnen aus Restmitteln bestritten, während sie diesmal auf Schulden genommen wurden. Hinsichtlich der Schulden haben wirs ziemlich weit gebracht, sie haben die hübsche Summe von 550 Millionen Mark nahezu erreicht mit einem Zinsenbedarf von fast 19 s/., Millionen Mark. Drohend steht hinter diesen Ziffern der Stuttgarter Bahnhof. Sobald einmal die Meinungen hierüber geklärt sind, ist ihnen ein rasches Wachstum gesichert. (Heiterkeit.)

In den Etat waren diesmal die Mittel zur Aufbesserung der Ge­halte der Geistlichen und Volksschullehrer eingestellt. Der Mehr­aufwand für die Gehaltsaufbesserung der Lehrer war im Regierungsentwurf für den Staat zu 673000 Mark berechnet; die Kammer legte noch 125000 Mark hinzu. Trotzdem war die Kammer in der Lehrerpresse zum Teil scharfen Angriffen ausgesetzt, weil sie nicht noch höher gegangen war, was sie gewiß gerne getan hätte, wenn ihr die Mittel zur Verfügung gestanden wären. Einen großen Einfluß auf unfern Etat haben die Einnahmen aus unfern Eisenbahnen und die Matrikularbeiträge. Was die erstem betrifft, so wird hierüber nachher ein anderer Redner sich aussprechen. Bezüglich der Matrikularbeiträge, die unfern Etat stark belasten, ist dringend zu wünschen, daß die Reichsfinanzreform zustande kommt.

Zum erstenmal ist im Etat die neue Einkommensteuer mit einem mutmaßlichen Ertrag von 14,8 Millionen Mark eingestellt, wogegen die Ertragssteuern auf 2°/, ermäßigt wurden. Es ist erfreulich, daß das tatsächliche Ergebnis der Einschätzung diese Summe nicht nur erreicht, sondern sogar übertroffen haben soll, umso erfreulicher, als dadurch dem