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oder gar Verhinderung der Zufuhr schon in wenigen Tagen heillose Zustände her­beiführen müßte.

Eine Studentenversammlung in der Petersburger Universität, der auch einige Professoren beiwohnten, nahm eine Resolution an, worin ausgesprochen wird: Ter abgelebte Absolutismus sieht einem unvermeidlichen Untergange entgegen und steht dem auferwachten Volke machtlos gegenüber. Der Absolutismus ersinnt die gewagtesten Mittel, um den Untergang aufzuhalten, und unternahm verbrecherische Abenteuer in Ostasien. Der zielbewußten Intelligenz der russischen Studenten schloß sich im Kampfe um die elementarsten Men­schenrechte endlich das Proletariat an, dem Zarismus heftige Schläge versetzend. Das solidarische Auftreten des Proletariats in den Januartagen stellt die baldigste poli­tische Befreiung Rußlands sicher. Folgende Forderungen wurden ausgestellt: 1) Einbe­rufung einer gesetzgebenden Versammlung auf der Grundlage der allgemeinen, gleichen und geheimen Wahl der Staatsbürger und Bürgerinnen; Redefreiheit, Preßfreiheit, Dereinsfreiheit und Streikfreiheit; 2) Am­nestie für wegen politischer und religiöser Ueberzeugung Verfolgte; 3) die politischen Rechte sind unabhängig von der Nation«, lität. Als Garantie gegen Uebergriffe der Regierung bei Durchführung der Forde- rungen ist die Volksmiliz zu schaffen. Die Studenten stellen die Studien bis zum 13. September ein. Die Resolution wurde mit 3000 gegen 50 Stimmen angenommen. Bor Schluß der Versammlung wurde das große Kaiserbild des Saales zerrissen und eine rote Fahne entfaltet.

Baku, 21. Febr. Seit Sonntag wur­den in verschiedenen Stadtteilen Armenier von bewaffneten Muhamedanern überfallen. Die Ueberfälle nahmen gestern einen be- drohlichen Umfang an. Man spricht von vielen Toten und Verwundeten. Die Be­völkerung ist in höchster Angst, jede Tätig­keit ist eingestellt, die Banken sind heute geschloffen.

Petersburg. 22. Febr. Die Un­ruhen in Baku dauern fort. Die gegen- seilige Erbitterung steigert sich bis zum äußersten. Die Leute auf der Straße fal­len übereinander her. Viele werden ge­rötet oder verwundet. In einzelnen Stadt­teilen wird geplündert. In einem Stadt­teil stehen die Häuser in Flammen. Die Lage der friedfertigen Einwohner ist schrecklich. Es herrscht allgemeine Panik. Auch in Balachama (in der Nähe von Baku) sind Unruhen ausgebrochen. Die in Baku stehenden Truppen sind offensichtlich unzu- reichend, um die Ordnung aufrechtzuerhalten.

Baku, 22. Febr. Die blutigen Zusam­menstöße in der Stadt dauern an. Die Straße ist voll von Leichen.

Baku, 22. Febr. Zw.schen Armeniern und Persiern ist heute nachmittag eine. Aussöhnung erfolgt. In der Stadt herrscht Ruhe. Die Ordnung wird überall aufrecht erhalten.

London, 22. Febr. Reuters Korre­spondent meldet aus Petersburg: Ungcach- tet offizieller Ableugnung erhalte ich aus einer sich hoher Gönnerschaft erfreuenden Quelle die Information, daß die Frager des Friedens von Kaiser Nikolaus jetzt nicht allein formell erörtert, sondern daß man sich über die Bedingungen, auf Grund deren Rußland zum Frieden bereit sei, schließlich wie folgt geeinigt habe: Korea soll unter japanischer Sonzeränität gestellt werden. Port Arthur und die Liautung-

Jnsel an Japan abgetreten und Wladiwostok nach dem System der offenen Tür als neutraler Haken erklärt werden. Die chi­nesische Ostbahn soll unter neutrale, inter­nationale Kontrolle gestellt und die Mand­schurei bis Charbin hinauf als integrieren, der Teil des chinesischen Reiches zurückge- geben werden.

Äus Stadt und Umgebung.

Wildbad, 22. Febr. Die Nachricht von dem gestern Nachmittag erfolgten Hin- scheiden des Hrn. Stadtschultheiß Bätzncr rief hier allgemeine Teilnahme hervor. Un­erwartet rasch wurde derselbe aus seiner langjährigen erfolgreichen Tätigkeit in hies. Gemeinde gerissen. Noch in voriger Woche lag ' der Verstorbene seiner gewöhn- ten Amtstätigkeit ob. Ein bösartig ver- laufener Influenza-Anfall legte ihn erst vor wenigen Tagen auf ein schweres Kranken­lager, das er nicht mehr lebend verlassen sollte. Ein an Arbeit und Erfolgen reich gesegnetes Leben hat hiedurch seinen Abschluß gefunden. Beinahe 27 Jahre war es ihm vergönnt, seine Amts­tätigkeit hier auszuüben und hat er sich in dieser Zeit große Verdienste um die Ent­wicklung seiner Vaterstadt erworben. Vor 2 Jahren durfte er noch mit seinen Bür­gern sein 25jähriges Dienstjubiläum feiern, wobei er mit großen Ehren ausgezeichnet wurde. Bis vor einigen Jahren erfreute sich der Verstorbene einer guten Gesund­heit, durch den Tod seiner geliebten Gattin wurde dieselbe aber sehr erschüttert und ließ seither zu wünschen übrig. Letztes Jahr hatte sich bei ihm ein Herzleiden, ver- bunden mit einem sehr beschwerlichen Asthma eingestellt. Ein längerer Kuraufenthalt in Nauheim hatte dann seine Gesundheit we­sentlich gebessert, so daß er seine Amts­tätigkeit wieder mit voller Kraft aufneh­men und weiterführen konnte, bis die vor einigen Tagen eingetretene schwere Erkrank­ung seiner Wirksamkeit ein Ziel setzte. Sein Name wird immer mit demjenigen Wild­bads verbunden bleiben nnd fortleben in dem was er für den hiesigen Platz geschaf­fen hat. Er ruhe im Frieden!

Calmbach. Hr. Schultheiß Haber- len feiert am Sonntag den 26. Februar d. I. sein 25 jähriges Dienstjubi- läum als Ortsvorsteher in Calmbach. Auf Beschluß der bürgerlichen Kollegien wird aus diesem Anlaß eine öffentliche Ju- biläums-Frier abgehalten werden, zu wel­cher Freunde und Bekannte des Jubi­lars, sowie die gesamte Bürgerschaft ein- geladen werden. Fest-Programm: SamStag, den 25. Febr. 1905, abends 8 Uhr: Fackelzug unter Musikbegleitung. Sonntag, den 26. Febr. 1905: Morgens 7 Uhr: Ständchen vor der Wohnung des Jubilars. Morgens 8 Uhr: Tagwache mit Böller­schießen. Vormittags von '.'s 10 bis >/,11 Uhr: Empfang der Festgäste am Bahnhof. Mittags 12 Uhr: Festsitzung der bürger- lichen Kollegien auf dem Rathaus. Nach- mittags st,1 Uhr: Festessen im Gasthof zumAnker". Abends 7 Uhr: Festban. kett im Gasthof zumHirsch."

Alntev Hottendes.

Meine offizielle Frau.

Von

Col. Richard Henry Savage.

(Forts.) (Nachdruck verboten.)

Da auch der Oberst sehr ausgeräumt war, verbrachten wir unsre Zeit ganz

lustig miteinander, bis die Lichter von Kowno in Sicht kamen und wir in den Bahnhof einfuhren, wo der Russe ausrief: Ich muß mich nun von Ihnen tren­nen, aber Sie haben Zeit, eine Erfrischung einzunchmen Sie müssen mit mir Tee trinken. Ich nehme keine Absage an, mein lieber Oberst Lenox! Sie und Ihre Frau Gemahlin müssen heute abend meine Gäste sein!"

Gewiß, sehr gern," rief die gnädige Frau und stützte sich leicht auf seinen Arm, während ich hinter ihnen drein ging und bemerkte, daß Frau Dick Gaines' reizende Gestalt allgemein bewundert wurde, denn ihre Schönheit besaß jenen wunderbaren Zauber, der das Äuge der Menge auf sich zieht, und als wir in den hellerleuchteten, vollen Speisesaal traten, folgten gar manche Blicke der reizvollen Dame und betrachte­ten mich, ihren galanten Gatten, mit Neid.

Einen Augenblick später thronte meine Grenzkönigin an einem üppig besetzten Tisch, und nach dem sehr guten Abendessen trank unser Wirt in dem in Rußland stets bereiten gelbgrsiegelten Cliquot auf das Wohl der gnädigen Frau und sagte:Ich kann mich nicht für immer von Ihnen trennen! EinAuf Wiedersehen werde ich zu ertragen suchen, aber einLebewohl" ginge über meine Kräfte!"

Nun stand ich schon wieder einem neuen Dilemma gegenüber; ohne unhöflich zu sein, konnte ich ihm meine Petersburger Adresse nicht verschweigen; wenn er aber kam und mich besuchte und ohne die Anziehungskraft traf, die ihn zu diesem Besuch veranlaßt hatte, wie sollte ich ihm dann das Ver­schwinden meiner angeblichen Gattin, der bewunderungswürdigen Frau Gaines, er- klären?

Aber die rasch bereite Harmlosigkeit meiner Begleiterin kam mir zu Hilfe. Lächelnd blickte sie in Petroffs fragendes Gesicht und bemerkte:Wir werden uns ungemein freuen, Sie im Hotel de I'Europe zu sehen. Vergessen Sie ja unfern Namen nicht: Oberst Arthur Lenox nnd Frau schreiben Sie ihn, bitte, in ihr Taschenbuch, denn sonst haben Sie uns gewiß schon im nächsten Augenblick vergessen."

Die Augen des Tartaren sagten ihr mehr als deutlich.» werde ihrer stets gedenken.

Sie vergessen, gnädige Frau," seufzte der süßliche Krieger, als er ausstand,das ist ganz unmöglich! Sie kennen das rus- fische Herz noch nicht!

Ich das russische Herz nicht kennen!" fuhr Helene auf. und in ihrem Auge loderte ein Zorn, den ich mir nicht erklären konnte. Noch größer aber war mein Staunen, als sie diese Aufwallung rasch unterdrückte und mit ihrer naiven, kindlichen Stimme lis­pelte:In St. Petersburg lehren Sie mich dann das russische Herz kennen, nicht wahr? Wir hoffen, dort Ihre heutige Gastfreund­schaft erwidern zu können."

In Bälde werde ich Ihnen dort meine Aufwartung machen," sagte der Oberst, als er seinen kostbaren Mantel über den Arm warf, seinen Säbel faßte und mit feierli- cher Anmut der gnädigen Frau die Hand küßte.

In diesem Augenblick wurde das Zeichen zur Abfahrt gegeben. Ich bot der bezau­bernden Frau meinen Arm, und mit klir­renden Sporen und raffelndem Säbel ge­leitete uns Petroff an den Zug. Ein eili­ges Lebewohl, und wir waren schon in Bewegung, als uns der verliebte Russe noch nachrief:Ich werde das Hotel de I'Europe ganz gewiß nicht vergessen."