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unsere jungen Mädchen kleiden?" Weitere Maßnahmen würden erwogen.
— Die serbischen Jubiläums-Brief- marken stellen, wie bisher nicht allgemein bekannt ist, ein Vexierbild dar. was für die darauf erpichten Sammler von besonderem Interesse sein dürfte. Dreht man nämlich die Postwertzeichen so, daß sie auf dem Kopse stehen, so zeigt sich an den vorderen Gesichtspartien der beiden Karageergewitsche ein mephistoähn- liches Antlitz. Diese Entdeckung, wie es von Sensationslustigen geschieht, dahin zu deuten, als seien die Porträts absicht- lich so gezeichnet worden, jist töricht; »s handelt sich hier offenbar jurn ein Spiel des Zufalls
Petersburg, 10. Dezbr. Einem russischen Blatt zufolge soll General Kuroki tatsächlich gestorben sein und durch den Prinzen Saznawo, einem Bruder des Mikado ersetzt worden sein. Der Prinz sei erst 21 Jahre alt.
— London, 11. Dez. Wie die »Central News" aus Prätoria vom Samstag melden, passierte der Zug mit Krügers Leiche die transvaalische Grenze Samstag früh und hielt an jeder Station bis Prätoria an, damit die überall wartende Menschenmenge am Sarge vorbeidefilieren konnte. Um 3 Uhr 30 Minuten Samstag nachmittag kam der Zug in Prätoria an. Eine gewaltige Menschenmenge füllte die Straßen. Am Bahnhofe sang die Volksmenge, als der Sarg hecausgebracht wurde, den 42. Psalm. Engländer wie Buren zeigten ihre Ehrerbietung. Alle Fenster waren verhängt, die Läden geschlossen. Da die Kirche repariert wird, wurde der Sarg in einem anstoßenden Saale aufgestellt, wo eine Anzahl Buren, die im Feldzug gekämpft haben, ihn bewachen.
London, 12. Dez. „Daily Telegr." meldet: Die russische Arme» bei Mukden soll jetzt 400000 Mann, darunter 40000 Mann Kavallerie, stark sein. Die Japaner kaufen auf neutralem Gebiet Kameele auf.
— In dem Gefechte am 30. Novbr. ist der 2. Sohn des Generals Nogi bei dem „203 Meterhügel" gefallen; ein älterer Sohn war bei Nanshan gefallen, so daß General Nogi jetzt kinderlos ist.
— Ueber die Volksstimmung in Japan schreibt man der Köln. Ztg. aus Tokio vom 7. Okt.: „Die Stimmung des Volks ist immer ernster geworden. Die ungeheuren Mengen Verwundeter, die in der Heimat angekommcn (bis jetzt etwa 60 000) sind ein sinnfälliger Beweis für die Schwierigkeiten und Schrecken eines großen Krieges, den man in Japan noch nicht gekannt und von dem man sich völlig falsche Vorstellungen gemacht hat. Zu Beginn des Krieges waren alle Ausländer urplötzlich „unten durch". Sie waren sämtlich als „faule Köpfe" und „feige Herzen" erkannt. Der kleine David aus Japan brauchte nur den Stein aus seiner Schleuder zu entsenden, so war dem Goliathen das Brett vor dem Kopf und der Kopf selbst zerschmettert. Nicht nur Franzosen und Deutsche, auch Angelsachsen, Freuude und Bundesgenossen, wurden auf der Straße verbindlichst mit „Baka", „Pserdehirsch" „dummer Kerl" angeredet; eine andere Bezeichnung war „weißes Schaf". Es waren nicht etwa die Ungebildeten, sondern studierte Männer, Vertreter der oberen Schichten, die meinten: „Drei Tage nach der Landung unserer Arme» auf Liaotung ist Port Arthur
gefallen!" Nach der Schlacht am Aalu hieß es: „Wenn wir nur mehr Kavallerie gehabt hätten, so wäre das ganze russische Heer gefangen! Während der Schlacht von Liaojang schrieben alle Zeitungen von einem zweiten Sedan, von einem Musterbeispiel der modernen Kriegführung, daS man der lehrbedürftigen, staunenden Welt gegeben habe. Wie nun auf dem Kriegsschauplatz mehr und mehr das Gleich, gewicht der Kräfte eintritt, so gewinnt das japanische Volk jetzt zum erstenmal in seiner neuesten Geschichte das Gleichgewicht des ruhigen Denkens. Es war zur Zeit der Boxer-Unruhen, als ein europäischer Offizier hier in Japan sagte: „Die Japaner sind tüchtige Soldaten aber übermütig, unglaublich übermütig. Zunächst müssen sie einmal den Krieg verlieren. Dann werden sie gut." Diese Bemerkung war sehr richtig, nur daß nicht gerade ein verlorener Krieg nötig ist. Schon die Anstrengungen des jetzigen Krieges, die Opfer, die nötig waren, um selbst gegen eine so schlecht gerüstete Macht wie Rußland Erfolge zu erzielen, schon die jetzt gewonnenen Erkenntnisse genügen. Die Herzen des Volkes sind verdüstert. Auch hier klagen Mütter um ihre Söhne, Frauen um ihre Männer, Kinder um ihren Vater.
— Die ehemals hochgefeierte Schauspielerin Franziska Janauschek ist, wie aus New-Aork gemeldet wird, dort gestorben. Sie war am 20. Juli 1829 zu Prag als Tochter eines Schneiders und einer Theaterwäscherin geboren und zuerst fürs Ballet bestimmt. Als Jphi- genie legt» sie 1849 bei einer Goethefeier den Grundstein für ihren späteren Ruhm als „deutsche Rahel". Im Oktober 1867 ging sie zum erstenmal nach Amerika, wo sie jetzt auch vergessen, gelähmt und verarmt — es wurde erst kürzlich für sie gesammelt — gestorben ist, als ein trauriges Bild schnell vergangenen Ruhmes.
Mrrterhclttenöes.
Der Diamantstein.
Erzählung von O. Elster.
25) (Nachdruck verboten.)
„Leb' wohl, Onkel — und habe Dank für Alles."
Das waren die letzten Worte; dann traten die Anderen zwischen sie. Ein letzter Blick, dann entschwand er ihren Augen. Sie eilte auf ihr Zimmer, warf sich in einen Sessel und weinte still vor sich hin. Nach kurzer Zeit schreckte das Rollen des Wagens auf der Schloßbrücke sie aus ihrem Schmerz empor. Sie eilte an das Fenster. Noch einmal sah sie Thiemo sich aus dem Wagen beugen und mit dem Taschentuch ein letztes Lebewohl zurückwinken; dann verschwand der Wagen hinter einer Biegung des Weges.
Es war ein dunstiger trüber Regentag. Schwere, graue Wolken quollen über dem Gebirge hervor, und unaufhörlich rieselte der Regen nieder, die Gegend wie in einen dichten, feuchten Schleier verhüllend. Liselotte starrte thränenlosen Auges hinaus in den Nebel, und die Worte eines kleinen Liedes fielen ihr ein, das sie vor langer Zeit irgendwo einmal gelesen hatte. Leise murmelten ihre Lippen die Worte:
DieZWolken zish'n herüber,
So dickt gedrängt und grau,
Und trüber, immer trüber Wird rings des Himmels Blau.
Und Du — wie sie entflogen Die alte Heiterkeit Die Seele überzogen Von unwendbarem Leid.
Eine peinvolle, unruhige Zeit brach nun für Liselotte herein. Besuche mußten gemacht und empfangen werden; Frau von Jmhoff war von einer unermüdlichen Tätigkeit bei der Anschaffung der Aussteuer. Kaufleure, Lieferanten, Baumeister und Handwerker kamen und gingen, und Liselotte mußte stets entscheiden, was angeschafft und wie das Haus eingerichtet werden sollte. Schließlich bat sie ihre Mutter, nur alles selbst zu bestimmen, sie sei ja mit allem einverstanden, und Frau von Jmhoff war es zufrieden und besorgte nun selbst Alles allein.
Nach einigen Wochen ward es stiller auf dem Schloß. Die gräfliche Familie reiste in ein Bad, Jürgen ging zu seinem Regiment zurück, bei dem er bis zur Hochzeit bleiben wollte, und Frau von Jmhoff mit Käthe siedelte nach dem Herrenhause in Diamantstein über, um dort alle Arbeiten persönlich überwachen zu können.
Liselotte atmete auf. Sie blieb bei Tanle Eleonore Polyxena zurück, an die sie sich in dieser Zeit auf das Innigste angeschlossen hatte. Ruhe und Frieden herrschte wieder auf dem Schlosse Diamantstein, und Liselotte konnte sich wieder ihrer geliebten Kunst widmen. In der Gemäldegullerie wollte sie ihr Atelier ausschlagen; ihre Phantasie beschäftigte sich seit dem Abschied von Thiemo mit dem Entwurf zu einem Gemälde, der ihre Seele nicht zur Ruhe kommen ließ; es quälte und drängte sie, dem Gedanken Gestalt und Farbe zu geben.
Als sie an d»m ersten Morgen nach der Abfahrt ihrer Mutter und Käthens in die Galerie trat, fiel ihr Blick aus Walter ManSberg, der seine Malgerätschaften in einen Koffer packte. Sie blieb unangenehm berührt stehen. Sie hatte die Anwesenheit des jungen Künstlers ganz vergessen, mit ihm zusammen vermochte sie nicht in diesem Raume zu arbeiten. Walter Mansberg hatte sich in der letzten Zeit wenig blicken lassen, er war sehr fleißig gewesen, um seine Arbeit zu vollenden und nach Berlin zurückkehren zu können. Seit der Verlobung Liselottens mit dem Grafen Jürgen hatte sich keine Gelegenheit mehr geboten, daß Liselotte und Walter allein zusammen gesprochen.
Jetzt zum ersten Male standen sie sich allein gegenüber. Waller mochte die Gedanken Liselottes erraten, ein spöttisches Lächeln schwebte um seinen Mund.
„Verzeihen Sie, gnädiges Fräulem," sagte er, „daß ich Ihnen noch einmal begegne. Sie haben meine Anwesenheit nicht lange mehr zu ertragen, meine Arbeit ist beendet, morgen verlasse ich Diamantstein, das ich mit so großen Hoffnungen betrat — um eine schmerzliche Erfahrung reicher."
„Ich will Sie in Ihrer Arbeit nicht stören," entgegnete Liselotte, während ihr das Blut in die Wangen stieg.
„Sie stören mich nicht — ich bin fertig, mein gnädiges Fräulein. — Gestatten Sie jedoch, daß ich Ihnen in