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Hotels mußten geräumt werden. Die Thermal-Quellen sind abgesperrt, eine grotze Anzahl Brücken zerstört.
— Die „Deutsche Zeitung" meldet aus Belgrad: König Peter fürchtet sich sehr und läßt die Wachtposten vor der Burg und auf den Gängen bei Nacht verdoppeln und mit scharfen Patronen versehen. Vor dem Eingänge zu den königlichen Gemächern stehen 12 riesige Schweizer in der Uniform der kgl. Leibgarde. Die Schweizer hat sich König Peter in ihrer Heimat angeworben, da er der „Treue und Anhänglichkeit" der „serbischen Falken" für seine Dynastie, die er in seinen Proklamationen betonte, doch nichtsso recht traute. Zwei Schweizer müssen in der Nacht im Schlafzimmer weilen und den Schlaf des Serbenkönias bewachen. Ein elektrischer Alarmapparat in der in nächster Nähe befindlichen Kaserne der Leibgarde kann vom Schlafzimmer des Königs aus in Tätigkeit gesetzt werden. Eine Strickleiter ist am Fenster angebracht und ein königlicher Kahn liegt in der Save bereit, um den König Peter im Notfall rasch auf österreichisches Gebiet zu bringen. Man steht, der König steht sozusagen tvrtwäh- rend ans dem Sprung und genießt einen recht unruhigen Schlaf in der Mitte „seines treuen serbischen Volkes." „Die goldenen Kronen drücken schwer, 's ist nicht, als ob's ein Strohhut wär'!" singt der wackere Dichter Claudius.
London, l8. Sept. Colonialministec Chamberlain, Finanzminister Ritchie und der Staatssekretär für Indien, Hamilton, haben ihre Entlastung eingereicht. Der König hat die Demission des Kolonialministers Chamberlain und des Staatssekretärs für Indien, Hamilton angenommen.
London, 18. Sept. Zum Rücktritt des englischen Kolonialministers wird gemeldet, die große Mehrheit des Ministcr- kollegiums habe sich mit den in der Bal- sonr-Broschüre dargelegten Ansichten einverstanden erklärt und billigten den darin in Aussicht genommenen Frontwechsel in der britischen Zollpolitik. Chamberlain hat demgegenüber an seiner Forderung für die Kolonien festgehalten. Chamberlain hat am 9, Sept. ein Schreiben au den Ministerpräsidenten Lord Balsour gerichtet worin er die Gründe seiner Demission auseinandersetzt und erklärt, er glaube außerhalb des Kabinetts am besten seinem Programm nützen zu können.
HlrrtevhcrLterröss.
Im Banne der Rache.
Von O. Elster.
(Nachdruck verboten.)
I. Kapitel.
Der Novembersturm hauste in heftigen Stößen über den Tiergarten dahin, riß die letzten welken Blätter von den ächzenden, knarrenden Zweigen der Bäume, trieb sie in wirbelndem Spiel über den freien Platz durch das Brandenburger Tor und die breite Prunkstraße „Unter den Linden" entlang, welche in dem finsteren, stürmischen, regnerischen November- abend trotz der vielen Laternen und hell- erleuchteten Läden einen düsteren, öden Eindruck machte, der durch die rasch da- himollenden Droschken, die schnell vorübereilenden Menschen nur noch verstärkt wurde.
Die prächtigen Häuser und Paläste die breiten Asphaltstraßen, die hohen hundertjährigen Linden, die Türme mir Zinnen der fürstlichen Schlösser — das Alles sah an dem heutigen Abend so sturmverweht, so winterlich öte, so regennaß aus, die hohen Pfeiler der elektrischen Straßenbeleuchtung, die Gaslaternenkan- delaber auf der Mitte des breiten, öden Pariser Platzes, das Standbild der großen Königs und die Statue der Siegesgöttin auf dem Brandenburger Tor sie starrten so todt und gespenstig in die naßkalte, finstere Nacht empor, daß man aufschauernd sich fester in de» Mantel hüllte, den Hut tiefer in die Stirn drückte und rasch dem warmen Hellen, menscheugefüllten Saal eines der vielen Restaurants und Cafäs zueilte.
Oede und leer erschien deshalb die breite Prunkstraße schon zu früher Stunde des Abends und nur die dahinrumpelnden Droschken, die rasch vorübersausenden Equipagen, die auf und ab patrouilliren- den Schutzleute und armselige Gestalten des Elends, des Lasters, belebten die sonst so stolze, so glänzende Straße der Weltstadt. Ohne aufeinander acht zu geben, glitten die Menschen au einander vorüber und verschwanden in dem Dunkel der Seitenstraßen oder in den erleuchteten Hallen des Restaurants und Cafös.
„Halte nur noch eine Weile aus, meine teure Cläre," flüsterte er. „Ich hoffe bald eine Stellung gefunden zu haben, welche mir erlaubt. Dich als mein liebes Frauchen heimzm'ühren. Man hat mir eine Zeichenlehrerstelle an einer städtischen Realschule in Aussicht gestellt, ich beziehe ja vorläufig nur einen kleinen Gehalt, aber er wird genügen, um unseren kleine» Haushalt zu bestreiten.
„Ach, Johannes, ich würde gern jede Entbehrung mit Dir teilen," entgegncte das jnnge Mädchen, das Haupt au die Schulter des Geliebten lehnend. Aber mir will es das Herz zerreißen, wenn ich daran denke, daß Du um meinetwillen Deinen künstlerischen Plänen entsagen und Dich in das Joch einer handwerkmäßigen Arbeit stellen willst. . . .
„Sprich nicht so, Cläre! Auch als Zeichenlehrer vermag ich meine künstlerischen Pläne za verfolgen. Ich werde fleißig sein und nächstes Jahr ein Bild auf die Ausstellung bringen . . . verlaß Dich darauf. Vor Allem gilt es, Dich aus den unleidlichen Verhältnissen in d.m Hause Deines Schwagers zu befreien."
Mein Schwager ist gut und freundlich zu mir aber meine Schwester macht uns allen das Leben zur Qual durch ihre Heftigkeit, durch ihre Eifersucht."
„Ihre Eifersucht?!"
„Es ist vielleicht nicht recht von mir so zu sprechen, aber ich vermag mich der Erkenntuiß nicht zu verschließen, daß meine Schwester eifersüchtig auf mich ist."
„Welcher Wahnsinn! Aber dem ist ja leicht abzuhelfen! Gestatte mir, daß ich jetzt schon um Deine Hand werbe, daß ich Deinem Schwager und Deiner Schwester von unserer Liebe Mitteilung mache?"
„Nein, nein, lieber Johannes," flüsterte das junge Mädchen ängstlich. „Nur das nicht — Du würdest Alles verderben."
„Aber weshalb nur? Ich bin freilich nur ein armer Künstler, der froh sein muß, wenn er als Zeichenlehrer seinen
Lebensunterhalt verdient, aber doch ein ehrlicher Mensch." . .
„Tu' mir die Liebe, Johannes, und verrate unser Verhältnis meineu Verwandten nicht. Ich bitte Dich herzlich darum. Später werde ich Dir einmal sagen, weshalb wir vorläufig noch schweigen müssen. Und nun laß uuS Abschied nehmen — es ist schon spät."
Sie schmiegte sich einen Augenblick in seine Arme.
„Ich habe Dich so lieb, mein Johannes," flüsterte sie zärtlich. „Und ich verspreche Dir, wenn ich es nicht mehr zu ertragen vermag, dann komme ich zu Dir, zu Dir und Deiner Mama, von der Du mir so viel Gutes und Schönes erzählt hast . . . lebewohl für heute, Johannes. Heute über acht Tage sehen wir uns wieder." . .
„Nicht früher, mein Liebling?"
„Ich darf nicht so oft ausgehen, ich würde den Verdacht meiner Schwester erregen. Aber in acht Tagen, daun mache ich mich wieder auf ein Stündchen frei."
„Darf ich Dich nicht bis zu Eurem Hause begleiten?"
„Nein, nein, man könnte uns sehen. Ich nehme die Pferdebahn — da kommt sie schon! Lebewohl, Johannes, auf Wiedersehen !"
Noch ein flüchtiger Kuß, ein warmer Händedruck, dann eilte sie davon, winkte dem Kutscher des Pferdebahnwagens mit dem Schirm, daß er etw-'s langsamer fahren möchte, und sprang behende auf das Hintere Trittbrett des Wagens. Das Innere des Wages war überfüllt. Eine feuchte, dunstige, übelriechende Atmosphäre herrschte in dem Wagen, das junge Mädchen war sehr befriedigt, daß es draußen aus der Plattform stebeu bleiben konnte. D>e Herren machten ihr bereitwillig Platz; noch einmal blickte sie nach dem Brandenburger Tor hinüber, hob die Hand leicht grüßend empor, dann beschrieb der Wagen eine Biegung und verschwand in dem Dunkel der seitwärts führenden Dorotheenstraße.
Der junge Mann blieb eine Weile in dem dunklen Winkel des Brandenburger Tores stehen und blickte in trübem Sinnen dem in der Nacht verschwindenden Wagen nach. Der am Tore passirende Schutzmann ging mehrere Male vorüber, ihn mit beobachtenden Blicken musternd. Schließlich bemerkte Johannes diese Best achlung durch den Pvlizennaun; er lächelte belustigt über diese Sorgfalt, wandte sich ab und schritt laugsam über deu Pariser Platz den Linden zu. Der Wind erfaßte auf dem freien Platz seinen dunklen Lodenmantel stärker und drohte ihm den grauen, weichen Filzhul von dem Haupte zu reißen. Fest drückte er deshalb den Hut in die Stirn, wickelte sich in seinen Mantel und suchte, dicht an den Häusern gehend, Schutz vor dem Sturm uno Regen. Nach einigen Minuten blitzten ihm die Lichter des Cafe Bauer entgegen. Er trat ein. In dem großen, eleganten, lichtdurchfluteten Raume war es um diese Zeit verhältnißmäßig leer. Die Theater hatten soeben begonnen, die Geschäfte waren noch nicht geschlossen, die Familien saßen noch daheim beim Abendessen. So befanden sich mir wenige Gäste in dem Cafe und Johannes fand einen Winkel, wo er ungestört seinen Gedanken nachhängen konnte. (Forts, f.)