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für den Handwerkerstand. Verschiedene Stimmen erhoben sich dagegen und gaben Anlaß zu einer langen, lebhaften Debatte. Die allgemeine Meinung ging dahin, daß das allerwichtigste, ja einzige Mittel zur Hebung des Kleinhandwerks der Zusammenschluß zu Genossenschaften sei, wie dies der Vorstand des Haiterbacher Vereins nachwies, wo diese Genossenschaft unter den Schreinern schon besteht und sich als vorzügliche Einrichtung bewährt hat. Es ist ja zweifellos, daß die schlimmsten Feinde des Handwerks nicht der Großbetrieb und das Großkapital, sondern der Geschästsneid und Mangel hafte Ausbildung namentlich im Rech nungswesen sind. Herr Stadtschultheiß Haußer führte an, daß er den Versuch gemacht habe, das Submisnonswesen bei städtischen Arbeiten abzuschaffen, aber die Handwerker selbst haben ihn genötigt, wieder darauf zurückzukommen und bei der Vergebung von Nummersteinen für den Friedhof seien Angebote pro Stück von 55 Pfg., 60 Pfg., 75 Pfg., 90 Pfg. und 1,40 Mk. eingelaufen, ein Beweis, wie wenig die Leute kalkulieren können. Also was sei anzustreben—bessere Ausbildung im Rechnungswesen und größere Verträglichkeit! Erst kurz vor Abgang der Züge wurde die Versammlung geschloffen und man trennte sich mit dem Wunsch, es möge sich bei der nächsten Versammlung in Calw eine noch größere Versammlung zusammenfinden, um sich näher zu kommen und die gemeinsamen Interessen besprechen zu können. _
Was bringen uns die Zölle?
Ueber dieses Thema sprach, wie schon berichtet, am Sonntag abend vor einer nicht besonders stark besuchten Versamm- lung Herr Redakteur Ehrl er. aus Stuttgart im Auftrag des Handels« Vertragsvereins. Nachdem Herr Kaufmann Carl Aberle die Versammlung eröffnet hatte und der Vorsitz Herrn Gemeinderat Brachholdübertragen worden war,führte der Redner etwa folgendes aus: Wenn man von Zollpolitik spreche, so handle es sich um die Industrie, und Agrarzölle. Ohne freihändlerische Ideen zu vertreten müsse jeder Unbefangene zugeben, daß die neueste deut sche Zollpolitik eine ungesunde sei. In letzter Zeit seien die Tarife Oesterreichs und Rußlands veröffentlicht worden, bei deren Lesen man sich ernstlich fragen müsse, ob das vom Reichstage beschlossene Zolltarifgesetz überhaupt ein Instrument sei. mit dem sich ein Handelsvertrag mit den genannten Ländern abschließen lasse. Die Schweiz hat die Antwort ebenfalls schon gegeben und einen Tarif geschaffen, der unsere wärt- tembergische Industrie, für welche die Schweiz ein Hauptabsatzgebiet ist, schwer schädigt.
Daß für Misere Industrie die Periode der Caprivischen Handelsverträge eine günstige war, ist bekannt: die Ausfuhr ist gewachsen; die Einfuhr ist zwar noch größer, aber tatsächlich hatDeutschljand eine aktive Handelsbilanz; das deutsche Nationalvermögen ist so productiv, daß es sich einen Ueberschuß aus dem Auslande holen kann. Deutschland ist in seinem Goldbestand gewachsen. Wenn auch manche ungesunde Erscheinungen mit dem Aufblühen der Industrie verbunden sind, so ist doch Tatsache, daß die Industrie den Zuwachs an Vermögen
geschaffen hat. Manche Gebiete der Industrie sind geradezu von Deutschland monopolisiert. Darf man nun diese Industrie, die zwar sehr erstarkt ist, aber doch nochnichl so,daßsie eine vertragslose Zeit durch« machen könnte, der Gefahr aussetzen, daß eine Zeit ohne Handelsverträge oder mit weniger günstigen Verträgen eintritt, in der das Erreichte wieder vernichtet wird? Unsere württembergische Industrie insbesondere, die eine Verarbeitungsindustrie ist würde durch einen solchen Zustande ruiniert. Auf dieses Ziel steuert der Bund der Landwirte als Vertreter der agrarischen Lchutzzollrichtung los. Und diese Richtung hat unbegreiflicherweise in unserem Lande, wo 50 Oberämter ihren Bedarf an Brotfrucht nicht decken, eine Ausdehnung angenommen, die alle Gegner des Bauernbundes zum Kampf gegen dessen gefährliche Agitation aufrütteln muß. Die Landwirtschaft ist keineswegs im Rückgang begriffen, die Bodenfläche ist stabil. Es ist nur eine Verschiebung in der Weise eingetreten, daß der württ. Bauer die Bedürfnisse der Zeit erfaßt hat und von Körnerfrüchten h auptsächlich Haber baut, von dem allein mehr produziert als verbraucht wird und deshalb nach auswärts abgegeben werden kann. Neben dem Anbau von Haber ist der Anbcu von Gerste ebenfalls im Steigen begriffen. Dagegen kann Württemberg nur 2 /s seines Bedarfs an Brotgetreide selbstdecken weshalb, jedeSteigerungderPrei- se des Brotgetreides eine Ausgabe von Volksvermögen bedeutet. DerBezirkNeuen- bürg erntet an Brotgetreide: 17 000 62 ; der Bedarf der Landwirtschaft selbst aber beträgt 40 000 ä?., also der Fehlbedarf der Landwirtschaft: 23 000 62 . Also leiden die Landwirte selbst des Bezirks unter einer Zollcrhöhung auf Getreide, noch mehr natürlich die Industriearbeiter und ist es dem Redner unbegreiflich, daß dieser Bezirk im Reichstag durch einen Mann vertreten ist, der zu den extremsten Agrariern gehört. Aber nicht nur diese Getreidezölle sind drückend für Gemeinden wie Wild- bad, die keinen Getreidebau hat, es kommt noch der Umstand hinzu, daß sämtliche Bedarfsgegenstände mit einem Zoll belegt sind. Die Großindustriellen, die Ringe und Kartelle gehen mit den Agrariern Hand in Hand. (Schluß folgt.)
Unterhaltendes.
Der Diamant des Levantiners.
Erzählung aus dem Orient von
Rosenthal-Bonin.
(9) (Nachdruck verboten.)
Ich bat den Herrn, mich auf mein Zimmer zu begleiten. Dort nahmen wir an dem Tische Platz. Fingan griff sehr eifrig in dre Tasche seines Gehrocks und holte eine Nardebüchse hervor, die er mit einem Gesichtsausdruck, als ob es etwas unendlichKostbares sei, mir vor Augen hielt. Ich sah sofort, daß das Ding modernes Fabrikat aus Konstantinopel war und schob es verächtlich zur Seite.
„Herr Fingan," begann ich darauf. „Ich gebe ihnen für das Ding fünfhundert Franken, wenn Sie mir sagen, wann und wie oft ein junger Levantiner bei Sares Pascha war."
Der Egypter ward sehr unruhig und sah mich ängstlich an. Er neigte den Kopf, ergriff die Büchse, schob sie in seine Tasche und machte Miene, aufzustehen.
„Ich gebe Ihnen tausend Franken für die Büchse," sprach ich weiter.
Der Egypter nahm zögernd das Büchs- chen wieder aus der Tasche und drehte es in den Händen. Er erhob die Augen nicht und sah starr vor sich nieder.
„Hoher Herr," antwortete er darauf mit leiser Stimme, „diese Frage ist von mehreren englischen Herren schon an mich und auch an den Pascha gerichtet worden. Wir wissen nicht — Allah möge mich richten, wenn ich nicht die Wahrheit spreche — was aus jenem Herrn geworden ist."
„So ist unsere Unterredung beendet," sagte ich aufstehend. Der Egypter blieb sitzen.
„Ich will dem hohen Herrn sagen, was ich weiß, wenn mir der hohe Herr das Büchslein abkauft," ließ er jetzt langsam und den Ton fast bis zur Unhörbarkeit dämpfend, fallen.
„Der Preis je nach der Mitteilung, Herr," versetzte ich.
„Es ist uns verboten, hoher Herr, irgend jemand es sei, wer es sei, nur ein Wort von dem zu sagen, was sich im Hause des Paschas zuträgt, auch nicht die geringfügigsten Sachen dürfen wir ausplaudern. Ich wage daher, falls Sie einen Gebrauch vo -- meiner Mittheilung machen, die den Pascha belästigt, daß man mich auspeitscht und auf die Straße wirft. Vielleicht könnte mir auch noch Schlim- meres zustoßen."
„Ich werde keinen Gebrauch von Ihren Mittheilungen machen, der Ihrem Herrn oder Ihnen Ungelegenheiten verursachen kann. Meine Erkenntlichkeit wird aber groß sein, wenn Ihr Bericht für mich wertvoll ist," versicherte ich dem Mann.
„Sie geben mir tausend Franken für die Büchse?"
„Die Summe ist Ihnen sicher, wenn Sie mir Alles sagen, was Sie über diese Sache in Erfahrung gebracht haben. Ich weiß es sofort, Herr, falls Sie mit erdichteten Dingen mich abspeisen wollen, also nehmen Sie sich in Acht. Wissen Sie überhaupt etwas, das heißt, mehr als die Thatsache allein, daß jener Herr bei dem Pascha zu Besuch war?"
„Ja; ich weiß etwas mehr. Sie kaufen mir also die Büchse für tausend Franken ab? Bei Ihrer Ehre?"
„Ich thue das, wenn ich die Wahrheit erfahre, und Sie für mich etwas Wertvolles berichten können," antwortete ich.
„Ich werde Ihnen Alles und nur die Wahrheit sagen," flüsterte der Egypter und begann: „Bor fünf Wochen etwa kam ein junger Levantiner zum Pascha."
Ich nahm das Elfenbeinbild heraus und zeigte es dem Egypter. „War es d-escr Herr?" fragte ich.
„Ja, so sah er aus."
„Bitte fahren Sie fort."
„Der Herr kam zum Pascha mit einem Briefe. Ich hörte durch Zufall, daß es sich um eine Audienz bei dem Khedive handele. Unser Gebieter forschte bei dem Herrn nach dem Zweck dieser Audienz. Der Herr wollte ihm dies nicht sagen. Unser Gebieter überredete den Herrn, sich ihm anzuvertrauen. Er versprach jenem Herrn Förderung seines Vorhabens. Der junge Herr wollte es durchaus nicht verraten. Darauf hin that der Gebieter durch