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meisten Genossenschaften sich weigern, weitere Zuzahlungen zu leisten. Durch den Konkurs haben zahlreiche Firmen falliert. Ein Gutsbesitzer, welcher vor mehreren Wochen eine Grundschuld von 400000 Mk. auf sein Besitztum aufnahm ist gleichfalls in Konkurs geraten.
Genf, 6. Feb. Die Rechtsanwälte der Kronprinzessin von Sachsen teilen der Presse mit: Giron verließ Abends Genf mit dem Pariser Schnellzug, um sich zu seiner Familie nach Brüssel zu begeben, wo er sich niederlassen wird. Giron gab alle Beziehungen zur K r o n p r i n z e s si n a u f, um ihr die Wiederausnahme des Verkehrs mit ihren Kindern zu ermöglichen.
— Die Trennung der Kronprinzessin von Giron wurde insbesondere durch die Erkrankung des Lieblingssohnes der Kronprinzessin und durch die Aktion bewirkt, die der Advokat Lachenal in Genf in den letzten Tagen durchführte, indem er für das zukünftige Leben der Kronprinzessin günstige schriftliche Zusagen seitens des österreichischen und sächsischen Hofes erzielte. Nach Genfer Depeschen ging der endgiltigen Trennung der Kronprinzessin von Giron eine äußerst bewegte Szene im Bureau des Advokaten Lachenal voraus.
Wien, 6. Febr. Aus Salzburg wird telegraphiert: Die toskanische Familie beharrt bei ihrer Weigerung, die ehemalige Kronprinzessin von Sachsen zu empfangen. Sie habe jedoch gestern infolge dringender telegraphischer Bitten der Prinzessin ihre Bereitwilligkeit erklärt, durch eine Mittelsperson mit ihr zu verhandeln, vorausgesetzt, daß sie ohne Giron eintrifft. Die großherzogliche Residenz darf sie unter keiner Bedingung betreten. Es wurde ihr die Villa ihres Bruders, des Erzherzogs Peter, in der Nähe von Salzburg eingeräumt.
Wien, 7. Febr. Wie in hiesigen wohlinformierten Kreisen versichert wird, hat nicht Giron, sondern die Kronprinzessin endgilüg alle Beziehungen zu einander abgebrochen. Man werde nun die Verhältnisse der Kronprinzessin in einer ihrem Wunsche entsprechenden Weise ordnen und ihr einen bestimmten Wohnort in Oesterreich anweisen.
Zürich, 5. Februar. Gerolsteiner Sprudel wurde in dem Oertchen Fischen- thal, dem hintersten Winkel des Kantons Zürich, von 2 spekulativen Männern in größerer Menge aus Kohlensäure und dortigem, recht gutem Quellwasser fabii- ziert. Die Etikette und die Verkorkung waren auf das Täuschendste nachgemacht und bereits sollte der Artikel als echtes „Gerolsteiner" in den Handel kommen, als die Sache entdeckt und die Thäter abgefaßt wurden. Leider konnten diese nur wegen Uebertretung des Markenschutzgesetzes vom Gericht mit 15o Fr. Geldstrafe belegt worden. Doch wuM der gesamte Vorrat von Flaschenetiketten und Korken vernichtet.
Men tone, 4. Febr. Ueber das Befinden des Präsidenten Paul Krüger lassen sich die „Berl. N. N." melden: Mit allgemeinem, lebhaftem Bedauern wird man die Nachricht erfahren, daß Paul Krüger, der greise Einsiedler von Mentone, in trüber Stumpfheit seiner Auflösung entgegendämmert. Die Kräfte des 77jährigen nehmen von Tag zu Tag ab. Er hat seine Villa nur erst einmal verlassen und verbringt den Tag, in
seinem Garten liegend auf einem Ruhestuhl. Der alte Mann befindet sich in einem Zustand allgemeiner Depression. Sogar sein Bibellesen hat er aufgeben müssen, ein sicherer Beweis, daß eS schlimm um ihn steht, denn sein heiliges Buch hat den unbeugsamen Bekenner bisher noch nie verlassen. Außer seiner Enkelin, Frau Eloff, seinem Arzte Hy- mans und zwei Schreibern darf niemand sich ihm nähern. Die Umgebung hat fast keine Hoffnung mehr auf eine Ge nesung des Präsidenten. Was hat den Starken, der körperlich und seelisch noch ein Hüne schien, als er vor zwei Jahren in Marseille landete, gebrochen? Es sind nicht nur die schweren Ereignisse der letzten Jahre, es ist auch die unbezwing- liche Sehnsucht nach der Heimat gewesen, die Sehnsucht des Naturmenschen nach seinen Kopjes und Feldern. Krüger hat in unserem Boden nicht wurzeln können. Fern von den Seinen, fern von den Kopjes und Spruitjes und Valleien, siecht der Freiheitsheld dahin . . . Und er hatte so gehofft, daheim sterben zu dürfen.
Der kleine Lord.
Von
Franccs Hodgson Burnett.
(36- Forts.) (Nachdruck verboten.)
Vierzehntes Kapitel.
Der achte Geburtstag.
Ven kehrte mit samt seinem Jungen zu seiner Farm in Kalifornien zurück und zwar unter den denkbar günstigsten Ber- hälknissen. Kurz vor seiner Abreise von England hatte ihm Mr. Havisham die Mitteilung gemacht, daß Mylord für den Knaben, der unter Umständen Lord Faunt- leroy hätte werden können, etwas thun wolle, und daß er es für das Beste halte, seinerseits eine größere Summe in Grund- besitz in Kalifornien anzulegen, dessen Bewirtschaftung, beziehungsweise dir auf demselben zu betreibende Viehzucht Ben unter Bedingungen übernehmen solle, lie ihn in den Stand setzen würden, für die Zukunft seines Sohnes ausreichend zu sorgen. Ben verließ also Europa als zukünftiger Herr einer kalifornischen Farm die so gut wie sein Eigen war, und die er in wenig Jahren als sein alleiniges Besitztum zu sehen hoffen konnte, was auch in der That geschah, und Tom wuchs heran, kräftig und tüchtig und mit ganzem Herzen an seinem Vater hängend. Die beiden hatten überall und in allem Glück und Erfolg, und Ben pflegte zu sagen, daß sein Sohn ihn reichlich für alle- frühere Mißgeschick entschädige.
Dick und Mr. Hobbs dagegen — letzterer war mitgekommen, um „allerorten nach dem Rechten zu sehen" — segelten nicht so bald in die Neue Welt zurück. Der Graf hatte von Anfang an im Sinne gehabt, für Dick zu sorgen, und es ward beschlossen, ihm vor allen Dingen eine richtige Erziehung zu teil werden zu lassen. Mr. Hobbs aber hatte bei sich erwogen, daß in Anbetracht des tüchtigen Vertreters, den er für sein Geschäft in Blankstreet gefunden hatte, er sich Wohl den Luxus erlauben könne, den Festlichkeiten noch beizuwohnen, die für Lord Faunlleroys achten Geburt-tag vorbereitet wurden. Sämtliche Pächter und sogar Tagelöhner waren mit Kind uud Kegel dazu geladen, und im Park sollte ein Festschmaus, Spiele und Tanz abge-
halteu werden und für den Abend waren Frcudenfeuer und allerlei Feuerwerk ge« plan«.
„Ganz wie der 4. Juli!" sagte Lord Fauntleroy. „Schade, daß mein Geburtstag nicht am vierten ist, dann könnten wir's miteinander feiern — gelt?"
Es muß leider zugestanden werden, daß die Freundschaft zwischen dem Grafen und Mr. Hobbs sich vor der Hand noch nicht bis zu der im Interesse der britischen Aristokratie dringend wünschenswerten Innigkeit entwickelt hatte. Mylord hatte im Umginge mit Spezereihändlern unglücklicherweise ebensowenig Erfahrung wie Mr. Hobbs in dem mit „'ristokraten", und es mochte wohl daran liegen, daß das Gespräch zwischen ihnen nicht recht in Fluß kommen wollte. Ferner muß zugegeben werden, daß die Herrlichkeiten, welche Fauntleroy dem Freunde zu zeigen für seine Pflicht hielt, einen einigermaßen überwältigenden Ein- druck auf ihn gemacht hatten, so daß sein Selbstgefühl etwas an fröhlicher Sicherheit eingebüßt zu haben schien.
Das äußere Thor, die steinernen Löwen und die Avenue hatten ihr« Wirkung auf daS Gemüt des stolzen Republikaners schon nicht ganz ver- fehlt, uud der Anblick des Schlosses selbst, der Terrassen und Blumenbeete, der Gewächshäuser und des unterirdischen Gefängnisses, der Pfauen und Hunde, der Ställe und Waffen, des großen Treppenhauses und der zahllosen Livreediener hatte ihn dann etwas aus der Fassung gebracht, der Ahnensaal jedoch war es, der ihn um den Rest seiner Gemütsruhe brachte.
„Na, scheint so was wie ein Museum, hm?" fragte er, als Fauntleroy ihn in den großen, herrlichen Raum führte.
„Nein, ich — ich glaube nicht," sagt, Cedrik etwas unsicher. „Ich glaube nicht, daß es ein Museum ist. Großvater sagt, das alles seien Verwandte, Onkel und Tanten von ihm."
„Die alle," stieß Mr. Hobbs erschüttert hervor. „Die alle, Onkel nnd Tanten, der Großonkel muß aber eine Familie gehabt haben! Hat er sie alle aufgezogen?"
Er sank ergriffen von der Größe solchen Familienglücks in einen Stuhl und sah ganz aufgeregt um sich, bis eS Lord Fauntleroy nicht ohne Schwierigkeit gelang, ihm auseinander zu setzen, daß es sich bei den sämtliche Wände vollständig bedeckenden Porträts nicht um die Nachkommenschaft eines einzigen Großonkels handle.
Zu guter Letzt fand er es aber doch geraten, MrS. Mellon zu Hilfe zu rufen, welche die Geschichte jedes einzelnen Bildes und die Namen der Maler kannte, und die noch überdies höchst romantische und merkwürdige Dinge aus dem Leben der hier verewigten Lords und Ladies zu erzählen wußte. Nachdem Mr. Hobbs den Stammbaum des HauseS Dorincourt einigermaßen begriffen und einige der- artige Erzählungen gehört hatte, fing er an, unter den Schätzen Schloß Dorin- courts die Ahnengalerie fast am höchsten zu stellen, und manch liebes Mal sah man ihn von den „Dorincourts Arms", wo er Quartier genommen hatte, herüber- wandeln, um eine Stunde im Ahnensaale zu verbringen und unter stetem Kopfschütteln die gemalten Damen und Herren anzustarren, die ihn ihrerseits eb«nso verwundert wieder anstarrten.