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1000 Mark. Das Urteil lautete auf eine Gefängnisstrafe von 2 Jahren.
— Der Kaiser ist ständig von Sicherheitsbeamten umgeben, wenn er sich außerhalb seines Schlosses bewegt. Will der Kaiser ausfahren oder spazieren gehen, so wird hiervon vom Kommandanten des kaiserl. Hauptquartiers dem Polizeipräsi- dium Mitteilung gemacht. Die Polizei sorgt dann für einen hindernisfreien Weg. Ein Kommissar sorgt für die persönliche Sicherheit. Dieser Beamte hat im Einvernehmen mit der Anarchistenabteilung zu arbeiten und ist ermächtigt, sich Hilfsorgane in unbeschränkter Zahl zu erwählen. Die „Streckenbesetzung" und Begleitung des kaiserlichen Gefährts durch radelnde Kriminalbeamte, sowie die Eskortierung des Kaisers durch eine Kriminalpatrouille bei Spaziergängen im Tiergarten hat der betreffende Kommissar zn leiten. Reist der Kaiser in die Provinz, so wird vom Hauptquartier bei der Behörde des Reise- ziels angefragt, ob diese in der Lage ist, die Verantwortung für die Sicherheit des Kaisers zu übernehmen. Erklärt sie sich hierzu außerstande, so begleitet ein Kom missar der politischen Polizei mit mehreren Unterbeamten den Kaiser und übernimmt an Ort und Stelle Organisation und Verantwortung dcS gesamten Sicherheitsdienstes. Die Kosten dieser Abkommandierung trägt die Provinz.
— 3000 Mk. Belohnung schreibt die Reichsschuldenverwaltung aus für die Entdeckung von Fälschern. Es laufen nämlich falsche Hundert-, Fünfzig-, Zwanzig- und Fünf-Markscheine um.
Hannover, 22. Jan. Vor einigen Monaten hat der Deutsch-Evangelische Frauenbund in Hannover eine Zentrale der Stellenvermittlung für Mädchen und Frauen gebildeter Stände errichtet. Diese Zentrale wurde begründet, weil der Vorstand des Deutsch-Evang. Frauenbundes, dem durch vielfache Erfahrungen das Auge für soziale Schäden unserer Zeit geschärft war, sich der Ueberzeugung nicht länger verschließen konnte, daß die Fürsorge für die erwerbsuchende gebildete Frau heute noch nicht in genügender Weise vertreten wird. Die Not vieler Töchter ans gebildeten Familien, die ohne Existenzmittel sich oft plötzlich darauf an- gewiesen sehen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, ist oft eine ergreifende. Hier setzt die Thätigkeit dieser Zentrale der Stellenvermittlung hilfreich ein. Sie sucht Stellesuchenden ein ihren Fähigkeiten und Neigungen entsprechendes Arbeitsgebiet gewissenhaft zu vermitteln; sie sucht den Arbeitgebern durch sorgfältige Prüfung der einschlägigen Verhältnisse nur wirklich brauchbare Kräfte zuzuführen. Mit der Zentrale verbunden ist eine gewissenhafte Beratung für alle Frauen, die einen Beruf ergreifen und sich über die nötige Vorbildung unterrichten möchten. (Die Vorsitzende der Ortsgruppe Stuttgart ist Frl Schmidt, Panoramastraße 4.)
London, 21. Jan. Cecil Ayston, ein bekannter „Klubmann", hat in einer Bakkaratsitzung, die mit geringen Unter- brechungen beinahe fünfzig Stunden dauerte, die Summe von neun Millionen Mark gewonnen. Fünf oder sechs andere Londoner Klubspieler sind dadurch zugrunde gerichtet. Das Sonderbarste an der Sache ist aber, daß Cecil Ayston auf Grund einer Wette entschlossen ist, nicht eher wieder zu spielen, als bis er die neun Millionen wieder ausgegeben hat.
Di» Ausgaben sollen jedoch nur „nütz- liche" sein. Ayston will in anderthalb Jahren mit den neun Millionen fertig sein, indem er den Monat ungefähr 500000 Mk. ausgibt.
IlnLerHcicLsrröss.
Der kleine Lord.
Von
Franccs Hodgson Burnett.
(81. Forts.) (Nachdruck verboten.)
Elftes Kavitel.
Die Nebenbuhler.
Wenige Tage nach dem großen Diner auf Schloß Dorincouct war jedem Zeit- ungSleser in England die romanhafte Ge schichte, welche sich in der Familie des Grafen zutrug, in allen Einzelheiten be- kannt. Es war ein höchst brauchbarer Stoff für die Presse. Der kleine Ameri kaner, der urplötzlich nach England ge- bracht worden war, um keinen geringeren Namen als den eines Lord Fauntleroy zu tragen, und der durch seine Schönheit alle Herzen gewann, der alte bärbeißige Graf, der so stolz war auf diesen Erben, die schöne Mutter, der nie vergeben worden, daß Kapitän Errol sie geliebt und zu seiner Frau gemacht hatte einerseits, und dann die seltsame Heirat des verstorbenen Lord Fauntleroy und die seltsame Frau, von der niemand etwas wußte und die plötzlich auf dem Schauplatz erschienen war, um die Rechte eines Lord Fauntleroy für ihren Sohn in Anspruch zu nehmen andrerseits, daraus ließen sich die packendsten Feuilletons und sogar Leitartikel mit Leichtigkeit gestalten. Dann tauchte das Gerücht auf, daß der Graf von Dorincourt mit dieser Wendung der Dinge keineswegs einverstanden und fest entschlossen sei, diese Ansprüche jener Frau mit Hilfe des Gesetzes zu vernichten, so daß ein großer Sensationsprozeß zu erwarten stehe.
In der Grafschaft selbst hatte man noch nie eine derartige Aufregung erlebt. An Markttagen standen die Leute stundenlang bei einander und berechneten alle Wahrscheinlichkeiten und Möglichkeiten des unerhörten Falls; die Pächtersfrauen luden einander auffällig häufig zum Thee ein und tauschten aus, was jede gehört hatte, und teilten einander ihre eignen Ansichten und die von andern Leuten mit. Ueber den Zorn des Grafen waren haarsträubende Geschichten im Umlaufe, und daß er um keinen Preis den neuen Erben anerkennen werde, wußte jedermann, so gut wie, daß er die Mutter desselben tödlich haßte. Am genauesten unterrichtet war natürlich wieder einmal Mrs. Dibble, und die Frequenz ihres Geschäftes steigerte sich in diesen erregten Tagen abermals bedeutend.
„Schief wird's gehen," meinte sie, „und wenn Sie mich fragen, so sag' ich, 's ist die Strafe dafür, daß er die herzensgute junge Kreatur so schlecht behandelt hat und ihr das Kind genommen — in den ist er jetzt ganz vernarrt und hat sein hoffärtiges Herz an ihn gehängt, und deshalb bringt ihn die Geschichte schier um. Und was ihm auch hart eingeht, aber ganz recht geschieht, die Neue da, sie ist keine feine Dame, wie des kleinen l Lords Mama. Ein freches, schwarzäugiges Ding ist's, und Mr. Thomas sagt, was lein feiner Diener ist, wird sich von so
einer nie nichts sagen lassen, und an dem Tage, wo die Madame ins Haus kommt, packt er seine Siebensachen. Ach du lieber Gott, und der Junge — so verschieden vom kleinen Lord, wie Tag und Nacht. Was aus der Sache noch kommen wird, das weiß kein Mensch; Gott steh' uns bei — keinen Blutstropfen hätt' ich von mir gegeben, wenn Sie mich mit Nadeln gestochen hätten, so kreideweiß bin ich vor Schreck gewesen, wie die Jane mir's erzählt hat."
Auch im Schloß selbst trat keine Ruhe ein. In der Bibliothek saßen der Graf und Mr. Havisham in endlosen, aufgeregten Beratungen bei einander; im Dienerschaftssaal waren Mr. Thomas und der Haushofmeister zu allen Tageszeiten in ernstem Gespräche zu treffen, dem die andern andächtig lauschten, und im Stalle waltete Wilkins in sehr gedrückter Stimmung seines Amtes, bürstete den braunen Pony noch viel sorgfältiger als je und versicherte dem Kutscher immer wieder, daß er nie einen jungen Herrn reiten gelehrt habe, dem die edle Kunst so „natürlich" gewesen sei, und daß dies ausnahmsweise einer sei, bei dem sichs lohne, hinterdrein zu reiten.
Inmitten all der Bekümmernis und Not vlieb nur ein Herz ruhig und unberührt von Sorge, und das war das kleine Herz Lord Fauntleroys, der nun bald kein Lord mehr sein sollte. Als man ihm die Lage der Dinge erstmals auseinandergesetzt hatte, war er sehr bestürzt und bekümmert gewesen, es zeigte sich jedoch bald, daß diesem Gefühle kein gekränkter Ergeiz zu Grunde lag.
Auf einem Stuhle sitzend, die Händchen um die Knie geschlungen, wie es feine Gewohnheit war, hörte er dem Grafen zu, als dieser ihm von dem unliebsamen Ereignis mitteilte, soviel er für nötig hielt, wobei Cedrik allmählich immer ernsthafter dreinschaute.
„Mir — mir ist ganz wunderlich zu Mut," sagte er, als der Graf zu Ende war.
Schweigend blickte der alte Mann auf das Kind. Ihm war auch wunderlich zu Mut, so wunderlich, wie nie zuvor im Leben, um so mehr, als er nun das sonst so sonnige, glückliche Kindergesicht ängstlich und erschrocken vor sich sah.
„Werden sie Herzlieb ihr Haus nehmen — und ihren Wagen?" fragte Cedrik mit etwas unsichrem Sümmchen.
„Nein!" rief der Graf sehr bestimmt und merkwürdig laut. „Ihr können sie nichts nehmen."
„Ach !" sagte Cedrik sichtlich erleichtert. „Das können sie nicht?"
Dann sah er den Großvater fest an, und es lag ein tiefer Schatten in den braunen Augen.
„Wird dann," begann er stockend, „wird dann der andre — wird der dann dein Junge sein, so wie ich?"
„Nein!" ertönte es mit so mächtiger Stimme, daß Cedrik zusammenschreckte.
„Nern?" wiederholte er fragend. „Ich — ich Hab' gedacht, daß —"
Plötzlich stand er auf.
„Kann ich dein Junge bleiben, auch wenn ich kein Graf werde? Willst du's, baß ich dein Junge bleibe?" Jeder Zug des kleinen Gesichts drückte die höchste Spannung aus.
Wie der alte Graf ihn ansah, von Kopf bis zu Fuß! Wie sich die buschigen Augenbraunen zusammenzogen und wie
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