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Lage im Freistaat, daß Bloemfontein selbst für gefährdet gilt. Es wird mit fieberhafter Eile an den Verteidigungsmerken gearbeitet. (M. N. N.)
— Das Finanz-Journal „Statist" in London regt an, die Regierung möge Unterhandlungen mit Botha und Dewet eröffnen, um den Krieg zu Ende zu bringen. Da die Burenführer die Beweggründe eines solchen Vorgehens nicht verstehen könnten, wenn militärische Behörden die Verhandlungen eröffnen, schlägt das Blatt vor, einer der höchsten Zivilbeamten in Südafrika möge die Verhandlungen eröffnen. Es erklärt, England verliere an Prestige und Handel, wenn man sehe, wie die südafrikanischen Besitzungen mehr und mehr ins Verderben gestürzt würden. Der „Statist" billigt den Vorschlag des bedeutenden Finanziers Robinson, Botha und Dewet einen Sitz in einem zu errichtenden gesetzgeberischen Rat anznbieten.
Peking. Die Kolonne Aork, die ihren Bestimmungsort Kalgan trotz der großen Schwierigkeiten ohne Verluste erreichte, hat auf dem Rückmarsch in Hwasai ein großes Unglück betroffen. Ihr Führer Oberst Graf Aork von Wartenburg ist einer Kohlenoxydgas-Vergistung erlegen, die er sich im Nachtquartier durch Einatmens des Ofenrauchs zugezogen hatte. Tie Armee erleidet durch den Tod dieses ausgezeichneten Offiziers einen schweren Verlust; denn Graf Aork, der letzte aus dem Leben geschiedene Enkel des Feldmarschalls aus den Kriegen l813 bis 1815, war ein äußerst tüchtiger Offizier von umfassender militärischer Bildung und galt insbesondere als außerordentlicher Kenner russischer Verhältnisse.
— In England vollzieht sich die Entvölkerung des flachen Landes und der Zustrom nach den anschwellenden Städten noch viel schneller als bei uns. Schon im Jahr 1891 lebten nur noch 19 Prozent (5 534000) Engländer auf dem Land, aber 81 Prozent (24 466 000) in den Städten. Den Hauptgrund für diese Er- scheinuyg findet der Statistiker Welton in der Vergnügungssucht der Leute, im Darniederliegen der Landwirtschaft, in den schlechten Löhnen und der schlechten Behandlung. England macht gegenwärtig mit seinen verlassenen Dörfern und vollgestopften Städten eine schlechtere Figur als früher. Entsprechend wird auch eine Abnahme der Körperbeschaffenheit bei der Jugend, besonders der ärmeren Klassen wahrgenvmmen.
Washington, 4. Dez. Dem Repräsentantenhaus ging die Vorlage über die Heeresorganisation zu.
Lokakes.
Wildbad, 5. Dez. (Eingesandt.) Wenn der Artikel des „Wildbader Anzeigers" „Es ist, wie es immer gewesen ist", dem Redner und Bürgen Brachhold entflossen wäre und nichr die Unterschrift „Das Komitee der Volkspartei" tragen würde, wäre er verständlich, denn Ausdrucks- und Denkweise bewegt sich bei einzelnen Menschen in Parteikämpfen häufig auf einem recht tiefen Durchschnitt. Daß aber der geistige und sittliche Durchschnittsstandpunkt des ganzen Komitees der Volkspartei so tief steht, wie es in dem angezogenen Artikel zum Ausdruck Lonaut, hätte wohl niemand geglaubt, angesichts der Thatsache, daß das gebildete
Element durch hervorragende Köpfe der Lehrerschaft darin so gediegen vertreten ist, welche doch plumpe stilistische und orto- graphische Fehler wenigstens hätten ausmerzen können. Die Siegeszuversicht ist groß, sie entspricht der Rohheit der Agitation der Volkspartei. Auch als unterliegende Partei hätte die Deutsche das Bewußtsein, ehrlich und sachlich für ein gut Ding gestritten und weder den Anstand noch den politischen Takt verletzt zu haben. Einer für Alle.
(Gewerbeverein.) Die Mitglieder werden hiemit in Kenntnis gesetzt, daß die Kgl. Zentralstelle für Gewerbe und Handel U n t e r r i ch t s ku r s e für Meister u. Gesellen abhalten wird, in deneu Gewerbetreibende durch entsprechend vorgebildete Fachleute in Teilen ihrer Gewerbe systematisch unterrichtet werden. Noch im Monat Dezember sollen die Kurse für Zimmermaler, Schneider ».Tapezierer beginnen. Jeder Kurs dauert etwa 10—14 Tage und findet in Stuttgart statt. Minder bemittelten Teilnehmern wird ein Staatsbeitrag gewährt! Zu weiterer Auskunft ist der Vorstand jederzeit bereit.
Mntewhal'tenöes.
Der weiße Hirsch.
Eine Erzählung von Adelheid von Roihenburg
(Forts.1 geb. v. Zastrow.
Woher kam ihm die Erinnerung an sein vergangenes Leben, als eine Sache die ab- gethan war, die sich hinter ihm zurückzog? .Warum bemühte er sich mit Wehmut, sich sein Bild als Knabe vorzustellen, wie er mit weit geöffneten Armen, als wollte er alles, was drinnen lebte und webte, an sein Herz drücken, dem Eicken- grnnd zugesprungen war? Noch einmal plauderte ihm die Waldstimme, gurrte ihm die Turteltaube im Ohr, blühten ihm die Anemonen und die wilden Veilchen! Dann wieder rieselte der Schnee, sachte sachte auf das Dach der Oberförsterei, und sein alter Lehrer, der Kantor aus dem nächsten Dorf, zog einen Ton aus der Geige, so lang gesponnen und so weich wie flockige Seide, und ein heimlich flüstern wisperte hinter der vorgehaltenen mütterlichen Hand dem Vater in das Ohr, — Weihnachtsgeheimnisse — so süß — so lieb — und der Lehrer übte mit ihm „Es ist eine Ros' entsprungen, Aus einer Wurzel zart." Dann die heiligen zwölf Nächte, welche im feierlichen Sternenreigen dahin gingen, Christabend, — die Welt tief, tief im Schnee! Ein Vogelruf, - - Wasserrieseln, schmelzendes Eis, und darauf das ganze volle Frühlingsleben. Der Sommer in Glut und Pracht mit tausend Freuden im Gefolge, der Herbst, welcher ihm die jugendliche Kraft stählte, — seine Geige, die alles das mitteilte, durchsüßte und vergeistigte. Welch ein Dasein voll hehrer Einfachheit und hohen Genusses, und zuletzt,— „o sag, wie kommt denn Liebe? Sie kommt und sie ist da." Gleich einem Schlußstein steht sie am Ende desselben oder schwebt, weil ihr Fuß auf Erden nimmer ruhen kann, hoch und höher, —
zieht ihn nach sich-
Das Abendrot verblaßte, Dämmerung füllte das tannenduftige Zimmer. Zwei bis drei Stunden später lag die Ober
försterei scheinbar in tiefem Schlaf. Rüdiger wartete, bis nichts sich mehr regte. Nachdem er die Treppe hinunter gelauscht, blieb er einen Augenblick mit gefalteten Händen in der Mitte des Gemaches, griff dann nach seinem Hut, bedeutete Waldmännchen, ruhig zurückzubleiben und suchte den gewohnten Weg über den Altan. Unten angelangt warf er einen prüfenden Blick ans die Wolkenwand. „Gott sei Dank, es steht," dachte er, „und die Dunkelheit, welche es hervorruft, wird uns günstig sein."
Nun schriet er rüstig vorwärts; ein sanftes Säuseln, regte die Blätter, der Wind, welcher vielleicht in kurzem zum Sturm anschwoll, spielte im Laub, hin und wieder huschte das Flimmern eines Sternes, — denn der Mond ward von Wolken verdeckt, — durch die Schatten, welche den Wald eiuhüllten.
Der Bach blieb ihm zur Linken; da dem zur Seite ein bequemer Pfad hinlief, konnte er nicht fehl gehen. Jetzt wehte die Luft kühlend, ein Licht glänzte und sein Schein fiel hinaus auf den Weiher und zitterte über der still und schwer liegenden Flut. Das war Frau Johanne's Lämpchen, welche drinnen den Koffer schnürte. Die Hausthüre stand offen. Er trat sachte auf, während er hinein ging, aber wie ausgestorben erschien die Mühle. „Entweder ist der Müller sehr taub, oder er stellt sich schlafend, oder auch er gehört zu den Menschen, die nichts interessiert, was um sie herum vorgeht", dachte Rüdiger. Er fand Robert zwischen den Betten der schlafenden Kinder. „Schau her", sagte er, ohne den Gruß des Freundes zu erwidern, „so sieht ein Mann aus, der seine Kinder verlassen muß, während sie vonSchmetterlingen träumen. O Deutschland, Deutschland!"
„Ist Deutschland daran schuld?" dachte Rüdiger, „warum sind deinen Frühlingsliedern keine Sommerschöpfungen gefolgt? Wäre es nicht richtiger gewesen, eine kurze Strafe, welche nicht entehrt, zu tragen, als sein Vaterland zu meiden? Aber das Vaterland stößt dich nicht von sich, was dich treibt ist die mordlustige Meute, die kein Vaterland mehr will und auch keinen Gott!" — In dieser schweren Stunde aber erstarb ihm das Wort des Vorwurfs auf der Zunge.
„Du bist noch nicht im Kostüm,," fragte er anstatt einer Erividerung.
„Es ist so dunkel", antwortete Robert, „daß die Verkleidung fast überflüssig wird; ich will nur den Kops verhüllen und den Mantel umuehmen; da ich klein bin, genügt das und ich komme um so rascher vorwärts."
Rüdiger sah ein, daß er recht hatte. Dann wurde es sehr still und doppelt schwül in dem niedrigen Stübchen. Robert küßte seine Kinder und sein Weib klammerte sich an ihn. Sie konnten sich nicht lassen, Rüdiger lehnte am Thürpfosten. „Und sag wie schwindet Liebe! Die war's nicht, der's geschah!" flüsterte etwas in ihm. Es ging wie ein Schrei durch das Zimmer, wie der schrille Klang einer gesprungenen Saite, denn es ist gegen die Natur, wenn der Mann sich von den Seinen reißen muß, um dahinten zu lassen, was seinem Herzen zunächst ist — dann waren sie gegangen. Robert grollte, Rüdiger sprach zuweilen einige besänf-