Handlung des Sternbergprozeffes stellt Kriminalpolizeirat Dfieterici gegenüber einem mißverständlichen Zeitungsbericht fest, daß er tatsächlich betont habe, wenn er die gesellschaftlichen Beziehungen von Meerscheidt zu Sternberg gekannt hätte, so würde er v. Meerscheidt jede Thätig. keit in der Sternbergsache urckersagt haben. — Der Präsident ruft die kleine Frieda Woyda vor u. bemüht sich,sie zu einer Aeuß. erung darüber zu bringen, ob ihre früheren, Sternberg belastenden Aeußerungen richtig waren oder ob ihr jetziger Widerruf der Wahrheit entspricht. Alle Versuche des Präsidenten, eine bestimmte Antwort von dem Mädchen zu erhalten, bleiben erfolglos; Frieda Woyda schweigt wieder be- haxrlich, wenn sie der Vorsitzende auf die Widersprüche hin weist. Der frühere Pflegevater des Mädchens, Schindler, betont, daß er das Mädchen noch nie auf einer Lüge ertappt habe.
Wien, 7. Nov. Im Laufe des Monats wird der amerikanische Riesenzirkus von Barnum hier eintreffen. Die Besitzer haben die Rotunde im Prater gemietet, einen Riesenbau, wie er in ganz Europa nicht mehr zu finden ist. In diesem massigen Raume gedenkt Barnum mit seinem riesigen Personal und den Tiergattungen zu überwintern. Nicht weniger als 700000 Kronen betragen allein die Einrichtungen der Rotunde für Luftheizung, elektrische Beleuchtung, Herstellung von 8000 Sitzplätzen, Dampfküchen für das Personal rc. Wie der unternehmende ZirkuSmann bei seinen enormen Auslagen seine Rechnung finden wird, bleibt heute noch ein Rätsel.
— Die neue Polizeitruppe, die in Pretoria in der Bildung begriffen ist, und die fernere „Pacifikation" in den Burenstaaten vornehmen soll, wird unter Umständen und Bedingungen aufgestellt, die bezeichnend sind für die gefährlichen Aufgaben, die dieser Polizistentruppe warten. Die Gehälter für Offiziere und Mannschaften sind derartig hoch, wie sie noch niemals einer Militärtcuppe gezahlt wurden. Der Oberst erhält 25 000Mk., der Oberstleutnant 20000, der Major 15000, der Hauptmann 12 000 Mk. per Jahr, während der Oberleutnant 25 Mk., der Unterleutnant 20 und der Inspektor 15 Mk. pro Tag erhasten. Die Löhnung des Sergeanten beträgt 10 Mk., des Korporals 7,50 Mk., des Gefreiten 7 Mk. und des Gemeinen 6 Mk. pro Tag, wobei noch in Betracht kommt, daß Unteroffiziere und Mannschaften natürlich Uniformen und Lebensunterhalt geliefert bekommen.
Unterhaltendes.
Der weiße Hirsch.
Eine Erzählung von Adelheid von Rothenburg, geb. von Zastrow.
(Fortsetzung.)
Die Strahlen der Nachmittagssonne hingen schon schräg über dem Walde, als der Oberförster vor die Thür seines Hauses trat, der Hund folgte ihm auf der Ferse- „Wo willst du hin?" fragte ihn seine Frau, welche mit einer Handarbeit beschäftigt auf der Bank saß. Schmerzlich vermißte sie den Sohn, der wohl zu- ^weilen scherzeshalber das Kaffeekännchen
regierte, oder ihr eine Wollsträhne hielt. „Was du mit deiner Ungeduld nie fertig bekommst," pflegte sie hinterher ihrem Manne zu sagen. Nun war der Armsessel neben ihr leer geblieben, leer das schon bereitstehende Becherchen, in welches er, so oft er von seinen Ausflügen zurückkehrte, ein zierliches Waldblumensträußchen ,setzte. Kein Bräutigam konnte liebender der Braut gedenken, wie dieser Sohn seiner alternden Mutter, darum auch war er im wahrsten Sinne das Licht ihrer Augen, darum lebte sie von seinem Anblick. Der sollte ihr nun fehlen! Nicht eherals bis die dunkle Wolke, die über dem sonst so glücklichen Forsthause hing, sich aufgeklärt hatte, sollte er wieder mit essen und trinken. Darum saß ihr die Kummerfalte so tief zwischen den Brauen und die Lippen hielt sie zusammengepreßt.
„Nach dem Eichengrund", antwortete der Oberförster und rückte sich den Hut in die Stirn. Es sind zwar im Thür- inger Wald die Taunen vorherrschend, doch giebt es auch Distrikte, besonders im Westen, wo das herrlichste Laubholz seine schattcnspendenden Wipfel breitet. Der Oberförster be;aßin seinem Revier einige dieser prachtvollen Bergrücken, aus denen jeder Baum fürstlich sein eigenes Reich behauptet. Dorthin lenkte er seine Schritte. Er ging nicht, ec stampfte; denn er hatte not, sich in seinem grimmigen Zorn zu behaupten, schon fraß ihm heimlich am Herzen die Reue, zumal da er die Frau am einsamen Kaffeetisch, die Kum- mersalie zwischen ihren Brauen und den leeren Blumenbecher gesehen hatte. Seit ihr das schöne schwarze Haar ergraute, konnte er es nicht leiden, wenn sie betrübt war. Er hatte stets bei sich gedacht, — aussprechen mochte er solche Dinge nie, — daß ihnen beiden nichts schrecklicheres begegnen könne, als irgend ein groß Herzeleid mit dem Sohne, und — wie heftige Menschen einmal sind, — was sie am meisten fürchten, das ziehen sie in ihrem Ungestüm mit krampfhafter Hast herbei, um es so bald als möglich zu bestehen. Nun war er mitten darin, schlimmeres hatte nicht geschehen können, und eben darum stampfte er. Er hätte mögen seinen Stock in den Waldgrund bohren.
Rings um ihn her die warme bewegliche Sommerschönheit, die Blätter von goldenen Lichtern durchspielt, hohe weiße Blnmen im Grün verborgen, welche köstliche Düfte ausströmten. O wie der Oberförster seinen Wald liebte, wie er sich sonst in ihm so zu Haus gefühlt, wie er jeden Baum mit brüderlichem Interesse betrachtet hatte, — heute schien ihm alles tot und leer, er sah das Eichhorn nicht, welches wie ein brandrotes Flämm- chen dort über den Weg schlüpfte, er bemerkte den wühlenden Maulwurf nicht, der unmittelbar neben ihm einen kunstgerechten Haufen aufwarf; auch daß dort von der Fülle der Jahre gebrochen, ein uralter Eichbaum in sich selbst zusam- mengesunken, schien ihm nicht nahe zu gehen. War es denn möglich, hatte er einen ungeratenen Sohn? Und dann flüsterte ihm eine unabweisbare Stimme zu: Du bist doch zu rasch gewesen, — hast es ihm auf den Kopf zu gesagt, ohne seine Verteidigung anzuhören. Was wird er nun anfangen? wie sich heraushelfen?
Eine nagende Angst preßte ihm das Herz zusammen.
Er war noch nicht lange gegangen, als der Hufschlag mehrerer Rosse an sein Ohr schlug eben mündete der Pfad, auf dem er vorwärts geschritten, in einen breiteren Waldweg, der sich um eine scharf gewundene Bergkante wand. Zwei Damen hoch zu Roß kamen im Trabe auf ihn zu, gefolgt von einem stattlichen Herrn, dessen heiteres Lachen angenehm im Wald wiederhallte. Der Oberförster trat ersurchtsvoll bei Seite, denn er hatte den Landesfürsten erkannt. Die beiden Damen, welche so nahe nebeneinander ritten, daß ihre Pferde sich fast be- rührten, waren zwei lebensvolle Bilder der Jugend und Schönheit. Wie viel Glanz in ihren Augen, welche frische, ge- sunde Röte auf ihren Wangen! Sie schienen von der Herrlichkeit der Thür- inger Berge ganz durchdrungen, und es mußte ja auch ein köstliches Vergnügen sein, auf dem Rücken eines edlen Pferdes wie auf Flügeln durch den Wald getragen zu werden.
Hier wehte die Luft der Freiheit, hier lockte der Blätterschatten, grüßten die Vögel mit ihrem Lied! Beide erwiederten seinen Gruß und ritten vorüber, der Fürst aber zügelte sein ungeduldiges Tier und: „Guten Tag, mein Herr Oberförster," sagte er und winkte Hildebrandt näher zu treten. Der kam mit dem Hut in der Hand. Er schaute ruhig und fest zu dem hohen Herrn empor, waren sie beide Fürst und Unterthan, so waren sie zugleich zwei Männer die sich schätzten, und sich gegenseitig ihre Ehre gönnten. „Es hat mich sehr gefreut", fuhr der Fürst fort, „daß Sie die Beförderung ausschlugen, und es vorzogen, im Grünen zu bleiben. Ich mag keinen anderen um Wolfsleben. Heute komme ich mit einer besonderen Bitte; sie betrifft den weißen Hirsch, den sich die Kinder dort," er deutete auf die voranreitenden Damen, „aufgezogen und aus Schlesien herübergebracht haben. Er ist vollständig gezähmt, mag aber doch die Freiheit nicht entbehren, und spricht auch hier, wie er es von jeher gewöhnt war, nur dann im Schlosse vor, wenn das Verlangen, seine jungen Herrinnen wiederzu- sehen, oder auch die Lust, ein Stück Brot zu verzehren, —" der Fürst lachte, „ihn dazu antreiben. Ich befehle also den Fremdling Ihrer Obhut. Die gegenseitige Zuneigung ist groß, und der Schmerz, wenn dem Liebling etwas zustieße, würde unstillbar sein. Ich mag gar nicht daran denken, aber da in dieser Gegend sich noch nie ein weißer Hirsch gezeigt hat hoffe ich, wird es keine Mühe verursachen, diesen zu schonen, und ihm im Winter Pflege angedeihen zu lassen. Wollen Sie die Unterbeamten anweisen, sich nach der Instruktion zu richten?"
^Durchlaucht haben nur zu befehlen," erwiderte Hildebrand. Selten pflegte der Fürst einen Gegenstand so anhaltend zu besprechen, der Oberförster erkannte daran, wie wichtig er die Angelegenheit nahm. „Wieder eine Sorge mehr," dachte er, „da heißt es, Ohren und Augen offen halten." Doch durfte er sich das nicht merken lassen. Der Fürst grüßte ver. kindlichst und ritt weiter, Hildebrand schritt dem Eichengrund zu.
Er wußte selbst nicht, was er dort wollte; er hatte die Gegend sonst am