Nr. 78.
Amts- und Anzeigeblatt für den OberamLsbezirk Calw.
94. Jahrgang.
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Donnerstag de» z. April 1919.
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Der Generalstreik in Stuttgart.
Der Bericht der Regierung « .
über die gestrigen Ereignisse.
ECB. Stuttgart, 3. April. (Telefon '/«10 Uhr.) Zm Laufe des gestrigen Mittwoch ist es nach dem amtlichen Bericht der Staatsregierung im Borort Ostheim und Cannstatt zu Kämpfen gekommen. In Ostheim ist eine Patrouille von 8 Mann überfallen worden, ein Mann blieb Mt durchschnittener Kehle tot liegen, ein zweiter wurde durch Miigenschliß hoffnungslos verletzt, die weiteren 6 Mann sind spurlos verschwunden. In Untertürkheim konnten sich die ,6pnrtaMen eines Handgranatenlagers bemächtigen. Der Besitz dieser Waffen hat in Cannstatt zu mehrfachen Kämpfen geführt. Eine Patrouille wurde dort angegriffen und deren Führer schwer verletzt, später auch ein Panzer- -vutomobil, wobei es Tote und Verwundete gab. außerdem Nachmittags eine fahrbare Feldküche, deren Begleitmannschaft aber die Angreifer abschlug. Bet einer Schießerei abends 8 Uhr in der Langestriche in Stuttgart blieben 2 Mann tot. Die Stellung der Regierung ist nach wie vor unerschütterlich. Im Laufe des gestrigen Nachmittag wurde .eine Anzahl spartakistischer Führer in Haft genommen. Sämtliche Grotzstuttgarter Truppen stehen treu zur Regierung. Man darf hoffen, daß am Freitag den 4. April in einer Reihe von Betrieben die Arbeit wieder -nifgenommeii wird; in diesem Falle könnte auch das Verkehrswesen den Betrieb wieden ausnehmen.
Fm übrigen Lande sind Eßlingen, Göppingen, Lud- «vigsburg, Ravensburg und Friedrichshofen vom Generalstreik erfaßt, doch ist in diesen Städten eine nennenswerte Ruhestörung gestern nicht vorgekommen.
Dem amtlichen Bericht vom Dienstag ist nachzutragen, Laß der zweite Vorsitzende des Roten Söldatenbundes, der ^5 Jahre alte Mechaniker Wilhelm Teufel auf den Auto- Hnobilführer einer Wnrstfabrik einen Mordversuch unternommen hat. wobei letzterer schwer verletzt wurde, ferner, daß nach einer späteren Feststellung am Dienstag abend die Zahl der Toten 4—5, die der Verwundeten 12—15 Hetrug. Die Lebensmittelversorgung Stuttgarts ist vorläufig gesicherteste hängt weiterhin von der Wiederaufnahme der Arbeit und des Verkehrs ab. Milch kann allerdings nur für Kinder unter 2 Jahren zur Verfügung gestellt werden. Die Zahl der Toten und Verwundeten ist infolge der schärfer gewordenen Kämpfe bis Mittwoch abend erheblich gestiegen, steht aber noch nicht genau fest.
Die Maßnahme» der Regierung.
^ WTB. Stuttgart, 1. April. Die Regierung hat heilte früh folgendes durch Maueransthlag bekanntgegeben: Wegen dringendet Gefahr für die öffentliche Sicherheit wird der Belagerungszustand für das Gebiet des Stadtbezirks Stuttgart, des Oberamts Stuttgart und der Oberämter Eßlingen, Cannstatt und Böblingen von der Staats- »egierung erklärt. Im Einverständnis mit dem militärischen Befehlshaber werden mit sofortiger Wirkung folgende Anordnungen getroffen: 1: Alle Versammlungen, alle Menschenansammlungen auf Straßen und Plätzen, sowie öffentliche Umzüge aller Art werden verboten. 2. Die Beschränkungen des Gesetzes betr. Verhaftungen, Beschlagnahme und Durchsuchungen sind aufgehoben. 3. Jede Verbreitung von Flugschriften und Handzetteln ebenso der Vertrieb von Beitungen auf Straßen und Platzen ist nur mit Genehmig, ung der Regierung gestattet. 4. Die Polizeistunde wird auf Abends 8 Uhr festgesetzt. Alle öffentlichen Lokale, Wirtschaften, Theater und Lichtspielhaus» sind um 8 Uhr zu schließen und dürfen vor morgens 9 Uhr nicht geöffnet ,werden. Der Straßenverkehr ist von 9 Uhr abends verdaten. 5. Die Organe der Regierung sind ermächtigt, jeden M verhaften, der es unternimmt, die öffentliche Ruhe und Ordnung zu stören oder den Bestand des Staates oder der Regierung zu gefährden. 6. Für das Gebiet des Belagerungszustandes werden außerordentliche Kriegsgerichte ein- -gesetzt, die im beschleunigten Verfahren alle Straftaten des Hoch- und Landesverrats, Aufruhrs, Mord und Raubes, der Plünderung, der Befreiung von Gefangenen, der tätlichen Widersetzung, der Zerstörung von Eisenbahn und Telegraphen, des unbefugten Waffentragens oder Zuwider- Mndluiigen gegen die von der Regierung im Intresse der soffeullichen Sicherheit Maffeirm PeMte. Muntteilen Weg.
Die. Regierung fordert die Bevölkerung auf, ihren Anordnungen unbedingt Folge zu leisten. Dadurch wird es möglich sein, den Belagerungszustand in kürzester Frist wieder aufZuheben.
Die Zusammenstöße.
Stuttgart, 1. April. Trotz Verhängung des Belagerungszustandes fand heute vormittag nach der „Fkf. Ztg." ans dem Wilhelmsplatz eine Versammlung von etwa 8 000 Menschen statt. Nach mehreren Ansprachen zog die Menge mit Soldaten an der Spitze nach der Moltkekaserne, wo die Mannschaften des Regiments 125, deren Haltung als unsicher gilt, anfgefordert wurden, sich dem Zuge anzuschließen. Die Mannschaften leisteten aber der Aufforderung keine Folge. Nach längeren Demonstrationen ging der Zug weiter nach der Lndwigsträße vor das Haus des unabhängigen Blattes „Der Sozialdemokrat". Plötzlich fielen einige Schöffe. Es wurde eine Person getötet und mehrere verwundet. Während des ganzen Tages sammelten sich an der Rotebühlkaserne und an der Moltkekaserne größere Menschenmengen an. Vor der Rotebühlkaserne wurde ein Proviantwagen mit Brotlaiben angegriffen, worauf der Bedeckungspanzerwagen zu schießen begann. Auch hier soll es mehrere Tote gegeben haben. Bisher sind weitere Zusammenstöße nicht gemeldet. Die Regierung hat weitere Sicherheitsmannschaften aus dem Lande herbeige- zoaen. Im Lande selbst ist mit Ausnahme von Eßlingen und Göppinnen, wo gleichfalls der Generalstreik proklamiert wurde, alles ruhig.
ZU MMN mir Wem LW.
In Stuttgart ist es gestern wieder zu ernsten Zu- ammenstößen gekommen, die es nicht wahrscheinlich er- cheinen lassen, daß bald Ruhe einkehrt, wenn nicht die chärfsten Gegenmaßregeln gegen das unverantwortliche Treiben ergriffen werden. Als Gegenmaßnahme sind außer der Berkehrsabsperrung auch die Geschäfte geschlossen, während die Licht- und Wafseranlagen noch im Gang sind. Auch im rheinischen Industriegebiet nimmt die Zahl der Streikenden wieder zu. In München wollen die Unabhängigen alle Zeitungen sozialisieren, den bürgerlichen Zeitungen soll nur ein kleiner politischer Nachrichtendienst gestattet werden, mährend die sozialistischen politische Meinungen äußern dürfen. In Frankfurt a. M. ist es zu schweren Ausbreitungen und Plünderungen gekommen, bei denen mehrere Teilnehmer getötet wurden. Es wurden riesige Lebensmittelmengen in Lagerhäusern geplündert. In Berlin spukt es auch schon wieder, doch sollen' die Regier- ungstmppen fest zur Regierung halten.
Aus Paris melden die englischen Blätter, daß dort zwischen Wilson und Lloyd George einerseits, und Clemen- ceau und Orlando andererseits heftige Auseinandersetzungen stattfinden wegen der französischen und italienischen Forderungen. Die Franzosen beanspruchen das Saargebiet und wollen auch in ihrem Intreffe den Polen Danzig und das ourch Westpreußen führende Weichselgebiet bis zur polnischen Grenze üiit etwa 2 Millionen Deutschen zuschanzen. Die Italiener wollen die Gebiete am östlichen Adrianfer, in denen etwa 700 000 Slawen wohnen. Aber Wilson chat einmal sein Wort verpfändet, daß er in Europa das Nationalitütenprinzip zur Geltung bringen wolle, zum andern hat er in seinem Lande eine große Anzahl von Deutschen und Südslawen. die ihm eine scharfe Opposition machen würden, im Falle der Mißachtung seiner soundsooft kundgegebenen Grundsätze. Und noch 'etwas anderes: Der größte Teil der öffentlichen Meinung Deutschlands ist aus- senpolitisch zu wenig geschult, um die angelsächsische Politik in ihrer bewundernswerten Großzügigkeit zu erkennen. Die Franzosen wollen ihren Raub in alle Ewigkeit sichern. Deshalb wollen sie das linke Rheinufer, deshalb wollen sie die Polen als dauernden Bundesgenossen gewinnen und deshalb wollen sie uns auch dauernd militärisch Niederhalten.. Auch die Deutschöstreicher werden aus diesem Grund so gut behandelt, weil man sie vom Anschluß an Deutschland abhalten möchte. Dagegen sucht England, das seinen Zweck, die deutsche Wirtschaftskraft zu zerstören, und die ihm genehmen türkischen Provinzen für seinen Verbindungsweg von Afrika nach Indien zu gewinnen, erreicht hat, Deutschland SM WIhkttölpelit. indM.MN sich dM
Anschein gibt, unsere Ansprüche zu verteidige». Deshalb sollen jetzt Wilson und Lloyd-George angeblich auch für die sofortige Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund «eintreten. Und Herrn Fach scheint man auch bearbeitet zu haben, daß er die Landung der" polnischen Truppen, die von Frankreich zurückkehren auch in einem anderen deutschen Hafen als Danzig gestaltet. Daß man aber rein gar keine freundlichere Gesinnung gegen uns hat. das zeigt die Ausrechterhaltung der Blockade, die unentwegt fortgesetzt wird, um der ganzen Welt die Demütigung Deutschlands vor Augen zu sichren. Es wird uns und den „Neutralen" vorgeschriebe», ivas wir an sie liefern dürfen, damit wir unsere Lebensmitteleinsuhr bezahlen können, und was sie nach Deutschland schicken dürfen. Die Alliierten erhalten auch die Mobilisation ihrer Heere aufrecht, weil man den Gewaltfrieden immer noch nicht für gesichert hält. Churchill den man als Demobilmachnngsminister wieder zu Ehren kommen ließ, sagte im englischen Unterhaus gegenüber der Kritik an den hohen militärischen Forderungen, für die nach Ansicht mehrerer Redner keine Notwendigkeit mehr bestehe, di« 2.6 Milliarden Mark für die Ausgaben der verschiedenen Besatznngsheere — außer den 1,4 Milliarden, die Deutschland für die englische Besatzungsirmee zu bezahlen habe, — seien sehr notwendig, denn wenn England sich seiner militärischen Kraft beraube, so würde es nicht die Macht besitzen, auch nur den geringsten Einfluß auf den Gang der Ereignisse in Europa ausznübm. Es scheint also ohne den viel verlästerten Militarismus nicht zu gehen, nur mit dem Unterschied, daß der eigene Militarismus immer der angenehmere ist. Auch Frankreich soll seine Genietruppen fast ausnahmslos wieder einbernfen haben. Es heißt, es werde setzt gegen den russischen Bolschewismus vorgegangen. Die alliierten, und polnischen Truppen sollen die gesamte bolschewistische Front übernehmen mit Einschluß der baltischen Front, deren Schutz inan jetzt auch den Deutschen abnehmen will, natürlich nicht ans Freundschaft, sondern weil man keine Verbindung der Völker der Ostseepromnzen mit den Deutschen aufkommen lassen will, und weil man im Falle der Ablehnung eines Gewaltfriedens die Verbindung Rußlands und Deutschlands vereiteln will. In Ungarn.sind nach englischen Meldungen die Alliierten schon im Vormarsch gegen die kommunistischen Truppen. Also an Ruhe und Sicherheit dürfen wir noch nicht so gleich denken; es brodelt immer noch heftig im Hexenkessel der Weltpolilik, und man weiß heute nicht, ob morgen nicht wieder die ganze Welt von neuem in Brand gerät.
Uneinigkeit der Alliierten
über die Friedensbedingunge«. » Rotterdam, 1. April. „Daily Telegraph" meldet aus Newyork, daß Amerika sich möglicherweise von der Friedenskonferenz zurückziehe. Wenn die Zustände aus der Friedenskonferenz nicht besser werden, wird es wahrscheinlich, daß die Welt eine große Sensation erleben wird. In Wirklichkeit sind die Sitzungen des Rates der Vier aus einen toten Punkt angekommen. Die ganze letzte Woche kann als verschwendet angesehen werden»; Gestern ist tatsächlich eine Krisis eingekreten und die Lage hat sich verschlimmert, statt gebessert. „Daily Chronicle" meldet, daß die Frage der Wiedergutmachung eines der größten Hindernisse für den Frieden sei. Die Franzosen nehmen den Standpunkt ein, daß das ganze Saartal Frankreich als Entschädigung für die von den Deutschen zerstörten französischen Kohlenbergwerke abgetreten werden müsse. Der amerikanisch» Standpunkt ist der, daß die Alliierten sich zn dem Prinzip bekannt haben, daß die Völker nicht verteilt und nicht ohne ihre eigene Zustimmung, von einer nationalen Obergewalt einer anderen abgetreten werden dürfen. Dem „Daily Chronicle" zufolge hat die Spannung auf der Friedenskonferenz ihren Höhepunkt erreicht, "wobei ganz offen darauf hingewiesen wird, daß an jeder Verzögerung des Friedens Frankreich die Schuld trägt. Inzwischen sei die Lage in Osteuropa so schlecht geworden, daß manches Bplk, um das es bei den Verhandlungen geht, zweifelt, ob die Alliierten dieser Lage Herr, werden können. Die Wahrheit sei, daß die Lage auf der Friedenskonferenz ernst, ist. Wenn nicht bald eine Aenderung zum Guten eiMeis, Wwleu guIelMerregeydr MM eintreterr-