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Von Titntsiu zeigten sich die Machthaber in Peking plötzlich zum Verhandeln geneigt und ließen sich endlich dazu herbei, den Verkehr der eingeschlosseneu Gesandten mit ihren Regierungen zu ermöglichen. Jetzt werden auch die Chiffredepeschen der Gesandten befördert, und um jeden Verdacht der mit Recht mißtrauischen fremden Regierungen zu beseitigen, sollen sogar die Originale der Telegramme an die letzteren übersandt werden. Seit der Erstürmung von Peitsang, ein Erfolg, der sofort durch die Besetzung von Aangtsu, einem wichtigen Knotenpunkt der Eisenbahn Vervollständigt wurde, ist man in Peking noch gefügiger geworden: Ein kaiserliches Edikt soll erlassen sein, das den alten schlauen Diplomaten Li-Hung-Tschang beauftragt, förmliche Friedensverhandlungen mit den Mächten zu eröffnen.
London, 11. Aug. Meldungen aus Pretoriabestätigen, daß der Buren-General Dewet den Versuchen der Engländer, ihm den Weg zu verlegen, entkommen ist und erfolgreich mit seinem ganzen Korps den Vaalsluß überschritten hat. General Me- thuen sei nicht im Stande gewesen, ihn aufzuhalten. Dewet erstrebt die Verbindung mit dem Kommando des Generals Delarey an.
— „Morning Post" unterwirft die technischen Fähigkeiten Lord Methuens einer scharfen Kritik, weil Merhuen den Burengeneral Dewet entschlüpfen ließ, da die Engländer einen falschen Weg eingeschlagen hatten. Das Blatt stellt fest, daß jetzt in der Siegesperiode die Totenlisten der Engländer größer seien als zu Beginn des Feldzuges.
London, 11. Aug. Aus Lourenzo- Marquez wird gemeldet: Die Buren veröffentlichen ein Kriegsbulletin, worin sie Mitteilen, daß eine große Schlacht zwischen Middelburg und Lydenburg stattgefunden hat, in welcher die Engländer geschlagen wurden und sich nach Middelburg zurückziehen mußten. Die Engländer verloren 500 Tote und Verwundete. — Im Freistaat errangen die Buren ebenfalls mehrere Siege. Dem Bulletin zufolge haben die Buren Heilbron und Frankfort zurückerobert. Präsident Krüger erklärt alle Gerüchte über bevorstehende Ueber- gabe der Buren als unrichtig. Der Krieg, so sagt er, werde noch lauge dauern.
— A. G. Halles, der Kriegsberichterstatter der Daily News, schildert in einer Zuschrift den trostlosen Zustand der Truppen des Generalleutnants Sir Leslie Rundle. Diesem General ist die schwere und für Lord Roberts rückwärtige Verbindungslinie äußerst wichtige Aufgabe zu teil geworden, die etwa 80 englische Meilen lange, von Winburg bis fast an die Basutogrenze sich erstreckende Linie halten, um einen Durchbruch der in den Bergen verborgenen Buren, der letzten Tapferen des Oranjefreistaates, zu verhindern. Daß diese Aufgabe außer- ordentliche Ansprüche an die Leistungsfähigkeit der Truppen stellt, liegt auf der Hand. Mit um so größerer Entrüstung schildert Haies, dessen Behauptungen übrigens auch von anderen Berichterstattern bestätigt werden, den jammervollen Zustand der halbverhungerten Soldaten. „Die Leute leiden die bitterste Not. Viele Fußsoldaten sind so schwach, daß sie stch kaum unter der Last ihrer
feldmäßigen Ausrüstung fortschleppen können. Abgemagert und bleich, müde und teilnahmslos schleichen sie auf dem Marsche dahin. Ihre Kniee schlottern; ihre Hand zittert und bebt, wenn sie das Gewehr schultern — zittert und bebt, aber nicht vor Furcht und nicht vor Wundenschmerz, sondern vor bloßer Schwäche, Entkräftung u. Blutarmut, herbeigeführt durch fortwährenden Hunger". Die täglichen Fleisch, und Mehllieferungen seien kaum genügend, um einen Mann in gewöhnlichen Verhältnissen vor Hunger zu bewahren, um wie viel weniger eine Heeresabteilung, die Tag und Nacht aul der Lauer zu liegen hat und oft auf unerwartet eintreffende Meldungen hin angestrengte Gewaltmärsche von vielen Meilen auszuführen hat.
WnterHaltenöes.
Lenchtzn.
Eine Erzählung von Dr. Emil Freiburg er
^Fortsetzung^ (Nachdruck Verb.)
Der Onkel mußte zwar Lenchen in der Sache mit Christine Recht geben, konnte aber doch seine Verstimmung darüber, daß uun plötzlich eine zweifache Lücke in der Küche eintrat, nicht verbergen und zeigte sich am anderen Morgen beim Frühstück sehr einsilbig. Lenchen schien nicht verwundert und versuchte, ihn aufzuheitern.
„Nun, Onkel", frug sie, ihn ermunternd, „bist Du nicht zufrieden mit dem Frühstück, welches ich Dir bereitete? Ist etwa der Rahm, den ich Dir zugoß, nicht süß? Ich schüttete doch vom allerbesten ab. Oder ist der Kaffee selbst nicht gut? Ich machte ihn doch gerade so wie damals, wo Du vor zwei Jahren bei uns zum Besuche warst und das Getränke so sehr lobtest. Weißt Du noch, was Du damals zu mir sagtest, Onkel?"
„Nein, Lenchen, ich weiß es nicht mehr," erwiderte der Onkel etwas mürrisch.
„Darf ich es sagen? Ich weiß es noch ganz gut."
„Meinetwegen kannst Du es sagen, wenn Du es noch so gut weißt."
„Nun, Dn sagtest: Ei, wer macht denn diesen Kaffee? Wenn man in Amerika jeden Morgen ein solches Getränk braute, so bekäme ich das ganze Jahr hindurch keine schlechte Laune mehr."
„Das hatte ich damals gesagt, Len- chen? Und Du mußt wenigstens für heute Dein Wort halten und darfst keine schlechte Laune bekommen. Ich verspreche Dir auf den Mittag etwas gutes zu kochen, und Du darfst gar nicht merken, und niemand soll es merken, daß die Köchin im Bett liegt, nicht einmal sie selbst soll sich beklagen dürfen. Ich weiß schon, was sie am liebsten ißt, und das soll sie haben, wenn Du es erlaubst, lieber Onkel."
„Alles erlaube ich Dir, wenn Du mir nur den Wagen im Geleise erhältst," sagte der Onkel; und Lenchen gab ihm zum erstenmal auf die Wange einen Kuß.
Mit dem eingetretenen Mißgeschick im Küchendepartement war Lenchens schon längst gehegter Herzenswunsch in Erfüllung gegangen. Sie wollte gern einmal unbeschränkter Herr und Meister in diesem
Gebiete sein, und sie war es. Wandelte sie seither langsam und bedächtig einher, um einigermaßen die von ihren Untergebenen nicht gern gesehene Oberaufsicht zu führen, so entwickelte sie jetzt eine staunenswert flinke und selbstgewisfe Thätigkeit. Im Nu hatte sie die Schwierigkeiten der Milchbesorgung überwunden; und trotz der mannigfaltigen Beschäftigung am Herde fand sie immer noch Zeit, in den Nebenräumev Ordnung und Reinlichkeit herzustellen. Die arme Köchin, welche sich von ihrer Alteration noch immer nicht erholt hatte und in ihrem Bette sogar ärztlicher Hilfe bedurfte, sorgte sich mit dem unnötigen Gedanken ab, es müüe alles drunter und drüber gehen, nicht blos in der Küche, sondern infolge davon im ganzen Hanse. Sie schenkte der gegenteiligen Versicherung Lenchens keinen Glauben, obschon sie bekennen mußte, daß die ihr vom Arzte verordneten Speisen tadellos zubereitet und genau zur bestimmten Zeit von Len. chen ihr vorgesetzt wurden. Der Herr selbst mußte kommen und bestätigen, daß alles ganz gut gehe. So sehr war die Gute von ihrer Unersetzlichkeit und Lenchens Unfähigkeit überzeugt. Lenchen dagegen hätte wünschen mögen, daß die Krankheit noch recht lange dauerte und man auch vorerst kein passendes neues Küchenmädchen fände, so glücklich und befriedigt fühlte sie sich, endlich nach der wochenlangen Zurückhaltung und Einschränkung ihre Fähigkeit und Arbeitskraft entfalten zu können.
Jeden Abend, wenn sie auf ihr Zimmer kam, dankte sie Gott dafür, und jeden Morgen erwachte sie fröhlich zum neuen Tagewerk. Sie fand gar keine Zeit, sich, wie sie vorher that, Gedanken darüber zu machen, weshalb sie von Hause so lange keinen Brief erhielt. Zweimal schon hatte sie geschrieben, zuerst ihre glückliche Ueberfahrt und den Empfang von Seiten des Onkels gemeldet und dann, weil ihr so wenig noch zu thnn beschieden war, etwas über Heimweh geklagt und dringend um Nachricht, namentlich auch über das Befinden der Frida gebeten. DaS Kind war ihr ja, namentlich seit dem Vorfall mit dem Handwerksburschen, wie ihr eigenes ans Herz gewachsen. Sie konnte sich seinetwegen einer ängstlichen Sorge nicht erwehren. Denn seit jener Zeit hatte die Kleine öfters mitten in der Nacht ganz erschreckt aufgeschrieen, am ganzen Körper gezittert und längere Zeit den Schlaf nicht mehr finden können. So fiel dem Lenchen auch der Abschied sehr schwer und mehr als einmal, als die Nachrichten so lange ausblieben, ängstigte sie sich, als sollte sie ihren Liebling nicht mehr Wiedersehen.
War nun diese Sorge im Drang der Geschäfte in den Hintergrund getreten, so pochte sie, nachdem die Köchin genesen und ein neues Mädchen eingestellt war, mit Gewalt wieder an Lenchens Thür. Die sorgliche Schwester malte sich, wenn sie sich des Abends niederlegte und vor dem Lichtlöschen nochmals auf dem Familienbilde die lieben Gesichter ansah, alles schwarz. Sie meinte, ganz bestimmt zu wissen, daß irgend Eines krank und leidend fei und zuletzt blieb ihr Blick immer wieder an dem Kinde hängen, das ihr auf dem Bilde im Schoße saß, das