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geistertes „Lvviva!" auf den neuen König Viktor Emanuel III. ausklang. — Wie die T. Chr. meldet, entspricht die von einer Reihe von Blättern gebrachte Mitteilung, daß der von seinem Dienstherr», dem Freiherrn Oskar von Münch, durch Revolverschüsse schwer verwundete Schweizer Blatt in der chirurgischon Klinik seinen Verletzungen erlegen sei, nicht der Wirklichkeit. Blatt lebt noch und befindet sich verhältnismäßig wohl.
— Die Magdeb. Ztg. bespricht die erwähnten, zum Teil für Deutschland verletzenden Aeußerungen englischer Blätter über den verstorbenen Herzog Alfred von Sachsen-Koburg und tritt zunächst der Pall Mall Gazette entgegen, die behauptet hatte, der Herzog von Edinburgh habe es als eine Last empfunden, als er die Regierung der Herzogtümer Koburg und Gotha übernahm. „Dem gegenüber muß (so schreibt die Magdeb. Z.) mit aller Bestimmtheit betont werden, daß der Herzog diese Last aus freier Entschließung aus sich genommen hat; Niemand, wenigstens in Deutschland nicht, hat ihn gezwungen, die Last auf sich zu nehmen und das große Opfer zu bringen. Da er aus die ihm gesetzlich zustehende Thronfolge nicht verzichtet hat, so muß man annehmen, daß er die Stellung eines souveränen deutschen Herzogs der eines englischen Prinzen und Admirals vorgezogen hat. „Ganz unsinnig ist die Aeußerung des Daily Chronicle, der deutsche Kaiser nehme englische Prinzen weg, um ein deutsches Herzogtum seinem Reiche zu erhalten. Daß englische Prinzen in Deutschland erbberechtigt sind, rührt daher, daß ein deutscher Prinz Gemahl der Königin von England geworden ist, und daß dieser, der übrigens trotz seiner Stellung in England sein ganzes Leben lang in seinem Herzen ein guter Deutscher geblieben ist, auf sein Erbfolgerecht nicht verzichtet hat. als er nach England ging. Der deutsche Kaiser setzt keine Fürsten ein: die Regelung der Erbfolge ist Sache der Land.sgesetz- gebungen, und lediglich der Landcsgesetz- gebung von Koburg und Gotha verdanken die englischen Prinzen ihre Erbansprüche in den Herzogtümern. Die englische Presse hätte übrigens alle Ursache, sich etwas Mäßigung in ihren Aeußerungen aufzuerlegen. England selbst hat seit bald 200 Jahren keine eigene Dynastie, sondern wird von Angehörigen deutscher Fürstenhäuser regiert. Die Königin von England gehört dem Hause Hannover an, und nach ihrem Tode kommt das Haus Sachsen-Koburg und Gotha in England zur Regierung."
Berlin, 4. Aug. Die Antwort des Königs Viktor Emanuel auf das Beileids- Telegramm Kaiser Wilhelms lautet: „Dein Telegramm hat mich tief gerührt und ist mir ein Beweis, daß Du auf mich die brüderliche Freundschaft übertragen willst, die Du zu meinem trefflichen, so grausam dahingeopferten Vater immer gehegt hast. Sein Andenken, das in unseren Herzen unauslöschlich bleibt, wird die unsere Häuser und unsere Völker einigenden Bande ebenso unabänderlich machen."
Charlottenburg, 7. Aug. Der sozialistische Reichstagsabgeordnete Liebknecht ist heute nacht infolge eines Schlaganfalls gestorben.
Berlin, 6. Aug. Die von London aus verbreitete Meldung aus Shanghai,
daß Li-Hung-Tschang Selbstmord begangen hahe, ist bisher unbestätigt. Das Berl. Tagebl. meint, die Nachricht müsse einstweilen mit aller Reserve ausgenommen werden, werde aber, selbst wenn sie sich bestätigt, nicht von entscheidender Bedeutung für die Lösung der Chinafrage sein. Die Doppelzüngigkeit dieses sonst so bedeutenden chinesischen Staatsmannes habe die Diplomaten schon längst mit berech- tigtem Mißtrauen erfüllt.
Bresei, der Mörder des Königs von Italien, wurde nach Ueberführung ins neue Gefängnis in Gegenwart des Jnstiz- ministers Giantureo verhört. Unter den Fragen, die ihm vorgelegt wurden, befand sich auch eine betreffend seine politischen Ansichten. Er erwiderte: „Ich bin Nationalist und Individualist. Ich gehöre verschiedenen politischen Gesellschaften an, aber keine einzige ist ganz nach meinem Geschmack. Ich hasse alle Großen." Ferner sagte er: Ich bereue nicht, was ich gethan habe, und wenn ich nochmals frei käme, so würde ich auch meine zweite Ausgabe ansführen, die Ermordung des Kaisers von Rußland."
— Die Strafe, die des Königsmörders harrt, ist, da die Todesstrafe in Italien abgeschafft ist, das lebenslängliche Zuchthaus mit Verschärfungen. Die ersten 5 Monare verbringt der zu lebenslänglichem Zuchthaus Verurteilte bei Wasser und Brot in einem 2 bis 8 Quadratmeter großen dunklen Gelasse. Als Bett dient eine Pritsch«. Benimmt er sich widersetzlich, so stehen ihm nach Gutdünken des Strafhausverwalters die eiserne Zwangsjacke oder das Zwangsbett bevor, eine Art Sarg, worein er mit gebundenen Händen und Füßen gelegt wird. Nach Ablauf dieser Novizenzeit kommt er auf 10 Jahre in die Zelle. Jede Arbeit ist ihm verboten, er darf weder rauchen, noch lesen, noch sprechen; sein täglicher Spaziergang besteht in dreistündigem, einsamem Auf- und Ab- schreiten zwischen 2 hohen kahlen Wände». Ueberdanert er diese 10 Jahre, so untersteht er bis an sein Lebensende der gewöhnlichen Hausordnung. Bisher hat es noch Keiner so weit gebracht.
Newyork, 4. August. Der Newyork Herald meldet: Die Polizei und die ital. Behörden sind im Besitz von Material, das als unbestreitbarer Beweis dafür anzusehen ist, daß iw Newyork und Patterson eine gewaltige Verschwörung gegen gekrönte Häupter geschmiedet wurde. Anarchisten, von denen anzuuehmen ist, daß sie abgegangen sind, um Hnmbert und andere Herrscher zu töten, wählten verschiedene Wege. Für denselben Zweck thaten sich immer mehrere zusammen, damit, falls einer einen Fehlschlag haben oder vor der That zurückschrecken sollte, immer ein Nachfolger da wäre.
— Die Staatspolizei der Vereinigten Staaten hat jetzt den Umtrieben der in der Union lebenden ital. Anarchisten größere Aufmerksamkeit zugewendet als bisher. Sie hat nach der N. Fr. Presse nach Rom berichtet, daß die Sekte 2 Brennpunkte, Patterson und Newyork, hat und in 2 Lager geteilt ist, deren eines dem Fanatiker Ciancabilla gehorcht und die Vernichtung der heutigen Gesellschaft und ihrer Führer predigt, während das andere unter der Leitung Malatestas „gemäßigteren" Grundsätzen huldigt und den Königsmord sozusagen als „Privat
sache besonders großherziger Karaktere" betrachtet. Die beiden Lager befehden einander mit so leidenschaftlicher Wut, daß einmal ein Anhänger Ciancabillas dem Führer der gegnerischen Gruppe eine Kugel durch den Leib schoß. Ciancabilla giebt in West-Hoboken die „Aurora" heraus, Malatesta in Patterson sNewyork) die „Onistione Sociale". Bresci war eines der eifrigsten Mitglieder der Gruppe Ciancabilla. Diese war es, die ihn und seine Genossen mit Geld und Empfehlungen an Anarchisten in Paris, Lyon nud Genua versah. Am Tage vor der Abreise Brescis nach Europa versammelte sich die Gruppe zu einem Festessen. Cian- cabilla hielt eine Rede, um den ins Feld Ziehenden „die Lehren seiner Kirche" ins Herz zu prägen. „Die echten Anarchisten", schloß er, „erstürmen die Bollwerke der bürgerlichen Gesellschaft nicht, um sich darin festzusetzen, sondern um sie zu zerstören". Und zu den 4 Erkorenen gewendet, rief er: „Ziehet hin und thut eure Pflicht!" Bresci ist eine Kreatur Biancabillas; dieser hat ihn erzogen, er ist der moralische Urheber des Mordes von Monza- Seine Auslieferung wird gleichwohl nicht begehrt, denn sie würde nicht bewilligt werden.
Wnter-Hattenöes.
Lenchtzn.
Eine Erzählu g von Dr. EmilFreiburger
^Fortsetzung.^ (Nachdruck Verb.)
Auf einer Kommode des Zimmers war auch noch etwas besonderes zu sehen, nämlich eine Zither. Leuchen nahm nach ihrer Konfirmation bei dem Lehrer des Orts auf einer alten Zither Unterricht und konnte allerlei Ländler und Volkslieder klimpern. Doch ihr Wunsch, ein neues Instrument zu erhalten, erfüllte sich bei den eingetretenen schlechten Zeiten nicht. So wollte denn der Onkel, welcher den Wunsch kannte, seine Nichte mit dem Geschenke überraschen.
Die Seitenthür führte zum Schlaf- kabinet. Nebeu dem Bette mit seinen weißen Linnen und einer hellblauen Wolldecke hing in einem hübschen Rahmen das Familienbild, das sich der Onkel bestellt hatte. Er wollte seine Nichte heimatlich empfangen und trat ihr deshalb das Bild ab. Da schauten sie alle heraus, die Eltern und Geschwister: Franz lachte verschmitzt, als hielte er hinterrücks seiner Nachbarin Bertha den Zopf. In Wahrheit aber dachte er an die Eierpflaumen. Fritz machte ein ernstes, fast saures Gesicht, als beiße er in einen unreifen Apfel, den er von Franz erbettelt hatte. Frieda saß vergnügt auf Lenchens Schoß. Vor dem Fenster blühten in Töpfen noch herbstliche Monatrosen und Reseden. Gar lieblich und nett sah die kleine Behausung aus; sie wartete, von der Sonne durchstrahlt, luftig und duftig auf ihre neue Besitzerin.
Die Zimmeruhr schlug, an der Seitenwand forttönend, die vierte Stunde. Drunten im Hof spielte Diana, eine braungefleckte Hündin mit ihren vielversprechenden vier Jungen. Bald saugen sich die ungeschliffenen Tölpel voll Milch, bald zupften sie in unverschämter Weise ihre geduldige Mutter an den lang herabhängenden breiten, weichen Ohren, bald purzelten sie übereinander und kniffen 'sich in die Schwänze. Jetzt schüttelte