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gekleidet, bewegte sich Herr Großmann in seinen röhrenartigen, etwa 1*/- Meter langen Schuhen mit Sicherheit und der Schnelligkeit eines gewandten Schlitt­schuhläufers stromabwärts, in der einen Hand ein leichtes Ruder schwingend, das dazu diente, ihn bei et­waigen Stromschnellen im Gleichgewicht zu halten. Selbit die Unruhe des Wassers, hervorgerufen durch den Verkehr zahlreicher Dampfer und Schlepper, die um diese Zeit den Strom beleben, ließen keine Unsicherheit in seinem Weiterschreiten erkennen. Zwischen den beiden Brücken zündete sich der Sportsmann in aller Gemütsruhe eine Zigarre an und winkte den zahlreichen Zuschauern mit dem Taschentuche zu. Mühlheim a. Rh. war das nächste Ziel seiner seltsamen Wanderung.

Elberfeld, 1. August. Die Polizei verhaftete heute einen aus Zürich vor Kurzem hier eingewanderten Bergarbeiter, einen Italiener, der Landsleuten gegen- über die Aeußerung that, König Humbert von Italien sei jetzt tot, nächstes Jahr komme Kaiser Wilhelm an die Reihe. Die Polizei leitete eine umfassende Unter­suchung ein. Mehrere Briefe an Italiener wurden beschlagnahmt, weitere Verhaft- ungen stehen bevor.

Berlin, 1. Aug. Der Nordd. allg. eitung zufolge richtete der Kaiser an die önigin Margherita folgendes Telegramm: Furchtbar erschüttert durch den Tod Deines kgl. Gemahls, Meines treuen Freundes und Verbündeten sende ich Dir mit der Kaiserin den Ausdruck unseres tiefsten (und innigsten Beileides. Ritter­lich durch unddurch, gütig, tapfer und treu, fiel König Humbert wie ein Soldat auf dem Schlachtfelde, ein Opfer jener teuflischen Bestrebungen, welche die gött­liche» und menschlichen Institutionen zu zerstören trachten. Gott tröste Dich in Deinem namenlosen Schmerz, er stärke den Arm Deines Sohnes, daß er Szepter und Schwert führen möge zum Heile seines Volkes und für den Ruhm und die Wohlfahrt Italiens. Das Andenken Deines verewigten Gemahls wird in unserem Herzen unauslöschlich fortleben."

General - Feldmarschall Graf Blumenthal hat zu seinem 90. Ge- burtstage ein in den herzlichsten Worten abgefaßtes Handschreiben des Kaisers erhalten.

Rom, 1. August. Wie hier verlautet, mehren sich die Anzeichen für ein Com- plott. Man glaubt, daß ein vor der königlichen Tribüne zwischen Arbeitern entstandener Streit absichtlich in Szene gesetzt worden sei, um die Aufmerksamkeit des Publikums vom König abzulenken. Ebenso sollen Drvhrufe gegen den König und die königliche Familie auSgestoßen worden sein. Da man nicht wußte, welchen Weg der königliche Wagen nehmen würde, so vermutet man, daß mehrere Meuchelmörder an verschiedenen Punkten aufgestellt waren.

P a r i s, 2. August. Ein Italiener versuchte heute Vormittag den Schah von Persien zu erdolchen. Der Schah parierte den Angriff und blieb un­verletzt. Der Attentäter wurde ver­haftet.

Das Attentat auf den Schah von Persien ereignete sich, als der Schah heute Vormittag sein Hotel verließ. Ein Mann, der sich später als ein Italiener erwies versuchte ihn in diesem Augenblick

zu erdolchen. Der Schah hielt jedoch dem Angreifer einen Revolvcrentgegen und blieb Dank seiner Geistesgegenwart unverletzt.

London, 3l. Juli. DenMünch. N. N." wird von hier gemeldet: Die Nachricht von der Kapitulation des Hauptkorps der Freistaater mit 8000 Mann erweist sich nach Meldungen aus Prätoria als eine Mystifikation Hunters. Nur der kommandolose Prinsloo kapi- tulierte persönlich mit angeblich 900 Mann Unzufriedener, während die Korn- Mandanten Fourie, Colrie und Roux mit dem Hauptkorps der gesamten Artillerie nnd dem Train nordwestlich Dewet und Steijn folgten, die die Vereinigung mit Botha Herstellen. Die angeblich -erbeuteten neun Kanonen seien nur ein Neun- zentimeter-Feldgeschütz.

London, 31. Juli. Lord Roberts meldet Einzelheiten über die Uebergabe Prinsloos. Er stellt fest, daß 986 Buren gefangen genommen (also nicht 5000, wie Roberts zuerst gemeldet) seien und ein Neunpfünder den Engländer» in die Hände gefallen sei. Roberts fügt hinzu, einige Führer in den entlegensten Teilen der Berge zögerten noch herbeizukommen, und erklärten, daß sie mehr oder weniger unabhängig von Prinsloo seien. Roberts erteilte Hunter den Befehl, die Feind» eligkeiten wieder aufzunehmen und Prinsloo auzukündigen, daß er persönlich dafür verantwortlich gemacht werde, daß -edes bei seiner Truppe befindliche Geschütz ausgcliefert werden müsse.

New-York, 2. Aug. DerNewyork Herald" veröffentlicht ein Telegramm aus Tientsin, demzufolge die japanische Avant­garde geschlagen wurde und 150 Tote und Verwundete verlor. Die Russen ollen die in der Richtung auf Peking ge- legenen, 10 Meilen von Tientsin befind. Uchen Forts genommen haben. Die Besatzung von 10000 Mann hat die Flucht ergriffen.

Die günstigen Nachrichten aus Peking mehren sich. Uebereinstimmend geht da- raus hervor, daß es dem kleinen Häuflein der Gesandten und Europäer gelungen ist,

volle Wochen lang to.resmutig di« Angriffe der chinesischen Horden abzu- wehren und daß Angesichts dieses die bisherigen Verluste wenn auch schwer, so doch im Verhältnis nicht so bedeutend waren, als man nach Lage der Dinge annehmen mußte. Die Kaiserin soll, wie aus Schanghai berichtet wird, Peking vor 3 Wochen verlassen und sich nach Sianfu, in der Provinz Shensi, begeben haben, das nach oder vielleicht schon vor dem Falle Pekings die neue Hauptstadt werden dürfte.

Unterhaltendes.

Lenchen.

Eine Erzählung von Dr. EmilFreiburger

^Fortsetzung.) (Nachdruck Verb.)

Die Erinnerung an diese Worte machte der Verwunderung des Onkels über den Brief seiner Schwägerin ein Ende, und er?gestand in seiner Antwort völlig dlc Bedingungen und auch das in einer Nach- schrift enthaltene Verlangen zu, daß Len­chen nicht so rasch die Reise unternähme, sondern erst wenn man eine passende Reisebegleitung gefunden und alles nötige für den Bedarf ungeschafft und herge­richtet habe.Auch werde er, hieß es am Schluffe des Schreibens, bei Ankunft

des Schiffes am Hafen sein und seine Nichte in Empfang nehmen".

Die Hanfbäuerin zeigte und las mit Befriedigung den Brief nicht bloS ihrem Gatten und ihren Kindern, sondern auch Verwandten und Bekannten. Es war ihr ein Anliegen, daß man im ganzen Dorf erführe, welchen Wert der Onkel auf den Besitz ihrer ältesten Tochter legte. Sie hielt sich den Dorfbewohnern gegenüber, welche ohne Ausnahme ihr Lenchen hochschätzte, für verpflichtet, den Nachweis zu liefern, daß sie ihr geliebtes Kind nicht leichtsinnig aus dem Hause und gar in so weite Ferne weggebe.

Wer es hörte, wünschte sich für seine Tochter auch einen so guten Onkel. Wer ihr begegnete auf der Straße, vor der Kirche, 'im Felde, gratulierte ihr mit freundlichen Worten und warmem Hände­druck. Eine alte Wahrsagerin, welche drunten im Unterdorfe bei den Erlen wohnte, hätte gar zu gern ihr die Karten geschlagen. Dock, Lenchen empfand von jeher eine unsagbare Scheu vor dem Weibe, wich ihm von ferne aus, wenn sie einmal an dessen Wohnung vorüber­gehen mußte. Nein, Lenchen mochte mit io unheimlichen Dingen nichts zu schaffen haben. Wollte die Zukunft Glück be- scheren, so war es noch Zeit genug, sich zu freuen, wenn es sein Füllhorn auS- schüttete; und beschert sie Unglück, warum durch ein zweideutiges Wort eine Wahr­sagerin züm voraus sich Herz und Sinn beschweren! Freue Dich nicht, aber sorge dich auch für den morgigen Tag! Das st der Stein der Weisen. Denn nur dann nimmst aus Gottes Hand fröhlich und getrost, was er dir täglich giebt.

Binnen kurzem gewahrte man am Fenster des Haufbauern zwei Näherinnen, welche, ohne aufzusehen, in die von Len- chen und ihrer Mutter gesponnene, im GraSgarten schneeweiß gebleichte Leinwand stachen. Auch die künftige Amerikanerin setzte sich, soweit eS die Erntegeschäfte erlaubten, bisweilen zuNadelkünstlerinnen, bei deren Einer sie nach ihrer Konfir­mation in die Lehre gegangen war. An einem freien Nachmittage fuhren Mutter und Tochter in die Stadt, um Kleider­stoffe einzukaufen. Lenchens Pathin aber im letzten Hause auf dem Weg nach dem Krautacker, mahnte ihren Mann, doch ja die Stiefel und Schuhe für die Aus­wanderin leicht und zierlich und so sauber zu arbeiten, als wenn sie lauter Meisterstücke werden sollten. Sie selbst stickte für ihr Pathenkind noch Pantoffeln nach einem neuesten Muster mit Punkt- chen von roter und weißer Seide. Sie fertigte diese Arbeit im Geheimen zur Ueberraschung und Erinnerung, und auch manche Kamerädinnen im Dorfe bereiteten in der Stille ein Andenken vor. Denn je weiter eine liebe Seele in die Fremde zieht, desto mehr muß man an sie denken.

Und näher, immer näher rückte die Zeit. Unter alleu Umständen sollte die Ueberfahrt vor dem Eintritt der No- vemberstürme stattfinden. Die Frucht lag schon längst in Garben gebunden in der Scheune und bot sich den Mäusen und Sperlingen als bequeme Nahrung dar. Auf den Aeckern starb das Kar­toffelkraut ab und verbreitete einen tun­angenehmen Geruch. Der Hanf lag zum dörren und rösten auf den abgemähen Kleeäckern und die weißen Rüben rundeten sich zu immer größerem Umfang; in..den