Weinbergen aber blinkten die Trauben blau und gelb, grün und rot. Vom süßen Neuen sollte Leuchen noch eine fest- verpfropfte und versiegelte Champagnerflasche voll mitnehmen, um bei ihrer Ankunft in Amerika ein Mittel gegen das erste Heimweh zu besitzen. Und als endlich der arme Nachtwächter aus dem Nachbarsdorf, der auf Kosten der Gemeinde mit seiner ganzen Familie übers Meer zog, und Leuchen unter seinen Schutz nehmen wollte, sich als reisefertig meldete, so war für des Hanfbauern Tochter die Stunde des Abschieds gekommen.
Fröhlich, wie früher, konnte Lenchen seit jener Stunde, wo die kleine Frieda die warmen Tropfen auf sich herabfallen spürte, nicht mehr sein. Sonst spielte sie so lustig mit ihren Geschwistern und sang allerlei liebliche Lieder mit ihnen. Das wollte nicht mehr recht gehen. Nur des Sonntags von der Orgel herab, wo die Jungfrauen den ersten Vers des Liedes zweistimmig sangen, vernahm man aus allen heraus Lenchens sichere Stimme und die Töne klangen dann öfters den Hörern wie Klagetöne. Am letzten Sonn- tag am Tage vor der Abreise, ging die Stimme allen Bekannten durchs Herz. Der Geistliche, bei welchem Lenchen vor vier Jahren konfirmiert wurde und die erste Kommunion empfing, ließ ihr zu lieb noch das Lied singen: „Wer nur den lieben Gott läßt walten". Er konnte sich nicht enthalten, auch in der Predigt bei dem Text, daß wir hier keine bleibende Stätte haben, eine Anspielung auf die von ihm hochgeschätzte Jungfrau zu machen: Als nun gar bei dem letzten Aerse: „Sing, bet und geh auf Gottes Wegen", Lenchen, von ihren Gefühlen überwältigt, zu weinen begann, ging eine schmerzliche
Bewegung durch die ganze Gemeinde und kaum ein Auge blieb trocken.
Am Montag in aller Frühe stand das Bernerwägele angespannt, auf welchem der Hanfbauer seine Tochter zur nächsten Eisenbahnstation bringen sollte. ES war herzzerreißend, wie Leuchen Eins nach dem Andern von den Ihrigen mit den Armen umschlang und an die Brust preßte. Zuletzt ergriff sie die Frieda, trug sie in den Stall, um ihr nochmals die Seidenhäschen zu zeigen. Auch den Sultan, der sie gerettet, streichelte sie noch einmal dankbar zum Abschied Kopf und Hals. Dann legte sie die Kleine ihrer Mutter in die Arme mit den Worten:
„Gute Mutter, gieb mir auf die Frieda acht. Sie ist gar arg erschrocken vor dem Handwerksburschen".
Die Nachtwächtersfamilie, mit welcher Lenchen in Hamburg das Auswanderungsschiff bestieg, bestand aus fün» Köpfen, Von jeher rechtschaffene, aber arme Leute, machten sie vergebliche Anstrengung, zu ihrem Alimentstückchen, das sie als Bürger- gäbe benützen durften, noch irgend einen eigenen Acker zu erwerben. Sie kauften zwar ein Viertel und machten aus ihren Ersparnissen eine kleineAnzahlung,währendsie die größere Restschuld verzinsen mußten. Doch den beiden guten Jahren folgten drei schlechte. Sie vermochten den Zins nicht mehr aufzubringen, der Acker kam an den Stab, und weil der Erlös weit unter dem Kampreis stand, verloren sie
auch noch die Kuh. Taglöhner stellte man iu den schlechten Zeiten selten an, der Nachtwächterdienst lieferte nicht einmal das notwendige Brot ins Haus. So fiel die Familie der Gemeinde zur Last und diese zog es vor, die Reise, nach Amerika zu bezahlen, während der Kreisausschuß den Auswanderern noch ein kleines Handgeld dekretierte.
Lenchen nahm sich auf dem Schiffe der drei noch schulpflichtigen Kinder an, und verspielte sich gern mit ihnen auf dem Verdeck oder" bei Sturm und Regen in der Kajüte.
In derselben Kajüte befand sich auch ein altes Ehepaar. Die beiden Leutchen konnten recht gut die Großeltern der drei Kinder sein. In der That waren es auch Großeltern, Schreinersleute, welche sich immer nur die eigenen Söhne als Lchr- jungen und Gesellen nachzogen, aber dieselben stets wieder verloren, sobald sie ihr Handwerk gut verstanden. Einer nach dem andern ging übers Meer. Den letzten wollte die Mutter noch halten. Doch die Briefe der anderen lauteten zu verlockend, als daß er hätte widerstehen können, und zuletzt netzte die Mutter den Segen ihres Jüngsten mit Thränen in der Hoffnung, ihr Liebling werde wiederkehren. Eitle Hoffnung!
(Forts, folgt.)
Slcrndesbuch. GHronik.
der Stadt Wildbad.
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29. Juli. Treiber, Ernst Friedrich, Fabrik-
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