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kragen verschwinden lassen. So fehlt es nicht an Komik in ernster Zeit, denn die Söhne des „himmlischen Reiches" sind trotz aller Verkleidung ohne Weiteres erkennbar und fallen in dem ihnen ungewohnten Kostüm mitteleuropäischer Gigerl mindestens so auf wie in ihrer Nationaltracht.
— Die „Berl. Börsenzeitung" schreibt: Eine neue Reklame für Schaufenster hat ein Londoner Modebazar erfunden. Vor diesem in Regentstreet gelegenen Bazar sieht man seit kurzem die vollständige Figur einer Dame in modernem Straßen- kostüm stehen, die Schleppe mit der Hand empor und mit der andern eine Lorgnette vor die Augen haltend. Die Figur steht nicht, wie so viele andere ähnliche, in dem Schaufenster, sondern vor ihm, allerdings nicht direkt aus der Straße, sondern in der kleinen Nische, die sich vor der Eingangsthür >des Ladens befin- -et. Die Aufmerksamkeit mit welcher die Dame die ausgestellten Maren zu betrachten scheint, von deren Anblick sie sich offenbar gar nicht trennen kann, zieht rasch Schaulustige an, und die Menge wird bald größer, nachdem die Thatsache, daß man es mit einer Wachsfigur zu thun hat, ^entdeckt worden. Man genirt sich dann auch nicht, das Kostüm der Figur selbst und die beim Aufraffen der Schleppe dezent sichtbar werdenden Unterkleider genauer zu mustern, — bis alles lachend auseinandergeht und das Spiel von neuem beginnt. Der Inhaber des Ladens, der im Innern den Beobackitungsposten inne hat, ist mit dem Erfolg seiner Reklame zufrieden, denn sein Geschäft wird bekannt; nur zuweilen, wenn der Menschen- Haufen gar zu dicht wird, läßt er die „Dame" hereintragen, damit ihm die Poli- zei den Spaß nicht verdirbt.
Brüssel, 7. Juli. „Petit Bleu" meldet unter Vorbehalt, Sipido sei über die Grenze geflohen, um sich der Polizei- lichen Beaufsichtigung zu entziehen. Die Eltern stellen dies in Abrede. Es scheint jedoch, daß Sipido Brüssel verlassen hat, um sich politischen Kundgebungen zu ent- ziehen.
London, 7. Juli. Die Blätter melden aus Kapstadt, daß Kommandant Dewet 12,000 Mann zur Verfügung habe, welche mit äußerster Entschlossenheit zu kämpfen bereit seien.
London, 7. Juli. „Daily Expreß" meldet aus Tschifu vom 5. ds.: Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß eine aus 3000 Russen bestehende Kolonne, welche am 11. ds. Mts. Tientsin verließ um sich nach Peking zu begeben, von den Chinesen aufgerieben ist. Seit 24 Tagen ist man ohne Nachricht von dieser Kolonne. Man vermutet, daß sic von den 30,000 Chinesen angegriffeu wurde, welche sich 1^ befinden und sich anschicken,
nach Tientsin vorzurücken.
Aus Londou wird der „Voss. Ztg." gemeldet: Der Daily Expreß meldet, Shanghai, 5. Juli abends, die oben mit- geteilten Einzelheiten über das Pekinger Blutbad in folgender Form: Eine chinesische Meldung aus Peking besagt, daß am 1. Juli, als der Proviant und die Munition der Ausländer in der englischen Gesellschaft erschöpft waren, das Gesandt, schaftsgebäude von Truppen und Boxern gestürmt wurde. Die Europäer wurden? überwältigt und niedergemetzelt und das Gesandtschaftsgebäude in Brand gesteckt
Unzählige Horden wütender, sieges> trunkener Männer stürzten in den Hof raum der Gesandtschaft durch Breschen in den Mauern. Obwohl viele Chinesen getötet wurden, mußten die fremden Truppen schließlich der Uebermacht unterliegen. Die Chinesen fielen wie wilde Bestien auf ihre Beute. Der Hofraum wurde in einen Schlachthof verwandelt. Die Toten und Verwunderen wurden zer- hackt, während andere Chinesen mit Triumphgeschrei in das Innere der Ge- bäude drangen und dort die gräßliche Blutarbeit vollendeten. Es heißt, die Männer hätten nach Verbrauch der übrigen Munition wenigstens so viel Patronen in ihren Revolvern behalten, um im äußersten Notfall ihre Frauen und Kinder selbst töten zu können, damit sie nicht den entsetzlichen Grausamkeiten der chinesischen Soldaten preisgegeben wurden.
— Das Reutersche Bureau erfährt, daß in Beantwortung einer telegrafischen Anfrage über das Schicksal der Fremden in Peking folgendes Telegramm aus Shanghai von gestern früh eingetroffen ist: Bereitet Euch vor, das Schlimmste zu höre«."
Die Entdeckung bisher unbekannter Arsenale und Lager gehört zu den Beweisen von den ungeheuren Vorbereitungen, welche die Chinesen für den Krieg getroffen haben. In den Arsenalen außerhalb Tientsin wurden Waffen und Munition der modernsten Typen im Werte von über 40 Millionen Mark vernichtet.
- -- Aus Tientsin meldet das Reutersche Bureau vom 29. Juni: Die fremden Befehlshaber sind gewillt, zu verzweifelten Mitteln zu greifen, jedoch würde der Versuch eines Gewaltmarsches von Tientsin aus mit den zur Verfügung tehenden Truppen die sichere Vernichtung »erselben bedeuten, abgesehen von der Nie- )ermetzelung der Zivilpersonen, welche dann tatsächlich schutzlos Zurückbleiben würden. Die hinreichende Wafferzufuhr ist eine schwierige Aufgabe, da die Gegend kein Wasser liefert, außer in den Flüssen, denn dieBrunnen sind vergiftet. DieChinesen verüben furchtbare Grausamkeiten an den Verwundeten und verstümmeln alle Tote, die in ihre Hände fallen. General Aung- fusiang ist mit 10,000 Mann bestdisziplinierter Truppen der chinesischen Armee welche Muhamedaner sind, vom Südwesten her auf dem Marsch gegen Peking. In der Nachbarschaft der Hauptstadt stehen etwa 50,000 Mann Chinesen. Die Kaiserin-Witwe floh in den Sommerpalast. Die Frauen und Kinder werden aus Tientsin nach Taku gebracht, sobald die Reise sicher ist. Tausende toter Chinesen liegen unbeerdigt auf den Feldern bei Tientsin. Der Fluß vou Tientsin bis Taku schwimmt voller Leichen, von denen viele von der Flut ans Ufer geschwemmt werden. Die Fremden in Tientsin erk ären, daß sie ihr Leben den Russen verdanken, ohne deren Hilfe die kleinen Abteilungen der anderen Mächte sicher .bewältigt worden wären, weil die Chinesen die belagerten Truppen auf allen Seiten bedrängten. Selbst der Mutigste hätte die Hoffnung aufgegeben.
ist am storben.
5. ds. Mts. in Straßburg ge-
Vermischtes
— Wie die englischen Kranken in den englischen Lazareten behandelt werden, davon giebt die „Times" eine Schilderung aus der Feder von Bourdett-CouttS. „Hunderte von Soldaten, welche an typhösem Fieber litten, waren auf einer Kautschuknnterlage an der Erde gelagert nur mit einer einfachen Decke auSgestattet. So lagen diese Unglücklichen ohne Milch und sonstige Nahrung, ohne Arzneimittel, ohne Betten, ohne Tragbahren, ohne Ma- trazen, ohne Wäsche, nur von wenigen Soldaten gepflegt, welche niemals in der Krankenpflege unterrichtet worden waren. Um 350 Typhuskranke zu behandeln, waren nicht mehr als 3 Aerzte anwesend. In Zelten, wo gewöhnlich sechs bis acht Menschen in gesundem Zustande unter- gebracht waren, lagen 10 Typhuskranke eng nebeneinander gepreßt, die Sterbenden unter den Genesenden, die Schwer- kranken in vollster iKrise an der Seite derer, welche diesem Zustande mit tätlicher Sicherheit entgegensahen. Im ganzen Hospital waren keine Betten, keine Ma- trazen und nur 42 Tragbahren. 294 Kranke lagen auf der Erde. Der Boden war hart wie Stein, und in der Nacht sank die Temperatur auf Null Grad. Die Hitze in diesen Zelten am Mittag war entsetzlich, der Geruch fürchterlich. Die Gesichter der Kranken waren mit Tausenden von Fliegen bedeckt und saheu schwarz aus. Zu schwach, um mit der Hand die Fliegen wegzujagen, schnitten die Unglück- lichen alle möglichen Gesichter, um durch die Bewegung der Haut die ekelhaften Tiere zu vertreiben. Niemand war da, um ihnen zu helfen. In der Nacht kam niemand, um diejenigen niederzuhalten, welche im Delirium sich erhoben und nackend in das Feld und in die eisige Nacht hinausirrten."
WnterHattenöes.
Lrnchyn.
Eine Erzählung von Dr. Emil Freiburger
(Fortsetzung) (Nachdruck oerb.)
„Wie sie so gut schläft, die Kleine, und so behaglich ihre Aermchen und Beinchen ausstreckt! O, du mein goldiges Schwesterlein, wie habe ich Dich so lieb! Aber diese unverschämten Fliegen! Stellte ich denselben doch drei mit Honig bestrichene Stöcke auf! Hing ich doch sorgfältig das Tuch über das Bettchen! Dennoch ist mir eine hineingekrochen und krabbelt auf dem Näschen meines Lieblings herum. Willst du Weggehen, du Störefried! Jetzt versucht sie gar noch, in das Näschen hineinzukriechen. Da! Ich dachte mirs. Die Kleine dreht sich, sie erwacht! Guten Tag, mein Kind ! Willst Du Dein Süppchen haben? Komm, setze Dich auf! Sogleich werde ich es Dir kochen und bringen."
Leuchen ging durch die kleine Seiten- thüre in die Küche. Die Kohlen glommen noch auf dem Herde von dem Feuer, mit welchem des Hanfbauern Tochter ihrer Mutter den Kaffee gekocht. Ueber den rasch angefachten Flammen brodelte bald
Lokales.
Wildbad, 7. Juli. Herr Pauk>.„,„, ^
Körner, der mehrere Jahre unserem j der Brei, während Lenchen mit sich selbst Kgl. Kurtheater als Bonvivant angehörte, in der Stille zu sprechen begann: