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dahin wird wohl Mancher, der da war, nicht mehr da sein.
— Was Pfarrer Kneipp eigentlich „verdiente", läßt sich aus einem Artikel der „M. N. N." ersehen. Danach betrug die Kneipp Anstehende, aber von ihm zur Fundierung des alten Kurhauses und des Kinderasyls an den Orden der Barmherzigen Brüder abgetretene Lizenzgebühr für den Kneipp-Malzkaffee allein etwa 220000 Mk. Die im Verlag von Jos. Kösel in Kempten erschienenen Kneipp- Bücher haben Kneipp den Betrag von 280000 Mk. eingebracht, während die „Ausübung der Praxis" von 1887 bis 1897 16200 Mk. durchschnittlich im Jahre eintrug. Diese Summe verwendete Kneipp hauptsächlich zur Erstellung von Kurhäusern in Wörishofen, welche dann schenkungsweise an den Orden der barm- herzigen Brüder »der das Kneippianum übergingen.
Berlin, 27. Juni. Wie nach den „B. N. N." von zuverlässiger Seite verlautet, hat der Staatssekretär des Reichs- amts des Innern Herr v. Bötticher nunmehr sein Entlassungsgesuch eingereicht.
— Den „Hamb. Nachr." wird von Berlin gemeldet: Es steht nach wie vor zu erwarten, daß die Entscheidungen vor der Nordlandsreise des Kaisers erfolgen und die Personalveränderungen sich so vollziehen werden, wie sie von Anfang an geplant waren. Man kann mit Sicher» heit annehmen, daß der Finanzminister Miguel Vizepräsident des preußischen Staatsministeriums, Graf Posadowsky preuß. Staatsminister, Staatssekretär des Reichsamts des Innern und Stellvertreter des Reichskanzlers im Reiche werden wird.
Friedrichsruh, 28. Juni. Der Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe stattete heute dem Fürsten Bismarck einen vierstündigen Besuch ab und unternahm mit dem Fürsten in Begleitung des Wirklichen Geheimen Oberregierungsrats Frhr. v. Wilmowski und des Botschafters v. Bülow eine Ifi-stündige Spazierfahrt. Das Befinden des Fürsten Bismarck ist ausgezeichnet.
Kiel, 28. Juni. Nachdem der Gesundheitszustand des Frhrn. v. Marschall seine Ersetzung als Staatssekretär des Auswärtigen notwendig gemacht, ist, sicherem Vernehmen nach der Botschafter in Rom, v. Bülow, vom Kaiser zunächst stellvertretungsweise mit der Leitung des Auswärtigen Amtes betraut worden. Herr von Bülow, der sich hier 2 Tage aufgehalten hat und vom Kaiser wiederholt empfangen wurde, wird die Geschäfte nach der Rückkehr des Kaisers nach Berlin übernehmen. Bis dahin werden sie wie bisher von dem Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt, Frhrn. v. Roten- han, wahrgenommen.
— Zur Verabschiedung des Freiherrn v. Marschall schreibt der „Schw. M." u. A.: Wir stehen nicht an, es selbst zu bedauern, daß die Entwicklung der Regierungskrisis zur Verabschiedung des verdienten Staatsmannes geführt hat. Die Leistungen des Frhrn. v. Marschall, der sich vor allem in der Reihe der Parlamentsredner einen hervorragenden Platz gesichert hat, müssen nach der Richtung hin jedenfalls allerseits anerkannt werden, daß sie das Durchschnittsniveau eines bloßen Sprechministers weit hinter sich ließen und daß in ihnen ein selbständiger Geist sich ausprägte, der es verstand, ii
den Formen einer fesselnden Beredsamkeit auch auf den Gegner Eindruck zu machen. Gerade nach dieser Seite hin wird es schwierig sein, einen Ersatz für ihn zu schaffen.. Es ist kaum zu bezweifeln, daß der nächste Anlaß zu der Entlassung v. Marfchalls in dem Ausgang des Prozesses Tausch zu suchen ist; möglich ist, daß auch das Wort von der „Verletzung altpreußischer Traditionen", das Graf L'mburg-Stirum im preuß. Abgeordnetenhaus dem abwesenden v. Marschall aus Anlaß des Prozesses Leckert-Lützow entgegenschleuderte, seine Früchte getragen hat. Der Schlag, der gegen den „Süddeutschen" geführt wurde, wurde von dem überlegenen Fechter glänzend pariert; aber der gauze Angriff zeigte deutlich die Quelle auf, aus der die Änimosität gegen Marschall stammte. Um so mehr darf der Süddeutsche in einer Zeit, in der der ostelbische Einfluß sich immer mehr geltend macht, seinem Bedauern darüber Ausdruck geben, daß eine so tüchtige Kraft aus dem Reichsdienst ausscheiden muß.
— Die „Bad. Pr." schreibt am Schluß eines Artikels über den Rücktritt von Marschalls: „Aber wenn schon sein Gesundheitszustand unter den mannigfachen Gegnerschaften viel zu leiden hatte uud seine zeitweilige Beurlaubung aus Gesundheitsrücksichten notwendig wurde, so ist, wie wir hören, trotz des offiziös in der vorstehenden Depesche angegebenen Vor- wands, augenblicklich der Zustand des Frhrn. v.'Marschall ein weniger leidender. Herr v. Marschall hielt sich vor 8 Tagen am Titisee auf und besuchte auch den Feldberg, wo er sich ins Fremdenbuch eintrug. Wie uns mitgeteilt wird, soll er daselbst einen sehr frischen, heiteren nnd gesunden Eindruck gemacht haben. Die Krankheit, die seinen Ersatz notwendig gemacht, scheint deshalb vor allem die bekannte von allen möglichen „Witter- ungseinslüssen" abhängige unheilbare „Ministerkrankhcit" zu sein, vor der in Berlin kein hoher Staatsmann sicher scheint."
Sonderburg, (Schleswig), 28. Juni. Eine Spionen-Geschichte macht zur Zeit viel von sich reden. In den letzten Tagen ließ sich wiederholt ein fein gekleideter Mann in den besonders vom Militär besuchten Wirtschaften blicken, er zeigte sich sehr splendabel und unterhielt sich am liebsten mit Unteroffizieren. So ganz gelegentlich bat er einen Unteroffizier, ob er ihm Zutritt zur Kaserne verschaffen könnte. Auf die Ablehnung die- ses Ansinnens sagte der Fremde plötzlich: „Wenn Sie mir ein Gewehr verschaffen, gebe ich Ihnen hunderttausend Mark, wir entfliehen dann beide über die Grenze." Der Fremde war aber an den Unrechten gekommen. Der Unteroffizier erklärte ihn für verhaftet. Der Mann muß die Thatsache gewußt haben, daß das dort garnisonierende Bataillon probeweise mit einem neuen Gewehr ausgerüstet ist. Bei der Untersuchung stellte sich heraus, daß der Fremde nur noch einige wenige Pfennige im Besitz hatte; jedenfalls stehen ihm Helfershelfer zur Seite. Als er nach seinen Personalien gefragt wurde, gab er einen Namen an und wollte aus Kappeln gebürtig sein. Diese Angaben erwiesen sich bald als fälsch, dann erklärte er, aus dem Elsaß zu stammen (er sprach fertig französisch), aber auch diese Angaben war nicht zutreffend. Der Man,
verweigerte jetzt jegliche Auskunft. Die Untersuchungen der Behörde in dieser eigenartigen Affaire sind in vollem Gange Wien, 27. Juni. Nach hier eingegangenen Meldungen ist die Stadt Kolomea in Galizien überschwemmt. Zahlreiche Häuser sind zerstört. Die Brücke zwischen Kolomea und Tarka brach unter einem öarüberfahrenden Personen- zuge zusammen. Die Lokomotive, der Po st- wagen und 5 Wagen stürzten in die Fluten. Die Zahl d:r Verunglückten konnte bisher noch nicht festgestellt werden. Die Geretteten wurden aus dem Bahnhöfe untergebracht. Militär hat mit den Bergungsarbeiten begonnen. — Der Bahnverkehr auf der Strecke Kolomea—Sta- nislau ist bis auf weiteres eingestellt. Bei dem Eisenbahnunglück bei Kolomea sind sämtliche im Postwagen enthaltenen Postwertsendungen ins Wasser gefallen. Privatmeldungen zufolge sind 3 Poslbe- dienstete und 3 Mann der Zugbegleitung ums Leben gekommen. Mehrere Reisende wurden verletzt.
Eingesandt.
— Wie sehr es von allen Kurgästen dankend anerkannt wird, daß für Ruheplätze in so reichem Maaße in den Anlagen und Spazierwegen rc. gesorgt ist, so wird doch von vielen, und ganz besonders von denen an den Pedalen leidenden Gästen, das beinahe vollständige Fehlen solcher Plätze auf der ganzen Strecke von der Trinkhalle bis zum Bahnhof der Enz entlang, schwer empfunden. Hoffentlich wird diesem Mangel bald abgeholfen werden, wofür die wohllöbliche Verwaltung des Dankes vieler Kurgäste sicher sein dürfte.
Mehrere Kurgäste.
Vermischtes.
— Der russische Riesen - Kanal, von dessen Projektirung schon die Rede war, steht vor der, Ausführung. Es handelt sich um einen Kanal, der, von Riga ausgehend, dem Laufe der Düna, dann der Beresina und des Dnieper folgt und bei Cherson in das Schwarze Meer münden soll. Seine Breite wird 65 m an der Oberfläche und 35 Meter an der Sohle betragen bei einer Tiefe von durchgehend 8,5 Metern, so daß auch die größten Schiffe ihn befahren könnten. Unter Voraussetzung der Ermöglichung von Nachtfahrten, welche durch elektrische Beleuchtung der ganzen Strecke bewirkt werden sollen, werden die Schiffe mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 11 Kilometer in der Stunde in genau sechs Tagen die ungeheure Strecke passieren können. Nicht weniger als sieben große Eisenbahnbrücken, meist bei Knotenpunkten des Verkehrs gelegen, und 22 weitere Brücken sollen die Verbindung der Ufer Herstellen. Außerdem wird eine Reihe von Neben-Kanälen, Hafen-Bassins u. s. w. hergestellt werden, welche u. a. auch eine Wasserverbindung mit der Weichsel und dem Niemen ermöglichen. Dre Gesamtkosten des Kanals sind auf 400 Millionen Mark veranschlagt, welche ver- hältnißmäsig billige Summe dadurch ermöglicht wird, daß wenig technische Schmie- rigkeiten entgegenstehen und meist Fluß- läufe benutzt werden können, auch bekanntlich die Arbeitslöhne in Rußland sehr niedrig sind. Daher kann an vielen Stellen die Arbeit gleichzeitig begonnen