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Berlin, 12. Febr. (Reichstag.) Zur Beratung steht der Militäretat, Titel Gehalt des Kriegsministers". v. Voll- mar (Soz.) führt aus, die Lasten des Militäretats seien unverträglich mit der Wohlfahrt der Bevölkerung. Militärische Autoritäten hielten ein Operiren mit unseren Millioncnheeren für unmöglich. Löhne und Verpflegung der deutschen Truppen seien die denkbar schlechtesten. Die Einführung der warmen Abendkost wäre wohl möglich. Soldatemnißhand- lungen seien auch in diesen: Jahre zu rügen. Redner befürwortet eine Ver­besserung des bestehenden Rechtes und des Militärstrafprozeßverfahrens. Auch das Duellunwesen habe noch nicht nach­gelassen. Kriegsminister v. Goßler: Die friedliche Entwicklung des Landes wird durch das Heer nur geschützt und gefördert. Die Ausgaben für eine Miliz würden die jetzigen noch weit übersteigen, lieber das Operiren mit unserem großen Heere machen wir uns keine Kopfschmerzen. Eine bessere Abendkost würde 1314 Millionen erfordern: Besserung auf dem Gebiet der Verpflegung werden aber dauernd im Auge behalte» werden. Die Verfügung über das Tuellwesen soll so gehandhabt werden, daß jede sozialdemo­kratische Kundgebung im Heere energisch bestraft und unterdrückt wird, denn unser Wahlspruch lautet:Mit Gott für König und Vaterland", der der Sozialdemo­kraten aber:Ohne Gott gegen König und Vaterland." Bebel (Soz.): Die Sozialdemokraten thun schon jetzt als Soldaten ihre Pflicht, und wenn einmal der Ruf kommt:Alle Mann an Deck", so werden auch sie ihre volle Schuldigkeit thun. Gewisse leitende Kreise in der Armee Hetzen gerade gegen die Sozial­demokratie. Feldwebel halten Jnstruktions- stunden gegen die Sozialdemokratie. Redner führt dann einzelne Fälle von Soldaten- mißhaudlungen an, die durch das zivil- gerichtliche Verfahren an das Tageslicht gekommen seien. Wenn die Regiments­kommandeure entsprechend energisch gegen die Mißhandlungen einschreiten, so werden sich dieselben sehr verringern. Geradezu musterhaft habe in dieser Hinsicht Oberst Liebert in Frankfurt an der Oder ge­handelt. Redner empfiehlt ferner eine Abkürzung der Felddieustübuugen bei großer Hitze und tadelt die Beschäftigung von Soldaten im Gewerbebetriebe. Kriegsminister v. Goßler erwidert: Die sozialdemokratische Partei ist und bleibt eine internationale Revolntionspartei. Das hat sich auf dem Londoner Kongreß gezeigt. Der Minister geht ausführlich auf einige vom Abg. Bebel vorgebrachte Fälle ein. Die Todes- und Erkrankungs­fälle infolge Hitzschlag hätten ganz er­heblich abgenommen. Mißhandlungen und Schimpfworte könnten nicht gänzlich unterdrückt werden; wir seien eben alle Menschen. Beckh (fr. Vp.) wünscht eine Beschleunigung der Reform der Straf­prozeßordnung. Kriegsminister v. Goß­ler erklärt: Brüsewitz ist wegen Tod­schlags mit Dienstentlassung und 3 Jahren 20 Tagen Gefängnis bestraft worden. Die 20 Tage sind eine Zusatzstrafe wegen eines militärischen Vergehens. Die recht­lichen Gründe für die Bestrafung sind folgende: Der Totschlag war ein vor­sätzlicher, denn Brüsewitz konnte über die Folgen seines Degenstiches nicht im Zweifel

sein. Sein Ausdruckzur Strecke ge- reinsten halte. Das Verdienst um die bracht", beweist, daß er mit den Folgen Abnahme der Mißhandlungen in der einverstanden war. Ueberlegung wurde Armee gebühre nicht der Sozialdemo- ihm abgesprochen. Er war zweifellos kratie. Seit diese an Gewicht zugenommen nicht nüchtern. Mildernde Umstünde habe, habe die Verrohung der Jugend wurden bewilligt, besonders wegen des! in erschreckender Weise zugenommen. Die flegelhaften und beleidigenden Benehmens Zahl der vorbestraften Rekruten sei be- des Siepmann. v. Kardorff (Rp.)! deutend vermehrt, verteidigt die Verwendung von Militär! Anläßlich der Beratung des Post­

in dringenden Fällen bei der Ernte.! etats im Reichstage wurde eine Modifi- e rn er (d. Rfp.) spricht gegen die lieber-! kation der Bestimmungen über die Porto-

handnahme der Offizierspensionirungen. Sodann vertagt das Haus die Weiter- beratuug auf morgen.

13. Febr. Weiterberatung des Militäretats. Dr. Witte (Zentr.) regt die Frage der Wahl von Justizbeamten zu ffizieren des Benrlaubtenstandes an.

freiheit der regierenden Fürsten Deutsch­lands in Anregung gebracht. Wie der Franks. Z." aus München geschrieben wird, macht den ausgedehntesten Gebrauch von der Portofreiheit wohl der Fürst von Thurn und Taxis, der bei seinen Sommeraufenthalten in Tutzing, Garats-

Kriegsminister v. Goßler führt aus, das! Hausen, Schliersee u. s. w. Alles was Kriegsministerinm habe auf diese Frage er für Küche und Keller bedarf, sowie keinen Einfluß. Allgemeine Bestimmun- die sämtlichen Nachlieferungen für den gen hierüber bestehen nicht, er werde > fürstlichen Haushalt und für seine Jagd- aber der Frage näher treten. Für ster, gäste durch die Post bezieht, weil gemäß (Antis.) bemerkt, die Behandlung der bestehenden Uebereinkommens die Taxis- Soldaten auf den Exerzirplätzen habe schen Fürsten für Postsendungen volle

sich bedeutend gebessert. Bezüglich der Duellfrage verlasse sich Redner aus die Worte des Reichskanzlers. Redner er­sucht, das schädliche System des Zwischen­handels bei Lieferungen zu beseitigen und die Landwirtschaft und das Handwerk direkt zu berücksichtigen. Als Redner gegen die Vieh-Schächtungen zu sprechen beginnt, wird er vom Präsidenten zur Sache ge­rufen. Kriegsminister v. Goßler widerlegt einige Einzelheiten des Vorredners und bemerkt, es entspreche übrigens nicht den Thatsachen, daß Offiziere grundlos pen­sioniert werden. Generalmajor v. Gein- nüngen erklärt, es seien in Spandan Ver­suche gemacht worden, Vieh direkt von Landwirten zu beziehen. Die letzteren seien sehr schlecht gestellt, da sie nicht mit den Engroshändlern konkurriren können, vr. Lieber (Zentr.) wünscht ein lang­sameres Tempo bei der Pensionierung

Portofreiheit genießen, während bei Be­förderung mit der Bahn die Fracht be­zahlt werden müßte. Wenn der Fürst Taxis in Garatshausen oder Schliersee weilt, muß sofort das Postpersonal ver­stärkt (verdoppelt) werden, weil die täg­lich ankommenden und abgehenden Sen­dungen (ganze Kisten, Fässer u. dergl.) ohne Personalvermehrung gar nicht be­wältigt werden könnten. Es wäre wohl an der Zeit, solche weitgehende Zuge­ständnisse einzuschränken oder abznlösen.

Das Reichsgericht hat entschieden, daß ein Gigerl stock infolge seiner be­trächtlichen Schwere als gefährliches Werk­zeug in: Sinne des Z 223 a des Straf­gesetzbuchs anzusehen ist.

Wien, 12. Febr. Heber die Ent­sendung der griechischen Flotte nach Kreta sagt das Fremdenblatt: Gerade die Freunde Griechenlands müssen im

der Offiziere, hält den Duellerlaß letzten Augenblick ihre Stimme erheben nicht für ausreichend und hofft, daß er und Griechenland von dem Weiterschreiten nicht ein bloßes Stück Papier bleibe, zurückhalten. Die östreich-ungar. Diplo- Dem Redner ist es unerfindlich, wie man matie habe bereits ihre Pflicht erfüllt bei dem Fall Brüsewitz mildernde Um- ; und die übrigen Mächte würden nicht stände annehmen konnte. Dies sei wieder zurückbleiben. Es kann keine Rede davon ein Fall von besonderer Osfiziersehre. sein, daß Europa Griechenland beisteht. Peus (Soz.) weiß nicht, ob er auf diese ! Die Mächte würden die Türkei nicht ver- besondere Ehre ueidig sein soll, welche! hindern, Truppen nach Kreta zu senden, mildernde Umstände wegen Mangel an! um die Feindseligkeiten zu erwidern. Selbstbeherrschung bedeute. Redner meint,! Auch würden die Mächte das türkische die Armeeverordnung gegen die Sozial-! Reformwerk durch eine leichtsinnige Unter­demokraten züchte nur das Denunzianten-! stützung Griechenlands nicht zerreißen tum und wendet sich gegen die Bestimmung, i wollen. DieN. Fr. Presse" schreibt: wonach die Reserve am Tag der Kontroll- Griechenland dürfte in diesem Augenblick Versammlungen den ganzen Tag unter bereits in Kenntnis gesetzt sein, daß es dem Militärgesetz steht. Wenn der Kriegs-! von Europa nicht die geringste Unter­

minister sage, die Parole der Sozial­demokratie sei, ohne Gott gegen König und Vaterland, so müsse Redner sagen, daß es viele gebe, die sich des Wortes Gott bedienen, ohne an Gott zu glauben. International sei nicht antinational. Graf Roon (deutschkonservativ) wendet sich gegen den Vorredner und hofft, den Tag

stützung zu erwarten habe, weshalb die Furcht vor einem Kriege nicht begründet sei. Das N. W. Tageblatt sagt: Die griechische Mobilisirung werde von allen Mächten als ein Abenteuer auf das schärfste verurteilt. Niemand könne rechtmäßig die Türkei hindern, den aufgedrungenen Kampf aufzunehmen. Die Mächte seien

zu erleben, wo es gelinge, die Sozial-! stark genug und dürften auch den Willen demokraten von den Plätzen im Haus! haben, Griechenland in die Schranke» gesetzlich auszuschließen. Der Kriegs-^ zurückzuweisen.

ministerführt aus, bei der Bewilligung! Aus Petersburg wird gemeldet: mildernder Umstände sei die Ehre des Die Kaiserin-Mutter Maria Feodorowna, Brüsewitz nicht besonders hoch veranschlagt, welche erfuhr, daß der um die Gründung Das Hauptgewicht liege in dem Benehmen des internationalenRoten Kreuzes" des Siepmann. Die Ehre desjenigen verdiente 69jährige Henri Dunant in Standes stehe am höchsten, der sie am Heiden (Kanton Appenzell) in ärmlichen