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Rundschau.
Livadia, 2. Nov. Kaiser Alexander war bis zum letzten Augenblick bei voller Besinnung. Die Kaiserin war stets bei ihrem Gemahl. Der Kaiser verschied sanft, umgeben von seiner ganzen Famllie. Die Kinder, Anverwandte, die Hofchargen und Diener nahmen von der Leiche Abschied. Die Flagge des Palais wurde auf Halbmast gehißt. Kanonen gaben den Trauersalut. Um 4 Uhr Nach - ittags wurde dem neuen Kaiser Nicolai der reucid geleistet. Zuerst leisteten die Großfürsten den Eid, dann die Hofchargen, das iMilitär, die Beamten re.
Z Livadia, 4. Nov. Bei der Leiche des verewigten Kaisers finden täglich 2 mal Seelenmessen statt, welchen der Kaiser, die Kaiserin Witwe und die anderen Mit-, glieder des Kaiserhauses beiwohnen. Nach der Ankunft des Sarges aus Petersburg wird die bereits einbalsamierte Leiche aufgebahrt, und jedermann zugänglich gemacht werden
Petersburg, 2. Nov. Heute Nachmittag 3 Uhr fand anläßlich der Thronbesteigung des Zaren Nikolaus II. ein Gottesdienst in der Isaak-Kathedrale statt. Anwesend waren die Hofstaaten, die Generalität und die höheren Offiziere. Die „Nowoje Wremia" schreibt: Die innere Politik des Zaren war auf die Hebung der Autorität der Regierungsgewalt gerichtet. Die äußeren Reformen beruhten auf strengnationaler Grundlage und auf dem Prinzip „Rußland für d e Russen." Die äußere Politik war die der Wahrheit und der Friedensliebe.
St. Petersburg, 2. Nov. Der „Regierungsbote" publiziert das Manifest des Kaisers Nikolai II., worin es nach der Mitteilung seines Vaters heißt: Möge unS das Bewußtsein trösten, daß unser Leid auch das Leid unseres geliebten Volkes ist, möge das Volk nicht vergessen, daß die Kraft und Festigkeit des heiligen Rußland in seiner Einigkeit mit uns und mit der unbegrenzten Ergebenheit für uns liegt. Wir aber erinnern uns zu dieser traurigen aber feierlichen Stunde der Besteigung des urväterlichen Thrones des russischen Reichs und unzertrennlich verbundenen Zarenthums Polen, des Großfürsten thums Finland, des Vermächtnisses unseres entschlafenenVaters. Von ihm erfüllt, thun wir vor dem Angesicht des Allerhöchsten das feierliche Gelübde, als einziges Ziel die friedliche Entwickelung der Macht und des Ruhms unseres teuren Rußlands zur Beglückung aller unserer teuren Unter- thanen zu haben. Das Manifest schließt mit dem Befehl, den Eid der Treue zu leisten, ihm dem Kaiser Nikolai und seinem Thronfolger dem Großfürsten Georg Alexandrowitsch, welcher auch so lange Thronfolger zu titulieren sei, bis Gott die mit der Prinzessin Alix von Hessen einzugehendc Ehe des Kaisers mit einem Sohne segnen würde.
Pe ter sburg, 4. Nov. Ein kaiserl. Manifest vom 2. Nov. besagt, heute hat die hl. Salbung unserer geliebten Braut nach orthodoxem Ritus zu unserer und ganz Rußlands Beruhigung stattgefunden. Dieselbe hat dm Namen Alexandra Deo- dorowna u.die Titel Großfürstin und kaiserl. Hoheit erhalten. Anläßlich der erfolgten
Salbung der kaiserl. Braut fand beute in der Petersburger Jsaakkathetrale ein cksum statt, dem die Notabilitäten, die Generalität und das Offizierskorps beiwohnten.
Jokohama, 3. Nov. Reuter meldet: Die Japaner nahmen Port Arthur.
Shanghai, 3. Rov. Reuter meldet ferner: Den chinesischen Blättern zufolge nahmen die Chinesen wiederum Kinlien- cheng; die Japaner verloren 3000 Mann.
Lokales.
* Wildbad, 2. Nov. Gestern abend fand im „Ochsen" in Höfen anläßlich der im Januar k. I. stattfindenden Landtagswahlen eine vertrauliche Besprechung statt, zu welcher- sich eine größere Anzahl Wähler aus dem Bezirk eingefunden hatte. Es wurde hiebei beschlossen, unfern bisherigen Abgeordneten Hrn. Commerell wieder um Annahme der Kandidatur zu ersuchen. Derselbe hat sich denn auch bereit erklärt, dieselbe wieder anzunehmen, seine persönlichen Bedenken dem Allgemeinwohl unterordnend. Dieser Entschluß des Hrn. Commerell wird gewiß im ganzen Bezirk freudig begrüßt werden. Ist doch er wie kein anderer berufen, die Interessen unseres Wahlkreises im Landtag würdig zu vertreten, da er durch seinen ausgedehnten Geschäftsverkehrwieauch persönliche Bekanntschaft die Verhältnisse und Bedürfnisse desselben aus eigener Anschauung genau kennt und nach allen Seiten vollständig unabhängig ist Bei der großen Beliebtheit welcher sich Hr. Commerell im ganzen Bezirk zu erfreuen hat, ist an einer einmütigen Wiederwahl desselben nicht zu zweifeln.
— Im Garten des Hrn. P. Kiefer zum „kühlen Brunnen" steht gegenwärtig ein Bäumchen mit Schneeballen zum zweiten Male in schönster Blüte, was bei jetziger Jahreszeit und in Anbetracht der bisher nicht sehr günstigen Witterung gewiß eine große Seltenheit ist.
Wildb ad, 5. Nov. Die Kgl. Staatsanwaltschaft Tübingen erläßt unterm 30. Okt. nachstehende Diebstahls-Anzeige: In der Zeit vom 15—20. d. Mts., wahrscheinlich in der Nacht vom 17. zum 18., wurden aus der Billa „Withelma" in Wildbad folgende, dem Kgl. Badkomissär Oberst v. Kar aß gehörige Gegenstände: eine dunkle Shawlweste, ein Opernglas, eine Flasche Cognac und 4 bis 5 kleine Schlüssel ans erschwerte Weise gestohlen. Der That verdächtig sind 2 Handwerks- buriche, von denen der eine folgendermaßen beschrieben wird: Alter 21—25 Jahre, Größe, 1,70—72 Meter; Statur: schlank; Haare: blond; Bart: fehlt; Kleidung: hellgraue Juppe, Hosen aus weißgelbem sog. englischem Leder u. dunklem Schlapphut. Der andere Bursche ist gleichen Alters, 1,62—65 Meter groß, von untersetzter kräftiger Statur, hat dunklen Teint, schwarze Haare und schwarzes Schnurrbärtchen und trug dunkle defekte Kleidung. Die Thäter, von denen einer ein paar zerrissene grauwollene Socken am Thatort zurückgelassen hat, sind ohne Zweifel unter vier Handwerksburschen zu suchen, die in der Nacht vom 18. zum 19. d. Mts. im Gasthaus zum „Rößle" in Calmbach O.A. Neuen
bürg logiert haben. Die Namen derselben find: Josef Rösler, Maurer von Weiden, Hermann Schweizer, Schlosser von Dortmund, Julius Scheiter, Schreiner von Wohlan und Johann Bauer, von Heidelsheim. Man bittet um energische Fahndung mit dem Anfügen, daß die Diebe mit einem 10—12 Millimeter breiten Schrauben- zieher gearbeitet haben.
Wie kann Jedermann Leicht feine Ginnahme erhöhen?
Wir leben in einer sehr fernsten Zeit» denn wohl niemals ist der „Kampf ums Da» sein" mit solcher Erbitterung geführt morde» als in der Gegenwart, in der fast alle Berufsarten überfüllt sind. Die Klage über „schlechte Zeiten" bildet heutzutage geradezu das Tagesgespräch. Wer mit offenen Augen das Welttreiben beobachtet, wird wissen, wie schwer es hält, einen paffenden und lohnenden Nebenerwttchsjweig zu finden. Meine Aufgabe soll darin bestehen, dem Leser einen Nebenerwerbszweig zu zeigen, und zwar einen solchen, der für jedermann paffend und dabei überaus lohnend ist. Es ist die Bienenzucht, deren Betrieb ich aus vollster Ueberzeugrmg jedermann empfehlen kann, da das Einlagekapital sich gut verzinst, wenn die Bienenzucht verständig und zeitgemäß betrieben wird. Dies werde ich an Beispielen beweisen
Auf meinen Vorschlag hin gründete ei» Gutsbesitzer einen Bienenstand, dessen Bewirtschaftung ich übernahm. Er kaufte im Frühjahr zehn kräftige Bienenvö ker in Ständerbeuten. Jedes Volk mit Wohnung kostete 30 Mk., für Kunstwaben, Bienenwohnungm rc. wurdcn 75 Mk. verausgabt. Von dielen 10 Standstöcken erhielt der Besitzer 15 kolossale Schwärme und 240 Pfund Honig. Rechnet man einen Schwarm 15 Mark und ein Pfund Honig 80 Pf., so gelangt man zu dem überraschenden Ergebniß, daß der Grundbesitzer aus dem Anlagekapital in einem Jahre eine Einnahme von 516 Mk., also 137*/ra pCt. erzielte. Freilich muß ich bemerken, daß das Jahr, als genannter Grundbesitzer seinen Bienenstand gründete, ein reiches Honigjahr war und daß nicht immer so hohe Erträge erzielt werden. Im Durchschnitt kann man aber rechnen, daß sich das Anlagekapital mit 80 bis 100 pCt: verzinst. Natürlich setze ich dabei voraus, daß die Bienenzucht veis ständig und zeitgemäß betrieben wird und nicht im alten Schlendrian.
Da die Bienenzucht also bedeutenden materiellen Nutzen gewährt, so kann sie jede« Landwirt und Handwerker aber auch jedem Beamten, Gelehrten, Geistlichen und Lehrer empfohlen worden. Auf anständige und leichte Weise kann ein Jeder seine Einnahme erhöhe»; Nur muß ich hinzufügen, daß man nicht mit einem Volke, sondern mit 3 bis 5 Völkern beginne. Es haben zwar schon viele mit einem Volk begonnen und ihren Stand nach und nach auf eine ansehnliche Höhr gebracht, aber sehr viele haben auch dadurch die Lust zur Bienenzucht verloren, weil sie mit dem ersten Volk Unglück hatten. Es wurde weisellos oder ging auf andere Art zu Grunde. Bei mehrere» Völkern kann dies nicht so leicht Vorkommen, da dann eins dem andern aushelfen kann durch Brut, Königin oder Honig. Handelsbienenzüchter erzielen durch starke Vermehrung der Bienenvölker und Züchtung von Königinnen noch einen viel höheren Gewinn. Anfänger aber sollen sich damit nicht einlassen, da hiezu viel Umsicht erforderlich ist. Auch Großgrundbesitzern ist die Bienenzucht als landwirschast»