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liner Anweisung, ordnungsmäßig ausgefertigt und mit allen Stempeln versehen. Der sich durch Papiere ausweisende Fremde erhielt ohne Anstand das Geld und verschwand. Nun aber kam auch die nicht eingelöste Nach­nahme von Berlin zurück und der Betrug war damit zweifellos erwiesen. Jedenfalls hat der Schwindler Helfershelfer; Stemvel und Einträge der Postanweisung dürften ge­fälscht sein.

Rundschau.

Frankfurt, a. M., 2. Dez. Durch Elektrizität getötet wurde gestern in Bocken- heim ein 16jähriger Maurerlehrling. Er war mit anderen Arbeitern auf einem Gerüst an der Bockenheimer elektrischen Zentralstation beschäftigt, kam ins Wanken und griff, um sich zu halten, nach den Drähten der elektri­schen Leitung. Alsbald schlossen sich seine Hände, vom Strom krampfhaft zusammenge­zogen, fest um den Hauptleitungsdraht, er rief jammernd um Hilfe, Arbeiter eilten herbei, ihn aus seiner Lage zu befreien, aber bis die stromliefernde Maschine abgestellt war, trat der Tod ein.

Berlin, 7. Dez. Aus zuverlässigster Quelle erfahren wir, so schreibt dieKreuzztg." daß die Zeitungsnachrichten ber die Unter­werfung des Grafen Paul don Hoensbroech und seine Aussöhnung mit dem Jesuitenorden völlig aus der Luft gegriffen sind. Nach wie vor steht derselbe im schärfsten Gegensatz zu dem genannte« Orden.

Ahlwardt, welcher gegenwärtig in Plötzensee eine Strafe von 5 Monaten ver­büßt, will eine nochmalige Verhandlung des Judenflinten-Prozesses* hcrbeiführen und hat bereits einen Antrag um Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt. Er glaubt, durch nach­träglich erhaltene Beweismaterialien die Rich­tigkeit der seiner Zeit erhobenen Behauptungen beweisen zu können.

Berlin, 7. Dez. (Reichstag.) Fortsetz­ung der ersten Lesung des Stempelabgaben­gesetzes. Hahn (nat.l.) erklärt sich namens seiner Partei für die Börsensteuer. Wenn die Freisinnige Vereinigung, die sich bei den letzten Wahlen der Protektion der hohen Finanz so sehr erfreut habe, gegen die stärkere Heran­ziehung der Börse nichts einzuwenden habe, so die nationalliberale Partei erst recht nicht. Dagegen seien Quittung- und Frachtbriefsteuer ihnen weniger sympathisch und fänden in der vorgeschlagcnen Form wegen der damit ver­bundenen Belästigungen ihre Zustimmung nicht. Dem Abg. Singer (Soz.) erwidere ich, daß der Prozentsatz derEdelsten der Nation", die sich am Spiele beteiligen, geringer ist, als i Anhänger des alten Testaments unter de; -^le.ern. (Heiterkeit und Unruhe.) Das ist sehr nötig, Herr Singer, daß man Ihnen das sagt. Haust du memen Lieutenant, so haue ich deinen Juden! (Heiterkeit.) Ich muß zurückweisen, daß einzelne Vorkommnisse, bei denen Offiziere beteiligt waren, ausgebeutel werden, gegen den ganzen Stand. Die Leute, die über Offiziere urteilen, haben oft gar nicht das nötige Urteil. Er kritisiert die Art, wie in den letzten Jahren Kapital in ausländischen Werten investiert wurde und wünscht eine neutrale Stelle, die objektiv im nationalen Interesse die Beteilig­ung des deutschen Kapitals an auswärtigen Anleihen überwache. Auch daran müsse man denken, den Emissionsbanken den Depositen­verkehr zu entziehen. Die Befürchtungen, die man an die jetzige Erhöhung der Börsensteuer knüpfe seien unberchtigt. Der Rückgang ein­zelner Börsen, wie der Frankfurter, beruhe

mehr auf all" g neu Gründen, als auf der Börsensieuer. Der große nationalejAufschwung seit 1870 sei der Börse, den Städten wie dem Handel mehr zu gute gekommen als der Land­wirtschaft, darum sollten jene Kreise sich auch nicht scheuen, zu Opfern für das Vaterland beizusteuern. Liebermann v. Sonnen- berd (Antis.): Er habe viel Gemeinsames mit dem Vorredner, der sich nur noch nicht zur vollen antisemitischen Anschauung durch­gerungen habe, zu dem er aber der national­liberalen Partei gratuliere. Eine organische Börsenreform sei dringlich, jlngehindert vom ersten Vizepräsidenten polemisiert Redner dann längere Zeit gegen die neuliche Rede des Reichskanzlers wider den Antisemitismus. Singer solle nicht die Lebenshaltung der Agrane- kri­tisieren, sondern in der ihm Näherstehenden, wie des Hugo Loewy. (Singer ruft-. Unterzeichner von verfallenen Ehrenscheinen stehen diesen Leuten näher I) Liebermann: Sie machen sich durch die Wiederholung einer solchen unwahren Behauptung zum Mitgenossen von Wucherern. (Singer ruft : Unverschämte Frech­heit.) Lieber wiederholt mann die üblichen Ausfälle gegendie Börse und das Termingeschäft' (Nach träglich ruft Präsiden. gnBuol Liebermann wegen seiner Ausfälle gegen Singer zur Ord­nung, gleichzeitig rügt er Singers Bemerkung: Unverschämte Frechheit.") Komierowski versichert, daß seine Parte, oer Vorlage vor­behaltlich uriger Aenderungen freundlich gegen­überstehe. Staatssekretär v. Bötticher er­klärt sich bereit der Anregung aus dem Hause Folge zu geben und das Material der En­quete-Kommission dec Steueckommission zu­gänglich zu machen, v. Plötz weist auf die Börsensteuer als Programmforderung des Bun­des der Landwirte hin und befürwortet be­sonders eine hohe Besteuerung der Termin­geschäfte und Emissionen, wodurch die Quit- tungs- und Frachtbriefsteuer überflüssig zu machen sei. Staatssekretär Posadowski entwickelte die Gründe, warum eine Emissions­steuer unzulässig sei. Osan verwahrt sich dagegen, daß man die nationalliberale Partei mit dem Abg. Hahn identifiziere, wegen dessen antisemitischer Exkurse. Die Reichseinkommen­steuer halte er für durchführbar, die Entwick­lung der Dinge werde schließlich zu ihrer Ein­führung zwingen, desgleichen zu einer Reichs- erbschaftssteuer und zur Besteuerung des Luxus wohin auch die Tantimen der Aktiengeflllschaf ten gehören. Die Börsensteuer empfehle er, ebenso die Emissionssteuer und den erhöhten Lottericstempel, verwerfe aber die Quittungs­steuer. Meist (Soz.) entwickelt nochmals den Standpunkt der Sozialdemokratie. Staats­sekretär v. Posadowsky führt unter großer Unruhe und fortgesetzten Unterbrechungen aus, daß die Steuervorlagen den Erklärungen des Reichskanzlers durchaus entsprechen. Nach wei­teren Ausführungen, Gräfes, Arnims und Böttichers wird die Debatte geschlossen und die Vorlage einer Kommission überwiesen.

Berlin, 8. " . Die Reichstagskom­mission für das Im llidengesetz bestimmte in 8 2 über die Invaliden der Kriege vor 1870 folgendes:Hinterbliebenen von Kriegsteil­nehmern, die im Kriege oder in Folge von Verwundungen gestorben, haben ein Recht auf fortlaufende Unterstützung. Hinterbliebenen von Kriegsteilnehmern, die an den ihre In­validität bedingenden Leiden gestorben sind, können solche Unterstützungen zukommen.

Die Konservativen beantragen im Reichs­tag zum Jnvalidcngesetz einen Zusatz wonach den im Feldzug Verwundeten des Heeres und der Marine, die durch ihre Verwundungen be­hindert waren, an weiteren Unternehmungen

s Feldzugs teilzunehmen', die höchste Zahl . .r anrechnungsfähigen Kriegsjahre einer mili­tärischen Unternehmung zugebilligt wird, wenn sie sich innerhalb dieser Zeit einem Heilver­fahren unterwerfen mußten. Die Bestimmung soll rückwirkende Kraft bis 2. Aug. 1870 haben. Böckels (Antis.) Antrag auf Aendcrung der Strafprozcßordnung will den Anwaltszwang abschaffen.

Berlin, 9. Dez. Die Post schreibt: Als Nachfolger des Herrn ».Mosel soll von der mürttembergischen Regierung Herr vo:> Varnbühler ausersehen sein.

Rom, 9. Dez. Der König übertrug Cr > spi die Kabinetsbildung. (Daß der am 4. Okt. 74 Jahre alt gewordene Francesco Crispi doch derkommende Mann" sei: werde, war schon länger erwartet worden. Crispi beschloß seine letzte Ministerpräsidentschafl am 31. Januar 1891.)

Madrid, 8. Dez. Nach Meldungen aus Melilla sind die seitens Spaniens vor­geschlagenen Fricdensbedingungen folgende: zeitweise Besetzung von Positionen im marrok- kanischen Gebiete, jense ts des Forts Guariachs, Auslieferung von 12,000 Gewehren, Stellung von Geißeln, Verurteilung der Anführer des Aufstands.

L o k cr L e s.

Wildbad, 10. Dez. Nachdem seitens der hies. bürgerl. Kollegien bereits am letzten Freitag ein Beileidsschreiben an die Hinterbliebenen des Staatsministers v. S ch mid abgesandt worden, begab sich gestern eine Abordnung derselben, bestehend ausden HH. G. Schmid, Fr. Treib eru. K. Güthler nach Stuttgart um der Beer­digung beizuwohnen. Dieselbe legte namens der Stadt einen prächtigen Lorbeerkranz mit den Stadtfarben und Widmung am Sarge ihres Ehrenbürgers nieder, wobei Hr. Schmid in einigen herzl. Wartender Teilnahme und Vevchrung der hies. Ein­wohnerschaft Ausdruck gab.

)( (Eisenbahn-Reform). Sehr wichtige Neuerungen und sehr bedeutende Preisermäßigungen der Personen-Fahr- preise treten ab 15. Dezember d. I. auf dem Gesamtgebiet der württembergischerr Staatsbahnlinien in Thätigkeit. Die eine Neuerung, welche eine gewaltige Bresche in die seither bestehenden zopfzeitmäßigen Grundsätze in der Personenbeförderung legt, besteht in der Einführung von Kahr scheinbüchern, welche für 30 Fahr-- ten innerhalb eines Jahres auf einer bestimmten Strecke berech­tigen. Die Hauptsache in dieser geradezu bahnbrechenden und fick ^ - Zonentarif wesentlich nähernde». ng besteht

darin, daß bei einem Fahrscyembuch eine Ermäßigung von einem Drittel an dem 30fachen Betrag des Preises einer ein­fachen Fahrkarte für die betreffende Strecke Wagenklasse und Zugsgattung gewährt wird. Bei Bestellung eines solchen Fahr­scheinbuchs müssen 60 Pfennig hinterlegt werden, welche aber nach Empfangnahme des bestellten Fahrscheinbuchs wieder zurück­vergütet werden. Einen Hauptvorteil bie­tet ein solches Fahrscheinbuch, welches die Namensunterschrift des Bestellers (Abon­nenten) tragen muß, insofern auch, als dieses nicht wie seither eine Personen- Fahrkarte, unübertragbar ist, und nicht blos von der aus dem Fahrscheinbuch an­gegebenen Person bmützt werden kann, sondern auch von deren Familienange-