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man dem Ausgang des Krieges vertrauensvoll entgegensetzen könne. Die Erfahrungen, welche die Marine bei den letzten Manövern mit ihren Panzerkolossen gemacht haben, gehörten eben dahin. Der allgemeine Notstand wachse und trotzdem neue Steuern. Der vorliegende Etat ist allerdings so angelegt, daß Erspar­nisse kaum möglich sind, wenn man nicht bei­spielsweise durch ein anderes Verabschiedungs- systcm den Pensionsetat entlastet. Warum greift man nicht auf eine Einkommensteuer zurück, statt die indirekten Steuern zu vermehren, welche die große Masse der Bevölkerung belasten u. den Ver­sprechungen des Reichskanzlers und den Erwar­tungen des Reichstags zuwiderlaufen. Redner erläutertdas an den ncuenSteuern. Bebel bespricht sodann die Steuervorlagen. Finanzmimster Dr. Miquel habe als Jüngling sozialde­mokratische Anschauungen gehegt; dadurch, daß Dr. Miquel jetzt durch neue Steuern die Unzufriedenheit schüre, sei derselbe ein Re­volutionär und der wahre Freund der So­zialdemokraten. (Heiterkeit.) Kriegsminister Bronjart v. Schellendorf protestiert aufs Schärfste dagegen, daß Bebel aus den Vor­gängen des Hannoverschen Prozesses von einzel­nen Offizieren auf die Qualität des gesamten Offizierskorps Schlüsse ziehe. Das sei eine Agita­tion, die auf die Anklagebank gehöre. Die deutschen Offiziere würden ihren Aufgaben jederzeit ge­wachsen sein. Kein einziges Offizierskorps dulde oder begünstige das Hazardspiel. Die Armee bedarf keiner Vorschläge von Außen, sie kann sich selbst helfen. Finanzminister Miquel rechtfertigt seinen, von Bebel ver­öffentlichten Jugendbrief durch sein damaliges Alter. Wozu Bebel den Brief veröffentlicht habe, sei ihm unklar, blos denunzieren wollte er doch nicht. Unter dem Eindruck des Jahres 1848 habe er, Miquel, sich den E nflüffen der Schriften von Marx und Engel nicht entziehen können. Später hätten national- ökonomische und historische Studien ihn über­zeugt, daß die sozialdemokratischen Ideen falsch sind. Er werde ein Buch herausgeben, worin er seinen Entwicklungsprozeß darlege. Staatssekretär Holl mann weist Bebels An­griffe auf die Flotte zurück, die sich auf die Autorität eines Mannes stützten, der zum ersten Male die See gesehen habe. Deutsch­lands Flotte ist kriegstüchtig, wenn einzelne Schiffe zu alt sind, so bewilligen sie Geld für neue.

Berlin, 28. Nov. Von authentischer Seite geht uns folgende Mitteilung zu: Am letzten Sonntag empfing der Reichskanzler Graf Caprivi unter den einlaufenden Brief­schaften einen Brief mit einem Holzkästchen aus Orleans. Der Inhalt des Kästchens war alsMuster von Radieschensamen besonderer Spezialität" bezeichnet worden. Als Major Ebmeyer, der persönliche Adjutant Caprim's, das Kästchen zu öffnen versuchte, fiel Schieß­pulver heraus. Die sofort benachrichtigte und zur Untersuchung erschienene Polizei stellte fest, daß nur durch das zufällige Herausfallen des Pulvers aus dem Kästchen, das sich jetzt als eine Höllenmaschine darstellte, eine Katastrophe vermieden wurde.

Da es den Bemühungen der württ. Regierung im Bundesrat nicht gelungen ist, die Heraufsetzung der Wertgrenze für die Reichswemsteuer von 50 auf mindestens 60 Mark gegen den Widerspruch der preußischen Regierung durchzusetzen, so wird der erwartete Kampf um die Weinsteuervorlage im Reichs­tag gewiß mit vermehrter Heftigkeit entbrennen. Es ist übrigens ein Irrtum, wenn man an­nehmen wollte, daß sich der Widerstand gegen diese neue Reichssteuer vorwiegend auf die

süddeutschen Jnteressenkreise beschränke. Auch in Norddeutschland regt es sich stark und auf Anregung der Aeltesten der Berliner Kaufmann­schaft wird am Mittwoch hier eine Versamm­lung norddeutscher Interessenten stattfinven, die gegen die soeben dem Reichstag zugeqangene Weinsteuervorlage Stellung uchmen soll.

Ehe die Entscheidung über denJesuiten- an trag fällt, ist es, so schreibt der Hannov. Kur., Pflicht, immer wieder darauf hmzuwei- sen, um was es sich bei der Frage des Je­suitengesetzes handelt. Es handelt sich im letzten Grunde darum, ob im Deutschen Reiche das deutsche Volk herrschen soll oder der Je- suitengcneral. Wie diese Frage zu entscheiden ist, kann keinem echten deutschen Manne zwei­felhaft sein, um so weniger, wenn er sich die Leute im rechten Lichte betrachtet, in denen die Jesuttenpartei in Deutschland denn eine solche und nichts Anderes ist das Zentrum ihre Bundesgenossen erblickt. Das Be­dauerlichste aber ist, daß sich unter diesen Leuten auch Anhänger der deutschen protestan­tischen Kirche befinden. Es sind dies die 6 welfischen Reichstagsabgeordneten. Diese 6 lutherischen Herren haben kein Bedenken ge­tragen, ihre Unterschrift unter einen Gesetz- Antrag zu setzen, der sich zu Gunsten einer Gesellschaft ausspricht, die die ärgste Feindin der lutherischen Kirche ist, einer Gesellschaft, die sich in der von ihr selbst zu ihrer 1. Jahr­hundertfeier im Jahre 1640 herausgegebenen Jubiläumsschrift über ihre Gesinnung gegen Luther und dessen Anhänger also ausspricht: Dem Luther, dieser Schmach Deutschlands, diesem Schwein aus der Heerde Epikurs, die­sem Verderben Europas, diesem unglückseligen Scheusal des Erdreiches, diesem Ekel für Gott und Menschen, stellt Gott durch ewigen Be­schluß den Ignatius gegenüber. Es ist nicht zu leugnen, daß von uns ein heftiger und ununterbrochener Krieg für die katholische Re­ligion gegen die Ketzerei übernommen worden ist. Vergeblich erwartet die Ketzerei, daß sich die Gesellschaft durch Stillschweigen mit ihr vertragen werde. So lange der Atem des Lebens in uns wohnt, werden wir gegen die Wölfe für die Verteidigung der kath. Heerde bellen. Kein Friede ist zu hoffen. Der Same des Haffes ist uns eingeboren. Auf des Ig­natius Anstiftung haben wir an den Altären ewigen Haß, ewigen Krieg geschworen." Und daß derselbe Geist der Herrschsucht und Un­duldsamkeit, derselbe Haß gegen die Lutheri­schen und die Kirche der Reformation auch heute noch den Jesuitenorden erfüllt, dafür liegen unzählige Zeugnisse vor. Und für eine solche Gesellschaft treten lutherische Männer ein!

In Berlin werden auf direkte Ver­anlassung des Magistrats in diesem Winter wahrscheinlich auf allen größeren Schulhöfen Berlins künstliche Eisbahnen hergestellt werden, die ausschließlich nur für vie Schüler und Lehrer der betreffenden Anstalten reserviert bleiben. Das Schlittschuhlaufen soll hier an allen schulfreien Nachmittagen unter Aufsicht der Lehrer stattfinden.

Aus Elsaß-Lothringen, 23. Nov. Gegen die in Aussicht stehende Reichswein­steuer wenden sich jetzt auch die Kreise der reichsländischen Bevölkerung, die nicht un­mittelbar Weininterefsenten sind. Falls näm- lich jene Steuer zur Einführung kommt, ver­liert Elsaß-Lothringen die Landesbcsteuerung von rund 350,000 Hektoliter s 1.50 Mark, oder 525,000 Mark, ein Ausfall, der nur durch eine neue Landessteuer gedeckt werden könnte. Auch der Haushaltsetat der meisten reichsländischen Städte würde durch die Reichs­weinsteuer empfindlich berührt werden, da letz­

tere das Maximum einer Verbrauchsabgabe auf 3 Pfg. festsetzt, während gegenwärtig im Durchschnitt 56 Pfennig städtisches Oktroi bezogen werden.

Paris, 24. Nov. Ein Gioßfeuer zer­störte mit aller Gewalt die Häuser der Martyrerstraße. Es entstand allgemeine Panik unter den Eimvobnern. Dieselbe» sprangen zahlreich aus den Fenstern, wobei viele schwer verwundet wurden. Eine Frau ist lebendig verbrannt. Aus Cherbourg wird gemeldet: Der Sturm brach an der französischen Nord­küste wieder aus und suchte namentlich Cher­bourg, Brest und Havre heim. Zahlreiche Schiffe sind bedroht; eine norwegische Brigg wurde an den Strand geworfen. Die höchste Sturmflut ist auf den Samstag a »gekündigt.

Paris. Dom Pedro, Sohn des Grafen Eu, von welchem es hieß, daß ei zum Kaiser von Brasilien ausgerufen werden soll, befindet sich lt Frkf. Z. als Zögling in der Militär- Akademie in Wiener-Neustadt, steht unter strengster militärischer Zucht und verkehrt nur mit seinem Cousin, dem Prinzen AlenZvn; er ist über vie Vorgänge in Brasilien gar nicht unterrichtet, da er auf Wunsch seiner Eltern streng von Politik ferngehalten wird.

Budapest, 27, Nov. Der größte Damper der Adria-Gesellschaft, im Wert von 600,000 Gulden, wird vermißt. Der Dam­pfer ging vor 12 Tagen von Gibraltar ab, er sollte in 3 Tagen in Rouen anlangen. Die Direktion der Adria-Gesellschaft wandte sich bereits an das Ministerinm des Aus­wärtigen mit der Bitte, Nachforschungen an- zusteüen.

London, 27. Nov. Die Times meldet aus Teheran: Infolge des Erdbebens sind in Kuchan gegen 12 000 Menschen umgekommen. 2000 Leichname befinden sich noch unter den Trümmern. 50,000 Stück Vieh sind gleich­falls umgekommen. Die Erderschütterungen dauern noch an.

Das Wochenblatt des landw. Vereines enthält folgende Rezepte zur

Verbesserung kranker, lrezw. sehlerhaster Obst-Weine.

1) Zu saure Weine. Die Säure wird a durch kohlensauren Kalk vermindert oder b durch Zuckerwaffer verdünnt.

g, Der Flasche Wein setzt man 1 Z, dem Hektoliter 125 § gefällten kohlensauren Kalk zu.

Der Kalk ist mit dem Wein alsbald gut zu mischen und nickt etwa hinein zu werfen. Da hierbei ein Aufschäumen eintritt, ist einige Vorsicht nötig.

b Man läßt den Wein nochmals gähreu mit: Zusätze für

die Flasche den Hektoliter Wasser 2 61 30 1

Zucker gestoßen 2 Eßlöffel voll 10 Pfd. Ganz frische Preßhefe bohnengroß 125 A Salmiak (a.d. Apotheke) 0,2 x 30 g

Wein die Flasche füllen 70 1

Die Mischung soll bei 1520° C. (1216° R.) gähren. Nach Beendigung der (Nahrung ist der Wein abzulaffen.

Weine welche einen starken Stich haben, d. h. zu viel (etwa über 0,20 Proz.) Essig­säure enthalten, können nicht mehr mit Vor­teil verbessert werden.

2) Nicht genügend vergohrene Weine. Wenn ein Wein noch süß ist und nicht, oder nur sehr langsam gährt, setzt man der Flasche bohnengroße Stücke Preßhefe und 0,2 z Salmiak, dem Hektoliter 125 Z Preßhefe und 30 g Salmiak, dem Hektoliter ist, um ihn mit Luft in Berührung zu bringen, in