so sei das kein nationales Unglück, wohl aber habe die Verdrängung ehrlich strebender Kleingrundbesitzer eine soziale Bedeutung. Dem Kleinbesitz müsse der unentbehrliche Schutz gewährt werden. Von der gesamten rumänischen Getreideeinfuhr kämen nur 3 Prozent nach Deutschland, nahezu 97 Proz. derselben gingen nach England. Die vorliegenden Handelsverträge hätten manche Schwächen, aber im großen Ganzen seien sie so, daß die große Mehrheit der National!, sic annehmen werde. Plötz (Bund der Landwirte): Der Bund der Landwirte verursache keine Aufregung im Lande (Heiterkeit links), sondern er stellt die Lage so dar, wie sie sei, aber die landwirtschaftliche Bevölkerung habe ihr Betrauen zu der Reichsregierung verloren. (Große Unruhe links.) Er müsse bestreiten, daß der Bund der Landwirte die landwirtschaftlichen Notstände übertreibe, im Gegenteil sei der Notstand noch ärger als der Bund der Land- wite ihn schildere. Reichskanzler Graf Ca- privi führt aus: seine Stellung zur Landwirtschaft habe er vor zwei Jahren präzisirt, auf seine Thätigkeit als Ministerpräsident könnten sich die Vorwürfe nicht beziehen. Während derselben sei das Renlengütergesetz erlassen worden, welches er für das wichtigste zur Hibung der Landwirtschaft halte. Er schätze dieselbe hoch, denn dieselbe gebe eine gejunde Bevölkerung und die brauchbarsten Soldaten. Wenn ein Staat sich nicht mehr durch den eigenen Körnerbau erhalten könnte, so könnte er zu Grunde gehen, ohne daß ein Schuß Pulver fiele. (Sehr richtig rechts.) Wenn man ihm jetzt zustimme, woher kämen dann die beständigen Angriffe auf ihn? Wenn das Opfer der Kornzollermäßigung auf 3*/s Mark der Landwirtschaft zugemutet werde, so sei dies notwendig für die Erhaltung der Industrie und damit indirekt auch für die Existenzfähigkeit der Landwirtschaft. Ich anerkenne, was die Konservativen für die Militärvorlage gethan haben und würde mich freuen, Schulter an Schulter mit ihnen zu gehen. Aber sie machen mir das unmöglich. Betrübend sei, daß die Herren vom Bunde der Landwirte die Interessen der einzelnen Gruppen dem Interesse der Allgemeinheit voranstellen. Schönlank (Soz.) begrüßt die Verträge, weil dieselben in die bisherige Herrschaft der Schutzzölle und Gönnerwirtschaft eine Bresche legten. Frhr. von Stumm (freikonserv.): Vom Standpunkt der Industrie tadelte er die Handelsverträge nicht, aber vom Standtpunkt der Landwirtschaft halte er noch heute die Herabsetzung der Getreidezölle für einen schweren politischen Fehler. Wenn in der Kommission nachgewiesen würde, daß die Landwirtschaft durch die Verträge nicht geschädigt werde, dann würde er dafür, andernfalls dagegen stimmen. Richter (freis. Volkspartei) erklärt: Seine Partei nehme die Verträge an, sei aber gegen Kommissionsberatung, da dieselbe nur eine leere Formalität und Zeitvergeudung sei. Denn es handle sich nur um Annahme oder Ablegung im ganzen. Gegenwärtig gelte, ebenso wie zu Anfang des Jahrhunderts, das allgemeine Staatsintereffe gegenüber den Sonderinteressen einzelner Klassen. Wenn eine Regierung es unternimmt, die allgemeinen Interessen gegen Sonderintereffen zu schützen, dann ist sie unbesiegt! ch. Er hoffe, daß das Haus, vor die Frage gestellt, Ja oder Nein zu sagen, es nicht über sich gewinnen werde, die Handelsverträge abzulehnen, v. Hammerstein (konservativ): Die agrarische Bewegung ist nicht neu, sie hat sich zu einer Lebhaftigkeit entfacht, die uns selbst überraschte.
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Wenn in der Aeußerung des Reichskanzlers, er öedaure, nicht mehr Schulter an Schulter mit den Konservativen gehen zu können, eine Absage an die Konservativn liegen sollte, so werden wir uns darein finden müssen. Aber er bezweifle, ob es möglich ist, in Deutschland und Preußen zu regieren, ohne die Unterstützung der Konservativen. Der Reichskanzler sollte nur an die Miltärvorlage denken. Früher waren die Konservativen gewohnt, in kritischen Augenblicken auf die Regierung zu blicken, von ihr Abhilfe zu erwarten. Jetzt, wo der Reichskanzler selbst die Notlage der Landwirtschaft anerkennt, ohne eine schöpferische Idee zur Abhilfe zu haben, wird das Niveau der Regierung bis zu einem Grade herabge drückt, der den altpreußischen Traditionen nicht entspricht. Wenn im Interesse des Staates Opfer notwendig sind, so ist die Industrie dazu viel eher in der Lage, als die Landwirtschaft. Der rumänische Handelsvertrag bringt auch der Industrie nicht dieerhofften Vorteile. Es liegt in Rumänien jetzt ein Gesetz vor, das dieselben Konzessionen, die cs uns gemacht, allen andern Staaten ebenso einräumt. Staatssekretär v. Marschall wendet sich gegen die Ausführungen von Hammecsteins. Hierauf wurden die Handelsverlr ge gegen die Stimmen der beiden freisinnigen Fraktionen, der süddeutschen Volkspartei und der Sozialisten an eine Kommision verwiesen.
— Dem Vernehmen nach haben gegen die Weinsteuer im Bundesrat gestimmt: Württemberg 4 St, Baden 3 St, Hessen 3 St., Hamburg 1 St. und Reuß ä. L. 1 St., zusammen 12 Stimmen gegen die Weinsteuer unter 58 Stimmberechtigten.
— Auf der Fasanenjagd in Kucheln« (Schlesien) hat der Kaiser 730 Fasanen und außerdem 1 Lapin zur Strecke gebracht. Elf Gewehre hatte der Kaiser mitgebracht, von denen er vier in Gebrauch nahm. Die Teilnehmer an der Jagd waren erstaunt über die Treffsicherheit des Monarchen, der bekanntlich beim Schuß nur den rechten Arm verwendet, wobei er denselben auf eine besondere, an der rechten Hüfte angebrachte Unterlage stützt. Insgesamt wurden erlegt 3131 Fasanen, 5 Hasen und ein Lapin. Am Sonntag Abend spielte der Kaiser nach dem Diner einen sehr soliden Skat mit dem Fürsten Hatzfeld Trachen- berg und dem Jagdherrn, dem Fürsten Lich- nowsky. Das Point wurde zu einem achtel Pfennig gespielt; der Kaiser hatte Pech, denn er verlor achtzehn Pfennige. In Hannover wird man sich einstweilen für solches „Jeu" noch nicht begeistern können.
Leipzig. Wegen Errichtung einer großen elektrischen Beleuchtungsanlage hat nunmehr der Stadirat vorbehaltlich der Zustimmung der Stadtverordneten mit der Firma Siemens und Halske in Berlin einen V rtrag abgeschlossen. Demnach muß die Anlage, die auf dem Areal der alten Gasanstalt errichtet werden soll, bis 1. Juli 1895 fertig gestellt sein. Nach Ablauf von 50 Jahren soll sie kostenlos in deu Besitz der Stadt übergehen.
— Der Bankier Julius Hausmann, welcher vor mehreren Monaten nach Veruntreuung von 50,000 Mark aus Hamburg entflohen war, ist als Leiche aus der Elbe gezogen worden.
Rom, 25. Nov. lieber das Befinden des Papstes hört der Korresp. der „Str. P." aus vatikanischen Kreisen, daß man lebhaft um ihn besorgt ist, obwohl er nicht eigentlich krank ist; der Leibarzt Laponni aber bemerkte, daß der Papst hinsieche und ein plötzliches Ende leicht eintreten könnte. Man
zweifelt, daß der Papst den Winter überleben wird.
De,7 Sturm auf dem crttcrn- Lifchen Gzscrn.
Man schreibt aus Calais, 24. Nov.:
Der bereits gemeldete Sturm aus dem atlantischen Ozean hat, nachdem er 4 volle Tage und fast 5 Nackte in fürchterlichster Weise gewütet, sich endlich zu legen begonnen, und man beginnt das traurige Fazit der Verwüstungen zu ziehen, welche derselbe angerichtet. Von der englischen Küste, den Aermelkanal entlang, durch den Meerbusen von Biscaya, durch die Meerenge von Gibraltar, bis nach Tunis hinab, sind die Küsten des atlantischen Ozeans und des Mittelmeeres mit Schiffstrümmern und Leichen bedeckt. Die wirkliche Zahl der Opfer, welche zum größten Teil das hohe Meer verschlungen wird wohl nie bekannt werden.
An der Südküste Englands allein beträgt die Zahl der Menschenopfer über 200, und man beregnet auf über 60 die Zahl der verlorenen Dampfer, Segelschiffe und Fischerboote, von denen einige 50 allein als Wracks auf die Küsten geworfen, oder in den Klippen hängen geblieben. Wie viel Schiffer draußen ruf hoher See, angesichts der Südknste Groß- britaniens ihren Untergang gefunden, weiß man noch nicht und wird man vielleicht nie erfahren. Aber noch heute werden zahlreiche Schiffe als in großer Rot befindlich signa- lisirt, und auf allen Rsttungsstatioiien herrscht fieberhafte Thätigkeit, um diemeist mast-und steuerlosen Schiffsrümpfe zu bergen, oder doch wenigstens die noch überlebende Mannschaft zu retten. Ebenso traurig lauten die Berichte von der französischen Küste. Noch heute Morgen zerschellte angesichts Cherbourg, ein norwegischer Dreimaster, auf dem Felsen, während die englische Brigg „Elisabeth gleichzeitig mit solcher Gewalt an die Küste geworfen wnrde, daß das Schiff in zwei Hälften auseinanderfiel. An der Zalaiser Küste liegen die Trümmer von 46 Schiffen und Booten, von denen mehrere ihre ganze Mannschaft verloren haben. In der Calais allein haben 50 arme Kinder den Vater in diesem Sturme verloren, und »och weiß man nicht annähernd, wie viele Boote der zum größten Teil noch nicht in den schützenden Hafen zurückkehrenden Fischerflotte noch auf See schwimmen, wie viele von ihnen nicht für immer mit ihrer Mannschaft auf dem Grunde des atlantischen Ozeans ruhe». Was von dieser Fischerflotte bisher zurückgekoininen, befindet sich in denkbar traurigstem Zustande, und der Verlust der Stadt Calais allein beziffert sich nach Hnndertausenden, ungerechnet die schweren Verwüstungen, welche der Sturm an den Hafenwerken und in der Stadt selbst aiigerichtet. Der östliche Leuchtturm am Ha- feiieingang ist vollständig sortgeriffen, ebenso wie der Auslugklirm und der vordere Teil der Hafenschutzmauer. Auf dem Badestrand der Stadt hat das Meer 12 Leichen ausgeworfen. Seit Menscheilgedenkell hat man einen solchen Cyklon an diesen Küsten des atlantischen Ozeans und des Aermelkanals nicht erlebt selbst die ältesten Fischer und Matrosen rechnen wenigstens 50 Jahre zurück, um sich einer ähnlichen Entfesselung der Elemente zu erinnern. So hoch gingen die Wogen, daß kaum 100 Meter vom Strande entfernt liegende große Dampfer vollständig unter den riesenhaften Wellenwänden dem Auge der ängstlich Zusehenden entschwanden. Das