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gegeben haben, daß während der letzten Manöver die Soldaten vielfach unterließen, sich den Morgenkaffee zu brauen und dafür den leicht zugänglichen Schnaps tranken. Gerade die Schnapstrinker aber stellten das nicht geringe Kontingent derer, die während der Manöver schlapp wurden. Die Verordnung des Grasen Häseler muß mit Freuden begrüßt werden. Unter den Mitteln, der Branntweinpest zu steuern, ist dies eines der wirksamsten, denn es ist nicht zu leugnen, daß ein großer Prozentsatz junger Leute, namentlich aus Süd- deutschland, bisher erst in den Kasernen das Vranntweintrinken gelernt haben.
Paris, 4. Okt. In der Nue des Mar- lyrs starb dieser Tage eine 87jährige Frau Humbert, die man seit langen Jahren in jenem Viertel zu sehen gewohnt war, immer ärmlich gekleidet, im Winter vor Kälte schlotternd, die Hand halb nach einer Gabe aus- gestreckt, aber ohne je mit Worten zu betteln. Gerade wegen dieses würdigen Benehmens stoß der Alten, die in ihrer Jugend einmal schön und viel begehrt gewesen war, manche Spende zu, denn Jedermann wußte, daß sie blutarm war. Nach ihrem Tode fand der Verwandte, der sie beerbt, 600,000 Franken in Wertpapieren, Gold und Silber, die überall versteckt waren in der Wolle der dünnen Matratze. Außerdem Hinzen an den Wänden des elenden Gelasses wertvolle Gemälde französischer Künstler, aber auch ein „Raphael", „Die drei Grazien". Nachträglich stellte sich heraus, daß ein Amerikaner ihr vor etwa 10 Jahren 1 Million für dieses Bild angeboren hatte, unter der Bedingung, daß sie den Ursprung des Bildes Nachweisen sollte. Das vermochte sie nicht, um so weniger, als auch im Schlosse Chantilly ein mutmaßlicher Raphael hängt, der ebenfalls die 3 Grazien darstellt. Ob die alte Humbert den richtigen Raphael hat oder der Herzog von Aumale, konnte bisher nicht entschieden werden. Derjenige, der seit etwa 40 Jahren in dem Besitze der Humbert war, wurde ihr kurz vor dem Staatsstreich von einem ihrer damaligen Verehrer gesandt, der unter dem Kaiserreich eine hervorragende Rolle gespielt haben soll.
Im „Mattn" schreibt der Royalist Cor- nely: „So werden also der Graf von Paris und der Zar mehrere Tage unter dem gleichen Dache zubringen, und während wir die Matrosen des Zaren als Brüder begrüßen, wird der Zar selbst den Ersten der Franzosen als Freund begrüßen. Das ist vortrefflich. Rußland kann sich unmöglich ,republikanisch machen, dagegen ist Frankreich, wie seine ganze Geschichte beweist, ein wesentlich monarchisches Land. Da Rußland nicht französisch werden kann, so muß Frankreich russisch werden. Und damit ist der Anfang schon gemacht. Es bekehrt sich allmählich zu den Grundsätzen der Autorität und des Gehorsams.
— In Amsterdam spielt augenblicklich ein Mordprozeß, der das größte Aufsehen erregt. Der Angeklagte ist Dr. de Jong. Derselbe heiratete, wie dem „N. Wiener T." gemeldet wird, im Juni in London ein reiches englisches Mädchen, Anna Juet, ermordete dasselbe auf der Hochzeitsreise und vergrub den Leichnam. Anfangs August heiratete de Jong in Arnheim eine Holländerin, Clara Schmitz, ermordete dieselbe gleichfalls auf der Hochzeitsreise und versteckte den Leichnam in einem Walde in der Nähe von Arnheim. Die Leiche der Schmitz wurde gefunden, aber vom Leichnam der Anna Juet hat man bisher keine Spur, da de Jong jede Auskunft verweigert. Der Mörder verspielte die Mit
gift beider Frauen im belgischen Badeorte Spaa. Ferner meldet der Nieuwe Rotterdam- sche Courant, daß im Besitze de Jongs medizinische Instrumente gefunden worden seien, wie sich ihrer Jack der Aufschlitzer bei der Verstümmelung oer Frauenleichen bedient haben muß. De Jong verweigert jede Auskunft über den Zweck der Instrumente. Die Polizei glaubt Anhaltspunkte zu der Annahme zu besitzen, daß Dr. de Jong mit Jack dem Aufschlitzer identisch ist, zumal erwiesen ist, daß Dr de Jong während der Frauenmorde in Whitechapel in London weilte. Die holländische Polizei übermittelte die Ergebnisse der Untersuchung den Londoner - Behörden , die mehrere Detektivs nach Amsterdam entsandten. Die Geschichte ruft immer größere Sensation hervor.
Ber mischt es.
(Eine heitere Vergiftungsge-- schichte. Aus Abbazia wird der Wiener N. Fr. Pr. berichtet: An jedem Morgen frühstückt König Alexander von Serbien mit seinem Vater und mit dem Gefolge vor dem „Hotel Quarnero" im Freien. Das herrliche Weiter gestattet es. Die Sonne brennt wie im Mai, und die Meerbäder sind überfüllt. Eines Morgens war bereits beim Frühstückstisch das Gefolge des jungen Königs versammelt, als dieser mit seinem Vater von einem Spaziergang zurückkam. Der König sagte, die Herren mögen nur das Frühstück einnehmen, er werde heute zuerst sein Bad nehmen und dann erst frühstücken. König Milan blieb auch zurück, frühstückte mit den Herren, und nach drei Viertelstunden kehrte der König zurück, worauf man ihm sofort den Thee servierte. Der König machte einen starken Schluck, ließ aber die Schale aus der Hand gleiten und machte ein fürchterliches Gesicht! König Milan sprang auf und schrie, es sei eine Vergiftung! Unter dem Gefolge war eine Minute lang eine Panik eingetreten. Der Leibarzt schüttete sich sofort eine andere Schale voll und verkostete denselben. In diesem Momente stürzte der Küchendirektor ganz blaß daher und rief: »Verzeihung Majestät I ich hafte mit meinem Kopfe, es ist nichrs, der Koch hat sich geirrt und hat den Thee statt mit süßem Wasser mit - Meer- waffer aufgekocht." Der König war der Erste, der sich wieder beruhigte; er lachte herzlich Milan umarmte seinen Sohn und weinte hell auf- Auch das Gefolge war wie von einem Alp befreit.
(Auffassung.) A.: „Sind Sie sicher, daß Ihr Sohn durchs Examen kommt?" — B.: „Ganz sicher! Es fragt sich nur, ob oben oder unten durch!"
(Selbsterkenntnis.) Michel (nach einer solennen Wirtshausrauferei): «Jesses, jetzt hat mich einer gar mit an Krügel an Kopf troffen, an »' dümmern Stell hätt' er mr gar net treff'n könna!"
(Guter Kerl.) Sie: „Ich hoffe Fritz, Du heiratest mich nicht meiner 100000 Mk. wegen?" — Er: „Wie kannst Du das denken? Ich würde Dich nehmen, selbst wenn Du nur 99000 Mk. hättest."
— Ein praktisches Verfahren zur Erlernung neuer Sprachen ist in vielen holländischen Schulen und Pensionaten im Gebrauch. Zu Beginn jeder Woche erläßt der Direktor oder Ordinarius die Bekanntmachung.- „In dieser Woche darf nur französisch — ober englisch oder deutsch — gesprochen werden, bei Buße von ... . Cents, die von der Wochenauleihe jedes Schülers erhoben werden." Gleichzeitig wird — die Holländer
sind geborene Kaufleute — das Erträgnis der voraussichtlichen Geldbußen an den Meist» bietenden öffentlich versteigert. Der meistbietende Schüler muß den Betrag sofort in eine für gemeinschaftliche Zwecke, Vergrößerung der Schulbibliothek und dergleichen bestimmte Kaffe zahlen und wird auf diese Weise Aufseher über seine Mitschüler. Um sein Geld wieder zu bekommen und einen möglichst großen Gewinn zu erzielen, wird er unbarmherzig alle zur Anzeige bringen, die eine andere als die gerade obligatorische Sprache sprechen. In weniger als Jahresfrist sprechen die Schüler zwei oder drei fremde Sprachen mit hinlänglicher Fertigkeit, um auf Reisen oder beim Geschäftsverkehr damit auszukommen. Die folgenden Jahre sind dem grammatikalischen Sludium dieser Sprachen gewidmet, immer unter Anwendung des nämlichen Systems, so daß die Schüler beim Verlassen der Schule die fremden Sprachen nicht nur theoretisch und schriftlich, sondern auch mündlich beherrschen.
(Durch die Blume) Unteroffizier: „Was ist ihr Vater eigentlich, Huber?" — Rekrut „Metzgermeister!" — Unteroffizier: „Na, da haben S>e auch wohl zu Hause nicht viel getaugt, daß der jetzt so wenig von sich hören läßt!
— Zurückgewiesen. Buchhalter: Herr Kommerzienrath, darf ich um die Hand Ihrer jüngsten Tochter bitten? — Kommerzienrath- „Mein Lieber, für einen Buchhalter schickt es sich nicht, sich gleich in die jüngste Tochter seines Chefs zu verlieben — die älteste können sie haben.
— Kaminfeger: Wahr ist's ja, unser Geschäft ist ein ganz gutes. Aber wenn ei'm die Leute die Kamine ins Haus bringen könnte, deß mer sie so gemütlich daheim auspntze könnt' — nachher wär's doch noch schöner.
(Guter Grund.) Lieutenant: „Aber, mein gnädiges Fräulein, daß Sie bei Ihrer Schönheit und persönlichen trefflichen Eigenschaft nicht heiraten wollen, ist mir unbegreiflich!" Dame: „Ganz einfach — ich kann keinen Mann ernähren!"
(Verschönerung.) Bäckermeister (auf einem Balle): „Gestatten Sie, mein Fräulein, daß ich mich Ihnen vorstelle. Mein Name ist chaver Hörndl, Bretzel-Techniker."
Herbst- und Marktberichte.
Stuttgart, 5. Okt. Wilhelmsplatz: 15 000 Ztr. württ. Mostobst, Preis per Ztr. 3.20—3.50Mk., Bratbirnenpr.Ztr. 3.80 Mk. Zufuhr am Güterbahnhof: 32 Waggon gleich 6400 Ztr. Preis per Waggon 520—600 Mark.
Marbach. Bellstein, 4. Okt. Allgemeine Lese beginnt morgen, Verkauf heute ziemlich lebhaft zu 120—125 Mk.
Mundelsheim, 4. Okt. Heute wieder lebhafter Verkauf zu 130 bis 160 Mk. f. 3 Hkt. Mittelgew., Käsberger zn 190—200M. f. 3 Hkt., immer noch ziemlich feil.
Besigheim, 2. Okt. Preise von 120 bis 160 M. Verkauf lebhaft, Vorrat noch 300 Hktl.
Freudenthal, 4. Okt. Verkauf lebhaft von 120—140 Mk. f. 3 Hktl.
Lauffen a. N., 4. Okt. Käufe zu 142, 145, 148, 150, 155, 160, 166, 170, 180 und 200 Mk. für 3 Hektol., noch wenige Reste feil.