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sie sich abstürzen ließ, das Ventil öffnete, ist bei Herrenalb niedergegangen.

In Baden besitzen nach den letzten Stichwahlen nun die Ultramontanen 6, die Nationalliberalen 4, Konservative und Frei­sinnige je ein Mandat; 2 sind Wilde. Kein Mandat besitzen in Baden jetzt die Sozial­demokraten und die Antisemiten. Von den , Gewählten sind 7 für und 7 gegen die Mili- täcvorlage; im aufgelösten Reichstag waren unter den badischen Abgeordneten 10 Gegner.

Fr ei bürg, 26. Juni. Am 20. d. Mts. nachmittags fuhr in einer Droschke bei einem hiesigen Arzt ein diesem unbekannter Mann mit der Bitte vor, einzustcigen und einer schwer erkrankten Frau in Littemveiler ärztliche Hilfe zu bringen. Der Arzt wollte diesem Gesucb entsprechen; bei der sogleich angetretenen Fahrt bemerkte er aber bald, daß die Fahrt sich in der Richtung nach Ebnet bewege. Auf seine Fragen an seinen Begleiter erhielt er zunächst ausweichende Antworten, bis dieser plötzlich eine drohende Haltung einnahm und sagte, er werde den Arzt schon dahin bringen, wohin er gehöre;" zugleich griff er in die Rocktasche, in welcher der Schaft eines Revolvers sichtbar wurde. Nunmehr ergriff der Arzt die Hand­gelenke seines Gegners, es entspann sich ein heftiges Ringen, und der Kutscher, durch das Geräusch und die Rufe des Bedrohten auf­merksam gemacht, hielt sein Pferd an. In diesem Augenblick gelang es dem Fremden, durch einen Stoß mit dem Fuß die eine Seiten­thür der Droschke zu öffnen und auf die Straße zu springen. D.e Verfolgung seitens des Arztes und eines auf der Straße zufällig dazu ge­kommenen Fuhrmanns verhinderte der Unbe­kannte durch Drohungen und mittelst des vor­gehaltenen Revolvers und war bald in der Richtung nach Ebnet hinter hohen Kornfeldern verschwunden. Ein Beweggrund für , diese That ist dem Angegriffenen ebenso wenig denk­bar wie der Zweck des gefährlichen Angriffs.

Mannheim, 27. Juni. In mehreren Landorten des hiesigen Wählerkreises trugen sich gestern in Folge des Wahlausfalls große Schlägereien zwischen Sozialisten und Nicht­sozialisten zu. Es gav zahlreiche blutige Köpfe. Mehrers Verhaftungen wurden vor­genommen.

Berlin, 26. Juni. Nach dem Ausfall der Stichwahlen, soweit es bisher bekannt ist (es fehlen noch einige) ergibt sich eine kleine Mehrheit für das Militärgesetz, die ziffermäßig nicht angegeben werden kann, da die Stellung einiger Antisemiten und Kleri­kalen verschieden beurteilt wird. Den Betreffen­den, sämtlich als Gegner gerechnet, bleibt je­doch noch immer eine Mehrheit von 3 für die Vorlage.

Dr. Karl Peters wird im Juli einen 4 monatlichen Urlaub antreten und da­von 3 Monate zu einer Bereisung der Ver­einigten Staaten von Amerika verwenden. Die Art seiner ferneren Verwendung im Reichs­dienst soll, wie derH. K." hört, nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub entschieden werden, indessen dürfte schon heute entschieden sein, daß Dr. Peters in seine alte Stellung am Kilimandscharo, überhaupt als Kommissar zur Verfügung des Gouverneurs" in der alten Form nicht zurückkehrt. Die Redaktion des Hann. Kur. fügt dieser Mitteilung ihres Mit­arbeiters die Bemerkung hinzu:Es ist wohl als selbstverständlich anzunehmen, daß Dr. Peters jetzt ein selbständigerer Posten in den Kolonien verliehen werden wird."

Berlin, 27. Juni. Die Strafkammer des Landgerichts verurteilte heute den Reichs-

tagsabgeordneten Ahlwardt, wegen Be­leidigung der gesamten preußische» Beamten, insbclondere des Justizressorts, begangen in seiner Essener Rede, zu 3 Monaten Ge­fängnis.

Ueber die in mehreren Teilen Deutsch­lands infolge der Trockenheit eingeiretene Fut­ternot lausen wenig erfreuliche Nachrichten ein. In Bayer» fehlt es besonders in Unierfrankcn, Mitielfranken, Oberfranken und in der Pfalz an Viehfutter So heißt es in einem Bericht aus Aschaffcnburg vom 21. Juni: Die Heu­ernte ist vielfach im Gange, ergiebt jedoch kaum ein Drittel Ertrag, die Qualität ist je­doch eine vorzügliche. Die andauernde Hitze bringt für die abgemähten Wiesen die weitere Gefahr des völligen Ausdorrens, und kann man sich hievon leider, auch bei solchen, weiche vor 8 Tage» abgemäht wurden, überzeugen. Braun und rst schauen sie aus. Unter diesen Verhältnissen wird der Viehstand auf das nied igste Maß gebracht und naturgemäß geht der Preis für das Vieh rapid abwärts. In einer Spessart-Ortschaft kam vor 2 Tagen der Fall vor, daß für eine 260 Mk. werte Kuh mit Kalb 80 Mk. erzielt wurden. Hier in der Stadt ist das Kalbfleisch binnen acht Tagen von 56 auf 40 Pfg. und das Rind­fleisch von 56 auf 44 Pfg. zurückgegangen. In Neustadt a. d. Haardt (Rheinpfalz) kostet das Rindfleisch gar nur pro Pfund 17 Pfg.

Bern, 23. Juni. Die Schreiner in der Stadt Bern wollen Montag die Arbeit niederlegen, weitere Branchen beabsichtigen zu folgen. Deswegen wird d>e Berner Regier­ung die einberufenen Truppen vor Mitte näch­ster Woäie nicht entlassen. Für den Fall, daß Sonntag oder Montag neue Unruhen ausbrechen sollten, ist für den Zuzug von Bauern vom Lande gesorgt. Ferner wurde eine Bürgerwehr organisirt, die jeden Augen­blick einzugreifen bereit ist.

London, 24. Juni. Einem Telegramm des Admirals Markham aus Tripolis von gestern zufolge sind von den an Bord des PanzerschiffesViktoria" gewesenen 718 Personen 262 Mann von der Besatzung ge­rettet worden. Die Zahl der Geretteten be­trägt mithin einschließlich der 34 geretteten Offiziere 296. Es haben demnach 422 Per­sonen den Tod in den Wellen gefunden.

Rio de Gier, 24. Juni. Durch eine Kessel-Explosion auf den Hochöfen wurden viele Arbeiter getötet und 13 schwer verwundet.

Die Katastrophe derViktoria".

London, 24. Juni. Die Szene, welche sich heule Morgen nach dem Bekanntwcrden der Liste der beim Untergang des Panzer­schiffesViktoria" umgekommenen Mannschaf­ten vor der Admiralität abspielten, sind unbe­schreiblich. Eine Mutter, die seit dem Oeffnen der Thüren heute früh gewartet halte, fiel in Krämpfe, als sie hörte, ihr Sohn sei nicht unter den Ueberlebenden. Die Ausbrüche des Schmerzes waren ungeheuer, mit welchem die Freudenschreie Derjenigen seltsam kontra­stierten, welche die Ihrigen unter den Gerette­ten fanden. Viele Personen hatten die ganze Nacht vor den Thoren des Admiralitätsgebäudes auf die Nachricht gewartet, die erst in später Morgenstunde ausgegeben wurden, da die Namen verstümmelt telegraphiert worden waren.

Ich komme soeben aus demNational- liberal" und demConstitutional-Club", den bedeutendsten Whig- und Toryklubs Londons. Die Kondolenztelegramme unseres Kaisers haben hier einen überaus wohlthuenden Ein­druck gemacht; namentlich hat das Telegramm

des Kaisers au die Witwe des Admirals Tryon tiefe Bewegung hervorgerufen. Beim Ablösen der Wachen spielte heule Morgen die Garde in Windsor, wo die Königin gegenwärtig re­sidiert, um die Kameraden von der Flö te zu ehren, Mendelssohns:Herr höre mein Flehen."

Der größte Teil der ertrunkenen Seeleute stammt aus Devonport, Portsmouth und Chatham. Die Stimmung in diesen Hafen­städten ist unbeschreiblich.

Heber die Ursachen des furchtbaren Zu­sammenstoßes läßt sich ein Urteil bis jetzt »ich: fällen. Nach den Einen wäre die eine ganze Schiffss-ite vomCamp.rdown" aufge- risse», nach den Andern hätte der Stoß eine Verbindungswand der wasserdichten Abtei­lungen getroffen und das Schiff von unten nach oben gekehrt. Ueberall bnden sich Ko­mitees zur Unterstützung der Hinterbliebenen.

Nach den neuesten Nachrichten scheint es richtig zn sein, baß dieViktoria' m 2 Teile geschnitten ward. Admiral Tryon starb an Bord desEdinburgy". DieSurprise" wird morgen m t dem Leichnam des Admirals in Malta erwartet. Die Flotte trifft dort Montag ein. DieViktoria" stand unter dem Kommando des Maurte Bourke. Als der Zusammenstoß eintral, befanden sich die Schiffe im rechten Winkel zu einander. Bis­her sind nur 5 Leichname uufgefischt da­runter der des Oberzahlmeisters und mit militärischen Ehren in Tripolis bestattet wor­den. (P. B.)

Lokales.

r. Wildbad, 26. Juni. Gestern stattete der katholische Kirchenchor von Ludwigsburg der hiesigen Stadt und katholischen Gemeinde einen Besuch ab. Der Chor sang in unserer dicht gefüllten Kirche morgens während des Gottesdienstes. Wir müssen sagen: Wir haben gediegene Leistungen von ihm vernom­men. Wir bewunderten die Schönheit und Kraft der Stimmen, sowie die treffliche Schulung des Chores, die auf einen tüchtigen, schnei­digen Dirigenten (Herrn Lehrer Huber) schließen ließ. Ganz besonders hat uns ge­fallen das Luntes splritum tuum, das bekannte Meisterwerk des erst kürzlich verstor­benen Stuttgarter Kammersängers Schütky. Auch die Messe (von Witt) wurde exakt und fein vorgetragen. Gegen Abend ver­sammelte man sich noch zu einem kleinen hüb­schen Conccrt im Garten des kühlen Brunnens, das nur zu rasch endete, da schon der Zug um 6 Uhr uns die teuren Gäste entführte.

Unkklchalkrrdrs. Wruöer Studio

Von Martin Behrend.

(Nachdruck verboten.)

Der stuä.jur. Erich Fischer saß m seinem Zimmer und brütete vor sich hin. Es war heute der Sechzehnte und eine Ebbe in seiner Kasse, als wenn es schon der Letzte im Monat sei. Eine fatale Situation! Fünf­zehn Tage, sage und schreibe fünfzehn Tage ohne Geld, nnd dabei ein Wetter draußen, das es einem förmlich zur Pflicht machte, auszugehen. Alle Versuche, irgend einen Menschen anzupumpen, waren fehlgeschlagen und da das Studiren eine Thätigkeit war, die er sich für spätere Semester aufgespart hatte, so beschloß er in einem Anfall von Verzweiflung, zu Bette zu gehen.

Schon wollte er seinen Entschluß zur Ausführung bringen, da wurde an seine