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Wien, 19. Juni. Tie neuesten Blätter besprechen die Wahlresultate in Deutschland und konstatieren übereinstimmend die Gefahr, welch« durch das rapide Anwachsen der Sozialdemokraten den übrigen gesellschaftlichen Klassen drohe. Die „Neue Freie Presse" sagt am Schlüsse eines längeren Artikels. Die Wahlen in Deutschland sind eine dringende Mahnung an die Konservativen aller Länder; denn nur sie haben den Sozialismus gefördert. Und wenn sie sich nicht im letzten Augenblick bewußt sind, zur Besonnenheit und zur Selbst- beherrschnng zurückzukehren, so werden sie in dem furchtbaren Vernichtungskrieg der Parteien verschwinden.
London, 19. Juni. Nach einer Meldung des „Daily News" aus Konstantinopel lautet das Urteil des Gerichts von Angora gegen die wegen Ruhestörungen in Cäsarea angeklogten Armenier: 17, darunter 2 Professoren des Kollegiums in Mersivan wurden zum Tode, 6 zu 15 Jahren, 18 zu 7—10 Jahren Gefängnis verurteilt, 15 freige- sprechen.
— Eine Petersburger Depesche bezeichnet die Verlobung des Czarewitsch Nicolaus mit der Prinzessin Alice von Hessen als unmittelbar bevorstehend. Einige panslavistische Blätter äußern ihre Unzufriedenheit darüber, daß eine deutsche Fürstentochter die künftige Kaiserin von Rußland sein wird.
Vermischtes.
— (Ein genialer Gaunerstreich.') ist jüngst in Rom verübt worden. Diebe brachen in dgs Haus des Monsignore Man- cini ein und machten in dem Wohnzimmer und im Studierzimmer des Priesters eine hübsche Beute; sie übersahen aber einen Fünf- Hundert-Lireschein, der in einer Schublade des Schreibtisches aufbewahrt gewesen war. In ihren Berichten über den Diebstahl verfehlten die Blätter nicht, diese Einzelheit hervorzuheben. Am Sonntag nun fand sich bei Monsignore Mancini ein Herr ein, der sich ihm als Geheimpolizist vorstellte und eine entsprechende Legitimation vorwies. Er teilte dem Priester mit, daß die Polizei den Einbrechern auf der Spur sei. Einer ihrer Helfershelfer befinde sich bereits in Nummer Sicher und habe gestanden. Monsignore Mancini war über diese Mitteilung begreiflicher Weise sehr erfreut. „Der Verhaftete, so fuhr der Polizist fort, „behauptet, daß die Einbrecher auch mit einer Bande von Banknotenfälschern in Verbindung ständen. — „Welche Menschen!" — Hinsichtlich dieses Punktes sind nun noch weitere Erhebungen erforderlich. Der Verhaftete versichert nämlich, daß die Diebe auch ihren 500-Lireschein, Monsignore, mit gestohlen hätten. Um ihn aber aus geben zu können, ehe Alarm geschlagen würde, hätten sie ihn durch einen falschen Schein ersetzt." — „Um Gotteswillen'" rief der Priester erschrocken aus, „was sagen Sie da?" Und er holte eiligst die verhängnisvolle Banknote herbei. „In der That," sagte der Polizist, nachdem er sie geprüft hatte, „der Schein scheint mir verdächtig. Das Papier greift sich so eigentümlich an." — Unmöglich! Unmöglich!" — „Ich bitte Sie dringend, Monsignore, den Schein nicht auszugeben. Sie würden dadurch eine schwere Verantwortung auf sich nehmen." — „Was soll ich aber thun?" — „Am besten wäre es vielleicht, Sie schicken den Schein auf die Präfektur. Dort ließe sich gleich seststellen, ob der Schein echt oder falsch ist. Schicken Sie Ihre Köchin mit mir und in einer halben Stunde ist die Sache erledigt." So geschah es. Monsig
nore Mancini händigte den verdächtigen Schein dem Geheimpolizisten ein und wartete dann angstvoll auf die Rückkehr der Köchin. Nach einer Stunde erschien sie endlich, ohne den 500-Lireschein. Der Geheimpolizist war ihr im Gewühl der Via Nationale plötzlich von der Seite verschwunden, und sie hatte ihn nicht wieder finden können. Nun eilte Monsignore, obgleich es Vesperzeit war, selber zur Präfektur. Hier wußte man von der ganzen Angelegenheit nicht das Geringste und der gute Monsignore kam zu der Erkenntnis, daß er das Opfer eines abgefeimten Schwjnd- l.rs geworden sei, wahrscheinlich eines "der Diebe die bei ihrem nächtlichen Besuche in seinem Hause so unachtsam gewesen waren, den 500-Lireschein liegen zu lassen und der nun das Versäumte nachholen wollte.
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Wur ein Modell.
Nach dem EngUschen
(Nachdruck verboten.)
(Fortsetzung.)
Bei einer dieser gemeinsamen Wanderungen sprachen sie von dem Poirait. „Es ist nahezu vollendet," sagte Marie, „wie werden Sie es, nennen? Clara I gelow vermutlich?" „Ja ich werde wohl diesen Namen wählen müssen," erwiderte er, „wenn geich ich wohl zwei bessere Titel wüßte." In der That? Und darf ich fragen, welche?" — „Nun, der eine heißt: Das teuerste Mädchen in der Welt, und der andere: Portrait von des Künstlers Weib."
Sie schwieg. Es war bereits dunkel und der Weg menschenleer. Leise schlang ec seinen Arm um ihre Taille, zog sie näher an sich und blickte wie in stummer Frage zu ihr nieder. Da schaute sie auf und plötzlich, beide wußten nicht, wie es geschah, begegneten sich ihre Lippen im ersten Kuß. Das Gefühl, das seit der ersten Begegnung unverstanden in ihnen gelebt und mit jedem Beisammensein an Kraft und Größe gewonnen hatte, in diesem Augenblick durchbrach es die Hülle und beide wußten, daß sie einander von ganzer Seele innig liebten mld ine mehr von einander lassen konnten.
Bald nach diesem bedeutungsvollen Abend wurde das Portrait beendet und mit zitternder Hand abgeschickt. Richard meinte, es müsse wohl angenommen werden, weil das Original so schön wäre, Marie meinte, es müsse angenommen werden, weil es soe meisterhaft gemalt sei. Beide hatten Recht, und die Kommission mußte es wohl auch finden, denn die sehnlichst erwartete Nachricht einer ehrenvollen Annahme traf wirklich ein, — aber leider konnte Richard sich dieses ersten Erfolges nicht recht freuen. Trotz der Pflege, die Marie ihm in den Stunden ihrer Anwesenheit angedeihen ließ, wurden seine Anfälle von Kopfschmerz immer häufiger und heftiger, und bet dem Eintreffen der ersehnten Nachricht war er keiner Bewegung fähig. Marie drang in ihn, einen Arzt zu Rate zu ziehen, und im Uebermaß seiner Leiden gehorchte er. Der Arzt fragte ihn genau über alle Einzelheiten des Zustandes aus, dann fagte er: „Ich glaube Sie thun am besten, einen Augenarzt zu konsultieren." „Aber ich sehe vorzüglich," sagte Lacy einigermaßen erstaunt. „Daß Sie es jetzt können, weiß ich wohl," antwortete der Doktor, „aber ich bin ebenso überzeugt, das Ihre Kopfschmerzen von einer Angenfchwäche herrühren."
Richard zog ärgerlich die Augenbrauen zusammen. Ohne Marie etwas von dem Aussprnck des Doktors zu sage«, ging er geraden Wegs zu einem berühmten Spezialisten in Harley Street. Eine genaue Befragung und noch genauere Untersuchung erfolgte nud dann sagte der Augenarzt: „Sie müssen Ihrem Sehorgan zwei bis drei Jahre absolute Ruhe gönnen." „Aber das kann ich nicht, — ich muß für den Unterhalt arbeiten!" rief Richard verzweifelt. „Dann stehe ich für nichts, oder vielmehr dann kann ich Ihnen mit Gewißheit sagen: Wenn Ihre Augen nicht vollständ-ge Ruhe haben, dann sind Sie blind, ehe Sie dreißig Jahre all sind."
Wie Hammerschläge trafen diese Worte das Herz des armen Künstlers, und ganz gebrochen verließ er das Konsnltationszimmer. Als Marie bei ihm erschien, mußte er.all' seinen Mut zusammenraffen, um ihr die Unglücksnachricht mitzuteilen. Eine Weile schwieg sie nachdenklich, dann begann sie: „Wenn dem so ist, dann mußt du natürlich deinen armen Augen so lange Ruhe gönnen. Liebster." — „Aber wie, wie ist das möglich?,,
— „Ei, du wirst das Geld für die Illustrationen bekommen, und vielleicht verkauft sich das Gemälde; ja, ich bin sicher, daß jemand es kaufen wird." — „Aber bedenke doch Kind," sagte Richard traurig, „der Erlös der Bilder für das Buch reicht nicht
jfür sechs Monate bei noch so bescheidenem 2 Leben, und das Gemälde — solche von un- > bekannten Künstlern, weißt du, werden nie verkauft." „Unmöglich, daß es so ist. Wie könnten aus unbekannten Künstlern denn berühmte werden?" „Das ist eben ein Rätsel. Wie wird die Raupe ein Schmetterling?"
— „Nun denn," sagte Sie entschlossen, „auf alle Fälle bin ich noch da und kann auch ein wenig mit verdienen." Sie versuchte nicht ohne Erfolg, eine sorglose Heiterkeit zu zeigen. „Nein," sagte Richard ihr mit einem Knß de» Mund verschließend, „nicht so, ich werde mir sechs Monate Ferien geben, das ist alles, was ich durchführen kann. Danach muß ich wieder ansangen und aufs neue erwerbe». Vielleicht hat der Doktor sich geirrt oder doch übertrieben, — Aerzte ihn» dies oft." — „Ja sehr oft," stimmte Marie bei.
(Forts, folgt.)
Warnung vor Täuschung.
Die große Verbreitung der seit L8"8 bekannten und In fast allen Familien eingebürgerten iivlrtvi» ^I>»tl>vlrvi' ItiellarU Brandt's Schweizerpillen (erhältlich nur in Schachteln L l Mk. in den Apotheken) hat zn verschiedenen werthlosen Nachahmungen derselben geführt. Es sei deshalb hiermit nochmals darauf aufmerksam gemacht, daß die ächten, von den Professoren I>v. L. Vliolea», I»r. v- «ietl, »r. Iks- Isr. v»» Asu88»a»in, I>r» Hart-:, I»r. vai» UnrvLzpnsIil, Iki kirnixlt, vr von ibrv- Ilvk>8, I>l . von 8< »i>-e«„I, r»> . «. Witt, irr.
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und I»r. van Hel>i-a erprobten und als vorzüglich bewährtes Abführmittel empfohlenen Apotheker Richard Brandt's Schwcizerptllen eine Etikette wie odenstehend das weiße Kreuz mit dem Namenszug kivlrnrck Brandt's in rothem Grund tragen müssen und daß alle anders aussehenden k'ril8vIr>>N8vn der ächten Apotheker Richard Brandt's Schwetzerpillen sind. Das verehrliche Publikum möge sich nun vorsehen, daß eS an seiner Gesundheit und an seinem Geldbeutel nicht zu Schaden komme.
„Die Bestandtheile der ächten Apotheker NIchard Brandt'schen Schwcizerptllen sind Extracte von: Tilge l,5 Gr., Moschusgarbe, Aloe, Abspnth je 1 Gr-, Btlter- klee, Gentian je Gr dazu Genttan- und Bitterkleepulver In gleichen Theilen und im Quantum, um daraus so Pillen im Gewicht von 0,12 herzustellen.