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bei anderen Personen Erpressungsversuche gemacht hatte, wurde zu 12 Jahren Zucht­haus verurteilt.

Berlin, 5. Juni. Dem Tgbl. zufolge explodierte gestern in Kirn (Reg.-Bez, Cob- lenz) ein durchfahrender Pulverwagen inmitten der Stadt. 2 Personen seien getötet, sechs schwer, 10 leicht verwundet worden. Gegen 30 Häuser wurden beschädigt.

Görlitz, 5, Juni. Der deutsche Ver­band kaufmännischer Vereine eröffnet« heute Abend den aus allen Teilen Deutschlands beschickten 17. Verbandstag. Der Verband um­faßt 73 Vereine mit 80 000 Mitgliedern.

Hamburg, 6. Juni. Eine Anzahl der wegen Fahrkartenschwindels verhafteten Vieh­händler wurde gegen Kaution von 3000 bis 15 000 aus der Haft entlassen.

Metz, 5. Juni. Eine sozialdemokratische Versammlung, in welcher der hiesige Führer Schleicher, Liebknechts ungehaltene Rede fran­zösisch verlesen wollte, wurde bei Berührung der ElsaßLothringischen Frage polizeilich aufgelöst.

Innsbruck, 4. Juni. In dem Tiro­ler Gebirgsort Nassereith am Fernpaß sind 48 Häuser, darunter der weltbekannte Gasthof zur Post", abgebrannt.

Aus Wien, 5. Juni. Von den Distanz­gehern ist als Erster gestern Nachmittag zwi­schen 4 und 5 Uhr der sächsische Buchdrucker, als Zweiter um 6 Uhr der Ingenieur Elsäßer aus Magdeburg eingetroffen.

Aus Wien geht der Post folgende von gestern Mittag datierte telegraphische Mel­dung zu: Die letzte Nachricht vom Distanz­marsch Berlin-Wien liegt von gestern abend 9 Uhr 10 Min. aus Znaim vor; um diese Zeit war als erster der Vegetarianer, Inge­nieur Elsäßer aus Magdeburg dort einge­troffen; er hält seinen Sieg für sicher und hofft heute abend vor 7 Uhr in Wien einzu­treffen. Dis Entfernung, die er noch zurück­zulegen hat, beträgt 101 Kilometer. Bisher hat Elsäßer durchschnittlich 90 Kilometer im Tag gemacht; während des ganzen Marsches hielt er strenge seine vegetarische Lebensweise inne, nährte sich ausschließlich von Obst, Brot und Wasser. Seine Haltung ist leicht, er erklärte, jetzt noch den Paradeschritt machen zu können; nur dis Einförmigkeit des fort­währenden Dahinschreitens habe den Geist er­schöpft und einschläfernd gewirkt. Sein Konkur­rent, der Schriftsetzer aus Jlöha, ist um eine starke Stunde zurück; er ist durch Strapazen stark mitgenommen, bewahrt aber eine erstaun­liche Ausdauer. Dritter ist der Ingenieur Neuhaus aus Wien, vierter der Naturmensch Drutschel. Der preuß. Major aus Osterode kam gestern wohlauf in Kolin an; eine Stunde nach ihm traf der Hauptmann aus Graz ein; die Herren beklagten sich über die Einwirkung der Langeweile auf dem Marsche.

Paris, 3. Juni. Bei einer Artillerie­übung in Nimes hat sich heute früh ein großes Unglück zugetragen. Eine Kanone zersprang und ihr zurückgeschleudertes Verschlußstück tötete den Kommandanten du Mayol de Lups und den Lieutenant Gallais. Die beiden Offiziere, die miteinander sprachen, waren 120 Meter von dem Geschütz entfernt. Mayol de Lupö wurde völlig enthauptet; man hat die nach allen Seiten geschleuderten Stücke seines Kopfes Nicht aufgefunden. Dem Lieutenant Gallais wurde der Schädel zerspalten und der ganze Oberkörper zerquetscht.

Paris, 3. Juni. Das Zuchtpolizeige­richt verurteilte den sozialistischen Abgeord­neten Baudin wegen der Vorgänge am 1. Mai zu'200 Fr. Geldstrafe, die übrigen An­geklagten zu Geldstrafen von 800 bis 25 Fr.

Rom, 5. Mast D-'r Papst empfing den ehemaligen preußischen Gesandten am päpstl. Stuhl, Schlözer, in Privat-Auvienz. Schlö- zer beabsichtigt, Anfangs Juli nach Berlin ab- zureisen.

Aus Chieti (Unteritalien) wird gemeldet: Infolge andauernden Regens überschwemmte gestern dis Pescara die gesammte Umgegend und zerstörte eine Brücke zwischen Lanciano und Taranto. Mehrere Häuser sind einge­stürzt, zahlreichen droht das gleiche Schicksal. Viele Familien sind obdachlos,

Warschau, 6. Juni. Aus dem Post­wagen eines von Kowel hieherfahrenden Per­sonenzuges der Weichselbahn wurden Nachts zwischen Rejowiec und Trawnicki 7 Kassetten mit 70 000 Rubel entwendet. Die Diebe sind noch nicht gefaßt.

Unterhaltendes.

Aür eine Mume.

Eine Episode aus der franz. Revolution,erzählt von Reg. Fürst.

(Schluß.)

In jenen wenigen, kurzen Augenblicken schien sich noch einmal der Inhalt ihres ganzen Lebens zusammenzudrängen, alle Freu­den und Leiden ihrer Kindheit sowohl, als die letzten Heimsuchungen und Schicksals­schläge.

Plötzlich sahen sie in der Entfernung die Umriffe eines Schiffes sich deutlich von dem finstern Himmel abheben, ihr Boot näherte sich demselben mit großer Schnelligkeit, und bevor sie sich von ihrem Erstaunen erholt hatten, fanden sie sich am Bord des Schiffes, während ihr Fährmann eiligst nach dem Ufer zurückruderte.

Was bedeutet dies?" fragte Henri nach einer verwunderten Pause.

.Daß sie gerettet sind," erwiderte der Kapitän de5 Schiffes.Gerettet? Wie? Durch wen?"

Vor einigen Stunden erhielt ich eine große Summe Geldes nebst der Ordre, hier auf drei Passagiere zu warten, welche nach England zu reisen wünschten. Der Ordre war ein Geleitbrief beigefügt, der die Unterschrift des Diktators Carrier trug. Wenn wir günstig Wind haben, werden wir in wenigen Tagen die Küste Englands er­blicken."

Wie spät ist es?" fragte Avonne den Kapitän.

Grade halb eins, mein Fräulein."

Hastig nahm .das Mädchen den Brief, welchen es von Carrier empfangen hatte, aus seinem Mieder, öffnete ihn und las die ersten Zeilen:

An Mademoiselle Aolande de Clalrvillel"

Dies ist für Dich, Mama," sagte Avonne den Brief ihrer Mutter überreichend; aber die Marquise übergab ihn ihrem Sohn zum Vorlese». Der Brief lautete folgender­maßen -.

Vor zwanzig Jahren, an Ihrem Hoch­zeitstage, legten Sie eine Blume aus Ihrem Brautbouquet auf den Sarg meiner Schwester. Sie war gerade sechzehn Jahre alt. Ich wünsche, meine Schuld abzutragen, und hier­mit sckenke ich Ihnen für (Ihre eine Blume drei Leben. Carrier."

Ber misHtes.

(Ein nobler Arbeitgeber.) Ein Berliner Weinhändler hatte sich einen jungen Mann - alS»Hausdiener herangebildet, mit dem:

er sehr zufrieden war. Derselbe mußte Sol­dat werden und seitdem schickt ihm sein Chef jeden Monat 15 Mk. Zu Pfingsten kam der junge Mann auf Urlaub nach Berlin. Er besuchte jedoch seinen Prinzipal nicht, aus Furcht, derselbe möchte darin eine Andeutung auf eine Extraspmde sehen. Am 1. Pfingst- feiertag suchte ihn sein Chef, der Kenntnis von der Anwesenheit seines Untergebenen er­langt hatte, schon in aller Frühe auf, er mußte bei ihm wohnen, und bei der Abreise schenkte er ihm 50 Mk. Auch versprach er ihm. Alles anzuwenden, um ihn mit 2 Jahren frei zu bekommen.

Die Frau eines Taglöhners in Würz­burg, namens Englert, brachte kürzlich eine größere Quantität minderwertigen Salats nach Hause, den sie unvorsichtiger Weise in einem kupfernen Geschirr anmachte und dann längere Zeit stehen ließ. Nach dem Genüsse erkrankte die ganze, aus Mann, Frau und mehreren Kindern bestehende Familie und der Mann starb im Spital.

Der kürzlich gestorbene Fürst Adolph von Schaumburg Lippe ist der Held folgender von der Presse wieder aufgefrischten Anekdote: Als im Jahre 1863 in Frankfurt der Fürsten­kongreß tagte, fand eine von der Freien Stadt Frankfurt veranstaltete große Festlichkeit statt, zu der auch die Honoratioren der Bundes­metropole geladen waren. Da saßen nur die Fürsten des Deutschen Bundes in einer abge­sonderten Abteilung des Festraumes an kleinen Tischen in lebhafter Unterhaltung, als plötzlich unter den Herrschaften eine allgemeine Beweg­ung sich bemerkbar machte. Die gekrönten Häupter erhoben sich, um einen soeben in den Kreis eintretenden unscheinbaren kleinen Herrn zu begrüßen: nur Fürst Adolph von Schaum­burg-Lippe blieb zur Verwunderung Aller auf dem Sessel sitzen. Da nahte sich ihm der Kurfürst von Hessen und flüsterte ihm die Worte ins Ohr:Ach lieber Fürst! Wollen Sie denn den Herrn nicht auch begrüßen? Wissen Sie denn nicht, wer der Herr ist?" Nein!">Das ist ja der Baron von Rothschild!"Ach was! Geht mich nichts an! Bin dem Kerl nichts schuldig!"

(Ein kanadisches Polizeige« setz.) Wie den Londoner Blättern gemeldet wird, hat das kanadische Parlament, um dem nächtlichen Umherschwärmen des jungen Volkes in den Straßen ein Ende zu machen, ein Ge­setz angenommen, nach welchem in jeder Stadt und in jedem Dorf um 9 Uhr abends die Glocke geläutet werden soll und allen Per­sonen unter 17 Jahren, die hernach ohne Er­laubnis ihrer Eltern oder Vormünder auf den Straßen betroffen werden, eine Geld- oder Gefängnisstrafe auferlegt wird. Diese Maß­regel, versichern die Berichte, werde in Ka­nada mit allgemeiner Befriedigung ausge­nommen, obwohl nicht bekannt geworden ist, daß vie kanadische Jugend besonders unmo­ralisch sei.

(Türkische Wirtschaft). AuS Sa- lonichi wird geschrieben: Daß es mit der per­sönlichen Sicherheit der Europäer in der Türkei- trotz der redlichsten Bemühungen der Regier­ung, in diesem Punkte vollkommene Ordnung herzustellen, nach immer recht schlimm aus- sieht, hat uns ein Vorkommnis der jüngsten "Tage wieder bewiesen. Ein Lehrer der fran­zösischen Missisnsgesellschäst machte mit unge­fähr 15 seiner Schüler einen Spaziergang vor den Thoren von Salonichi. Es gesellten sich dort 5 türkische Soldaten zu ihnen, welche sich mit den schamlosesten Absichten an die Kleinen herandrängten. Der Lehrer, welcher