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beleidigungen. Die Verhandlungen, die aller Wahrscheinlichkeit nach wieder unter strengstem Ausschluß der Oeffentlichkeit stattfinden werden, beginnen am 7. Juni. Die Anklage wird der Oberreichsanwalt Tessendorf persönlich ver­treten. Zu dem Prozesse sind über 40 Zeugen geladen, so daß er wohl 23 Tage dauern wird.

Berlin, 31. Mai. 2 Amerikaner, ein angeblicher Kürschner Glower aus San Fran- zisko und Kommissionär Harden aus Was­hington wurden verhaftet. Es wurden bei ihnen Einbrecherwerkzeuge gefunden. Man bringt bfide mit den jüngsten Diebstählen bei Juwelieren, sowie mit dem Diebstahl des Por­tefeuilles des chilenischen Gesandten auf der Fahrt von Verviers nach Köln in Verbindung.

In Berlin ist ein Kaufmann, der einem ungetreuen Lehrling wider besseres Wissen ein gutes Zeugnis ausgestellt hat, auf Grund dessen dieser bei einem Bankier ange­stellt wurde, den er bald darauf um 9000 Mark bestahl, zum vollen Ersatz dieser Summe verurteilt worden.

Bautzen, 31. Mai. Von den Berliner Distanz-Gängern lief Lock 161 Kilometer von Berlin. Er ist gänzlich erschöpft, mit zer­rissenen Fußsehnen auf der Landstraße ange­troffen worden. Die beiden Vegetarianer sind überaus frisch.

Hamburg, 29. Mai. Einer Bekannt­machung der Cholera-Kommission des Senats zufolge wurde die' alte Schöpsstelle der Stadt­wasserkunst geschlossen. Die ganze Stadt wird jetzt ausschließlich mit filtrirtem Wasser ver­sorgt.

Bremen, 30. Mai. Drei Waren­schuppen in der Nähe des Weserbahnhofes sind abgebrannt. Dieselben enthielten cirka 1000 Ballen Baumwolle, 20 000 Säcke Reis­mehl, 3300 Säcke Reis; der Schaden beträgt ca. eine halbe Million. Der gefährdete Weser­bahnhof und weitere Schuppen wurden durch die Feuerwehr bewahrt.

AuS Wien, 30. Mai wird gemeldet: Der Erzherzog Leopold Salvator, der den Erz­herzog Franz Ferdinand auf seiner Weltreise be­gleitete, Hst sich in Sydney wegen Nervosität in­folge des tropischen Klimas ausgeschifft und die Rückreise auf einem englischen Dampfer angc- treten.

Wien, 31. Mai. Pester Blätter mel­den, daß gegen die Gräfin Marie Reischach, die Tochter eines württembergischen Kavaliers, wegen versuchter Tötung ihrer 2 Kinder aus erster Ehe im Eisenburger Komitat die Unter­suchung eingeleitet wurde.

Meran, 29. Mai. Anfangs Juni wird Herzog vr. Karl Theodor von Bayern unseren Kurort wieder verlassen. Die Zahl der Pa­tienten, die Heuer zu den Ordinationen zuge­lassen wurden, und die Zahl der glücklich durch­geführten Operationen ist eine sehr große. Schon in früher Morgenstunde findet sich der menschenfreundliche Herzog, fast immer in Be­gleitung seiner Gemahlin im städtischen Spitale ein, wo bis zur Errichtung eines eigenen Spitals für Augenleidende, der Operationssaal einge­richtet ist. Alle Patienten, und deren sind ei aus allen Ständen und Kreisen, sprechen nur mit dem Ausdrucke der Begeisterung von dem edlen, menschenfreundlichen Paare.

In Prag ist am 29. Mai der Pro­fessor der gerichtlichen Medizin an der dor­tigen Universität, Arnold Pal tauf, nach langem Siechtum infolge Blutvergiftung beim Sezieren gestorben.

B ern,29.Mai. DemBund" zufolge wurde in Zürich ein gewisser Frick, der einen schwunghaften Mädchenhandel nach Oesterreich,

Rumänien, Holland, Frankreich und Italien »geöffneten Kirchenthüren enthüllten den hohe»

ketri'eK Nt-rklist-t. K« sind bei rkim bükM knm- rsi.-K mit Os*...»

betrieb, verhaftet. Es sind bei ihm höchst kom- promittirende Papiere beschlagnahmt worden

Paris, 30. Mai. In Chantille ver­haftete die Polizei 4 Taschendiebe, wovon ein Engländer, die anderen 3 Deutsche sein sollen; sie scheinen einer internationalen Verbrecher­bande anzugehören.

Eine unerwartete Wendung haben die wegen der PreiLverteilung auf der Ausstellung zu Chicago entstandenen Schwierigkeiten ge­nommen. Die Kommissare derjenigen Länder, welche wegen der beabsichtigten Art der Prä­mierung die Ausstellungsobjekte ihrer Staaten von der Preisbewerbung zurückzogen, haben beschlossen, daß ihre Länder unter sich konkur­rieren, eine eigene von der amerikanischen Ab­teilung unabhängige Jury ernennen und eigene Diplome austeilen sollen.

Lokales.

Wildbad, 1. Juni. Gestern Abend 6 Uhr traf Seine Majestät der König mittelst Sonderzugs hier ein und nahm im Kgl. Bad- Hotel Absteigequartier. In Begleitung des Oberhofjägermeisters Freiherrn v. Plato und des Grafen v. Dillen-Spier ing begab sich Seine Majestät zur Jagd in die naheliegen­den Waldungen und nach der Rehmühle. Am Freitag morgen kehrte der hohe Besuch wieder mittelst Extrazuzs nach Stuttgart zurück.

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Untkrhalkndts.

Jür eine Mume.

Eine Episode aus der franz. Revolution, erzählt von Reg. Fürst.

Der Graf von Clairville hatte soeben seine einzige Tochter Dolande mit dem Mar­quis de Kergouet vermählt, dem Sprößling einer alten und stolzen Familie der Bretagne. Dir Ceremonie war beendet, die jetzt weit

reich mit Blumen und Kerzen geschmückten Altar, und in dem berkänzten Rahmen der Ausgangspforte erschien das junge Paar, während die Glocken ihr Geläute ertönen ließen. Süße Frühlingsdüfte füllten mit balsamischem Wohlgeruch die Luft, jubelndes Gezwitscher stieg aus zahllosen kleinen Vogel» kehlen zum Himmel empor, und goldige Sonnen­strahlen umgaben, wie mit einem Heiligen­schein, die Stirnen der Braut und des Bräu­tigams. Aolande war schön und anmuthig wie der junge Tag, in ihrem zarte», weißen Gewände und Spitzenschleier glich sie einem Engel des Lichts, und die Augen des edlen Marquis von Kergouet ruhten mit unaus­sprechlicher Liebe auf ihr.

Die ländliche Bevölkerung prangte im besten Sonntagsstaat. Die Männer trugen Rosetten im Knopfloch, die Frauen Blumen am Mieder, und alle schwenkten blühende Hagedornzweige und machten die Luft er­zittern mit ihrem Freudengeschrei und ihren endlosen Hochrufen.

Lang lebe Mademoiselle Dolande! Gott segne unsere süße, junge Herrin!" riefen sie und zuweilen fügten sie hinzu:Lange lebe der Marquis!"

Zur Kirche von Clairville, welche das ganze Dorf überragte, da sie auf einer sel­igen Erhöhung gebaut war, führte ein viel­fach gewundener Stufenpfad. Reiche und Arme, Vornehme und Geringe, Lebende und Todte, sie alle konnten nur vermittels dieses Paradiesweges" in die Kirche gelangen.

Die Hochzeitsgesellschaft stieg, begleitet von den lebhaften Ausrufen der Menge, den ländlichen Weg hinab, an dessen unterstem Ende die Equipagen ihrer warteten, um sie ins Schloß zurückzufühien, und der Bräu­tigam, aufs angenehmste berührt durch den Enthusiasmus und die augenscheinliche Zu­neigung des Volkes für seine Braut, flüsterte ihr zu:Du siehst, meine Geliebte, wie thener du diesen Leuten bist. Sie werden Dich nimmer vergessen, und ich fürchte, sie grollen mir im Innersten ihres Herzens, weil ich ihnen ihren guten Engel raube."

Nolande lächelte ihn einen Augenblick mit ihren seelenvollen Augen an, dann wandte sie sich zu ihrem Vater um und sagte:Es ist ein wundervoller Tag heute, Papa, können wir nicht nach Hause gehen?"

Gewiß, Liebling, wenn Du es wünschest," erwiederte dieser, hocherfreut, daß sich ihm Gelegenheit bot, seinem Kinde, von dem er sich ja bald trennen mußte, noch eine Bitte gewähren zu können. Und so ging das Braut- paar und der jüngere Theil der Gesellschaft zu Fuß durch das Dorf nach Schloß Clair­ville, während die Aelteren in ihren Wagen folgten.

Dolande, am Arme ihres Gatten, blieb wiederholt an dieser oder jener niedern Hütte stehn, vor deren Thüren die Alten und Schwachen saßen, welche an dem Auf­zuge nicht hatten theilnehmen können und doch gar zu gern die Braut nach ihrem Scheiden noch einmal gesehen hätten. Für Jeden hatte sie ein liebreiches Wort und »tn Lächeln, und manche zitternde Hand streckte sich ihr entgegen, und manche schwache, bebende Stimme nannte segnend ihren Na­men.

Der Zug erreichte jetzt einen engen Pfad, da stellte sich ihm plötzlich ein Hinderniß entgegen: es war ein Leichenbegängniß, wel­ches ihnen unverhofft den Weg versperrte. Ein sehr ärmliches mußte es sein, denn die