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Bietigheim, 24. Mai. Ein heftiges Gewitter, bei dem der Blitz zweimal einschlug, brachte unfern ausgedorrten Feldern den längst erwünschten Regen. Derselbe dauerte den gan­zen Tag ohne viel Unterbrechung und war so reichlich, daß die Felder nunmehr teilweise bis zur Tiefe von 27 om Feuchtigkeit haben.

Neuen bürg. Hr. Amtsrichter Weber hier ist zum Untersuchungsrichter am Landgericht Rottweil ernannt worden. Derselbe wird »och im Laufe dieser Woche dorthin übersie­deln.

Calw, 23. Mai. Dem bisherigen Reichstagsabgeordneten des 7. württembcrgischen Wahlkreises, Frhr. v. Gültlingenin Stutt­gart, der die ihm angebotene Kandidatur wieder angenommen hat, ist von Seiten der Volkspartei der frühere Eisenbahnunternehmer und jetzige Privatier Cleß in Stuttgart ge­genüber gestellt worden. Die Sozialdemo­kraten haben den Handschuhmacher Pr o ß von Eßlingen ausgestellt. Zwischen der deutschen Partei und der Demokratie wird allem nach ein heftiger Parteikampf entbrennen.

Heute Vormittag Vall Uhr ertönten die Feuerzeichen. Am südl. Ende der Stadt stiegen mächtige Rauchwolken in die Höhe, welche eine eigentümliche Färbung zeigten. Ein Eisenbahnwagen mit Salpetersäure, welche in Glasballons abgefüllt war, war in Brand geraten. Die brennende Masse verbreitete sich auf dem Bahnkörper, im Garten des Eisen­bahnbauamts, auf der Bahnstraße und durch die Dohlen hindurch in die Nagold. Die in dichten Wolken aufsteigenden Salpeterdämpfe, durch welche die Sonnenstrahlen hindurch­drangen, ließen die ganze Umgebung in wun­derschönem Orange erscheinen. Der Brand ist wohl beim Rangieren entstanden.

Freudenstadt, 23. Mai. Rechtsan­walt Stockmayer in Stuttgart hat die ihm von der Vertrauensmänner-Versammlung in Freudenstadt angetragene Kandidatur für die Reichstagswahl endgiltig abgelehnt.

Ebingen. Die hiesigen Metzger haben sich dahin vereinigt, den Preis für Rindfleisch und Kalbfleisch auf fünfzig Pfennig herabzu­setzen.

Rundschau.

Karlsruhe, 23. Mai. Wieder ein Mord im Prostituiertenviertel. In dem sog. Dörfchen" kam es diese Nacht zu einem blu­tigen Zusammenstoß zwischen Raufbolden und der Polizei, wobei ein Schutzmann erstochen und einer schwer verletzt wurde. DasDörf­chen" ist der älteste und verrufenste Stadtteil; in den elenden baufälligen Baracken haben die Prostituierten ihr Quartier aufgeschlagen. In demselben Werte! wurde voriges Jahr ein Eisenbahnarbeiter von dem 17jährigen Zuhälter seiner Frau auf deren Betreiben kaltblütig mit einer Schusterkneipe ermordet. Den An­laß zu dem Zusammenstoß bot die Verhaf­tung eines Burschen wegen Ruhestörung. Der Verhaftete widersetzte sich, wie das in der­artigen Fällen immer geschieht und bald hatten sich seine Kameraden eingefunden, die ihn be­freien wollten. Sofort trat das Messer in Funktion. Der Schutzmann Haas erhielt einen Stich durch Gesicht und Hals, der die Arte­rien durchschnitt, wodurch der Tod fast au­genblicklich herbeigeführt wurde. Jetzt machte der zweite Schutzmann an der Leiche seines Kollegen, um sich der Angreifer zu erwehren, von dem Revolver Gebrauch und feuerte fünf Schüsse ab. Der Säbel war dem Schutzmann, während er den Inhaftierten hielt, entrissen worden und wurde nun gegen ihn selbst ge­braucht. Zwei Hiebe über den Kopf brachten

ihm zwei schwere, nahezu fingerlange Verletz­ungen bei. Die Thäter sind verhaftet. Es sind die Eisengießer Ludwig Nerding, ein Pfälzer (Mörder des Haas), und Friedrich Gehring von Käferthal (Angreifer des Ge­genwarth). Beide Schutzmänner sind verhei­ratet. Haas hinterläßt eine Witwe und 3 Kinder, von denen das jüngste erst 6 Jahre zählt; er war 16 Jahre im Dienst und galt überall alsein braver, pflichtgetreuer Beamter. Schutzmann Gegenwarth ist erst seit Dezember 1892 im Dienst und Vater eines Kindes.

Rothenburg a. T., 23. Mai. Der Fremdenandrang während der Pfingstfeiertage war hier geradezu großartig. Das histor. FestspielDer Meistertrunk" wurde gestern zweimal bei vollständig besetztem Hause ge­geben. Festzug und Feldlager fanden eben­falls vielen Beifall.

St. Johann, 24. Mai. Die Pulver­fabrik in St. Ingbert ist gestern Abend in die Luft geflogen. 7 Personen wurden ge­tötet, darunter 5 Familienväter 3 verwundet. Die Ursache der Explosion ist noch unbe­kannt,

Wiesbaden, 22. Mai. Frau von Kolemine, die geschiedene Gemahlin des ver­storbenen Großherzogs von Hessen, die vor einiger Zeit die Nachricht von ihrer bevor­stehenden ehelichen Verbindung mit dem Se­kretär der russischen Botschaft in Berlin, von Bacharacht, für falsch erklärte, ist nun tat­sächlich mit Hrn. von Bacharacht verheiratet. Bacharacht ist als Attachä an die russische Ge­sandtschaft in Lissabon versetzt worden.

Mailand, 24. Mai. In Piemont rcgnets ununterbrochen seit drei Tagen. Die Nebenflüsse des Po sind ausgetreten; die Eisen­bahnen in der Provinz Cueno an mehreren Stellen durch Bergstürze unterbrochen, Brücken und Dämme weggerissen, Dörfer unter Wasser gesetzt. Der Po steigt rapid.

Rom, 23. Mai. Im Lesesaal des Kasi­nos zu Montecarlo tötete sich eine russische Dame Namens Kosiliew durch Gift, nachdem sie 40,000 Rubel an der Spielbank verloren hatte.

In der Trompetermuschel der Ostseege­stade findet sich häufig der Einsiedl er kr ebs, von dessen Faulheit und ihren verhängnis­vollen Folgen Henry Drummond so reizend zu erzählen weiß:Die armen Krebse haben ein rauhes und gefährliches Leben zu führen, da sie sich unter zackigen Jelsen und Geröll aufhalten. Von den Wogen umhergeschleudert, würden sie bald zerrissen worden sein; zudem giebt es auch Meeresbewohner, welche Krebse recht schmackhaft finden. Da beschloß denn die ganze bedrängte Krabbenfamilie sich schütz­ende Panzer anzuschaffen, was freilich Arbeit und Ausdauer kostete. Nun aber war da ein Bursche, dem selbst der 8stündige Arbeitstag noch nicht demokratisch genug war. Nach be­rühmten Mustern kam er auf den Einfall, wohlhabende Leute ihres Besitzes zu berauben und in ihren schönen Wohnungen den Glücks­traum des Zukunftsstaates zu verwirklichen. Ohne einige Gewaltthätigkeiten läßt sich aber solch eine humane Jvee nun einmal nicht durchführen und so verspeiste er eine dem Kapitalistenstande angehörige Molluske und machte sich's dann in ihrer luxuriösen Woh­nung bequem. Was brauchte er sich nun einen Panzer zu erarbeiten? Hier hatte er ge­nügenden Schutz und konnte das äolos kur nisuts betreiben wie Diogenes in seiner Tonne. Aber die Strafe blieb nicht aus: Der faule Einsiedler wurde zur Degeneration verurteilt. Die Abdominalgegend des Körpers »erschrumpfte.

und der Einsiedler wurde zu einem Raub­ritter der traurigsten Gestalt, das 4. und 5. Gliederpaar verkümmerte gänzlich. Allerdings entwickelte der jämmerliche Bursche sein Schwanz­ende zu einem Organ mit dem er sich in seiner Burg festhalten kann aber was will diese Errungenschaft besagen, gegenüber dem Verlust seiner Selbständigkeit? Das Tier kann sich so wenig frei bewegen, wie ein Mit­glied des Allerweltszuchthauses, das gewisse LeuteZukunftsstaat" undHimmel auf Erden" nennen. So illustriert das Mer durch den armen verlumpten Einsiedlerkrebs eine wichtige soziale Moral: Dein Ideal sei nicht ein möglichst behagliches Leben, sondern die Vollkommenheit Deines Selbst.

(Kirchliche Korrespondenz.)

Grns Komödie der Zrrmngsn oder: diese HLHv.

(Schluß.)

Die Wirkung dieser traurigen Zeilen war etwas anders als man hätte erwarten sollen. Georg brach, nachdem er nur eine Minute verblüfft und nachdenklich dagestanden in ein lautes, herzliches Gelächter aus. Das ist ja ein schöner Wirrwarr," rief er endlich, und alles nur darum, weil ich wahrscheinlich nein, ganz gewiß statt meiner Karte die der Schneiderin dem Dienst- mann gegeben Habs. Ja, ich weiß jetzt, Laura steckte sie mir obenan ins Täschchen, ich sollte die kleine Frau bei der Schneiderin abholen, und so kam die ganze Kon­fusion zu stände. Aber ich will nur gleich gehen, um meiner Anna alles zu erklären." Er ging in sein eigenes Zimmer, um sich zum Ausgehen fertig 'zu machen und wollte eben das Haus verlassen, als ein kleiner Knabe ihm einen zweiten Brief überreichte.Was tausend", rief er, indem er das Schreiben öffnete und überflog,noch weitere Ver­wickelungen und abermals wegen dieser Uhr, Nun, wir wollen sehen." Der Inhalt der Epistel war folgender:

Herrn Georg Maienblüth! Ich wünsche nur zu konstatieren, daß Fräulein Laura Dusenburg meine verlobte Braut ist, oder vielmehr war, um darauf mein Recht zu be­gründen, Sie wegen ihres heutigen schändlichen Benehmens zur Verantwortung zu ziehen. Kein Mann, und am allerwenigsten ein verheirateter darf sich erdreisten, einer, die ich liebe, oder vielmehr geliebt habe, Geschenke zu machen, und hat er etwas derartiges gethan, so muß er mir die Genugthuung geben, die unter anständigen Herren üblich ist. Einer meiner Freunde wird Sie wegen der nötigen Verhandlungen aufsuchen, bitte, wählen auch Sie eine Vertrauensperson zu Ihrer Beihilfe. Ergebenst Thomas Roller."

Potztausend," rief Georg, vor Lachen fast erstickend,ein Duell, so wahr ich lebe. Uebrigens wünsche ich diese Uhr dahin, wo der Pfeffer wächst. Bin blos neugierig, was jetzt noch weiter kommt."

»Erlauben Sie," ließ sich eine feierliche Stimme hören. Georg blickte von dem Briefe auf und erblickte dicht vor sich Laura, drohend anzusehen wie eine Rachegöttin und in einer Weise, die nichts Gutes verhieß, die unselige Uhr in der Hand haltend.Herr Maienblüth", sagte sie,ich bin bieher ge­kommen, um Ihnen zu sagen, daß ich Ihre Geschenke nicht mag. Wenn ich gewußt hätte, daß Sie es waren, der mir die Uhr geschickt, hätte ich sie nicht angenommen. Sie hat mich bereits eines Bräutigams be­raubt und so nehmen Sie denn Ihre ver-