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«instimmig als Kandidat für die bevorstehende ReichstagSwahl aufgestellt.

Baden-Baden, 9. Mai. Unter außer­ordentlich zahlreicher Beteiligung fand gestern Abend im Restaurationssaale des Konversa- tionshauses zu Ehren des z. Zt. hier anwe­senden Kurgastes, des Afrikareisenden und Reichskommissärs Dr. Peters eine Festver­sammlung statt, in welcher bei abwechselnden Toasten und Gesangsvorträgen Dr. Peters sehr gefeiert wurde. Letzterer dankte mit herz­lichen Worten für den ihm bereiteten festlichen Abend und gab hierauf einige interessante Erzählungen aus seinen vielseitigen Erlebnissen in Afrika zum Besten. Spät abends trennte sich die aus Kurgästen und hiesigen Einwoh­nern bestehende zahlreiche Volksmenge.

Grünen wörth, 8. Mai. Eine Kuh des Landwirths Michael Scheurich alt hier brachte dieser Tage drei Kälber zur Welt, die sämtlich wohlgebildet und gesund sind. Im Mai vorigen Jahrs warf dieselbe zwei Kälber, so daß also im Verlaufe eines Jahres das Thier 5 Junge alle gesund geboren hat. Gewiß eine Seltenheit!

Offen bürg, 9. Mai. Nicht geringes Auf­sehen erregt hier die gestern erfolgte Verhaf­tung des Großh. Bahnbauinspektors Scholl von hier. Es ist noch -nicht genau bekannt, weshalb die so schwere Maßregel erfolgte, doch erzählt man sich lt.N. B. L " im Publi­kum, daß es sich um Unregelmäßigkeiten bei abgeschlossenen Materiallieferungen handelt, die allerdings schon lange vermutet wurden.

Freiburg, 8. Mai. Großes Auf­sehen erregt hier die Verurteilung des Alt­bürgermeisters Vogt von Schallstadt, des Vorstands-Mitgliedes der Freiburger Milchgenossenschaft, zu 10 Tagen Gefängnis und zu hoher Geldstrafe wegen Mlchwässer- ung. Jahre lang hatte der steinreiche Mann, angeblich Millionär, der Kundenmilch bis zu 20 Prozent Wasser zusetzen lassen, der Kinder- Utilch sogar bis zu 30 Prozent. Der Melker erhielt 8 Tage Gefängnis wegen Ausführung der Befehle seines Dienstherrn. Weitere An­klagen gegen reiche Gutsbesitzer aus Freiburgs Nähe sollen bevorstehen.

Villingen, 9. Mai. In Tonaueschingen sind heute früh 3 Häuser abgebrannt. Der Brandplatz des am 26. April fast vollständig abgebrannten Ortes Klengen war am ver­gangenen Sonntag wohl von etwa 10,000 Personen be,ucht. Auf der Bahnstation Mar­bach trafen Tausende aus Württemberg (Schwenningen rc.) ein. Für die Brandbe- fchädigten sind beim Kassier Herr Julius Stern in Villingen schon etwa 16,000 Mk. einge­gangen. Aus allen Gegenden des Landes und auch aus Württemberg treffen täglich viele Gaben ein, so daß den vielen Unver­sicherten ein Teil ihres Schadens an Mobiliar und Gebäu iefünftel wird ersetzt werden.

In Laden bürg erschoß sich der Waisenrichter und Rechner des Bürgerhospitals Bentz. Unregelmäßigkeiten in der Kasse sollen der Grund des Selbstmordes sein.

München, 9. Mai. Nach den M. N. N. steht eine Vergrößerung der Hofbräuhauswirt­schaft bevor. Der Hofbräuhauskeller soll um das Areal des Leistbräukellers vergrößert wer­den. Die Brauerei des Hofbräuhauses würde alsdann vollständig aus der Stadt in die Wienerstraße verlegt. Die Räumeam Platzl", die dadurch frei würden, sind in diesem Falle zu einer Vergrößerung der Restaurationslokale ausersehen.

Berlin, 9. Mai. Die Auflösung des Reichstags hat große Bewegung hervorgerufen,

.Die Stimmung ist eine sehr ernste und mit Besorgnis sieht man der Zukunft entgegen. Gleichlautende Nachrichten liegen auch aus der Provinz vor. Es wird noch als ein Glück betrachtet, daß die Zeit des Wahlkampfes dadurch möglichst abgekürzt wird, daß die Neuwahlen bereits am 15. Juni stattfinden.

Berlin, 10. Mai. Der Abgeordnete Baumbach antwortete gestern telegraphisch dem Vorstande des 5. Berliner Reichstags-Wahl­kreises, daß er die Kandidatur annehmen und sich nicht von Eugen Richter trennen werde. DasBerl. Tgbl." veröffentlicht den Wahl­aufruf der freisinnigen Vereinigung; derselbe fordert auf, auch nach der erfolgten Trennung die gemeinsame Sache zu fördern. Der Wahl­aufruf der konservativen Partei soll heute 'Abend erscheinen.

Gotha, 9. Mai. Redakteur Boshart hat seinen bisher veröffentlichten Enthüllungen derGeheimnisse aus Ichtershausen" eine weitere Serie folgen lassen. Dieselben beziehen sich im Wesentlichen darauf, daß in der Straf­anstalt Ichtershausen entgegen der Hausord­nung die körperliche Züchtigung gegenüber jugendlichen und erwachsenen weiblichen und männlichen Gefangenen in Anwendung ge­kommen sein soll und zwar in manchen Fällen, wie aus dem Artikel hervorgeht, in harter, mitleiderregender Weise, Zum Schluffe be­merkt Boshart, daß er vorläufig von weiteren Enthüllungen Abstand nehmen und die Fort­setzung derselben auf ein.n Zeitpunkt ver­schieben werde, wo ein äußerer Anlaß vor­liege.

Hamburg, 8. Mai. Der Direktor der hiesigen Hansa-Brauerei Füge ist verschwunden, eine Tbatsache, die hier allgemeines Aufsehen hervorgerufen hat. Nach seinem Fortgange hat sich, als eine Revision der Bücher der Brauerei vorgenommen wurde, ein Fehlbetrag von vorläufig 20,000 Mark ergeben. Füge hat großen Aufwand gemacht und sich neben seiner Thätigkeit als kaufmännischer Leiter der Hansabrauerei an anderen industriellen Unter­nehmungen beteiligt. Unter Anderem hat er einLindenhof" genanntes großes Vergnü­gungs-Etablissement im Vorort Langenfelde gebaut. Dasselbe sollte Pfingsten eröffnet werden. Man ist hier allgemein der Ansicht, daß das Manko von 20,000 Mark allein Füge veranlaßt hat, Hamburg den Rücken zu kehren.

Paris, 8. Mai. Ein Waldbrand von ungewöhnlicher Ausdehnung hat in der Ge- Gegend von Arcachon große Verheerungen angerichtet. Das Feuer brach bei der Ge­meinde Lege aus und erstreckte sich schnell auf eine Front von 9 Kilometern. Nach großen Anstrengungen glaubte man seiner Herr ge­worden zu sein, als ein neuer Brand in der Richtung der Dünen entstand, der sich auf eine Strecke von 20 Kilometern ausdehnte. Die Flammen verbreiteten sich, von einem starken Winde angefacht, mit Blitzesschnelle und verzehrten über 60 Hektar Tannenpflanz­ungen. -Mit Hilfe der von Bordeaux her­übergeschickten Soldaten gelang es endlich ge­stern Morgen, das Feuer zu bewältigen; aber in der Gegend herrscht große Angst, denn es handelt sich ohne Zweifel um böswillige Brand­stiftung. In mehreren Besitzungen ist seit 8 Tagen das Feuer um dieselbe Stunde 3 bis 5mal, ja in einer an demselben Tage 3mal an verschiedenen Stellen ausgebrochen.

Die heutigen französischen Blätter ent­halten Depeschen aus dem südlichen und west­lichen Frankreich, wonach der vorgestrige Frost die Aussicht auf einen Ertrag der Obstbäume

und zum Teil auch der Weinberge fast voll» ständig vernichtet habe. ^

Paris, 10. Mai. Das Defizit pro 1893 beträgt 121 Millionen Frks. Minister Develle wohnt der am 18. Juni stattfinden- den Enthüllung des Denkmals des ehemaligen Präsidenten Jules Greoy bei, als Vertreter der Regierung.

Verdun, 10. Mai. Bei Schießproben wurden durch das Platzen von Dynamitpa­tronen 2 Soldaten getötet und sechs schwer verwundet.

L o n d o n, 10. Mai. Aus Newyork wird gemeldet: Der Dampfkessel des Passagierdam­pfers Ohio auf dem Mississippiflusse ist in die Luft geflogen, 26 Personen wurden getötet,

1 Heizer und 5 Matrosen sind lebendig ver­brannt, außerdem sind 20 Neger tot; 16 Pas­sagiere sind schwer verwundet.

London, 9. Mai. Cornelius Herz ist erkrankt, nachdem sich sein Befinden ziemlich gebessert hatte. Die Aerzte verboten ihm das Bett zu verlassen.

London, 9. Mai. DieTimes" teilt auf Grund von Privatnachrichten mit, die Re­volution in Rio Grande sei größer, als die Regierung eingestehe, da die leitenden Klassen dieselbe unterstützen.

Bukarest, 9. Mai. An zahlreichen Landespunkten haben verheerende Ueberschemm- ungen den Straßen- und Eisenbahnverkehr unterbrochen. Die Züge treffen mck großen Verspätungen ein.

10. Mai. Die Ueberschwemmungen nehmen zu. Alle Eisenbahnverbindungen, aus­genommen Bukarest-Kalaraschi-Küstendje sind unterbrochen.

Czernowitz, 9. Mai. Infolge an­dauernden Regens giebt es Ueberschwemm­ungen im Czeremosz-, Suczawa- und Pruth- gebiete; die Gefahr wird immer ernster, da der Regen fortdauert.

Petersburg, 9. Mai. DemR. I." zufolge spendete der Kaiser 100 000 Rubel, welche in seinem Namen im Gebiete der Don- Kosaken unter die Notleidenden, sowie beson­ders an solche Personen verteilt werden soll­ten, welche durch Mißernte, Cholera und andere Unglücksfälle heimgesucht worden sind.

Newyork, 10. Mai. In der Nähe der Stadt Lafayette entgleiste ein Expreßzug. 7 Personen sind tct, 6 schwer verwundet.

70 Personen sind von den brittischen Kriegsschiffen seit der Ankunft derselben in Newyork zur Flottenschau desertiert.

Umkehr ist nötig!

Die Entscheidung im Reichstag ist so traurig als möglich ausgefallen. Nicht einmal der Antrag Hüne zur Müitärvorlage ist durchgedrungen: der Reichstag ist auf­gelöst. Die Verhandlungen dieses Reichs­tags haben ein Deutschland bis jetzt unge­wohntes Bild geliefert. Bei Allein traten die Partei- und persönlichen Rücksichten in den Vordergrund. Ein Armutszeugnis für das Haus war es, daß man sich mit der mehr als zweifelhaften Sache Ahlwardt so lange beschäftigte, daß man sich bei jeder Gelegenheit herumzerrte und selbst beschimpfte. Man vernahm von der Auslese unserer deut­schen Männer Worte, die man lieber nicht wiederholt, ganz wie in Frankreich: gottlob zum ersten, hoffentlich zum letzten Male! Die verbündeten Regierungen traten, wenn auch schweren Herzens, an die Militärvorlage heran, weil sie einMuß" war, ist und bleibt. Die Verhandlungen in der Militär­kommission haben dieses Muß bestätigt.