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Bestimmung der Betriebskraft.

Es sei bei der Ausarbeitung des Projekts zu untersuchen gewesen, ob die Anlage mit Wasserkraft allein hergestellt werden könne, oder ob hiezu noch die Beschaffung einer Re­serve-Dampfmaschine erforderlich sei. Diesbezügliche Erhe­bungen seien von einer Commission der bürgerl. Collegien und von zwei vom Vortragenden beauftragten Ingenieuren an Ort und Stelle gemacht worden. Maßgebend für Beur­teilung dieser Frage sei, daß für den erhobenen Strombedarf 65 Pferdekräfte erforderlich seien, wenn die Kraft während der Zeit des geringen Konsums (tagsüber) in Accumulatoren aufgespeichert werde und 125 bezw. 170 Pferdekräfte, wenn der elektrische Strom von der Maschine direkt geliefert werden soll. Die gemachten Erhebungen hätten ergeben, daß der Stadt als Kraftquelle 3 Wasserkräfte zur Verfügung stehen:

1) Die Wasserkraft am Bais in einer Entfernung von ea. 7 Irin vom Centrum der Stadt, welche bei einem Gefälle von ca 17 rn und einer Wassermenge von 0,8 bis 1,2 Obm pro Sekunde 140 bis 200 effektive Pferdestärke liefere.

2) Die Wasserkraft der Stadtsägmühle innerhalb der Stadt mit ca. 2530 effektiven Pferdestärken bei einem Ge­fälle von ca 2,5 in und einer Wassermenge von ca. 1,7 Obm.

3) Die Wasserkraft oberhalb des Windhofs in einer Ent­fernung von ca. 2 lan vom Mittelpunkt der Stadt, deren Leistung bei einem Gefälle von ca. 6 in und einer Wasser­menge bei niederstem Wasserstande von mindestens 1 6b-n pro Sekunde 5560 effektive Pferdestärken betrage.

Die generellen Kostenberechnungen, welche für sämtliche drei Wasserkräfte angestellt worden seien, hätten ergeben, daß die letztere Wasserkraft beim Windhof, sowohl bezüglich der Kosten des Ausbaues als auch der Größe und Stetigkeit der Waffermengen, den Vorzug vor den übrigen verdiene. Sie sei einerseits von der Stadt nicht zu weit für eine leichte Ueberwachnng der Anlage gelegen, andererseits aber auch weit genug entfernt, um die etwaige Aufstellung von Dampfmaschi­nen ohne Belästigung des Publikums zu gestatten. Die Leist­ung dieser Wasserkraft bei geringstem Wasserstande, wie ihn der verflossene Winter wie noch nie gezeigt habe, werde ge­rade ausreichend sein, um unter Benützung von Accumulato­ren die erforderliche Elektrizität zu liefern. Bei direkter Strom­verteilung (also ohne Accumulatoren) genüge diese Wasserkraft für den lange dauernden geringen Tages- und Nachtkonsum, so daß nur ganz kurze Zeit während des Haupt-Konsums am Abend im Sommer eine Dampfmaschine von 60 bezw. 120 Pferdestärken,zur Ergänzung der Wasserkraft erforderlich wären.

Bei Verwendung dieser Wasserkraft kämen Turpinen in Anwendung, da ein Wasserrad sich hier nicht eigne. Durch diese Turpinen würden nun Dynamo-Maschinen angetrieben und hiedurch der elektrische Strom erzeugt, welcher dann mit­telst eines Kupferdrahtes nach der Stadt geleitet wird. Da gäbe es nun zwei Wege, auf welchen dies geschehen könne. Man habe sich nämlich darüber zu entscheiden, welches von den beiden elektrischen Systemen, ob

Gleichstrom oder Wechselstrom

in Anwendung kommen soll. Er halte es für wertlos, die bürgerl. Collegien mit langen Ausführungen über die inneren Unterschiede der beiden Stromarten zu quälen; für sie komme es nur darauf an, mit welcher Stromart die Elektricität billiger erzeugt und zu den Konsumenten geleitet werden könne und welche derselben den Konsumenten größere Vorteile biete. Beim Gleichstrom werde der elektrische Strom von derDynamomaschine weg mittelst eines 910 nun starken blanken Kupferseils nach einer in der Mitte der Stadt zu errichtenden Unterstation geleitet und teils dort in Accumulatoren aufgespeichert, teils direkt durch ein oberirdisches Leitungsnetz in der Stadt ver­keilt. Die Aufspeicherungen der Elektricität in Accumulatoren würde namentlich während des geringen Tageskonsum geschehen, sodaß dann abends beim Hauptkonsum diese aufgespeicherte Elektricität verwendet werden könnte. Diese Accumulatoren hätten also eine ähnliche Funktion wie der Gasometer beim Gaswerk. Derartige Vorrichtungen seien bereits in Verona Eisenach, Livorno u. a. Orten mit bestem Erfolge im Gebrauch'

Beim Wechselstrom sei dagegen die Verwendung von Accu­mulatoren nicht möglich, die Herstellung einer Unterstation in­mitten der Stadt daher nicht notwendig. Der hochgespannte Wechselstrom werde mit Verwendung dünner, billiger Leitun­gen und daher geringeren Leitungskosten direkt nach verschie­

denen Speisepunkten geführt und von dort aus den einzelnen Konsumenten direkt zugeführt. Für die Konsumenten seien beide Arten der Elektricität gleichwertig, da dieselben bei glei­chem Stromverbrauch auch die gleiche Lichtmenge in Glühlam­pen und Bogenlampen erzeugen und da nach den neuesten Ver­besserungen die Wechselstrom-Motore ebenso ökonomisch, einfach und sicher arbeiten, wie Gleichstrom-Motore. Ein Vorzug des Gleichstromes sei es dagegen, daß er sein Licht mehr nach un­ten Werse, während der Wechselstrom es mehr nach allen Rich­tungen verstreue. Dagegen komme es dem Wechselstrom wie­der zu statten, daß bei ihm die Anbringung einer Lampe möglich sei, während beim Gleichstrom immer zwei Lampen Lei einander erforderlich seien. Er,v. Miller empfehle für Wildbad die Anwendung des Gleichstroms, da durch die Aufspeicherung der Elektricität in Accumulatoren eine bessere Ausnützung der Be­triebskraft ermöglicht und dies für Wildbad bei dem ungleichen Consum sehr wertvoll sei. Er habe nun zwar für beide Sy­steme genaueste Berechnungen über

dieAnlage-Kosten

angestellt. Hiebei schicke er voraus, daß er bei den von ihm angesetzten Preisen in Maschinenfabrikaten nur das Vorzüg­lichste, was bis jetzt erzeugt worden sei, vorgesehen habe und er davon ausgegangen sei, daß alle erforderlichen, nicht unbe­deutenden anderen Arbeiten bei Erbauung der Anlage von Wildbader Geschäftsleuten ausgeführt würden.

Beide ausgearbeiteten Projekte seien für alle Details, einschließlich Erwerbung der Bauplätze, genau berechnet. Sämt­liche Gebäude seien von ihm in Dimensionen ausgeführt, welche eine Erweiterung auf einen auf sehr hohe Bedürfnisse berechneten Ausbau der Anlage und die Aufstellung von Re­serve-Maschinen ermöglichen. Außer der erforderlichen Bureau- und Vorrats-Räumen seien Wohnungen für das Betriebspev- sonal vorgesehen, da hiedurch die Bedienung leichter, sicherer und außerdem bedeutend billiger werde. Es habe sich hienach herausgestellt, daß die Anlagekosten des Gleichstrom-ProjektS ohne 1 Reservedampfmaschine 175,800 Mark, mit solcher 198 300 Mk. für den ersten Ausbau, d. h. bei 1200 gleichzeitig brennenden Glühlampen L 16 Kerzen und den zweiten Ausbau d. h. für 1800 solcher Glühlampen ohne Dampf-Reserve 204 000 Mk., mit Dampf-Reserve 227 300 Mk. betragen, während das Wechselstrom-Projekt im ersten Ausbau schon auf 204 000 Mk. im zweiten Ausbau auf 240 000 Mk. komme. Er rate den Kollegien, die Ausführung des Gleichstrom-Pro­jekts zunächst ohne Dampf-Reserve. Er halte es für das Richtige, zunächst während eines Jahres über den Umfang des Consums und die Brauchbarkeit der Wasserkraft Erfahr­ungen Hu sammeln und dann erst an Beschaffung der Dampf- Reserve heranzutreten.

In den Kosten-Anschlägen für beide Projekte seien die Hausanschlüsse nicht inbegriffen, da dieselben von den Kon­sumenten auf ihre eigene Rechnung zu beschaffen seien, auch die Beschaffung der Kandelaber und Wandarme zur Straßen­beleuchtung seien nicht ausgenommen, da die Kosten derselben sehr von der mehr oder minder reichen Ausstattung derselben abhängig seien. Bei den ziemlich schmalen Straßen Wildbads empfehle er zur Straßenbeleuchtung hauptsächlich Glühlampen, da eine ausgedehnte Verwendung von Bogenlichtern sehr kost­spielig würde. Doch können an besonders hervorragenden Plätzen auch Bogenlampen angebracht werden. Zu einer rei­chen Beleuchtung würden 70 Glühlampen ä 32 Kerzen, deren Kosten, je nach Ausstattung, 4 5000 Mark betragen würden, genügen. Bei Aufstellung von Bogenlampen würde sich dieser Betrag um ca. Mk. 400 pro Bogenlicht erhöhen.

Die Anschaffungskosten seien nun aber für die Güte einer Anlage nicht allein maßgebend, sondern es kommen hiebei die Auslagen für die Bedienung!, für das Betriebsmaterial rc. sehr wesentlich in Betracht, und namentlich frage es sich, wie sich zu diesen Kosten

die Rentabilität

der Anlage stelle! Diese letztere sei nun nicht allein von den Betriebskosten abhängig, sondern auch von dem Preise des Lichtes.

Er, v. Miller, sei nun von der Ansicht ausgegangen, es komme in Wildbad weniger darauf an, daß die Stadtge­meinde aus der projektierten Anlage einen Ueberschuß erziele, also eine Rente ziehe, als darauf, daS elektrische Licht mög­lichst allen Einwohnern und zwar möglichst billig zu verschaffen.

(Schluß folgt.)