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di« Vormundschaft Englands über Egypten kurzer Hand abzuschütteln und sich einige neu« Minister zu ernennen. Offenbar hatten russische und französische Einflüsterungen den Khedive zu diesem Schritt bewogen. Die englische Presse schlug heftigen Alarm, der Minister des Auswärtigen Lord Rosebery, hatte erregte Auseinandersetzungen mit den Botschaftern Rußlands und Frankreichs, dann Konferenzen mit dem Vertreter Deutschlands Ein unmittelbar darauffolgender Ministerrat unter dem Vorsitze Gladstones beschloß ein­stimmig, dem Khedive ein Ultimatum von 24 Stunden zu geben, innerhalb welcher Frist er dis Ministerernennungen zurückziehen sollte, widrigenfalls er ernste Maßnahmen zu ge­wärtigen hätte. Als der Khedive diesen furchtbaren Ernst Englands sah, setzte er die abgesetzten Minister wieder ein und bat den englischen Gesandten Cromer um Entschuldi­gung. Soweit wäre die Sache wieder in Ordnung, aber die Engländer wissen nicht, ob der Khedive nicht später noch andere Gesinn­ungen bekommen könnte und wenn auch der erste Schrecken überstanden ist, so dauert im Stillen die Aufregung unter den Engländern doch noch fort. Gladstone hat bekanntlich während seines früheren Ministeriums die Stadt Alexandrien bombardieren lasten und die selbstständigen Regungen Egyptens mit Waffengewalt, unterdrückt. Es ist ein selt­sames Verhängnis, daß diesem Russenfreund Gladstone gerade die Russen jetzt wieder die­selben Verlegenheiten bereiten, die sie unter dem konservativen Ministerium England nicht zu bereiten wagten. Dieser egyptische Zwischen­fall ist aber insofern der Erhaltung des euro­päischen Friedens sehr förderlich, weil England jetzt sieht, wohin es geraten könnte, falls es zum Dreibunde eine andere Stellung einnehmen wollte.

Württemberg.

Stuttgart, 18. Jan. Wie wir ver­nehmen, hat das K. Ministerium des Kirchen- und Schulwesens mit Allerhöchster Ermächtig­ung angeordnet, daß der Tag des Geburtsfestes Sr Maj. des Kaisers fortan an den öffent- eichen Schulen des Landes allgemein als schul­freier Tag zu behandeln ist.

Die Vermählung der Erbherzogin Mar­garete Sofie, Nichte des Kaisers Franz Josef, mit dem Herzog Albrecht von Württemberg, ist nunmehr auf den 24. d. Mts. festgesetzt.

Am 30. Januar findet eine Verlosung der Württemb. Staatsobligationen statt und zwar: 4°/» Gulden-Obligationen von 1857, 60 und 61, 40/0 Mark-Obligationen von 1875 und 1880, 4°/o dergl. LL, V6l, LS von 188587.

Stuttgart, 17. Jan. Die soz.-dem. Notstandserhebung hat nach derTagwacht" folgendes Ergebniß: Im Stadtdirektionsbezirk Stuttgart sind bis jetzt insgesammt 2086 männliche Arbeitslose ermittelt, welche zusam­men 15048 Wochen beschäftigungslos sind, so daß die durchschnittliche Zeitdauer des Ein­zelnen 7,2 Wochen beträgt. Unter denselben befinden sich 935 Verheiratete. Von diesen allein beträgt die Gesammtdauer der Arbeits­losigkeit 8008 '/z Wochen, was für jeden Ver­heirateten eine durchschnittliche Arbeitslofigkeir vdn 8'sr Wochen ergibt. Diese Verheirateten haben zusammen 1640 jüngere, noch nicht er­werbsfähige Kinder zu ernähren, sowie noch 35 sonstige Personen zu unterstützen. Von den dabei in Frage kommenden 935 Ehen sind 287 zu verzeichnen, in welchen sich seit­her die Frau selbstthätig am Erwerb beteiligte, wozu aber in gegenwärtiger Zeit nur noch in

157 Fällen Gelegenheit geboten. Demnach sind also auch 135 vonjenen verheirateten Frauen als arbeitslos zu verzeichnen.

Neuenbürg, 15. Jan. Die zeitgemäße Einrichtung eines telephonischen Verkehrs wird nun auch unserer Stadt zu teil werden. Nach­dem auf Anregung einiger Interessenten von dem Hrn. Postamtsvorstand die Angelegenheit einer Telephon-Verbindung mit Wildbad, bzw. den übrigen Städten des Landes in thatkräftiger, entgegenkommender Weise befürwortet wurde, hat das K. Ministerium der ausw. Angelegen­heiten. Abt. für die Verkehrsanstalten, dem Ge­such unter der Bedingung entsprochen, daß eine jährliche Gebühren-Einnahme von 500 Mk. aus dem Verkehr auf der Verbindungsanlage gewährleistet werde und zwar für 5 Jahre. Es haben sich bis jetzt 3 Firmen als Teilnehmer verbindlich gemacht, welche gegen die bestim­mungsmäßige Jahresvergütung von 100 Mk. an die öffentliche Telephonstelle angeschlossen werden. Durch diese Teilnehmer und einige weitere Beiträge wurde auch ein gewisser Betrag als Einnahnc-Gebühr garantiert und es haben nun weiter die Gemeindekollegien nach voraus­gegangener eingehender Beratung durch Beschluß von gestern für den noch fehlenden Betrag Garantie übernommen, in der Absicht, eine zeitgemäße Verkehrs-Erweiterung möglich zu machen und in der Hoffnung, daß sich bald weitere Teilnehmer an der erwähnten Verbind­ung finden werden. Die Gebühr für den Nachbarschafts-Verkehr mit Wildbad beträgt 30 Pfg.; für den Verkehr mit den übrigen Städten des Landes: Backnang, Böblingen, Cannstatt, Degerloch, Eßlingen, Feuerbach, Friedrichshafen, Gmünd, Hall, Heilbronn, Lud­wigsburg, Stuttgart, Ravensburg, Reutlingen, Rottweil, Tübingen, Ulm Untertürkheim, Vai­hingen a. F., Zuffenhausen rc. 50 Pfg. für das Gespräch von 5 Minuten, während die Gebühr für den Verkehr mit Pforzheim, Karls­ruhe, Mannheim, 1 Mk. für 3 Minuten und mit Augsburg, München, Lindau 1 Mk. für 5 Minuten betragen wird. (Enzth.)

Eßlinger Berge, 17. Jan. Heute früh zeigte der Thermometer in den Thälern 23° R. unter Null. Auf den Höhen ist's 12° weniger kalt. Nur im kalten Winter 187980 hatten wir ähnliche Kälte. Am klaren Himmel steigt die Sonne hell herauf und wird jedenfalls an südlichen Halden ein Auftauen an Baumstämmen u. s. w. bewir­ken, und so ist zu befürchten, daß an den Obstbäumen, in deren Reihen noch manche Invaliden aus dem kalten Winter langsam dahinsterben, wieder bedeutender Schaden ent­stehen wird. Es ist nicht zu zweifeln, daß junge Bäume im nächsten Frühjahr wieder ge­suchter und bester bezalt werden, denn manches Bäumchen, das in unseren Weinbergen am südlichen Gehänge steht, wird zu Grunde gehen.

Saulgau, 18 . Jan. Soeben mittags 4 Uhr bringt das Trauergeläute von der Stadtpfarrkirche der hies. Einwohnerschaft die Trauerkunde von dem heute Mittag 1 Uhr in Berlin erfolgten Ableben unseres Stadt- psarrers Göser, Reichstagsabg. des 17. Wahl­kreises seit 1887. Der Verstorbene war ein pflichtgetreuer Mann, ein Freund der Armen und Notleidenden.

Rundschau.

Karlsruhe, 17. Jan. Aus dem ba­dischen Oberland werden große Schneefälle ge­meldet. Der Eisenbahnbetrieb ist, besonders im Schwarzwalde, nur mit Mühe aufrecht zu ! erhalten Bei Uttweil blieben die Züge von j Rorschach nach Constanz gestern im Schnee stecken. Die Post von Waldshut nach St.

Blqfien schneite bei Banholz ein und mußte jam andern Tage ausgegraben werden. Die Züge sind allgemein schwach besetzt. Der Schnellzug Mailanv-Köln führte hier nur zwei Wagen. Das Stellen des Rheineises wird stündlich erwartet. Die Eisdecke des MainS bei Homburg, Hafenlohr und Neustadt ist be­reits so stark, daß sie von beladenen Fuhr­werken befahren wird.

St. Blasien, 16. Jan. Gestern Abend ist die Post von Waldshut hier nicht einge- trsffen. Auf nähere Erkundigung wurde uns mitgetheilt, daß der Postwagen auf der Straße zwischen Waldshut und Höhenschwand im Schnee zurückgelassen werden mußte. Gestern herrschten in der gedachten Gegend sehr heftige Schnee- wehungen, die jeden Verkehr ins Stocken brachten. Die Briefpost und die Packstpost des betr. Postwagens konnte erst heute Nachmitttag 1 Uhr mit besonderem Fuhrwerk hierhergebracht werden.

Mannheim, 15. Jan. Die Steinkohlen­züge, welche in Folge des Bergarbeiterstreiks auf den Pfälz. Eisenbahnen nicht mehr ge­fahren wurden, werden jetzt wieder befördert.

Grötzingen, 18. Jan. Vergangene Woche wurde dahier der Kassier der hiesigen Filiale der Karlsruher Metallpatronenfabrik v rhaftet. Derselbe ist beschuldigt und gestän­dig, aus der Fabrikkasse etwa 4000 Mk. un­terschlagen und für sich verbraucht zu haben.

Ruß, (A. Ettenheim), 16 Jan. Heute früh erlegte Jagdpächter Laver Stern von hier in der Tauber einen Schwan. Derselbe hat 2,10 Meter Flügelspannung unv 1,50 Meter Länge.

Bargen, (Amt Sinsheim), 17. Jan. Straßenwart Hochwart fand unter dem Schnee in einem Graben die Leiche des ledigen Eberh. Vierling vom Jngelheimerhof. Derselbe war am Abend vorher hier, kam auf dem Heimweg in den Schneesturm und erfror. Vor einigen Jahren drohte ihm das gleiche Schicksal.

Konstanz, 16. Jan. In Folge des starken Schneefalls, der an verschiedenen Orten schon Verkehrsstörungen verursacht hat, sind gestern Abend auch die um 8 Uhr und '/,10 Uhr hier fälligen Züge von Rorschach bei Uttweil stecken geblieben. Heute Nacht ist auf dieser Strecke der Schneepflug geführt worden, so daß jetzt die Züge wieder kursieren können. Die badischen Züge hatten bis jetzt nur ganz kleine Verspätungen.

Nürnberg, 17. Jan. Wie demFrank. Kur." aus Erlangen gemeldet wird, wurde wegen starker Soldatenmißhandlungen, Treten auf die Zehen, Stöße mit den Kolben gegen die Schienbeine, gegen einen Unteroffizier und einen Feldwebel das Strafverfahren eingcleitet.

Nürnberg, 16. Jan. Die abnorme Kälte veranlaßt eine Bekanntmachung der Schulkommission, wonach Eltern ihre Kinder vom Schulbesuch zurückhalten können.

Würzburg, 17. Jan. Der freisinnige Verein sprach in einer Resolution die Erwartung aus, der Reichstag werde einer Militärerhöhung nur zustimmen bei gesetzlicher Festlegung der zweijährigen Dienstzeit, Erleichterung des Be­schwerdeverfahrens und volksthümlicher.Reform des Militärgerichtsverfahrens.

Köln, 18. Jan. DieKöln. Ztg." meldet: Auf 26 Zechen des Ruhrreviers 7654 Aus­ständige, darunter 4000, die anfahren wollten, aber für einige Tage abgelegt sind.

Berlin, 18. Jan. Die grimmige Kälte heute früh von 23 Grad forderte unter den Obdachlosen mehrere Opfer. Nach Meldungen der Blätter sind drei Personen erfroren auf­gefunden worden. Auf den Sanitätswachen melden sich zahlreiche Personen mit erfrorenen

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