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das Reich die Initiative ergreifen. Der Noth- stand sei international. Auch der Mittelstand leide. Staatssekretär v. Bötticher, Freiherr v. Stumm und Minister v. Berlepsch traten Liebknecht in längerer Ausführung entgegen. Die Berathung gelangte nicht zum Abschluß.
Berlin, 10. Jan. Redakteur Mayer von der „Krcuzzeitung" wurde heute früh auf dem Wegs seiner Wohnung nach der Redaktion von dem ihm feindlich gesinnten Journalisten Dr. Bcrendt mit einem Revolver überfallen. Berendt feierte auf Mayer sechs Schüsse ab, welche sämtlich trafen. Der Angefallene ist leicht verletzt. Berendt wurde wegen Mordversuch verhaftet.
Berlin, 14. Jan. Der Reichstagsabgeordnete Dekan Göser, Stadtpfarrer in Saulgau, ist an Influenza und Lungenentzündung bedenklich erkrankt und wurde in das Krankenhaus der grauen Schwestern verbracht.
Dortmund, 13. Jan. Der Streikführer Schönwald wurde gestern verhaftet. In Schalke übersielen gestern abend mehrere 100 Bergleute die Beamten, Steiger und Betriebsführer. Schnell herbeigerufene Beamte, sowie berittene Schutzleute und Gendarmen schlugen die Wütenden zurück; mehrere wurden verwundet.
Breslau, 11. Jan. Die ganze Belegschaft der Zeche „Deutschland" ist heute angefahren. Der „Breslamr Zeitung" zufolge ist der Streik als beendet anzusehen.
Thorn, 12. Jan. Die Landstraßen West- und Ostpreußens sind infolge von Schneestürmrn unpassierbar. Der Bahnverkehr stockt.
Mühlhausen, 12. Jan. Der Zollassistent erster Klasse, Seevauer, und der Steuer- aufsehcr Bertschinger wurden heute früh beim Ueberschreiten des zweiten Bahngeleises auf dem hiesigen Bahnhof durch den heranbrausenden Schnellzug überfahren. Seebauer starb sofort, Bertschinger wurde schwer verletzt.
Radolfzell, 12. Jan. Dieser Tage goß die Ehefrau des Fabrikarbeiters Schoch in der Küche heißes Wasser in einer Kübel. Kaum war der Kübel gefüllt, als ihr 2fle Jahre altes Knäblein hineinfiel und stark verbrühte. Das bedaucrnswerthe Kind ist gestorben.
Bern, 10. Jan. In der Bundesstadt angeschlagene Plakate, die vom Handwerker- und Gewerbeverein ausgehen, fordern die Bevölkerung auf, keine französischen Waren mehr zu kaufen, die französischen Geschäftsreisenden nicht mehr zu empfangen und die Beziehungen mit denjenigen schweizer Handelsleuten abzubrechen, die fernerhin französische Erzeugnisse zum Kauf anbieten sollten.
Wien, 13. Jan. Das „Wiener Tagblatt" behauptet, im November v. I. hätten zwischen Rußland und Frankreich Verhandlungen wegen Abschlusses einer Militärkonvention auf folgender Grundlage stattgefunden: Falls Rußland und Frankreich von Deutschland allein oder von Deutschland und einer andern Macht angegriffen wird, verpflichtet sich der unmittelbar nicht angegriffene Teil, binnen 6 Wochen 600 000 Mann aufzustellen. Binnen ferneren 3 Wochen sind weitere 600 000 Mann von dein ursprünglich nicht angegriffenen Teile in's Feld zu führen. Rußland und Frankreich verpflichten sich, nicht einer ohne den andern Frieden zu schließen. Das Tagblatt fügt hinzu, ob die Militärkonvention förmlich unterzeichnet und besiegelt, oder ob blos ein Protokoll aufgesetzt worden ist, worin nicht von Vereinbarungen, sondern nur von leitenden Gesichtspunkten die Rede ist, sei Geheimnis.
Stockholm, 10. Jan. Bei den hiesigen Wahlen zum Volksreichstag siegten sämtliche
von den Sozialisten ausgestellten Kandidaten mit 12 000 von 21000 abgegebenen Stimmen. Unter den Gewählten befindet sich eine Frau.
Belgrad, 12. Jan. Einer Nachricht aus Cettinje zufolge brach in 9 Gemeinden Montenegros eine Revolution aus; zwischen dem Volke und dem fürstlichen Militär fand ein blutiger Kampf statt, auf beiden Seiten gab es Tote und viele Verwundete. Das Militär stellte nach größter Anstrengung die Ruhe wieder her. Viele Popen und Bürger wurden verhaftet.
Madrid, 13. Jan. Die Regierung beschloß, ein Geschwader nach Tanger zu senden, mit dem Befehl, Truppen zu landen, falls englische Truppen an der Küste landen sollten.
San Franziska, 13. Jan. Dem „Kurier du Japon" zufolge wurden in Osaka am 20. Dezember durch eine in einer Spinnerei ausgebrochenen Feuersbrunst 250 Gebäude zerstört. 125 Personen seien umgekom-- men, meist in der Spinnerei beschäftigt gewesene Mädchen.
Newyork, 13. Jan. Der Sun wird über San Franzisko aus Kanton <China) gemeldet, daß Anfang Dez. eine Räuberbande das Dorf Kali im Gebiete von Schinh'.ng überfallen, den Priestern mehrere tausend Taels erpreßt und dann einen großen Schuppen vor dem Tempel, wo die Bevölkerung ein Fest feierte, angezündet habe. In der Feuersbrunst seien 1400 Personen umgekommen; im Ganzen habe es bei dem Ueberfalle 1940 Tote und Vermißte gegeben.
Unterhaltender.
Unschuldig!
Eine Waidmanns-Erzählung von Hermann Robolsky.
(Fortsetzung)
„Der alte ungerechtfertigte Verdacht!" gab der Schlaue zurück. „Ich kann doch nicht mit meiner kurzen Pfeife schießen, und eine Flinte Hab' ich wie Sie ja sehen nicht."
Der Manu that so harmlos und unschuldig, daß Grashof in seinem Mißtrauen etwas schwankend wurde. „Na, geben Sie mir mal ein wenig Feuert" sprach der Förster wieder barsch. „Warten Sie, ich will her- überkommen!" fuhr er fort und zwängte sich durch das Gatter. Freilich ist dies hier mein Revier nicht. Ich schlage aber sofort den Pfad nach dem Dorfe ein!"
Scharf musterte ein schneller Blick des Försters das Terrain. Auf weichem Moosboden stand ein offener Handkoffer, der leer zu sein schien. Unser» davon ließen sich die Röhren mehrerer Kaninchenbaue unterscheiden.
„Fangen Sie denn die Kaninchen auch des NachtsI" fragte Grashof und legte ein Stück glimmenden Schwammes auf den ta- backgefüllten Pfeifenkopf.
„Nicht docb," entgegnete der Nachtvogel. „Ich war gestern Nachmittag hier thätig. Wahrscheinlich hat mein Frettchen ein Ka- ninchen im Bau gepackt und sich in dem frischen Schweiß berauscht, denn es kam nicht wieder zum Vorschein. Damit mir mein vierläufiger Gehülfe aber nicht verloren geht, stehe ich Posten bis der Durchgänger wieder zum Vorschein kommt."
Trotz dieser sehr wahrscheinlich klingenden Geschichte erwachte des Försters Verdacht
von Neuem. Grashof bückte sich nach einer der Röhren nieder und griff plötzlich auf das Geratewohl hinein. Seine Hand erfaßte wirklich einen harten Gegenstand, den er schnell hervorzog.
„Ein nettes Frettchen!" rief er voller Erstaunen, als aus der Erde Schoos eine kurze Flinte zum Vorschein kam. Doch mehr zu sprechen vermochte der eifrige Beamte nicht. Zwei derbe Fäuste hatten plötzlich von hinten sein Genick gepackt und ihn, bevor eine Abwehr möglich war, zu Boden gerissen.
„Vermaledeiter Schnüffler!" brüllte der entlarvte Wilddieb und versuchte den Hals des Unterliegenden zu umkralle». „Wenn Du mir nicht schwörst, über Alles, was hier vorgiug, das tiefste Stillschweigen zu beobachten, so erwürge ich Dich!"
Der überrumpelte Waidmann antwortete gar nicht, sondern stemmte beide Arme fest auf den Boden, um nur nicht platt auf das Gesicht zu stürzen. Alle Versuche wieder hoch zu kommen, wußte Breitschild mit Nachdruck zu vereiteln.
Grashof war seinem Gegner vollständig an Körperkraft ebenbürtig; doch befand er sich jetzt diesem gegenüber entschieden tm Nachteil. „Laß mich los infamer Strauchdieb!" knirschte er. „Einen ehrlichen Kampf scheue ich nicht, aber mich meuchlings zu überfallen, das ist erbärmlich und feig zugleich!"
„Das nennt mau „„bei der Ambition fassen""!" lachte Breitschild roh. „Nein Verehrtester Herr Förster, auf den Leim gehen wir nicht! Wenn ich Sie jetzt losließe, könnte ich vielleicht zu liegen kommen, und das Wäre mir sehr unangenehm. Aber den Sieger ziert die Großmut. Ich bin zu Unterhandlungen geneigt. Wollen Sie mir Ihr Wort geben, über unsere Zusammenkunft ein für alle Mal gegen Jedermann zn schweigen, dann sollen Sie sofort frei sein. Natürlich nehme ich meine Flinte mit nach Hause, ebenso die zwei Fasanen, die noch im Bau der Befreiung harren."
„Unverschämter!" ächzte der sich unter den Fäusten seines Feindes windende Beamte.
„Ja, so unvernünftig seid Ihr nun!" höhnte der Wilddieb von Neuem. „Wir armen Teufel sollen fortwährend Ziegenoder Kaninchenfleisch essen, Ihr dagegen schmaust Hühner-, Hasen- oder Fasanenbraten. Das kann nicht so weitergehen. Alle Menschen haben seit Erschaffung Adams und Evas gleiche Rechte, und da man uns Armen diese freiwillig nicht gewährt, so nehmen wir sie uns. Es kommt doch noch mal die Zeit, in der jeder Standes- und Besitzunierschied aufhört und der ganze Staat nur eine Familie bildet."
Dergleichen communistjsche Ideen entwickelte der Arbeisscheue noch mehr. Grashof hörte kaum darauf. Schwer keuchte er unter der Last des auf ihm knieenden Menschen. „Laß mich los!" hatte er verschiedene Male gerufen. Doch ein höhnisches Lachen erscholl als Antwort. Da durchzuckte den Gemarterten ein kühner Gedanke, der vielleicht zu seiner Befreiung führen konnte. Ungesehen setzte er den linken Arm stemmend unter die Brust, ergriff dann die am Boden liegende Flinte mit der Rechten und stieß mit dem Lauf auf das Geratewohl hinter sich über seinen Kopf. Der Stoß traf den unvorbereiteten Wilddieb mitten in das Gesicht. Wie ein wildes Tier brüllte der schwer Verletzte auf. Bevor der Förster aber den Anfall wiederholen konnte, fiel sein Gegner röchelnd auf das Moos nieder.
„Jetzt ist's an mir, Capitulationsbeding-