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Der Uebergang zur neuen Zeitrechnung im Eisenbahnwesen erfolgt mit dem 1. April wie in Württembeg so auch in Bayern, ein­schließlich der Pfalz, in Baden und in Elsaß- Lothringen. Die österreichisch-ungarischen Bahnen find bereits am 1. Oktober 1891 mit Ein­führung der mitteleuropäischen Zeit vorange- gangen.

In dem vorbezeichneten Gebiet, in welchem bisher verschiedene Zeiten gegolten haben, nämlich in Ungarn und Galizien die Buda­pest», in Oesterreich die Prager, in Bayern rechts des Rheins die Münchener, in Würt­temberg die Stuttgarter, in Baden die Karls­ruher, in der bayerischen Pfalz die Ludwigs- Hafener Zeit und in Elsaß-Lothringen die Ortszeit, wird nunmehr im inner» wie im äußeren Dienst der Bahnen nach ein und der­selben Zeit gerechnet, die Uhrdifferenzen ver­schwinden.

Welche Erleichterung für den Dienst der Bahnbeamten und ganz besonders für das reisende Publikum hiedurch geschaffen wird, ist einleuchtend.

Die mitteleuropäische Zeit (abgekürzt M. E. Z.) ist die Zeit des 15. Meridians östlich von Greenwich. Die Anwendung dieser Zeit gründet sich aus einen im Jahr 1890 ge­faßten, auf die Beseitigung der vielfachen Uhr- dlfferenzen abzielenden Beschluß der General­versammlung des Vereins deutscher Eisenbahn- Verwaltungen, welchem außer sämtlichen deut­schen, auch die österreichisch-ungarischen, rumä­nischen, polnischen, niederländischen, sowie ein Teil der belgischen Bahnen angchören. Nach diesem Beschluß ist im Gebiet des Vereins zunächst mit Besch'änkung auf den inneren Dienst Zonenzeit einzuführen.

Während nun in Preußen, Sachsen und den übrigen norddeutschen Staaten, sowie im Großherzogtum Hessen, die mitteleuropäische Zeit nur im inncrn Dienst der Eisenbahn- Verwaltungen, d. h. in dem zum Dienstge­brauch der Bahnbeamten bestimmten Fahrplänen, an Stelle der früher angewandten Berliner Zeit zur Anwendung kommt, die Fahrpläne für das Publiknm dagegen die Abgangs- und Ankunftszeiten nach wie vor in der Ortszeit der betreffenden Station angeben, konnte ein gleiches Vorgehen in Bayern, Württemberg, Baden und der Pfalz nicht stattfinden, weil in diesen Ländern von jeher die Fahrpläne für das Publikum und die Dienstfahrpläne die Zeiten gleichmäßig nach der mittleren Sonnenzeit der Stadt, in welcher die Zentral­verwaltung der Bahn ihren Sitz hat, angeben, auch im gesamten bürgerlichen Leben nicht nach der Zeit des betreffenden Ortes, sondern nach der Bahnzeit gerechnet wird.

Für die bezeichneten Länder ergab sich die Notwendigkeit zur Vermeidung von vielerlei Unzuträglichkeitcn die Zonenzeit nicht für den inneren Dicnstbctrieb allein, sondern auch für den Verkehr mit dem Publikum einzuführen. Die Reichseisenbahnen m Elsaß-Lothringen, welche seither das System der norddeutschen Bahnen hatten, haben sich dem Vorgehen ihrer süddeutschen Nachbarbahnen angeschlossen.

Das Stundenzonensystem hat zur Voraus­setzung , daß auf der ganzen Erde blos 24 verschiedene Zeiten bestehen sollen, die unter sich nur um ganze Stunden abweichen, wäh­rend Minuten und Sekunden in demselben Augenblick auf dem ganzen Erdball die gleichen sind. Die Erde wird zu diesem Zweck in 24 Zonen geteilt, von je 15 Grad Länge, Aus­dehnung (1 Grad gleich vier Zeitminuten)

Als Ausgangspunkt ist der Meridian von Greenwich angenommen. Innerhalb jeder so gebildeten Stundenzone soll die Zeit des Mit­

telmeridianS derselben als Normalzeit kür die ganze Zone gelten, wobei jedoch die Grenzen der Zonen aus Gründen der Zweckmäßigkeit nicht scharf nach den theoretischen Meridianen, sondern nach Ländergrenzen zu ziehen sind. Nach dieser Einteilnng hätten in Europa die Staaten: England, Frankreich Belgien, die Niederlande, Spanien und Portugal Green­wicher Zeit; Deutschland, Oesterreich-Ungarn, Dänemark, Schweden, Norwegen, die Schweiz, Italien, Serbien und Montenegro die Zeit des um 1 Stunde östlich von Greenwich ge­legenen löten Meridians oder die mitteleuro­päische Zeit; endlich Rußland, Rumänien, Bul­garien, die Türkei und Griechenland die Zeit des um 2 Stunden östlich von Greenwich gelegenen (30ten Meridians) oder die osteu­ropäische Zeit.

Dieses Zonensystem ist in Nordamerika, sowie in England, Schweden, Rumänien und Bulgarien in Geltung und wird außer bei den eingangs erwähnten Bahnen, bei den Bahnen in Belgien und in den Niederlanden demnächst eingeführt.

Die Schweiz hat die Berner Zeit, Frank­reich die Pariser Zeit und Italien die römische Zeit beibehalten.

Die Berner Zeit ist um 30, die Pariser um 50, die römische um 10 Minuten hinter der mitteleuropäischen Zeit zurück.

Untki-halt«li-ks.

Dolorosa.

Roman v. A. Wilson. Deutsch v. A-Geisel.

(Fortsetzung.)

Ein verhaltenes schluchzen ließ die Sprecherin innehalten; von tiefem Mitleid erfaßt, legte der Pfarrer seine Hand auf ihren Arm und fragte sanft:

Wo ist Ihr Gatte sind Sie schon so früh Wittwe geworden?"

Wo mein Gatte ist fragen sie, Herr Pfarrer? Ha, wenn es die Pflicht des Gatten ist, sein Weib zu schützen und zu bewahren, zu lieben und zu ehren, nicht von ihr zu lassen in Armut und in Reichtum, in Not und in Krankheit, bis der Tod Beide scheidet, dann hatte ich nie einen Gatte» I Ob ich Wittwe sei, fragen Sie? O. daß ich es wäre! Eine Wittwe hat das heilige Recht, bas Andenken an den gestorbene» Gatten, an seine Liebe und Treue hockzu- halteu, als ihr bestes und theuerstes Gut; der Schatten des einst besessenen Glücks begleitet sie auf ihrem einsamen Lebensweg und mit stillem Mitgefühl schauen die Man­schen auf bas Trauergewand der Armen. In all' meinem Elend, in all' meiner Ver­lassenheit würde ich mich reich und glücklich schätzen, wenn ich meinen Gatten durch de» Tod verloren hätte; ach, der alte Spruch lügt nicht, der da sagt:

Die Thränen, die um einen Toden strömend

sich erzeugen

Das sind die schönen, herzcrhebenden;

Die Thränen aber diedas Herzdaruiederbeugen, Das sind die Thränen um die Lebenden!"

Gleich einem Hauch fielen die letzten Worte von den bebenden Lippen der jungen Frau; dann stöhnte sie tief und schmerzlich, trat aus den Pfarrer zu und heftete ihre, gleich Diamanten blitzenden dunklen Augen bittend auf sein Gesicht.

Herr Pfarrer geben Sie mir die Heiratslicenz, welche mein Gatte Robert Douglas Ihnen einhändigte," sagte sie dann leise flehend.

Welchen Wert hätten die Dokumente jetzt für Sie, Frau Douglas?"

Einen unermeßlichen Wert ich gäbe meine Hoffnungen auf die ewige Seligkeit dahin, wenn ich dadurch die Licenz erlangen könnte."

Frau Douglas hören Sie mich an. Sie wissen, daß ich mich weigerte, die Trau­ung vorzunehmen, weil ich der Ansicht war. Sie wie Ihr Verlobter seien noch viel zu jung. Ihre Großmutter indeß bestand auf der Trauung niit dem Bemerken, sic sei Ihre einzige Vormünderin und Herr Douglas wußte mein Bedenken zu zerstreuen, indem er mir eben jene Heiratslicenz übergab und mich darauf aufmerksam machte, dieselbe schütze mich vor jedem Vorwurf u»d nehme mir jegliche Verantwortung ab. Trotz alle­dem hat die Trauung, die ich an jenem Morgen vornahm, mir allezeit schwer aus dem Herzen gelegen; ich weiß ja, daß jeder Friedensricktei den Akt vorgenommeu hätte, wen» ick auf meiner W-igerung beharrtc, und jo gab ich nach, aber ich bewahre die Licenz zu meiner Rechtfertigung und Ent­schuldigung."

Gottlob, daß dem so ist; ick cktete schon, das Dokument möchte nickt mehr vorhanden sei». Nicht wahr. Sie gebe» nur das>elbe?"

Veizeiben Sie mir, wenn ick Ihnen sage, daß ich Ihrer Bitte nickt williah'e» werde. Der Beamte inden, welcher die Liren; ausgestellt hat, wird Jbnen auf Wunick gewiß gern ein Duplikat de> selben ans- fertig-n."

Diesen Weg habe ich berens einge­schlagen, aber ohne Erfolg Ob B erat an Spiele war, weiß ick nickt; es in aber leider Thatsacke, daß bas Zimmer, in wel vem die Ämtsbncker b>wah,t wurden, vor 18 Mo naten total ausbrannie unv sämtliche Register dabei vernichtet wurden."

?an» mußte der betr-ffenoe Beamte die Thatsache als solche in einer Sckrist niederlegen er wird fick der Daten gewiß erinnern, wenn Sie ihm dieselben in's Ge­dächtnis zurnckrusen."

Wie aber wen» er bestochen worden ist Und in Folge dessen Alles Vergessen hat."

Sollte das möglich sein?"

Ja, das habe ick mich auch gefragt und dennoch bitte, geben Sie mir das Dokument I"

Sie stand vor ihm mit gerung-nen Händen, ein Bild der Verzw iflnng und des Jammers. Der Pfairer blickte die junge Frau unentschlossen an; endlich sagte er sanft:

Setzen Sie sich und höien Sie mich an; ich"

Ich kann nicht geben Sie nur die Licenz; mein Leben, meine Ehre hängen an diesem elenden Stückchen Papier weigern Sie sich nicht ich muß es haben! Oder sollten auch Sie bestochen worden sein?"

Mit tiefem Mitleide blickte der Pfarrer auf die junge Frau, während er ernst sagte:

Bevor ich auf Ihre leidenschafiltche Bitte, Ihnen das Dokument auszufolgen, näher eingebe, muß ich wissen, weshalb Sie dies Ansinnen stellen. Als verordneter Diener des göttlichen Wortes muß ich doppelt vorsichtig sei», um nicht das Verschulden auf mich zu lade», einer Täuschung, wenn nicht gar einem Verbrechen Vorschub geleistet zu haben."

Das eben noch marmorbleiche Gesicht der jungen Frau überzog sich^mit glühender Röthe.

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