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Einziehung der österreichischen Vereinsthaler an. In der wieder aufgenommenen Debatte über den Etat um die Verwaltung der Eisen­bahnen tritt beim Titel Betriebsverwaltung von Stumm (ReichSp.) der Auffassung des Eisenbahnministers bei, daß die Verwaltung sozialdemokratische Arbeiter aus ihren Werk­stätten fcrnhalte. Die Sozialdemokratie be­zwecke nur eine Steigerung der Unzufriedenheit dieselbe sei gar keine politische Partei, n cht einmal eine wirtschaftliche, sondern e ne Samm­lung unzufriedener Elemente, die nichts von der Heiligkeit der Ehe, des Eides rc. wüßten. (Zwischenruf bei den Sozialdemokraten Stöcker, Baare.) Das eigentliche Wesen bei der So­zialdemokratie sei das Monarchiefeindliche. Der Ausschluß der Sozialdemokratie erfolge nur zum Schutze der freien Arbeiter, zum Schutze gegen die Streiks. Bebel (Soz.) weiß nicht, ob Stumms Rede eine neue Sozialistengesetz­periode einleiten will. Die sozialdemokratische Partei als eine weder politische, noch wirt­schaftliche Partei zu bezeichnen, sei nahezu Un­sinn. Der Abgeordnete von Stumm übe eine größere Tyrannei als die Sozialdemo­kraten an den Mitgliedern, die Fabrikordnung, auf seinen Werken sei nicht als menschlich zu betrachten. (Vizepräsident von Ballestrem ruft den Redner zur Ordnung.) Der Redner spricht der Regierung das Recht ab, unter ihren Arbeitern Partciunterschicde zu machen. Durch ihre Vogel Straußpolitik, erziehe die Regierung nur Heuchler Haußmann (Vlksp.) In den höheren Schichten herrsche thatsächlich große Furcht vor den Sozialdemokraten. Stumms Hepphepprede sei der Ausdruck dieser Furcht. (Vizepräsident von Ballestrem erklärt diese Bezeichnung für unangemessen.) Redner mahnt zur Vorsicht bei Maßregelungen, der Fall Prus und die Soldatenmißhandlungen schaffen viele Sozialdemokraten, von Stumm (Rerchsp.) erklärt, die Sozialdemokratie sei keine politische Partei, weil sie kein klares, po­litisches Programm habe, nur traktische Vor­schriften, welche schließlich zum allgemeinen Kladderadatsch führen. Möller (natl-lib.). Gegen Baare liege durchaus nichts ehrenrühriges vor. Hirsch (freis.) spricht dem Abgeordneten von Stumm jedes Verständnis für die sozialdemo­kratische Bewegung ab. Durch Maßregelung strebe man nie wirksam einer politischen Be­wegung entgegen. Hitze (Zentrum) spricht für politische und religiöse Duldung, gegen die Duldung der sozialdemokratischen Agitation. Bebel (Soz.) bestreitet, daß die aus dem Staatsbetrieb entlassenen Arbeitern in den Fabriken agitiert hätten. Die Regierung habe auch freisinnige Arbeiter entlassen. Auf den Fall Baare werden wir bei dem Titel Schienen zurückkommen. Im Fall eines Krieges bringt die Schienenslickerei mehr Gefahren als die Sozialdemokratie. Geheimrat Wackerzapp. Die fraglichen beiden Arbeiter, wurden entlassen, weil sie an Parteitagen als Vertreter von Gruppen teilgenommen haben. Einen Unter­schied in- und außerhalb der Wcrkstätte kenne die Verwaltung nicht. Schräder (freis.) Dem Staate gegenüber dürfe der Arbeiter nur nach seiner Arbeitsfähigkeit beurteilt werden. Nach einigen Bemerkungen Singers, Geheimrats Wackerzapps, Kardocsfs und Barths wird die Diskussion geschloss n. Nach einer persönlichen Bemerkung B.nnigscns wird der Titel be­willigt.

15. Febr. Reichstag. Militäretat. Richter (d.fr) wünscht die Beschränkung der Wachtposten, wodurch auch der Gebrauch der Schußwaffen durch die Posten vermindert würde. Generalmajor Goßler: Die Einschrän­kung der Posten ist nicht angängig. Betreffs

der Anwendung der Waffen seien durch das Gesetz 4 klare Fälle vorgeschrieben. Die Wei­sung habe sich gut bewährt. Singer (Soz.) spricht sich gegen die umfassenden Straßen­sperren bei militärischen Schaustellungen aus. Richter giebt der Regierung nochmals anheim, die betreffenden Bestimmungen abzuändern und begründet dann seine Resolution gegen die Einziehung der Einjährig-Freiwilligen die nach dem 23. Lebensjahr eingetreten, zu Landwehr- Uebungen nach dem 32. Lebensjahr wegen zu späten Eintritts infolge eigener Verschuldung. Generalmajor Goßler erklärt, zur Annahme des Antrages liege kein Grund vor.

Bemerkungen zum Buchdrückerstreik bringt nachträglich derSozialist" in seiner Nr. 5. Er erklärt, daß der Streik zwar völlig unberechtigt und aussichtslos war, daß aber trotzdem die Sozialisten diesen Ausstand gutgeheißen haben, damit die Buchdrucker durch diesen Mißerfolg gezwungen würden, sich nun offen an die sozialdemokratische Arbeiter­organisation anzuschließen. Es ist recht schmeichelhaft für die durch den Streik in das Unglück Gestürzten, sich von der sozialdemo­kratischen Partei zur Erreichung eines bloß agitatorischen Zweckes mißbraucht zu wissen, kennzeichnet aber auch die Frivolität und Ge­wissenlosigkeit der Sozialdemokratie auf das schärfste.

Lokales.

i ! Wildönd, 16. Febr. Vergangenen Sonntag veranstaltete der hiesige evangelische Kirchenchor im Gasth.z. kühlen Brunnen" eine musikalische Abend-Unterhaltung für seine Mitglieder und deren Angehörigen, unter Leitung des Dirigenten Hrn. Oberlehrer Baur. Die Chorgcsänge des Vereins, aus weltlichen Liedern bestehend, waren gut gewählt und wurden abwechslungsweise in Einzeln- und Gesamtchören vorgetragen, in einer Weise, die dem Diri­genten sowohl als auch den Mitwirkenden alle Ehre machte. Nach den ersten zwei Num­mern des Programmsdas ist der Tag des Herrn" undFrühmeßglocken klingen" folgte ein Vortrag für Violine und Klavier, gegeben von Geschwister E. und A. Fein, welche ihrer Aufgabe in meisterhafter Weise gerecht wurden. Die komischen Duetteder Handlungs­reisende" undder verspätete Urlauber" wurden von den Herren Dr. Haußmann und Sekretär Herrmann in unübertreff­licher Weise ausgeführt und ernteten lebhaften Beifall. Allgemein gefallen hat auch der FraucnchorNoch ist die blühende goldene Zeit" und verdient die schöne, tief empfundene Vortragsweise desselben besondere Anerkenn­ung. Nach Beendigung des Programms sprach der Vorstand des Vereins, Herr Stadtpfarrer Glauner, dem Kirchenchor und dessen ver­dientem Direktor in herzlichen Worten seinen Dank aus und überreichte letzterem als Zeichen der Anerkennung einen hübschen Blumentisch. Nachdem noch einige Solovorträge zum Besten gegeben wurden und die st'lle Hoffnung der Damenwelt auf ein Tänzchen inzwischen zu Wasser geworden war, trennte man sich mit dem Bewußtsein einen recht an­genehmen Abend erlebt zu haben. Möge diese wohlgelungene Aufführung, welche aus's Neue bewies, über welch' tüchtige Kräfte der Verein verfügt, die Veranlassung sein, dem­selben immer weitere Mitglieder und Freunde zuzuführen.

B e rm i s ch 1 e s

Aus Annaberg im Erzgebirge wird ge­schrieben 4 Jahrhunderte sind in diesem Jahr verflossen, seit der große Rechenmeister Adam

Riese (oder wie der richtige Name lautet: Adam Ries) zu Staffelstein bei Bamberg das Licht der Welt erblickte. Das Verdienst Rieses besteht darin, daß er an Stelle der unbe­queme» römischen Ziffern, die nach dem Zehner­system wohl geordneten arabischen Ziffern ein­führte und dadurch ermöglichte, daß Aufgaben, die man bisher nur unter Zuhilfenahme des Zählbrettes mit Linien und Rechenpfennigen umständlich lösen konnte, jetzt bequem mit der Feder gerechnet werden konnten. Nach Anna­berg kam Riese im Alter von 23 Jahren, um eine Stelle als Bergbeamter bei den damals in großer Blüte stehenden S lberbergwerken zu übernehmen. Zur Erinnerung an das Wir­ken Adam Rieses soll ihm nunmehr ein Denk­mal errichtet werden.

(Eine U eb er ra sch un g.) Bräu­tigam:Ich habe Dir hier eine Lotterieloos mitgebracht, Schatz; denk mal an, wenn das hcrauskäme!" Braut (entzückt):O was könnt ich da für eine Partie machen!"

Tnki-Haltkndks.

Schicksakswege.

Novelle von E. Muschick.

Myriaden weißer Schneeflocken wirbelten in traumhaftem Durcheiuanderweben zur Erde nieder und breitete» eine weiße Decke über die Straßen und Plätze des Städt­chens aus.

Frau Brand, die Gattin eines wohlha­benden Fabrikanten, saß am Fenster und blickte sinnend in das dichte Schneetreiben hinaus. Wie die Flocken da draußen auf und nieder schwebten, sich, von einem Luft­hauch bewegt, zu nebelhaften Spuckgestalten formten, die der nächste Windstoß schon wieder anders gestaltete, oder nach allen Richtungen zerstreute, so kamen und gingen ihre Gedanken.

Sie dachte an hundert Dinge, ohne sich doch dessen recht bewußt zu werden, denn wollte sie einen Gedanken festhalten, so war er entschwunden, wie die Schneeflocken da draußen, wenn ein Windstoß plötzlich da­zwischen fuhr.

Die Straße herauf kam eine Frauen­gestalt; der Wind fing sich in der leichten, dünnen Kleidung, die keineswegs geeignet schien, Schutz gegen das Unwetter zu ge­währen , und trieb, indem er sie hoch auf- banschte, ein grausames Spiel damit, lieber den Arm gehangen, trug sie eine größere Anzahl Zettel, welche sie in den Häusern an der Straßenfront abgab.

Sie war die einzige Passantin, welche auf der Straße sichtbar war; denn das Stäbchen hatte nur wenig Verkehr und wen nicht die Notwendigkeit dazu veranlaßte, der trat bei solchem Unwetter gewiß nicht hinaus in's Freie.

Wen nicht die Notwendigkeit dazu zwang!

Es mußte gewiß eine sehr zwingende Notwendigkeit sein, welche diese Frau in der ärmlichen, dürftigen Kleidung dem Un­wetter sich preisgeben ließ.

Frau Brand verstand wohl den Grund. Es war das, was wir gemeinhui mit dem NamenKampf um's Dasein" bezeichnen.

Die Frau gehörte zu einer Komödian- tentruppe, welche vor einigen Wochen in das Städtchen cingezogen war, um vor einem, hochgeehrten, kunstverständigen Publikum, sowie einem hohen Adel" und unter Mit- wirkun der »besten Kräfte" ihre Vorstellungen zu beginnen.