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sie doch hin und wieder beängstigen mußte, auf diese Weise entfernt zu wissen.
Alm, 19. März. Heule nachmittag standen vor der hiesigen Strafkammer der stellvertretende Amtmann Eisenbach, früher in Geislingen jetzt in Reutlingen. Derselbe hat im Juni 1890 in Geislingen einen sehr gefährlichen Landstreicher aus dem Partiezimmer im Oberamt entwischen lasten, indem er den Schlüssel zu dem Zimmer nicht abzog. Die Strafkammer Ulm hatte ihn erstmals freigesprochen, aber die Staatsanwaltschaft legte Revision beim Reichsgericht ein, welches das freisprechende Urteil aufhob und die Sache zur nochmaligen Verhandlung zurückwies. Heute nun wurde Eisenbach wegen fahrlässiger Befreiung eines Gefangenen zu 10 Geldstrafe und in sämtliche Kosten beider Instanzen verurteilt.
Nuudscha«.
Aforzheim, 17. März. Gestern gab der Violinvirtuos Professor Wilhelmij in Gemeinschaft mit dem Pianisten Niemann ein Konzert, das außerordentlich zahlreich besucht war. Bei dem bebrütenden Rufe, welchen Wilhelmij genießt. war sehr hohes zu erwarten; dies ging auch ganz in Erfüllung. Zur Aufführung gelangten 8 Nummern und eins Beigabe; darunter 4 Einzelvorträge auf dem Piano. Wck- helmij erwies sich wieder als der gottbegnadete Künstler. Auch der Pianist Niemann ist vollendeter Künstler: dies zeigte sich u. a. durch den Vortrag eigener Kompositionen. Ein wahrer Beifallssturm lohnte die Beiden. -
Keidelvrrg, 19. März. Bei den hiesigen Frauen läuft gegenwärtig eine Bittschrift M den Reichstag um, wegen Zulassung des weiblichen Geschlechts zum Universitätsstudium, insbesondere auf dem Gebiete der Medizin.
In Keidelvrrg feierte dieser Tage ein Greis,. Michael Schuck, im Volksmund der „kleine Schuckele" genannt, seinen 100. Geburtstag. Schuck, der bei seinen zwei Schwestern wohnt, ist noch ziemlich rüstig und macht jeden Tag seinen Spaziergang.
- Wattnyeim, 19. März. Drei hiesige junge Leute hatten mit einem vierten Kollegen seit längerer Zeit ein ganzes Los der Hamburger Lotterie gespielt.. Da sie aber noch nie etwas gewonnen hatten, so traten sie bei der letzten Ziehung zurück, wogegen der vierte junge Mann die Hälfte des bisher von der Gesellschaft gespielten Loses weiter spielte. Wie erstaunte der betreffende und wie ärgerten sich die andern drei, als dieser Tage die telegraphische Mitteilung einlief, daß das Los mit 70,000 gezogen sei, so daß auf die Hälfte des Loses 35,000 ^ entfallen.
EAaris, 20. März. Das Testament: des Prinzen Napoleon enterbt thatsächlichden Prinzen Viktor und erklärt den Prinzen Ludwig Napoleon zum Erben der bonapartistischen Thronrechte. Die Annahme des Prinzen .Ludwig ist zweifelhaft. Unterdessen erkannte die Familie Bonaparte bereits den Prinzen Viktor als Oberhaupt an.
Tntkrhrlkkndks.
Keyeimrats Lilli.
Von Otto Richard.
(Fortsetzung.)
„Lasten Sie mich hier einen Schluck Kaffee nehmen; ich muß gleich fort, noch einmal hinüber zum Herrn Geheimrat, ehe die Vorlesung beginnt."
„So?" brummt Frau Jrdenberger. „Wohl, weil Sie gestern nicht im Institut waren?"
Sie stellte ihm eine Taste Kaffee hin, gießt aber weniger Milch hinein wie sonst. Eine kleine Rache muß sie doch haben.
Otto bemerkt das gar nicht; er trinkt rasch aus und sagt:
„Frau Jrdenberger, ich habe den Schlüffe! zum Zimmer eingesteckt. Sie brauchen nicht hinaufzugehen; ich sage Ihnen dann später, weshalb."
Er geht.
„Meinetwegen mag der Bruder Liederlich, der wieder sein Nachtquartier bei ihm aufgeschlagen hat, schlafen bis zum jüngsten Tage. Wer dann das Bett macht, ist eine andere Frage.
Als Otto durch den Hof in den Garten des Geheimraks tritt, verschwindet gerade der Saum eines Kleides in der Thür zum Gewächshaus. Sollte es Lilli gewesen sein ? Er bleibt einen Augenblick stehen.
Es hustet drinnen leise; er tritt ein paar Schritte näher.
„Otto."
Rasch war er eingetreten. Leise flüsternd, bleiben die Beiden, Otto und Lilli, eine Zeit lang bei einander, sie haben sich viel zu erzählen. Dann geht Lilli zuerst hinaus; wenige Minuten später folgt Otto ; beide, sind sehr niedergeschlagen, Otto noch mehr als Lilli. Im Hausflur hat Lilli noch einmal gewartet.
„O!" flüstert sie ihm zu. „Du mußt ihm nur alles hübsch sagen."
„Das werde ich; aber ich fürchte, ich fürchte, Lilli: Es nimmt ihn zu stark mit; es greift ihn an der Ehre an."
„.Hoffen wir das beste! Nur Nicht verzagen,. Otto. Ich gehe zur Mama, die muß uns helfen/'
„Es wurde oben eine Thür aufgemacht; rasch stieg Otto die Treppe hinauf.
„Ist der Herr Geheimrat auf seinem Zimmer ?" fragte er Betty , die, mit einem Kaffeegeschirr in der Hand, auf dem Korridor stehen geblieben war, um zu sehen, wer kam.
„Jawohl, Herr Doktor, er ist oben."
Zweimal machte, Otto noch auf her Treppe Halt, als ob er erst Mut fassen wollte. Dann schritt er rasch zu und klopfte an . die Thür zum Arbeitszimmer deS Geheimrats.
„Herein! Herein! Herr Metz, Ich habe mir gedacht, daß Sie noch, kämen.
Der Geheimrat war bei sehr guter Laune. Gestern Mittag hatte ihm der Jnstitutsdiener gesagt, daß Herr Metz, die Absicht habe, noch am Abend, am Sonntag Abend, im Institut einige Arbeiten zu machen. Das hatte ihm sehr gefallen. Das war selbst bei Herrn Hausberg selten vorgekommen.
„Nun, wie steht es mit den Tabellen?"
„Die sind fertig, Herr Geheimrat."
„Mas der Tausend! Das nenne ich Eifer !
Was machen die beiden Kaninchen, die mit den Magenfisteln?"
„Das hat den erwarteten Fortgang. ' Aber ...
Und unser Freund Nero?"
„Herr Geheimrat!"
Otto stockte, er suchte nach Worten und fand sie nicht.
„Nun, nun? 'Er ist doch jetzt noch nicht abgegangen? Das wäre ja doch gegen die Be rechnung!" '
„Nein, nein, aber — — Es ist viel schlimmer als das."
..Was Sie sagen?! Ich verstehe nicht."
„Es ist allein meine Schuld, Herr Geheimrat. Er hat gefressen — — Ich habe ihm zu fressen gegeben, oder vielmehr er hat sich mein Fressen — mein Esten, wollte ich sagen — genommen, Brot und Schinken."
Bleich und zitternd vor Aufregung stand der Physiologe da. Die Arbeit von Wochen war vergebens; er hatte ein ganzes System auf die Beobachtungen an dem Hund aufgebaut. Es fehlten nur noch die Schlußzahlen, die letzten Beweise und dann die Folgerungen. — Und jetzt gab sein Assistent,' sein eigener Assistent, dem Tier Brot und Schinken zu fressen ! ! Auf einmal kam dem Gsheimrat ein Gedanke, der ihn beinahe in Raserei auf seinen Famulus losstürzen ließ.
„Deshalb haben Sie sich bei mir eingedrängt," schrie er, um mir auch diesen Streich zu spielen, mein wissenschaftliches Renommee vor der Welt zu vernichten, mich an den Pranger zu stellen!"
Jetzt, dieser Anschuldigung gegenüber, fand Ottn Metz, seine Fassung vollständig wieder; hier war nur volle Offenheit am Platz.
„Herr Geheimrat, jetzt bitte ich, mich ganz ausreden. zu lassen. Sie haben mich einer Schurkerei angeklagt; lassen Sie mir das' Recht der Verteidigung! Ich, ich sollte deck Mann verhöhnen, verspotten, an >dey Pranger stellen wollen, den ich heute bitten wollte, meine.Liebe zu. seiner einzigen. Tochter zu segnen." '
„Herr, sind- Sie verrückt'
„Fragen Sie Lilli selbst 1 Wir haben uns gestern unsere Liebe gestanden ; es. kam mir das Geständnis. über die Lippen, und fand Erwiderung, ohne daß wir, wie es wohl recht gewesen wäre, erst die Eltern fragten. Das. jvollte ich. nun heute thun."
(Fortsetzung folgt.)
B e r in i sch te s.
(Dr. Karl Peters Reise werk). Von - dem kürzlich . im Verlage, von.Oldenburg in München erschienenen Werk des Dr. Karl Peters: „Die deutsche Emin-Pascha-Expedition" wurden ln 12 Tagen 6 Auflagen zu je 1000 Exemplaren verkauft. Jetzt erscheinen weitere t 5 Auflagen ä 1000 Exemplare, welche alle I bereits fest bestellt sind.
(Schlechte Geschäfte der Casino-Bank in Moicke-Carlo.) Die Casino-Bank von Monte Carlo hat am 12. März eine Million Franken verloren, was seit zwanzig Jahren nicht mehr dagewesen ist. Ein einziger Trente et Quarante-Tisch mußte sieben Mal nach Geld' schicken, was beweist, daß der betreffende Kroupier über 700 000 Francs auszuzahlen hatte. Die Gewinner waren meist Englänger.
— lieber den Untergang desAvs- wandererschiffes „Utopia" wird aus Gibraltar berichtet: Das Schiff war auf der Fahrt von Neapel nach Nemyork begriffen: Es hatte über 800 italienische Auswanderer an Bord. Die „Utopia" war eben im Begriff die Anker zu lichten als Sturmwellen dieselbe gegen den Bug des Panzerschiffes „Anson", welches dem britischen Kanalgeschwader angehört, trieben. Der Sporn des Panzerschiffes verursachte' einen tiefen' Einschnitt in die dünnen EiseNpläÜen der „Utopia", welche hin- und Hertrieb, 'sich schnell mit Wasser füllte, und schon 5 Minuten nach dem Zusammenstoß zu sticken begann. Der „Anson" und die anderen britischen Kriegsschiffe, sowie das schwedische Kriegssch>ff „Freya" ließen sofort die Boote hinunter. Die Panzerschiffe ließen ihr elektrisches Spähelicht gegen die „Utopia" leuchten, um die Rettung zu erleichtern, da es schon ganz finster geworden war. Das Geschrei der Unglücklichen auf der „Utopia" war herzzerreißend. Trotz dem Brausen des Sturmes und der gellenden Kommandorufe war es nur allzu hörbar. Der Seegang war so