464

Kern, 6. Dez. In der Nähe von Bern! hat "in der Nacht vom letzten Dienstag ein gräßlicher Mord stattgefunden, der die ganze Bevölkerung in Aufregung erhält und durch die Art und Weise wie er verübt wurde, an die Blutthaten des LondonerAufschlizer" Jack erinnert. Das Opfer ist eine 29jährige Magd, die am Mittwoch Morgen früh bei der sog.Neubrücke" nackt und mit ihren Kleidern bedeckt scheußlich ermordet aufgefunden wurde. Obwohl die Polizei schon einige Ver­haftungen vorgenommen hat, scheint der Mör­der noch nicht erwischt zu sein. Die Polizei­direktion von Bern hat auf die Entdeckung desselben eine Prämie von 500 Francs aus­gesetzt.

Krüssel, 6. Dez. Aus dem Postwagen deS Eilzuges Ostende-Brüssel-Amsterdam wur­den heute Morgen 750,000 Fr. Börsenpapiere gestohlen.

Furemburg, 8. Dez. Der Einzug des Großherzogs erfolgt heute um 3 Uhr Nach­mittags.

San Nemo, 8. Dez. vr. dePonte hat von I)r. Koch 6 Fläschchen Impfstoff erhalten.

UnirkhMrndrs.

Von C. Marold.

Die Tochter -erVerstoßenen

(Nachdruck verbot).

1.7) (Fortsetzung.)

Gertrud errötete.Bitte, Onkel, laß mich," bat sie.Ich glaube, Tante wünscht, daß nicht mehr gesungen wird, es ist Zeit zum Abendessen."

Dalburg wandte sich zu seinen Gästen. Auch meine liebe Nichte wird uns jetzt eins ihrer Lieder singen, meine Herrschaften," sagte er laut und führte Gertrud an den Flügel.

Harder schlug ein Notenheft auf.Dies Lied, bitte Fräulein Gertrud," sagte er. Und sie sang. Es war ein kleines Lied voll Heim­weh und Sehnsucht, voll Zweifel und Schmerz; sie trug es ergreifend vor:War' ich geblieben doch auf meiner Heiden, da hält' ich nichts verspürt von Schmerz und Leiden!" so klang es herzerschütternd traurig in den Kreis der Anwesenden. Und als dann der Schluß kam:Bleiben, ach, darf ich nicht und kann nicht scheiden, Wär' ich geblieben nur auf meiner Heiden!" da war fast kein Auge ohne Thränen.

Ihre Nichte singt wundervoll, meine liebe Frau Kommerzienrat," versicherte Frau von Bergheim,sagen Sie mir, wer hat das junge Mädchen unterrichtet?"

Gertrud ist von ihrer Mutter unterrichtet worden, die sehr musikalisch war, antwortete Dalburg statt seiner Frau.

Diese wandte sich zu ihrer Nachbarin. Ich liebe jo leidenschaftliches Singen nicht;" sagte sie ziemlich laut,ein junges Mädchen muß ihre Gefühle beherrschen, aber nicht der ganzen Welt mitteilen." Gertrud zuckte zusam­men; sie hatte die lieblosen Worte gehört. Plötzlich umschlang sie Asta. Du arme Ein­same," sagte diese mit Thränen in den Augen, schließe Dich fest an mein treues Schwester­herz. Sieh', ich bin Dir so gut, und hier kommt auch mein Bruder, Dir für das schöne Lied seinen Dank zu sagen."

Ernst sah Eberhard Gertrud an. Seine Augen schienen um Verzeihung, um Vertrauen zu flehen, während er einige Worte über ihren Gesang an sie richtete. Hatte er doch soeben ihr ganzes Leid in demselben erklingen gehört I

Gertrud senkte verwirrt die Augen; sie empfand es mit erschreckender Deutlichkeit, wie ihr Herz sich voll Dankbarkeit immer mehr dem zuneigte, dem sie doch nur zürnen durfte, und sie war froh, als Hochheim mit der Frage nach dem Komponisten des kleinen Liedes sie aus der peinlichen Lage befreite.

6 .

Die linden Lüfte sind erwacht.

Sie säuseln und wehen Tag und Nacht.

Sie schaffen an allen Enden.

O frischer Duft, o neuer Klang!

Nun, armes Herze, sei nicht bang!

Nun muß sich alles, alles wenden.

Uhland.

Ich möchte dich bitten, mein Sohn, Deinen Verkehr mit Harder etwas zu be­schränken," sagte Frau Dalburg, als sie und Eberhard an einem herrlichen Frühlingstage durch die Anlagen eines nahen Vergnügungs­ortes gingen, während in kleiner Entfernung vor ihnen die beiden jungen Mädchen mit Hochheim und Harder in lebhaftem G spräche dahinwandelten. Habe ich auch gegen Harder als Deinen Freund und Astas Musiklehrer nichts einzuwenden, so wünsche ich doch, daß er nur der Lehrer für sie bleibe. Ihr allzu­reges Interesse für die Musik setzt mich mit­unter in Zweifel, ob es nur der Sache und nicht auch der Person ihrers Lehrers gilt."

Ich begreife nicht, liebe Mutter," ant­wortete Eberhard,was Dich selbst in dem letzteren Falle beunruhigen könnte. Harder ist ein begabter, tüchtiger Musiker, dem eine baldige Anstellung sicher ist. Geld braucht Asta nicht, da sie dessen selbst genug hat, und was Harders Charakter betrifft, so ist er mir entschieden lieber, als Hochheim, den Du wohl zu Astas Gatten ausersehen hast.

Du weißt, mein Sohn," erwiderte die Kommerzienrätin,daß eine Verbindung Deiner Schwester mit ihrem Vetter seit Jahren eine abgemachte Sache ist. Ich wünsche, daß Asta in die Kreise zurückkehre, aus denen ihre Mutter stammt, und in die sie ihrer Erzieh­ung und ihrem Empfinden nach gehört. Ich möchte sie davor bewahren, unverstanden durchs Leben zu gehen, da ich es selbst an mir er­fahren habe, wie schwer das ist."

Eberhard warf einen Blick tiefster Teil­nahme auf seine Mutter, die so traurig vor sich hinblickte; diese aberfuhr nach einen klei­nen Pause fort:Darum bitte ich Dich, Eber­hard, auch Deinerseits Alles zu thun, was meinem Vorhaben förderlich sein könnte. Ich halte Beno Hochheim für einen Ehrenmann wie es jeder seiner Vorfahren gewesen ist, und seinen jugendlichen Leichtsinn, der Dir unsym- patisch zu sein scheint, wird eine Frau wie Asta bald zu zügeln wissen."

Die Augen des jungen Mannes hafteten mit finsterem Blick auf den vorangehenden Paaren.Ich glaube," sagte er mit einem nervösen Zucken seiner Lippen,Du sorgst umsonst für Asta und Hochheim, Mutter, sieh wie der Vetter sich dort um Gertrud bemüht Ä>d ob es nicht den Eindruck macht, als scheine ihm ihr Besitz mehr wert als der Asta's."

Frau Dalburg blickte auf.Wie ihn Gertrud von oben herab behandelt! Thut sie doch, als wäre sie das Grafenkind. und er der hergelaufene Bettler!"

Eberhard zuckte zusammen.Ich bitte Dich, Mutter, sprich nicht so," bat er. Kannst Du denn gar nicht vergessen, daß Gertrud's Vater gefehlt hat? Hast Du kein Mitleid mit ihr, die doch unschuldig daran ist? Sie ist jetzt bald ein halbes Jahr bei uns und hat bisher immer nur bewiesen, daß

sie eine echte Tochter dieses Hauses ist. Denke, wie Asta sie liebt und wie selbst der Vater so froh und verändert ist."

Ja," sagte Frau Dalburg,ich bedenke das alles Sie kam hierher als eine Bett­lerin und ist nun viel reicher als ich. Sie nahm mir in der kurzen Zeit den letzten Nest der Liebe Deines Vaters und macht mir auch die Liebe meiner Kinder streitig."

Eine jähe Röthe flog über Eberhard's Gesicht, und eine rasche Antwort schien auf seine Lippen sich zu drängen. Aber er be­zwang seine Erregung und bemerkte ruhig: Ich will Dir nicht zu nahe treten, Mutter, aber Du kannst Gertrud doch deshalb keinen Vorwurf machen? Daß sie auf des Vaters Wünsche achtet und sie zu seiner Freude er­füllt, haben mir erst gezeigt, wie wenig Rück­sicht von uns in all ven Jahren auf ihn ge­nommen worden. Und haben wir jetzt nicht auch mehr von ihm, nun er seine freie Zeit bei uns zubringt? Und Asta? Freut sich Dein Herz »ich' über die Liebe dieser beiden Seelen, und ist nicht auch die Schwester nur zu ihrem Vorteil verändert? Mich aber kannst Du aus dem Spiele lassen , trotz meiner Hochachtung für die Kousine weiß ich mich kaum eines freundlichen Wortes von ihr zu entsinnen. Sie weicht mir geflissentlich aus.

Die Kommerzienrätin erwiderte nichts. Ihre Augen folgten den Vorangehenden und ihr Herz empfand bitter die Richtigkeit der Bemerkungen ihres Sohnes.

(Fortsetzung folgt.)

Vermischtes.

Eine französische Fabrik in Pont-L-Mousson beschäftigt auch mehrere deutsche Arbeiter, von welchen einer dieser Tage zu einer lOtägigen Uebung eingezogen wurde. Als der Mann zurückkehrte, erhielt er den Laufpaß mit den Worten, er solle zu den. Preußen gehen und sich dort Arbeit geben lassen. Erfreulicherweise hat der Mann, ein Familienvater, sofort auf der deutschen Station Saargemünd Beschäftigung erhalten.

(Vom Lande.) Ein kürzlich ver­storbener, vor mehreren Jahren in der Boden­seegegend amtierender Kameralverwalter ließ ein eigenhändiges Schreiben einem Schultheißen vom Lande zugehen, mit dem Auftrag, meh­reren mit der Zahlung des Umgeldes rück­ständigen Wirten einen kurzen Zahlungstermin zu eröffnen. Die Handschrift des Herrn Ka- meralis war etwas undeutlich und so verlas der Schultheiß den auf dem Rathaus erschie­nenen Wirten u. a. stattden Säumigen ist ein Zahlungstermin rc. rc." die geflügelten Worte:Den Saumägen ist ein Zahlungs­termin von acht Tagen zu eröffnen."

(Zeitgemäßer Kalauer.) Frage: Was ist der Unterschied zwischen Berlin und München? Antwort: In Berlin kocht man und in München kneippt man.

EinSelbstmörder". Aufsehen verursachte dieser Tage in Berlin die Auffin­dung einesSelbstmörders", dessen Leichnam an einem Telephondraht haushoch ^gerade über dem Straßendamm hing und vom Winde hin- und hergeschleudert wurde. Vom 9. Polizei­revier aus wurde die Feuerwehr alarmiert, welche mittelst in Anwendung gebrachter mecha­nischer Leiter denSelbstmörder" aus seiner luftigen Höhe herabholte. Leider aber war das Rettungswerk total mißlungen; der Lebens­müde konnte nicht ins Leben zurückgerufen werden, weil er eine Strohpuppe war, die, mit Maske, Bart, Perücke und Kleidung versehen, aufs Täuschendste einem Menschen glich und die von einem Spaßvogel auf die